Kurt Wilhelm

HOFMANNSTHALS TOD

 

 

Tratto da

Kurt Wilhelm

Richard Strauss persönlich

Buchclub Ex Libris
Zürich 1985

pp. 270 - 273

 

Es gibt nur wenige erfolgreiche heiter-lyrische Opern. Nach der von beiden Autoren geliebten ernsten und fantastischen «Helena» wollten sie einen zweiten «Rosenkavalier» versuchen, voll Walzer, Gefühl und ein wenig Elegie. Am 16.12. 1927 erzählt Hofmannsthal eine Geschichte, die ihn seit einiger Zeit beschäftigt: Wien, verarmte Adelige. Weil es an Geld fehlt, sie standesgemäß zu präsentieren, muß die jüngere Tochter als Bub leben. Die ältere hat Flirts ohne Bedeutung, ihre Heirat soll die bankrotte Familie retten. Da kommt ein Fremder, ein Bauunternehmer. - Wie die schöne Tochter heißt? Nun, Arabella - (was «schöne Araberin» bedeutet).
Strauss gefällt das Thema. Aber der 1. Akt, den er 4 Monate später bekommt, regt ihn nicht an. Gelassen und ruhig beginnen die beiden, die Handlung zu revidieren. Es ist eine stille Krise. Beide fühlen sich erkaltet, wie nach einer langen Ehe.
RS - (8. 8. 1928) «...Die Hauptsache ist, daß man aus dem Stoff das bestmögliche herausholt. Das braucht Zeit und Muße. Ich habe vorläufig genug Opern geschrieben, auch meiner Phantasie tut Ausruhen gut. Ich warte also bis zum Herbst, ich warte bis Ostern, ich warte so lange Sie wollen.»
Der 1. Akt wird immer wieder umgearbeitet. Noch immer findet Strauss die Hauptfiguren zu blaß und konturlos. Für das 2. Finale wünscht er sich Gelegenheit zu einem großen, ausgedehnten Walzerensemble: «...aber keine Ähnlichkeit mit dem 2. Akt «Fledermaus», abgesehen davon, daß mir doch kein so zündender Walzer einfällt, wie dem seligen genialen Johann...»
Ein Jahr nach dem ersten Erzählen, Ende 1928, ist der Text fertig. Hofmannsthal läßt ihn liegen, denkt an Überarbeitung, Veränderung von Motiven, Straffung und Steigerung. Am 29.12. Iiest er Strauss das Ganze vor. Der ist recht glücklich, bleibt aber immer noch kühl. Die Figuren sind ihm zu sehr Novelle und zu wenig Theater. Er nennt seine Einwände und sagt immer wieder: «Ich warte geduldig, auch mir tut eine Ruhepause gut.»
In den 65 Tagen, die er noch zu leben hat, überarbeitet Hofmannsthal den 1.Akt, um dessen Gestaltung er besonders besorgt war. Schickt ihn Strauss Der antwortet am 15.7. 1929 mit einem begeisterten Telegramm: «1.Akt ausgezeichnet - herzlichen Dank und Glückwünsche. Treu ergeben - Dr. Richard Strauss«.
Tagebuch von Harry Graf Kessler
«Wien. 18.Juli 1929. Donnerstag. - Trauerfeier des armen Hugo um drei in der Pfarrkirche in Rodaun. Sarg, Altar und Altarbrüstungen verschwanden unter einem Meer von Rosen. Alle Rosengärten Wiens müssen geplündert worden sein, um eine solche Pracht herzugeben. Die kleine Kirche war brechend voll. Ich saß hinter dem Sohn von Richard Strauss. Er und Reinhart fehlten auffallenderweise. Die Feier war nicht sehr stimmungsvoll trotz des schönen Violinsolos.
Um die Kirche hatte sich eine große Menschenmenge angesammelt, Neugierige aus Wien, die Frauen in hellen Sommerkleidern, auch Amerikanerinnen, und viele Bauern und Kleinbürger aus der Umgebung. Es müssen einige tausend Menschen gewesen sein, die sich auch dem Trauerzuge anschlossen und dem Sarg nach dem Friedhof das Geleit gaben, was bei dem Gedränge und der furchtbaren Hitze allmählich die Stimmung ganz auflöste. Am Friedhofseingang entstand dann eine wahrhaft skandalöse Szene. In einem wilden Gedränge versuchten Trauergäste und Neugierige die Schutzleute zu überrennen und in den Friedhof einzudringen; es gab eine regelrechte Schlägerei. Von irgendwelcher Trauerstimmung war keine Rede mehr, es war eine Art von Kirmes bei erdrückender Hitze. Einen Augenblick konnte ich in die Gruft blicken, als ich die Erde auf den Sarg streute. Es fiel mir auf, wie schmal und klein der Sarg aussah, unter dem der Sarg des erschossenen Sohnes hervorblickte. Dann war alles vorbei.
Gesehen habe ich Hugo das letzte Mal bei dem stimmungslosen unerfreulichen Frühstück im Juni vor einem Jahr, wo Richard Strauss solchen Unsinn redete, daß Hofmannsthal sich nachher bei mir entschuldigte.
Gerty Hofmannsthal meint, und das ist für sie ein Trost, daß der Tod des Sohnes nicht am Tode des Vater schuld sei; Hugo sei schon seit drei Jahren von den Ärzten aufgegeben gewesen, wegen schwerer Arterienverkalkung. Hugo sei nach dem Tode des Franz ganz gefaßt gewesen, habe sein gewohntes Leben weitergeführt, viele Briefe geschrieben, viel mit ihr und Raimund über den Tod gesprochen, lange, wunderbare Gespräche, allerdings auch viel und bitterlich geweint.
Am Montag sei er zur gewohnten Zeit aufgestanden, zu den Mahlzeiten wie gewöhnlich erschienen. Als sie um drei Uhr zur Beisetzung gehen wollten und er eben den Hut aufgesetzt habe, habe er plötzlich gesagt, ihm sei schwindlig und sich auf einen Stuhl gesetzt. Sie habe ihm den Hut abgenommen und ihn ins Arbeitszimmer geführt. Unterwegs habe er noch einen Handschuh, den er fallen gelassen hatte, selbst aufgehoben. Im Arbeitszimmer habe er sich wieder auf einen Stuhl gesetzt. Sie habe ihn gefragt, ob sie ihm nicht seinen Kragen aufmachen solle. Er habe nur undeutlich geantwortet. Ihr sei zu ihrem Entsetzen aufgefallen, daß sein Gesicht ganz schief war. Als sie ihn deshalb etwas scharf ansah, fragte er sie: «Warum siehst du mich so an?», sei aber nicht zum Spiegel gegangen, wie er es sonst getan hätte, um selbst zu sehen, ob etwas nicht in Ordnung sei. Seine Sprache sei schon auffallend schwer gewesen. Sie habe ihn auf die Chaiselongue gebettet, und er habe dann allmählich die Besinnung verloren.
Währenddem ging die Feier für den Sohn in der Kirche weiter. Raimund sagte, als er zur Beisetzung eilte, sei er schon überzeugt gewesen, daß er seinen Vater nicht mehr lebend antreffen werde. Sowohl er wie seine Mutter bezeichnen es als ein Glück, daß er nicht zu einem langen, hoffnungslosen Siechtum wiedererwacht sei. Die Gerty bedauert nur, daß er nicht mehr den Brief von Richard Strauss erhalten hat, in dem er ihm seine Freude über die gelungene Umarbeitung des 1.Aktes Arabella aussprach.»
Strauss trug in seinen Kalender ein: «Hugo von Hofmannsthal verschieden. Dank dem Edlen, Unvergeßlichen!» Am anderen Tage ging er unangemeldet zu seinen Nachbarn Schumann/Alwin. Franckenstein war zu Besuch. Strauss las ihnen den Arabella-Text vor, immer wieder von Tränenausbrüchen erschüttert. Ergriffen sahen die Zuhörer, wie er also bei Freunden dem Dichter eine Totenfeier zu halten versuchte, bedrängt von seinem Schmerz, den er zu Hause wohl gewaltsam unterdrückt hatte.
Alles veränderte sich in Hast. Kinos zeigten das stumme, zappelnde Abbild fremder Welten, Zeitungen schwemmten Informationen von weit her, der Globus schien zu schrumpfen. Neue Kunst-Moden, Jazz, Gegenwartsthemen auf dem Theater, Show und Revue lösten künstlerische Erhebung, Verzauberung und Erschütterung ab. Je schwerer der Alltag, desto leichter die Kunst. «Amüsemang» regierte.
Dada, Expressionismus, Kabarett, Chansons gefielen nicht nur dem anspruchslosen Operetten- und Schwänke-Publikum, sie weichten auch den Kunstgeschmack gebildeter Kreise auf, angesichts von Not, Arbeitslosigkeit und zunehmender Politisierung der Straße, auf der sich Parteien wie Räuberbanden bekriegten. Die goldenen Zwanziger brnehten nach der wirtschaftlichen auch eine Inflation der Künste. Die Jugend begeisterte sich für neue sachlichere Werte.
An Strauss' Tonsprache hat man sich gewöhnt. Er hat sich ausgeschrieben, sagte man, seit «Rosenkavalier» nichts Neues, Ariadne - na ja, aber das Spätere! Mit seinen 65 Jahren gilt er als Denkmal seiner selbst, als konservativer Patriarch. Vorbei die Zeit der Wagnisse mit dem verfemten Wilde, der Vertonung rebellischer Dichter. Er blieb sich und seinen Kunstprinzipien treu, begeisterte noch viele junge Musikalische, wer aber etwas auf sich hielt, redete verächtlich über ihn. Die treuesten Anhänger waren seine Altersgenossen, ältere Herren und Damen. 20 Jahre wird er noch leben. Als Olympier. Sein Musikstil wird imitiert. Keine «gehobene Unterhaltungsmusik«, die nicht strausselt. Vor allem die Kinomusik a la Dr. Giuseppe Becce.»