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Dienstag, 04.03.2003, Ausgabe-Nr. 52, Ressort Kultur

Sachlichkeit und Sinneslust

Lebendiges Repertoire: Das Zürcher Ballett brilliert in «Igor» und «Josephslegende» von Heinz Spoerli

Kontinuität zahlt sich aus: Das Opernhaus Zürich und Ballettdirektor Heinz Spoerli sind in der glücklichen Lage, eigene Stücke aus dem Repertoire aufführen zu können. «Igor» und «Josephslegende» beweisen, dass Qualität bleibt, auch wenn Geschmack sich wandelt.

• MARIANNE MÜHLEMANN

Der mächtige Unterarm eines Unsichtbaren mit ausgestrecktem Zeigefinger greift aus dem lichtblauen Bühnenhimmel hinein in das dumpf intonierte Donnern der Blechbläser des Orchesters der Oper Zürich. Der Ensembleklang ist spröde, sperrig. Da gleiten blaue Kreaturen in den Raum. Männer mit gesenktem Kopf im Rückwärtsschritt. Sie taumeln, fallen aus dem Lot, werden von Frauen in ausladenden Spagatsprüngen eingekreist und aufgerichtet. Die Begegnungen sind Konzept: Auch wenn sich Frau und Mann berühren, bleibt es ein abstraktes Formenspiel. Linien wachsen zu Achsen, Reihen verschmelzen zu Kreisen, Individuen wachsen zu Körperskulpturen parallel zu der Musik gewinnt das Zusammenspiel an Profil, an innerem Fluss und Verbindlichkeit (innig der Pas de deux im 2. Satz mit Ana Quaresma und Akos Sebestyen). Während sich alles verändert, bleibt der Unterarm, die Hand am Himmel. Schützend und drohend. Sie gehört nicht Gott. Auch nicht dem Ballettchef Heinz Spoerli, sondern «Igor», dem das kurzweilige, 1984 im Stadttheater Basel uraufgeführte Werk gewidmet ist.

Bachsche Strukturen

«Igor» meint Igor Strawinsky, jenen göttlichen Erneuerer, der in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts dem Tanz neue Impulse gab: Er orientierte sich an Johann Sebastian Bach und gab dem Ballett zurück, was der Ausdruckstanz ihm genommen hatte: Ordnung, Klarheit, Strukturen, Regeln und Sachlichkeit. Spoerli setzt in «Igor» auf die gleichen Werte, imitiert intuitiv Bachsche Prinzipien und verbindet sie mit seinem Personalstil.

Das Concerto für Klavier und Blasorchester schrieb Strawinsky 1923/24. Es dauert 20 Minuten und wurde wohl in erster Linie für den eigenen Gebrauch konzipiert: Strawinsky verband mit dem Concerto die ehrgeizige Absicht, künftig auch als Pianist aufzutreten. Da er sich seiner pianistischen Grenzen wohl bewusst war, liess er allzu virtuose Passagen weg und vertraute auf die Kraft und Beweglichkeit seines Akkordspiels, auf sein rhythmisches Standvermögen in unzähligen Taktwechseln, Synkopen und Akzenten; nicht nur der Pianist Alexey Botvinov «downtown» im Orchestergraben meisterte sie mit Bravour, sondern auch das Zürcher Ballett.

Sieg der Tugend

Heinz Spoerli setzt auf Kontrast: Das zweite, längere Werk des Abends, die «Josephslegende» (Musik Richard Strauss) ist ein Handlungsballett, das wegen der tänzerischen Gestaltung einer humanistischen Idee des Sieges ehrlicher Tugend über unbeherrschte Sinneslust für verschiedene Choreografen seit Mikhail Fokin zu einem beliebten Repertoirestück wurde. Spoerli hat die «Josephslegende», mit dessen schwülstigem Opus sein Vorgänger Bernd Bienert in Zürich eine harte Bruchlandung realisierte, bereits 1992 in Duisburg kreiert und uraufgeführt.

In der Neuinszenierung für das Zürcher Ballett tanzt der 31-jährige François Petit die Rolle des 15-jährigen Hirtenbuben Joseph. Eindringlich weiss er die Register seiner Darstellungskunst zu ziehen, indem er sich in allen gestalterischen Höhen und technischen Hürden glaubwürdig in Szene setzt. Petit sorgt nicht nur für tänzerische Höhenflüge («Tanz für Joseph»), sondern auch für Natürlichkeit in einer gegen Schluss auch bei Spoerli etwas pathetisch geratenen Inszenierung. Da gibt es viel ornamental-bewegtes Beiwerk, Girlandenarme und Arabeskenschritte, Rauch und exotische, im Halbprofil à légyptienne defilierende Sklavinnen-Schönheiten. Viel Leidenschaft und Ironie, etwa wenn Spoerli eine originelle Boxerklasse in blutroten Folterknecht-Trikots in die Szene schleust. Und da ist auch der sinnliche, homoerotische Engel (Dirk Segers), der eigentlich viel zu irdisch wirkt, wenn er mit nacktem Oberkörper aus den Wolken flügelt und den vermeintlichen Verführungssünder Joseph an der Hand über die hollywoodeske Himmelstreppe entführt. Und die böse Verführerin, Potiphars Weib (Karine Seneca), in die Hölle stösst. Ein hoch stehender Abend, den man sich gerne ein zweites Mal ansieht und dem Orchester und seinem Leiter Christoph König sei Dank anhört.



Weitere Vorstellungen im Opernhaus Zürich bis 16. März.

 


Von den Brüdern verkauft: Joseph (François Petit) in Spoerlis «Josephslegende». (Peter Schnetz)


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