OPERNHAUS ZÜRICH PROGRAMM

  Montag, 8. April 2002

. . .
.
.







» 


.









.

.





.


.


.







.






.



.
. . . . .
8. April 2002, 02:07, Neue Zürcher Zeitung

Der Engel Kleid

Heinz Spoerlis neues Ballett im Opernhaus Zürich

Dass Heinz Spoerlis neues Ballett mit Engeln zu tun haben werde, war schon lange vor der Uraufführung weitherum bekannt, auch, dass sicher keine Engel im Stil der Renaissancemalerei die Bühne bevölkern würden. Keine Engel auch im Titel: «. . . der Sonne Leuchten ist ihr Kleid». Und doch sind sie in ihm enthalten, denn dies Leuchten ist der Engel Kleid. Nur indirekt also sollen die Rätselwesen in Erscheinung treten. Grundsätzlich - sagte der Choreograph in einem Gespräch sogar - wolle er kein Ballett über Engel machen. «Es ist ein Stück über Menschen, die gerettet oder nicht gerettet werden.» In der Inhaltsskizze im Programm aber ist ausschliesslich und direkt von Engeln die Rede. Und da also offenkundig dem Choreographen selber nicht ganz klar wurde, was er nun eigentlich konkret auf die Bühne bringen wollte, ist es nicht verwunderlich, dass dies auch dem Zuschauer nicht klar werden kann.

Dabei weist die mit der Musikdramaturgin Laura Berman erarbeitete Musikcollage eine für das Thema überaus fruchtbare Struktur auf. Die ausgewählten Stücke der Komponisten Erkki- Sven Tüür, David Lang, James MacMillan und John Adams vermögen mit dem Schwirren ihrer repetitiv-minimalistischen Elemente und mit der Wucht ihrer grossen Orchesteraufschwünge durchaus eine Atmosphäre von Zeitlosigkeit und aussermenschlicher Dimension zu evozieren, während die zwischen ihnen von Liuba Chuchrova in weit schwingenden Bögen, aber praktisch ohne Textartikulation gesungenen Orchesterlieder von Alban Berg für den Bereich des Menschlichen stehen könnten, ebenso wie die von Gunar Letzbor klar und mit tragendem Ton gespielte barocke Passacaglia für Sologeige von Heinrich I. F. Biber. Dies umso mehr, als der Dirigent Christoph König mit dem Orchester der Oper Zürich die dauernden Wechsel von einer Klangwelt in die andere immer unmittelbar charakterisierend durchführt, prägnant die so unterschiedlichen Strukturen modellierend und spannend farbig in Klanggebung und Dynamik.

Das Bewegungsgeschehen aber greift diese für das Thema so glücklich erstellte Struktur der beiden Welten nicht auf. In ihm erscheint nur eine Art Wesen. Ob sie nun Engel darstellen sollen oder Menschen, spielt keine Rolle; was auf diese Weise unmöglich sichtbar oder fühlbar werden kann, ist das Phänomen Engel an sich. Dieses existiert allein als Abhebung vom Menschen und kann aus dieser Gegensätzlichkeit heraus in Erscheinung treten. Und fehlt damit notwendigerweise im szenischen Geschehen. Denn auch die von Florian Etti gestaltete Bühne schafft keine Spannung zwischen zwei Welten, sie umschreibt mit der riesigen, liegenden Halbröhre und den aufsteigenden Podesten und Treppen nur ein atmosphäreloses Nirgendwo, in dem die Lichtgestaltung von Martin Gebhardt zwar immer wieder geheimnisvoll diffuse Wirkungen erzielt, nie aber ein bedrohliches Dunkel und schon gar nicht ein an die Sonne erinnerndes Leuchten.

Da Spoerli sich mit dem Engel nicht einlässt, können nur Einzelaspekte auf Engelmässiges hinweisen. Zur Passacaglia zeigt er zum Beispiel Körperlosigkeit: Kostüme, die auf dunkler Bühne blau-gelb fluoreszieren, deuten körper- und gesichtslose Wesen an. Aber die Tanzformen bleiben jene für Spoerli typischen, die so sehr vom persönlichen Ausdruck der Tänzer leben. Dieser jedoch fehlt nun im Dunkel notgedrungen, und so wird, was von der Anlage her zu einem erfüllten Höhepunkt hätte werden können, zum bemühend lang sich dehnenden Effekt.

Hinweise auf Engel finden sich überhaupt höchstens in den Kostümen von Claudia Binder. Sie gehören zwar eindeutig, wenn auch verfremdet, in die Welt der Menschen. Aber sie weisen Elemente auf, die an Flügel erinnern könnten, oder sie lassen sich, wie die weiten offenen Uniformmäntel der Männer, wie Flügel bewegen. Und das geschieht häufig, denn die Männer sind durchgehend in aggressiver Spannung, in einem dauernden Kampf, dessen Grund und Verlauf ebenso wie die Bedeutung der Frauen kaum ersichtlich wird.

Aber Spoerli beherrscht auch hier die moderne, von ihm grundlegend mitgeprägte Form des handlungslosen Handlungsballettes. Da sich kein Zusammenhang erahnen lässt, baut sich zwar keine durchgehende Spannung auf. Aber es reihen sich Teile aneinander, die in sich seine prägende Handschrift tragen, in den grossen, seltenen Gruppenevolutionen und in immer neu variierten kämpferischen und zärtlichen Begegnungen. Sie üben oft gerade in ihrer Fremdheit eine eigene Faszination aus. Vor allem dank den durchgehend hervorragenden Tänzerinnen und Tänzern. Grosse Solisten wie Lara Radda und Stanislav Jermakov geben kleinen Auftritten Gewicht, andere wie Karin Seneca und Yen Han verleihen szenisch Vagem ihr persönliches Profil. Michael Rissmann und Juan Eymar tanzen dynamisch präsent im undefinierten Kampf zwischen Hell und Dunkel, in welchem Dirk Segers der einzigen szenisch klar umrissenen Gestalt des Lichtengels eindrücklich Kraft ebenso wie Sensibilität für andere verleiht und damit etwas von der möglichen Doppelnatur der Engel in die Aufführung einbringt.

Richard Merz

 

.
. . .
.
.   .
.
.
.
 
.
.
.
.   .
.

 

.
.   .
.

 

 

 

 

 

.

 

.
.
. .
.
.

.
. .
.
. .
.
.

.
. .
.