MAGAZIN OPERNHAUS

ARABELLA

 

Mit «Arabella» ging eine langjährige, in der Operngeschichte des 20. Jahrhunderts einzigartige Zusammenarbeit zwischen dem Komponisten Richard Strauss (1864-1949) und dem Dichter Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) zu Ende. Begonnen hatte sie mit der 1909 uraufgeführten «Elektra», auf die «Der Rosenkavalier», «Ariadne auf Naxos», «Die Frau ohne Schatten» und «Die ägyptische Helena» folgten.
Bereits um 1920 geisterte die Idee, mit einer Spieloper an die Atmosphäre und nicht zuletzt auch an den Erfolg des «Rosenkavalier» anzuknüpfen, in den Köpfen von Strauss und Hofmannsthal herum, nahm jedoch erst Jahre später konkrete Gestalt an. Im September 1927, kurz vor der Vollendung der Partitur der «Ägyptischen Helena», schrieb Richard Strauss an den Dichterfreund: «Aber jetzt habe ich nichts mehr zu arbeiten: total abgebrannt! Also bitte: dichten Sie! Es darf sogar ein «zweiter Rosenkavalier» sein (später präzisierte er: «dem ersten so unähnlich wie möglich»), wenn Ihnen nichts Besseres einfällt. Schlimmstenfalls eine kleine Zwischenarbeit - ein Einakter - eine Handgelenksübung - Öl zur Verhinderung des Einrostens der Phantasie.»
Und Hofmannsthal antwortete Anfang Oktober: «Ich habe vor zwei Jahren mich mit einem Lustspiel beschaftigt, Notizen gemacht, ein Szenar entworfen, und dann die Arbeit wieder weggelegt. Es hiess: «Der Fiaker als Graf». Es war ein recht reizvoller Stoff, aber er langte mir schliesslich nicht ganz für das Kostüm der Gegenwart. Gestern nun fiel mir zum ersten Mal plötzlich ein, dass das Ganze wirklich einen Hauch von «Rosenkavalier» in sich hat, eine sehr reizende Frauenfigur in der Mitte, rund um sie meist junge Männer, auch elliche Episoden - keinerlei äussere Verwandtschaft mit dem «Rosenkavalie», aber eine innere Verwandtschaft... Ich muss mir einmal die irgendwo in Robaun vergrabenen Notizen kommen lassen und dann in mir das Szenarium für eine leichte Oper (im Stil des «Rosenkavalier», aber noch leichter, noch französischer, wenn ich mich so ausUrücken darf - noch fernervon Wagner)ausbilden.»
Das Lustspielfragment «Der Fiaker als Graf» war ganz als Konversationsstück angelegt, die Handlung erwies sich zu unergiebig für eine Oper. Hofmannsthal liess zwar einige Motive und Gestalten daraus in den 2. Akt der «Arabella» einfliessen: den traditionsreichen Fiakerball und die - real existierende - Demimonde-Figur der Fiakermilli; entscheidender für die Gestaltung des Librettos wurde jedoch seine 1909 geschriebene Erzählung «Lucidor. Figuren zu einer ungeschriebenen Komödie», in der die Personen und ihr Ambiente, die die Oper prägen sollten, vorgezeichnet waren: das am Rande des Ruins stehende gräfliche Paar Waldner und dessen beider Töchter, die schöne, stolze, emanzipierte Arabella, die sich von Verehrern umschwärmen lässt, aber heimlich auf den «Richtigen» wartet, und die jüngere Zdenka, die, weil sich die verarmte Familie es sich nicht leisten kann, «zwei Mädchen standeswürdig auszuführen», in Männerkleider gesteckt wird - eine gefährliche Manipulation der Mutter, ebenso gefährlich wie die fragwürdige Spekulation des spiel- und trunksüchtigen Vaters, aus Arabellas Schönheit Kapital zu schlagen.
Die Tatsache, dass Zdenka, die nicht mitansehen kann, wie der in Arabella verliebte Jägeroffizier Matteo, den sie insgeheim selbst liebt, durch Arabellas kühles Verhalten zur Verzweiflung getrieben wird, im Namen der Schwester glühende Liebesbriefe an ihn schreibt und sogar eine Liebesnacht mit ihm verbringt, die Tatsache auch, dass «der Richtige» für Arabella in Gestalt eines Fremben tatsächlich auftaucht, aber aufgrund von Zdenkas angezetteltem Verwirrspiel an Arabellas aufrichtiger Liebe ernsthaft zweifeln muss, führt nur knapp an einer Katastrophe vorbei, und Richard Strauss hat im Verlauf der gemeinsamen Arbeit am Lihretto Hofmannsthal gegenuber ein tragisches Ende seiner Oper tatsächlich auch einmal in Erwägung gezogen.
Die Ausgestaltung des Textes, auf die Strauss grossen Einfluss nahm, war durch viele Kontroversen belastet und zog sich über zwei Jahre hin. Immer wieder bemängelte der Komponist die «zu zersplitterten Motive», zu konturlose Hauptfigur» und drängte «auf mehr Profilierung auch der ührigen Charaktere, auf Straffung der Handlung und überzeugendere Gestaltung der dramatischen und lyrischen Höhopunkte», zeigte sich aber auch offen für den von Hofmannstbal mehrfach geäusserten Wunsch nach einer «einfachen musikalischen Diktion, die die Stimmen nicht zudecken sollte».
Strauss' Kritik bezog sich vor allem auf den 1. Akt der Oper, in den Hofmannsthal - nicht ohne Widersprüche - denn auch die meiste Arbeit investierte. Am 10. Juli 1929 übersandte er Strauss die mehrmals rovidierte, endgültige Fassung. Das Antworttelegramm des Komponisten - «Erster Akt ausgezeichnet. Herzlichen Dank und Glückwünsche Treu ergeben Dr. Richard Strauss» - erreichte ihn nicht mehr; er starb am 15. Juli 1929, am Tage des Begräbnisses seines Sohnes Franz.
Die musikalische Ausarbeitung der Oper fiel Richard Strauss schwer und zog sich noch länger hin als diejenige des Textes. Hofmannsthals plötzlicher Tod war ihm sehr nahe gegangen und er vermisste die fruchtbaren Kontroversen mit dem Freund und Arbeitspartner. Erst im November 1931 vollendete er die Klavierskizze der «Arabella» und schloss ein knappos Jahr später die Partitur ab. Die mit der Dresdner Oper vereinbarte Uraufführung war überschattet von der Machtergreifung der Nationalsozialisten, die den Intendanten der dortigen Oper, Alfred Reucker, und den Generalmusikdirektor, Fritz Busch - Richard Strauss hat den beiden Persönlichkeiten seine «Arabella» gewidmet - ihrer Ämter enthoben hatten.
Der Komponist wollte seine Oper zurückziehen, doch man bestand auf Erfüllung des Vertrages. Als Gast aus Wien, von wo er auch die Interpreten der beiden Hauptpartien, Viorica Ursuleac (Arabella) und Alfred Jerger (Mandryka) mitbrachte, leitete Clemens Krauss am 1. Juli 1933 die «Arabella»-Uraufführung.
© Opernhaus Zürich. Pubblicato con il consenso scritto della direzione della Dramaturgie.