News online
Home
Schweiz
Ausland
Wirtschaft
Zürich
Sport
Kultur & Medien
Vermischtes
Zeitung
Ausgabe vom 08.04.
Inserieren im Tagi
Abo-Service
Leserforum
Tools
Newsletter
SMS
Suchen/Archiv
Desktopnews
Chats
Service
Online Werbung
Tamedia-Sites
Marktplatz
Impressum
Sitemap
09:35 Uhr | Montag, 8. April 2002 Artikel: > drucken  > mailen

Von dunklen und von lichten Engeln
Ballett Schwarz bemäntelte Himmelsstürmer jagen nach unschuldigen Schäfchenwolken.
 
Uraufführung beim Zürcher Ballett: «Der Sonne Leuchten ist ihr Kleid», Heinz Spoerlis expressives, teils schwieriges Werk, wurde am Samstag gut aufgenommen.

Von Marlies Strech

Welcher Kontrast! Letzten September zeigte Heinz Spoerli mit dem Zürcher Ballett seine Version von «La Fille mal gardée»: irdisch, lustig, farbig, leichtfüssig, ein Handlungsballett, voller Oberflächenreize. Jetzt die abendfüllende Uraufführung von «Der Sonne Leuchten ist ihr Kleid»: Mit der schönen Metapher sind Engel gemeint, gute und böse; die Grundstimmung ist mythisch, düster, pathetisch. Der witzige Einfall des Plakats - eine Frau, die auf dem Rücken zwei Reissverschlüsse trägt, weil darunter Engelsflügel versteckt sind - verspricht einen poppigen Humor, auf den man lange warten muss.

Atmosphärisch und auch in der Titelgebung erinnert «Der Sonne Leuchten ist ihr Kleid» an Spoerlis früheres Werk «Und Farben, die mitten in die Brust leuchten» (Düsseldorf 1996, Zürich 1998): Dort stieg der manieristische Maler Pontormo jeweils über eine Leiter aus seiner Turmklause in die Welt hinunter. Im Engel-Ballett treffen wir einen «Sehnsüchtigen» (Iker Murillo), der vom Himmel auf die Erde will, um die Menschen zu lieben; auf seinem Weg wird er vom «Dunklen» (Michael Rissmann) und anderen Figuren - der engelhaften wie der menschlichen Art - bis aufs Blut bekämpft. Die Handlung ist ziemlich wirr. Wer am Ende gut oder böse ist, bleibt weit gehend offen.

Männer im Angriff

Tänzerisch bildet «Der Sonne Leuchten ist ihr Kleid» ein Gemisch zwischen zeitgenössisch und traditionell. Wobei der moderne Stil überwiegt und hauptsächlich den Männern zugeordnet ist, während die Frauen sich meist neoklassisch bewegen. Nur selten huschen Tänzerinnengruppen über die Bühne, und rar sind die Pas de deux zwischen Mann und Frau. Karine Seneca bildet zusammen mit Dirk Segers ein mehrmals wiederkehrendes Himmelspaar, innig verbunden, doch jenseits fleischlicher Lüste; Seneca zeichnet bei aller Verschlungenheit grosse klare Linien, Segers wirkt als kraftvoller Begleiter. Später holt die zierliche Yen Han den «Sehnsüchtigen» aus der Krise; bald wirken die beiden schwerelos. Als Kontrast dazu ein Pas de trois: Ana Quaresma, hin- und hergerissen zwischen zwei Männern, die widersprüchliche Kräfte verkörpern; eine sichtbar leidende Tänzerin, deren Ballett-Tutu zum Stacheldrahtgewirr verkommen ist.

Welches Geschlecht haben Engel? Sind sie androgyn, kindlich, weiblich, männlich? In der deutschen Sprache ist der Fall klar, es heisst «der» Engel. Bei Spoerli auch. Nicht nur die hellen und dunklen Engel sind überwiegend männlich, sondern auch die Menschen - die sich leider kaum von Engeln unterscheiden lassen; eine Schwäche in Spoerlis Konzept.

Die Tänzer reden in Zeichensprache, kämpfen, schwärmen herum, markieren mit ihren Armen zuweilen Flügelschläge. Dann hechten sie über die Bühne, rollen hin und her, schlagen luftige Purzelbäume. Sie schiessen wie die Nattern unter den Beinen anderer hindurch - und rennen immer wieder jene Wand hoch, welche im Bogenschwung in die Höhe führt. Rennen hoch, rutschen wieder ab, klammern sich fest oder bleiben wie tote Insekten daran kleben. Ein eindrückliches, vitales Körperspiel - die Choreografie überzeugt hier ebenso wie die Leistungen von Murillo, Rissmann, Juan Eymar, Akos Sebestyén und allen anderen.

Eine weitere Parallele zwischen Engel- und Farbenballett: Beide bewegen sich auf einem Musikteppich, in dem sich alte mit neuen Kompositionen kunstvoll vermengen. «Und Farben, die mitten in die Brust leuchten» enthielt dabei viel Pergolesi. «Der Sonne Leuchten ist ihr Kleid» sollte laut Spoerlis ursprünglichen Plänen ebenfalls auf Pergolesi bauen. Davon liess er dann zwar ab, blieb aber dem Konzept vom Jahrhunderte überspannenden Musikteppich treu.

So werden jetzt beide Teile des neuen Werks durch die sphärisch-wispernde, dann wie Lichtstrahlen auf Gegenstände stossende Musik des 1959 geborenen Estländers Erkki-Sven Tüür eingerahmt. Sie dominiert das Ganze. Dazu kommen Kompositionen von David Lang, James Macmillan und John Adams aus jüngster Zeit, postminimalistisch, postmodern. Als eine Art Leitmotiv ziehen sich sechs Lieder von Alban Berg durch das Ballett, in der dramatischen Tongebung von Liuba Chuchrova. Gewissermassen als Pergolesi-Ersatz folgt gegen Schluss die Passacaglia aus den Rosenkranz-Sonaten von Heinrich I. F. Biber: Dieses barocke Violinsolo mit den schleifenden Doppelgriffen meistert Gunar Letzbor ohne Furcht und Tadel. Auch das üppig besetzte Opernorchester unter der Leitung von Christoph König läuft zu grosser Form auf.

Engels- und Teufelsflügel

Bühnenbildner Florian Etti - natürlich wirkte auch er schon beim Farbenballett mit - hat ausser der weissen Bogenwand einige unauffällige Laufgitter und Treppen aufstellen lassen, die gleichsam gen Himmel führen. Mit Engelsattributen gehen Etti wie auch Kostümbildnerin Claudia Binder sparsam um. Einmal schweben zwei überdimensionierte Flügel herein, auf denen sich die Tanzenden per Video spiegeln. Später tauchen vier Figuren mit schwarzen Schwingen auf; man denkt dabei weniger an Engel als an Ku-Klux-Klan-Leute, die ihre spitz zulaufenden Gesichtsmasken in Flügelpaare zerlegt haben. Engel und Menschen tragen oft durchsichtige Kleider, auch lange geschlitzte Mäntel mit flatternden Schössen.

Die wechselweise kalte und schwüle, in jedem Fall ernste Atmosphäre lockert sich erst im zweiten Teil: Bei einer Party im Himmel, zu «Lollapalooza» von John Adams. Da dürfen alle mal ausflippen, Show oder Swing ausprobieren. In der nachfolgenden Passacaglia werden Tanzpaare in reflektierendes Gold und Silber getaucht. Spoerli greift nochmals frühere Motive auf, verwebt sie miteinander, peitscht sie hoch, mit untrüglichem Instinkt und Geschmack. Denkt man, bis die Schlussszene folgt: Während es von der Rückwand schäumt wie in einer Waschmittelreklame, wird ein Engel umgebracht. Merkwürdigerweise nicht der sehnsuchtsvolle, sondern der dunkle. Man bindet ihn an einer Seilwinde fest - und nun pendelt der Kerl in der Luft, den Kopf nach unten, Leib und Arme zum Kreuz geformt. O Herr Jesus.

Nächste Vorstellungen 21. und 25. 4., 4. 5. [01:26]


Artikel: > drucken  > mailen

© Tamedia AG - Quellen: tagesanzeiger.ch - Agenturen - E-Mail an Webmistress

 

 


 
KULTUR & MEDIEN
Übersicht

Der Winter im Internet. » weiter