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Marcello Viotti

ANMERKUNGEN ZU MONTEMEZZIS MUSIK

 

 

PROGRAMMA DI SALA DELL'OPERNHAUS ZÜRICH

Sommario

RIASSUNTO IN TEDESCO

Marcello Viotti
ANMERKUNGEN ZU MONTEMEZZIS MUSIK

Norbert Christen
«L'AMORE DEI TRE RE»
ITALO MONTEMEZZIS HAUPTWERK

Robert Braunmüller
TÖDLICHE KÜSSE -
ZU ITALO MONTEMEZZIS OPER
«L'AMORE DEI TRE RE»

BIOGRAFIE DI ITALO MONTEMEZZI E SEM BENELLI

DEKADENZ

Dolf Sternberger
SINNLICHKEIT IM FIN DE SIÈCLE

FOTO DI SCENA

LIBRETTO INTEGRALE
CON TRADUZIONE IN TEDESCO

© Opernhaus Zürich

Prezzo fr. 9

 

 Italo Montemezzis Oper «L'Amore dei tre re» zeichnet sich vor allem durch ihre grosse Intensität oder, präziser ausgedrückt, durch ihre Dichte aus, die sowohl die Orchestrierung wie auch den knappen Umfang des Werks betrifft. Die Oper ist sehr kurz, aber in den kaum zwei Stunden Spieldauer gelingt es Montemezzi, die ablaufende Geschichte zu einem unglaublich starken Drama zu konzentrieren. Das ist die grösste Qualität dieser Musik, wobei es beinahe unmöglich ist, sie vom ebenfalls sehr ausdrucksstarken Text zu trennen. Sem Benelli hat mit «L'Amore dei tre re» wie auch mit seinem von Umberto Giordano vertonten Theaterstück «La Cena delle beffe» aussergewöhnlich intensive Textvorlagen geliefert, durch die er sich als grosser Schriftsteller, ja Dichter erweist. «L'Amore dei tre re» ist ein sehr poetischer Text, mit Anklängen an Gabriele d'Annunzio, ohne jedoch - wie dies bei einigen D'Annunzio-Epigonen der Fall ist - in Banalität oder schlechten Geschmack abzugleiten. Das gleiche gilt auch für die Musik.
Montemezzis Musik weist verschiedene Einflüsse auf. Man spürt sehr deutlich, dass er um die Jahrhundertwende komponiert hat, mit all den grossen Meistern der Vergangenheit im Hintergrund, auch italienischen Komponisten natürlich wie Verdi und Puccini. Omnipräsent jedoch ist Richard Wagner, nicht nur bei Montemezzi, sondern auch bei seinen italienischen Komponistenkollegen Leoncavallo, Franchetti, Cilea, Zandonai und französischen wie Ernest Chausson (ablesbar etwa an der Oper «Le Roi Arthus»). Man muss wissen, dass Leoncavallo sogar ein Projekt hatte, nach dem Vorbild Wagners nicht eine Tetralogie, aber eine Trilogie («CrepuscuIum») zu schreiben, von der er allerdings nur den ersten Teil, «I Medici», realisierte. Montemezzi ist also in einer Periode anzusiedeln, in der der Einfluss Wagners enorm gross war. Das Interessante an Montemezzi ist, dass es ihm gelang, nicht nur die postwagnerianischen, sondern auch andere Einflüsse - er war ebensosehr, wenn nicht noch in stärkerem Masse, geprägt von der Musik Debussys und von den Orchesterfarben eines Richard Strauss - zu assimilieren und daraus einen eigenständigen Musikstil zu entwickeln. Das ist das Frappante an der Oper «L'Amore dei tre re», dass sie eine sehr persönliche Note aufweist, eine eigene Sprache spricht, dass es der Komponist schafft, das eklektizistische Vorgehen als Ausgangspunkt für eine subjektiv gefärbte Klangsprache zu nutzen.
 

Charakteristisch für dieses Werk ist die Verwendung einer beachtlichen Zahl von Leitmotiven, die jedoch nicht weiterverarbeitet werden oder wenn, dann allenfalls harmonisch, also keine Leitmotive im Sinne Wagners sind. Am Auffälligsten und Markantesten, gleichsam die Signatur des Komponisten, sind die ersten Takte der Oper mit einem rhythmisch äusserst prägnanten Motiv in c-moll (Beispiel a), das sich anschliessend in ein triolisches Pizzicato-Motiv verwandelt (Beispiel b). Auf die Unruhe des Anfangs folgt ein auf drei Noten aufgebautes Ostinato-Motiv der Streicher (Beispiel c). Diese ersten Themen werden innerhalb sehr kurzer Zeit exponiert und kulminieren, wie in einem sich entladenden Blitz, in einem extrem schroffen Motiv, wiederum in c-moll (Beispiel d). Die genannten Leitmotive (Beispiele a-d) charakterisieren die Person des alten, blinden Königs Archibaldo (Bass) und werden im Verlauf der ganzen Oper eingesetzt, auch wenn er sich nicht auf der Bühne befindet, nur von ihm die Rede ist. Die Liebesmotive von Fiora (Sopran) und Avito (Tenor) sind dasjenige der Flöte hinter der Bühne (Beispiel e) und der tiefen Streicher (Beispiel f). Das militärisch klingende Trompetenmotiv der Bühnenmusik (Beispiel g) trakterisiert die Kriegslaufbahn Manfredos (Bariton) . Aber Manfredo ist nicht nur Krieger, sondern ebenso der Gatte von Fiora und er liebt seine Frau. Sein Liebesmotiv (Beispiel h) wird von Montemezzi auch im Vorspiel zum zweiten Akt der Oper verwendet. Die Leitmotive werden in der Oper häufig eingesetzt und können vom Zuhörer wie eine Art roter Faden wahrgenommen werden, der sich durch das ganze Werk zieht.
Bei der Auseinandersetzung mit «L'Amore dei tre re» lässt sich ein interessantes Phänomen feststellen: Montemezzi verfällt nie in archaisierende Idiome, was - bedingt durch die im Libretto auf das Mittelalter fixierte Zeit - durchaus hätte der Fall sein können. Er vermeidet auch folkloristische Anklänge. Seine musikalische Positionierung ist klar die eines Komponisten von Anfang des 20. Jahrhunderts.
Montemezzis Orchestrierung ist sehr dicht, bisweilen beinahe unübersichtlich, sodass es von enormer Bedeutung ist, bei der Arbeit mit dem Orchester die wichtigen Motive genau herauszuarbeiten. Es gibt viel kontrapunktisches Material, Massierungen von Noten, ähnlich wie bei Richard Strauss. Beim genialen Strauss klingt das alles fast wie von selbst richtig. Nicht so bei Montemezzi. Bei ihm muss man Thema, Kontrapunkt, zweites Thema, usw. erst herauslösen, um seinen musikalischen Vorstellungen möglichst nahe zu kommen. Aufführungspraxis mit Partituren veristischer Opern jener Zeit ist dabei sicher von Vorteil, mit Werken von Komponisten also, die, wie bereits erwähnt, alle von Wagner geprägt waren, der zwei bis drei Generationen von Musikern beeinflusst hat, von denen indessen jeder Wagners musikalische Sprache auf persönliche Art und Weise assimilierte, Montemezzi auf eine sozusagen «homöopathische». Das heisst, er setzt zwar Reminiszenzen - etwa aus «Tristan und Isolde» -, Harmonien und Klangfarben einzelner Passagen dieser Oper ein, aber eher spärlich dosiert.
Weitaus stärker ist «L'Amore dei tre re» von Debussy beeinflusst, vor allem in bezug auf die ätherische und d'annunzianische Atmosphäre. Montemezzis Orchestrierung ist eindeutig mehr debussyanisch als wagnerianisch. Auch der Klagechor im 3. Akt der Oper mit seinen strengen, klaren Harmonien und den parallel geführten Akkorden (Beispiel i) erinnert an den französischen Komponisten, vor allem an «Le martyre de Saint-Sebastien» (nach dem gleichnamigen Mysterienspiel von D'Annunzio!), oder auch an «Pelléas et Mélisande».
 Die starke Handschrift von Montemezzis Musik ist die Illustrierung der düsteren Atmosphäre des Textes. Das Grundmotiv der Oper ist das Bild vom Tod, von der Gewalt, den Kräften des Bösen, die sich am Schluss im Töten befreien, thematisiert wird aber auch das Liebesverhältnis zwischen Manfredo und Fiora einerseits und Avito und Fiora andererseits. Wie nur selten in der veristischen Oper ist es dem Komponisten Montemezzi gelungen, das geschriebene Drama mit der Musik extrem eng zu verflechten.