GÖTZ FRIEDRICH

 

Götz Friedrich, Generalintendant und Chefregisseur der Deutschen Oper Berlin und gern gesehener Gast an unserem Hause, inszeniert «Arabella» zum ersten Mal. Ist «Arabella» ein «Remake» des «Rosenkavalier»? Für Götz Friedrich stellt der «Rosenkavalier» ein absolutes Meisterwerk dar, wie es nur ganz wenige gibt, und manche sehen «Arabella» durchaus in dessen Schatten - nach Auffassung des Regisseurs ein ganz grosses MissverstänUnis. Dennoch gibt es natürlich Lihretto-Erfahrungen von Hofmannsthal, die eine Verwandtschaft, möglicherweise auch eine Fortsetzung erkennen lassen.
Wie schon bei seinen «Rosenkavalier»-lnszenierungen in Stuttgart und in Berlin hat sich Götz Friehrich entschieden, das Stück in seiner Entstehungszeit, also kurz vor dem 2. Weltkrieg, spielen zu lassen. Die Entstehung der fast zwanzig Jahre nach «Rosenkavalier» fertiggestellten «Arabella» ist gekennzeichnet durch eine zum Teil recht qualvolle Zusammenarbeit von Strauss und Hofmannstbal, die durch Hofmannsthals Tod jäh beendet wurde. Die «Arabella» spielt, bleibt man bei der historischen Vorgabe, im Jahre 1860, also eindeutig nach «Rosenkavalier», mit dem Hofmannsthal die Zeit von Maria Theresia heraufbeschwören wollte. Die vom Regisseur und seinen Ausstattern für «Arabella» gewählte Epoche ist, wie bereits erwähnt, die der Komposition, sind die Jahre um 1930, in denen die Endzeit der «Rosenkavalier»-Welt immer noch ausläuft.
In der Republik Österreich waren noch Stränge der Kaiserzeit vorhanden, die weiterliefen, auch wenn die «modern times» mit Aufschwung auf der einen und Weltwirtschaftskrise auf der anderen Seite angebrochen waren Vor solchem Hintergrund erfahren Musik und Figuren eine spezifische Schärfung, die «Arabella» eben doch entscheidend vom «Rosenkavalier» abhebt. Die Schärfung besteht darin, dass das Schicksal der Familie Waldner sicher kein Einzelschicksal war, nicht nur das Schicksal eines gescheiterten adligen Spielers, sondern eine Gesamtsituation aufzeigt, der langsame Ruin des österreichischen mittleren Adels und gleichzeitig auch das Auflauchen von Menschen aus einer anderen Welt, aus fremben Landern, die von Osterreich unabhangig geworden waren von dort, wo Mandryka herstammt, und wo sich plotzlich Natur und Geld auf e ne ganz neue Weise verbanden, gleichsam in einem Boom des «Mittleren Ostens». Eine der Schlüsselszenen der Oper, Mandrykas Schilderung seines grossen Waldes, der zu Banknoten geworden ist eine genial-zynische Erfindung Hofmannsthals - weist auf die Burgerlichkeit, ja beinahe schon Nachbürgerlichkeit dieser Zeit hin.
Zwischen diesen beiden Phänomenen - ramponierter, ruinierter Adel und der neue Reichtum einzelner steht Arabella. Sie ist, wenn auch hie und da ihr stimmlich verwandt, keine «Rosenkavalier»-Marschallin. Sucht man nach einem Vergleich, wurde er eher in Richtung Hedda Gabler von Ibsen oder ähnlicher Frauenfiguren weisen Arabellas grosse Suche nach Unabhängigkeit, ihr Sichwehren dagegen, Austauschware zu sein, ihre Haltung gegen jegliche Verheiratung nach altem osterreichischem Muster, lasst vermuten, dass sie, wenn sie nicht Mandryka begegnen würde, ihr Leben selbstandig und unverheiratet fuhren würde, vielleicht wie eine moderne Geschaftsfrau heute, oder, um in der damaligen Zeit zu bleiben, in der Sozial- oder Krankenfursorge tatig ware. Insofern wird es Mandryka - aber so weit geht die Oper nicht - keinesfalls leicht mit ihr haben!
Beide, Arabella und Mandryka, sind Typen einer völlig unabhängigen, fast isolierten Lebenshaltung. Trotz ihres Eingebettetseins in ihre gesellschaftliche Umwelt sind sie Aussenseiter. Götz Friehrich sieht sie wie zwei Kometen, die aufeinander zujagen, sich aber auch verpassen konnten, etwa nach dem Motto «Jede Komödie ist eine Tragödie, nur mit dem Unterschied, dass sie gut ausgeht» So sieht er auch die Oper «Arabella». Doch die Autoren strebten ein «happy-end» an, wollten, dass die Missverständnisse, Nöte und Verwirrungen dazu führen, dass die beiden Liebenden zusammenkommen, diese zwei sehr starken Menschen, die quasi aussergesellschaftlich existieren. Insofern ist das Stück ein Märchen. Hofmannsthal hat aus der Gesellschaftskomödie, aus den Vorlagen, die ihm vorschwebten, nach Art und in der Tradition des Wiener Volkstheaters ein modernes Märchen geschrieben, ein Märchen, wie es jüngst auch der Film «Pretty Woman» mit Julia Roberts geworden ist, ein Märchen, in dem Dinge passieren, von denen man sagen müsste, dass das ja gar nicht so sein kann oder einfach kitschig ist.
Aber dahinter steht der Traum, die Hoffnung, dass es eben doch möglich sein muss, in unserem kleinen Leben oder in Ausnahmesituationen, über alle Widerstände, Verstrickungen und Verflechtungen hinweg das persönliche Glück zu finden. «Arabella», ein Märchen über die Realität, der Realität vom Ende der 20er-Jahre, einer Zeit, in der ohnehin das Normale, der geschichtliche Gang, die Tradition an eine Barriere gestossen war, hinter der die politische und geistige Barbarei lag. Den Weg von Arabella und Mandryka sieht Götz Friedrich als Selbstbehauptung durch Flucht in die Natur, die manchem Unabhängigkeit und Freiheit bedeutet, zu Wurzeln, die Richard Strauss in seinen anrührenden Volkslieder-Zitaten in Erinnerung ruft.
© Opernhaus Zürich. Pubblicato con il consenso scritto della direzione della Dramaturgie.