Larry Sitsky - Ulrich Prinz

IMPROVISATION ÜBER BACHSCHE CHORALLIED
«WIE WOHL IST MIR, O FREUND DER SEELE,
WENN ICH IN DEINER LIEBE RUH»
FÜR ZWEI KLAVIERE


This is yet another of the early works that Busoni later revised. The original version is contained in the Second Sonata for Violin and Piano, Op. 36a, which dates from 1898. The last movement of the sonata is a set of variations on the Bach chorale «Wie wohl ist mir» (BWV 517). The material is set out thus:

Introduction: andante, piuttosto grave. (Some material not related to the chorale is given here; it had already appeared earlier in the sonata.)

Theme: chorale - andante con moto.

Variation I: poco pRi andante.
Variation II: alla marcia, vivace.
Variation III: lo stesso movimento.
Variation IV: andante.
Variation V: tranquillo assai.
Variation VI: allegro deciso, un poco maestoso, leading into an extended coda.

Coda: includes a con fuoco reference to the introduction, a settling down process and another reference to the introduction, this time più tranquillo, apoteotico.

The Improvisation of 18 years later:

1. Molto sostenuto. Material from introduction, followed by transfigured material from variation IV.

2. Presto, piano sempre. A new variation, in fugato style. The rhythm has some allegiance to variation II.

3. Lo stesso. Material from variation III.

4. Sostenuto, non forte. New variation, leading up to theme.

5. Theme. Chorale. Andante con moto. Broadly similar harmonization as in 1898.

6. Theme interrupted by part of variation I in modified form.
6a. Second half of theme given out.
6b. Second part of variation I given out.

7. Andando, ma molto tranquillo. This is a quote from an earlier part of the violin-piano sonata on pages 10-11 of the piano score. The bass has the same motive as the introduction in augmentation: piano 2 adds motives from chorale. Then another reference to variation IV.

8. Tranquillo assai. Material from variation V. Sotto voce reference to variation 1V in bass.

9. Con dignità. New variation; with variation IV motive appearing again, surrounded by decorative runs in alternate hand octaves.

10. Allegro con fuoco, ma fermamente. Material from coda (con fuoco) variation IV motive again given out in bass.

11. Molto meno, calmato. Material from coda (pù tranquillo, apoteotico) ending with reference to further material from variation IV.

This is the most drastic reworking of all the old pieces. It is partly the result of changing the instrumental combination, two pianos demanding a quite different treatment from a violin and piano. Some of the original material must have been considered useless in the two-piano setting, and therefore new material was composed. The tendencies already noted in the other reworkings-semi tonal shifts away from the established key and other refinements-all appear here as well; but what is particularly interesting is the structural reworking. I have given the sequence of events in the two pieces, so that it can be clearly perceived. In the 1898 version, the theme and variations are set out in conventionally accepted style; but in 1916, the chorale appears in the middle of the piece when part of the variation process has already taken place. Busoni presents here a demonstration of his idea that a work of art does not have to exist only in one state, and is capable of numerous solutions. This has some affinity with the more recent phenomenon of aleatoric structure; basically, if I may be allowed a gross oversimplification, the second work is the same as the first, but in a different order.

Erst achtundzwanzig Jahre später (San Remigio und Zürich 1916) entstand die nächste vierhändige Komposition, die technisch und musikalisch bedeutend anspruchsvollere IMPROVISATION ÜBER BACHSCHE CHORALLIED «WIE WOHL IST MIR, O FREUND DER SEELE, WENN ICH IN DEINER LIEBE RUH» , für zwei Klaviere. Das gleiche 32-taktige Generalbasslied aus dem «Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach» (1725) hatte Busoni bereits den Choralvariationen der Zweiten Violinsonate zu Grunde gelegt, die so zur direkten Vorlage des Klavierwerkes wurden. Das Manuskript der «Improvisation», die dem Marquis Silvio della Valle di Casanova dediert ist, trägt am Schluss eine ausführliche und aufschlussreiche Widmung, die auch auf die Beziehung zur Violinsonate eingeht: «Verehrter Freund, dieses kleinere Werk entstand aus der Absicht, die Variationen, die den letzten Satz meiner zweiten Violin-Sonate bilden, auf zwei Klaviere zu übertragen. — Die neuen Möglichkeiten und Einschränkungen, die aus der Hinzuziehung des zweiten Klavieres und dem Verzichten auf die Geige sich ergaben, die veränderten Ausdrücksmittel und das verwandelte Gemüt, die sechzehn Jahre verstrichenen Lebens inzwischen mir gespendet haben, bewirkten, dass die als abhängig begonnene Arbeit zu einer beinahe völlig selbständigen Komposition sich gestaltete. Als solche übergebe ich sie Ihnen und der Öffentlichkeit.
S. Remigio, im Juni 1916
Zürich, im August 1916

Busoni wählt den Begriff «Improvisation», um die sehr freie Behandlung der Choralmelodie anzudeuten. Von der herkömmlichen Anlage des Variationenzyklus weicht die Komposition auch darin ab, dass das Thema (das Bachsche Chorallied) nicht an den Anfang, sondern in die Mitte der Variationenfolge gestellt ist. Das Werk wird im übrigen durch den Rahmen der miteinander verwandten Einleitungs- und Schlusskomplexe zusammengehalten, so dass auch hier ein frei-symmetrischer Bau entsteht:

Introd. - Variationenfolge - Chorallied - Var. folge - Introd.-

Die beiden Klavierparte sind durchaus gleichwertig behandelt. Thematische und figurative Aufgaben wechseln in beiden Klavieren ständig ab.
Eine breit fliessende
Introduzione (der Begriff lässt sich rückwirkend aus der Spielanweisung des Schlusskomplexes, Takt 290, «Tempo dell' Introduzione», für den Anfang erschliessen) verbreitet die feierlich-würdevolle Atmosphäre, die das ganze Werk durchströmt. Parallel verschobene, punktierte Akkorde und ostinate Hintergrundfiguren, vor denen die Choralmelodie aur andeutungsweise (Takt 3 im Themenkopf; Takt 17 als stark figuriertes, rhythmisches Motiv) erscheint, prägen ihren Charakter.
Im Takt 23 beginnt die erste Hälfte der
Variationenfolge mit einer kunstvoll durchgeführten Fuge über den figurierten Themenkopf des Bachschen.Liedes (Takt 43 Umkehrung in Engführung des Themas; Takt 38, 43 u. a. Andeutung der Choralmelodie in dem punktierten Kontrapunkt). Ebenfalls den Themenkopf verarbeiten in rhythmischer Veränderung die Variationen zwei und drei, jene in brillanter Skalenumspielung, diese in klangbetonten, ätherischen Hintergrundakkorden. Eine Überleitung, in der - gleichsam als «Hommage ä Bach» - das B-A-C-H-Motiv erklingt, führt zum Mittelpunkt der Komposition: dem Bachschen Chorallied. Es wird in akkordischem, klanglich verdichtetem Satz vorgetragen, dabei in der Art eines Choralvorspiels durch ein ausführliches Zwischenspiel (Takt 134 mit B-A-C-H-Motivik, Takt 139 Themenkopf-Verarbeitung) in zwei Hälften geteilt (Takt 127 134 und Takt 165 - 188). Hier schliesst sich der zweite Teil der Variationenreihe an, der mit einer freien Figuralvariation (Takt 189 - 228) beginnt, die melodisch dem vorherigen Zwischenspiel verwandt ist. Ihr folgt eine Improvisation mit dem rezitativisch-deklamatorisch umgeformten Melodieanfang («recitato», «declamato a piacere», vor weit auseinandergelegten Zwölftolen-Arpeggien) und eine abschliessende Fuge (Takt 249 - 268) über den figurierten Liedanfang, die die Variationenfolge in sich, symmetrisch abrundet. Eine rhapsodische, von Oktavpassagen (Takt 269 ff) und virtuoser Akkordtechnik (Takt 279 ff) beherrschte Überleitung, in der das rhythmische Motiv der Einleitung (Takt 17) dominiert (Takt 269, 282), gleitet in die verkürzte, freie Reprise der Introduzione (Takt 295 mit dem Choralanfang in Umkehrung). Die Takte 299 - 308 entsprechen den Takten 241 - 248.
Der folgende Überblick fasst die verschiedenen Gestalten der Choralmelodie zusammen:





Isabel & Jurg von Vintschger (pf) (r.1982 w/Other 2 Piano works)
JECKLIN JD579-2

Gino Gorini & Sergio Lorenzi (pf) (w/Other Works for 2 Pianos)
ARCOPHON AM665(LP)

Pinuccia Giarmanà & Alessandro Lucchetti (pf) (r.1993.1&2 w/Other works for 2 Pianos)
NUOVA ERA 7161

Michele Campanella & Laura de Fusco (pf) (r.1982 6 w/Other Works for 2 Pianos)
CETRA-ITALIA ITL70094(LP)
CETRA CDC113

Veronica Jochum & Randall Hodgkinson (pf) (r.1992.9 w/287, B24 etc.)
GM RECORDINGS GM204 2CD

Joseph Banowetz & Ronald Stevenson (pf) (c.1994 w/B91, 226, 227, 256b)
ALTARUS AIR-CD-9044