HOME PAGE
___________________________________________________________________________________________________
Von den gegen zweihundert Briefen, die Richard Strauss vom Jahre 1936 an bis kurz vor seinem Tode im September 1949 an seinen Freund und vorgesehenen Biographen Willi Schuh gerichtet hat, erscheint hier eine Auswahl von all denjenigen, die von allgemeinem Interesse sind. Die Gegenbriefe wurden meist nur auszugsweise wiedergegeben, jedoch so, daß das sehr angeregte, auch außerordentlich menschliche Zwiegespräch deutlich erkennbar und verständlich wird. Neben zahlreichen Äußerungen über einzelne Werke von Strauss und über seine geistige und schöpferische Tätigkeit während der letzten, sorgenvollen Lebensjahre, bietet der Band viele neue Einblicke in das Dasein dieses großen Musikers und zeigt Strauss auch von einer oft geradezu rührenden Seite. Dank dem aufschlußreichen Vorwort und der gründlichen Kommentierung durch den Herausgeber und Briefpartner beleuchtet dieser Band die letzten dreizehn Lebens-jahre von Richard Strauss in ganz einzigartiger Weise.

DER ERSTE UND DER LETZTE BRIEF


Die ersten Eindrücke von Person und Werk Richard Strauss' empfing Willi Schuh (geb. 1900) bei den deutschen Operngastspielen der Jahre 1917 und 1918, als Strauss in Zürich eigene und Mozartsche Werke dirigierte. Im Oktober 1919 reiste Schuh, damals noch Gymnasiast, von Bern zur Generalprobe und Urauführung der Frau ohne Schatten nach Wien, wosein Kompositionslebrer EugenPapst (1886-1956), ein Freund Strauss's, ihn diesem vorstellte. - Erst siebzehn Jahre später, als Schuh längst als Musikkritiker der Neuen Zürcher Zeitung tätig war, kam es - wieder im Zeichen der Frau ohne Schatten - zu einer neuen Begegnung, die den bleibenden Kontakt herstellte. Während einer von Strauss selbst geleiteten Aufführung dieser Oper in München (12. Februar 1936) versagte im zweiten Akt die Bühnenmaschinerie, was eine lange Pause vor dem dritten Akt notwendig machte. Schuh suchte Strauss in der Pause im Dirigentenzimmer auf, wo er ihn, wartend, allein antraf. Im Gespräch stellte sich heraus, daß Strauss durch einige Besprechungen seiner Werke auf Schuh bereits aufmerksam geworden war. Einer Einladung zu einem Besuch in Garmisch konnte Schuh injenem Frühjahr nicht Folge leisten, dafür kam es, als Strauss im Juni 1936 an Proben undan der Schweizer Erstauffährung seiner im Dritten Reich verfemten Schweigsamen Frau (4. Juni) teilnahm und im Stadttheater Zürich Auführungen von Josephslegende (3.Juni) und Arabella (8. Juni) dirigierte, am 8.Juni zu einem ersten längeren Gespräch im Hause von Karl Schmid-Bloss, dem Direktor des Stadttheaters Zürich. Nachdem Schuh einige seiner Besprechungen nach Garmisch geschickt hatte, antwortete ihm Strauss mit dem nachfolgenden Brief.


RICHARD STRAUSS AN WILLI SCHUH

Garmisch, 12.6.36

Lieber Herr Doktor!
Besten Dank für Ihre liebe Sendung und Brief! Da ich Ihre Feuilletons als besonders bemerkenswerte Zeugnisse einsichtvoller Kritik ein bischen herumschicken möchte, bitte ich Sie, mir noch je 5 Exemplare, auch die über Ariadne mit dem sehr merkwürdigen Schluß zu schicken!
Bitte nehmen Sie das Skizzenbüchlein als kleine Erinnerungsgabe freundlich auf. Was die «Briefe»* betrifft, so hat mein Sohn dieselben zwar schon gesammelt und sortiert mir aber mitteilen müssen, daß im letzten Winter hier einmal, in meiner Abwesenheit mein alter Freund Kippenberg, Inselverlag-Leipzig sich eifrig darum beworben hat. Ich wußte gar nichts davon!
Jedenfalls, wenn ich mich wirklich entschließe, sie jetzt schon herauszugeben, müßte ich sie ihm zuerst anbieten.
Vorerst will ich sie selber einmal lesen und revidieren. Auf jeden Fall findet sich eine Gelegenheit, wo Sie, je nach Bedarf für eigene Arbeit privatim Einsicht darin nehmen können. Ich bedaure, daß ich unbewußt Ihnen Hoffnungen erweckt habe, die ich nun wahrscheinlich nicht werde erfüllen können.
Es war mir eine große Freude, Ihnen in Zürich näher treten zu können und hoffe angenehme Fortsetzung unsrer künstlerischen Beziehungen!
Mit besten Grüßen auch an ihre Frau ihr sehr ergebener

Dr. Richard Strauss

* Briefwechsel Strauss-Hofmannsthal, von dem damals erst ein Teil (1907 bis 1908) veröffentlicht war (im Paul Zsolnay Verlag, Berlin/Wien/Leipzig 1926).

RICHARD STRAUSS AN WILLI SCHUH

[Dem Sohn, Dr. Franz Strauss, in die Maschine diktiert, mit eigenhändiger Unterschrift]

Garmisch, den II. Juli 1949

Lieber Freund Schuh!
Ich bin mit den Betrachtungen*, nicht recht zufrieden und bedaure, daß Sie mir nicht doch das ganze Manuskript als Korrekturbogen vorgelegt haben. Ich war nicht darauf gefaßt, daß Sie aus meinen absolut sorglos und nicht druckreif hingeschriebenen blauen Tagebuchheften so und soviel kritiklos aufgenommen haben, was ich schwer revidiert und womöglich gar nicht in das Büchlein aufgenommen hätte. So gehören z. B. Bemerkungen Richard Wagner's, der alte Strauss ist «ein unausstehlicher Kerl», wofür man sagen könnte, er ist zwar ein Gegner, auch die Geschichte mit den «sauren Gurken» und ein paar Bülowerlebnisse, lauter Dinge, die einer Revolverpresse erwünschten Anlaß geben könnten, großen Meistern, wieder etwas am Zeug zu flicken. Auch den Brief an Karpath mit den ioooo Hausknechten würde ich nie aufgenommen haben. Es scheint eben doch, daß einem so vornehm schreibenden Schriftsteller wie Ihnen auch der journalistische Sensationsteufel hie und da einen Streich spielt. Ist es möglich oder jedenfalls bei einer zweiten Auflage gewisse Striche und Korrekturen vorzunehmen, die ich in einem speziellen Exemplar mitteilen würde? Jedenfalls aber müßten die Stellen schon in der englischen Übersetzung, die Dr. Roth anfertigt, berücksichtigt werden. Denken Sie, wenn Bemerkungen über das allgemeine Wahlrecht einem amerikanischen Revolverhelden in die Hände fallen zur Ausschlachtung!
Meine Kinder bitten ferner, da wir bei einem allgemeinen Ordnen der Verträge sind, mir alle bisher mit Ihnen und dem Atlantisverlag geschlossenen Verträge zugehen zu lassen, da ich keine besitze. Über die Biographie, die kleineren Schriften, damit nicht Mißverständnisse entstehen. Auf jeden Fall bitte ich aus den blauen Tagebuchheften nichts mehr weiter zu veröffentlichen wovon weder ich, noch meine Kinder Kenntnis haben.
Wollen Sie Dr. Roth die entsprechenden Weisungen geben, oder soll ich ihn selbst über meine diesbezüglichen Wünsche informieren?
Mit herzlichen Grüßen Ihr stets aufrichtig ergebener

Dr. Richard Strauss

* Betrachtungen und Erinnerungen, Atlantis, Zürich und Freiburg i.Br. 1949. Eine zweite, erweiterte Ausgabe erschien 1957.