Herbert Rosendorfer

aus dem Booklet

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[...] Bevor sich Wolf-Ferrari, beflügelt durch den Erfolg, in den knapp eineinhalb Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg nahezu ausschliesslich der Oper zuwendete, entstand unter anderem eine Reihe von Kammermusikwerken, zum Teil noch als Schüler-Arbeiten des Hermann Wolf, der an der Akademie der Tonkunst studierte. Unter diesen Arbeiten fand sich das Streichtrio (für Violine Viola und Violoncello) in h-Moll, in der handschriftlichen Partitur überliefert und 1894 datiert. Das Werk hat nur drei Sätze: einen formgerechten, weit ausgreifenden Sonatensatz, ein »Larghetto« in G-Dur und ein »Scherzo. Allegro vivace« in H-Dur, das der ganzen Anlage des Werkes nach sicher nicht ais Schlusssatz gedacht war. Das Trio ist also ein Fragment. Warum Wolf - damals noch ohne »Ferrari« - das Werk nicht vollendet hat (oder ob der Schlussatz verlorengegangen ist) ist nicht bekannt. In seinem langen, bekenntnishaften Brief an Karl Straube, dem damaligen Thomas-Kantor, erwähnt Wolf-Ferrari unter seinen »opus 0«, die noch seinen Worten »nicht zählten«, aber doch für ihn von Wert seien, zwei Streichtrios (ohne nähere Bezeichnung).
Tatsächlich gibt es noch ein anderes in Es-Dur aus dem Jahr 1893. In der handschriftlichen Partitur des hier vorliegenden Streichtrios geht übrigens aus kaum lesbaren, skizzenhaften (späteren) Zusätzen von der Hand Wolf Ferrari's hervor, dass er das Werk wohl noch bearbeiten, vielleicht zum Streichquartett erweitern wollte.
Das Trio in h-Moll, das Wolf-Ferrari mit keiner Opus-Zahl versehen, nie in Druck gegeben hat, und das wohl auch nie, bis zu dieser Einspielung, aufgeführt wurde, ist deutlich konventionell im Sinn der Spätromantik gearbeitet, Brahms'sche Züge (z. B. die häufige Verwendung von Hemiolen, die Melodie gegen den Takt u. a.) sind erkennbar, aber auch schon durchaus die eigene Handschrift des künftigen Meisters, etwa in den feinen Melodien des langsamen Satzes und in der frechen, durchbrochenen Struktur des Scherzos. Wenn es auch eine Schülerarbeit, ein »Opus 0« sein mag, es ist, namentlich für den Freund der Musik Wolf Ferrari's »von Wert«.
Nach der grossen Schaffenskrise von 1914 bis in die zwanziger Jahre schrieb Wolf-Ferrari zwar noch, wie erwähnt, insgesamt sechs Opern, die letzte »Der Kuckuck von Theben« 1938 bis 1942, aber zunehmend befasste er sich mit Liedern (so dem »Italienischen Liederbuch op. 17«,CPO 999 270-2), Orchesterwerken (mit z.T. kleinerer Besetzung), Klavierstücken und Kammermusik. Die drei, hier eingespielten Werke, die opp. 32, 33 und 35 entstanden in der schlimmsten Zeit, die Wolf-Ferrari erleben musste: in den Kriegs- und Hungerjahren 1945 und 1946. 1943 flüchtete der Komponist vor der immer drohender werdenden Gefahr der Bombenangriffe nach Alt-Aussee, wo er, wie seine Briefe aus der Zeit bezeugen, in engen Verhaltnissen leben musste. Nach München zurückzukehren, war nach dem Kriegsende nicht möglich. 1946 gelang es ihm aber, begünstigt durch seinen italienischen Pass, nach Zürich zu gelangen, wo er bei einer befreundeten Familie Unterschlupf fand. Dort blieb er bis 1947. »Ich bin«, schrieb er aus Zürich an seinen Schüler Mark Lothar, »zu meiner ältesten Liebe, zu meiner Kammermusik zurückgekehrt, die ich vor meinem Opernschaffen pflegte.«
Im gleichen Brief erwähnt er, dass er u. a. ein Duo für Viola d'amore und Viola de Gamba in g-Moll geschrieben und dies auch für Violine und Cello eingerichtet habe. In dieser Form wurde das Duo ais Einrichtung für Violine und Cello op. 33b, in ursprünglicher Fassung op. 33 hier eingespieit. Ob das Werk noch in Alt-Aussee oder schon in Zürich entstanden ist, ist nicht feststellbar. Es ist dreisätzig, virtuos, klingt stellenweise so als spiele ein ganzes Quartett. Der Mittelsatz ist »Barcarola« überschrieben, ist aber kein Gondellied im Mendelsohnschen Sinn, sondern ein herber Gesang über der winterlichen Lagune. Ausgreifend ist der letzte Satz mit einem merkwürdigen, langsamen Mittelteil. Überhaupt überzieht das ganze Werk seltsame Moll-Heiterkeit und Dur-Melancholie.
Noch in Alt-Aussee im November 1945 entstand das Trio für Violine, Viola und Violoncello in a-Moll op. 32. Dem ersten Satz in frei gehandhabter Sonatenform folgt eine »Pastorale« in F-Dur, ein schlichter, schäner Hirtengesang mit gelegentlichen Seufzern, und ein rondoartiger Schlusssatz in der Grundtonart, der erst ganz zum Schluss in die hellere Dur-Variante (A-Dur) übergeht, aber nur scheinbar, denn sowohl den ersten als auch den letzten Satz schliesst eine nahezu gleichlautende, harmonisch krasse, kurze Coda, ein unüberhörbarer Aufschrei, der in düsteres Verstummen endet: ein deutlicher Hinweis auf die Not, in die der sonst so heitere Meister heiterer Melodie geraten ist.
Eines der allerletzten Werke (wenn der nicht ganz abgesicherten Chronologie von Wolf Ferraris späteren Werken zu glauben ist: das vorletzte vollendete Werk) ist das »Introduzione e Balletto« op. 35 für Violine und Violoncello, ein Werk, das völlig aus dem Rahmen der Kammermusik Wolf-Ferraris fällt. Es ist Salon-Musik höchster Qualität, und vielleicht hat Wolf-Ferrari dabei an die Stehgeiger vor dem Caffé Florian oder dem Caffé Lavena auf dem Marcus-Platz geclacht, die in kühnen Capriolen auf ihrem Instrument die Gäste erfreuen. Die Einleitung, die fast so long ist wie das eigentliche Hauptstück, bietet dem Geiger Gelegenheit Bravour zu zeigen, das Hauptstück, das »Balletto« ist ein übermütiger Walzer, formal im Stil der Wiener Walzer: also kettenartig, Melodie auf Melodie folgend, im Ton aber so witzig wie reisserisch (im besten Sinn) und wohl auch ein wenig augenzwinkernd und parodistisch. Man sieht, meine ich, die Tauben um den Campanile fliegen und riecht den Espresso.