HANDELNDE PERSONEN

Der Kommissionsrat Voswinkel

Albertine, seine Tochter

Die drei Freier:
Thusman, Geheimer Kanzlei-Sekretär*
Edmund Lehsen, ein junger Maler
Baron Bensch, ein jüdischer Elegant

Die beiden Besonderen:
der Goldschmied Leonhard**
der Jude Manasse, ein Greis***

Ein Diener Voswinkels

Volksmenge, ein Wirt, die nicht sprechen
Der unsichtbare Chor
Szene: Berlin, um das Jahr 1820


* Von kleiner Statur, etwas krummbeinig und ziemlich grotesk im Anzug. Zu einem altväterisch zugeschnittenen Rock mit unendlich langen Schößen und einem überlangen Gillet trug er lange weite Beinkleider und Schuhe... wobei zu bemerken, daß er nie gemessenen Schrittes über die Straße ging, vielmehr in großen unregelmäßigen Sprüngen mit unglaublicher Schnelligkeit forthüpfte, so daß oben besagte Schöße vom Winde erfaßt sich ausbreiteten wie ein Paar Flügel. Ungeachtet in seinem Gesicht etwas unbeschreiblich Drolliges lag, so müßte das sehr gutmütige Lächeln, das um seinen Mund spielte, doch jeden für ihn einnehmen...

**
Ein großer, hagerer, dabei kräftiger, in Gliedern und Muskeln stark gebauter Mann, scheinbar in den fünfziger Jahren. Sein Antlitz mochte sonst für schön gegolten haben; noch blitzten die großen Augen unter den schwarzen buschigen Augenbrauen mit jugendlichem Feuer hervor - eine freie offene Stirn - eine stark gebogene Adlernase - ein fein geschlitzter Mund - ein gewölbtes Kinn - das alles hätte den Mann vor hundert anderen eben nicht ausgezeichnet; während aber Rock und Unterkleider nach Art der neuesten Zeit zugeschnitten waren, gehörten Kragen, Mantel und Barett dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts an; vorzüglich aber mocht es wohl der eigene, wie aus tiefer, schauerlicher Nacht hinausstrahlende Blick sein, der dumpfe Ton seiner Stimme, sein ganzes Wesen, das durchaus gegen jede Form der jetzigen Zeit grell abstach ... was jedem ein seltsames Gefühl einflößen mußte.

***
Die tief eingefurchten Züge seines Antlitzes zeugten von sehr hohem Alter. Sein Blick war scharf und stechend , nur der stattliche Bart verriet den Juden, der alter Sitte und Gewohnheit treu geblieben. Dabei war er sehr altfränkisch, ungefähr wie man sich ums Jahr 1720 bis 30 trug, gekleidet; und daher mocht es wohl kommen, daß er aus längst vergangener Zeit zurückgekehrt schien.


ERSTER AKT


SZENE I

(Die «Zelte». Kommissionsrat und Edmund im Vordergrunde, von ungefähr nebeneinander stehend. Seitwärts, an einem Tische sitzend, Albertine. Viele Gäste. Buntes Leben. Eine Musikkapelle auf der Bühne intoniert den Hebräer-Marsch aus der Oper «Moses» von Rossini).

Kommissionsrat
So, das war der letzte! (wirft unmutig eine Zigarre fort)
Hab' ich darum mit vielen Müh'n und Kosten
aus Hamburg die Zigarros mir verschrieben,
daß die schmählichen Dinger mich ärgern sollten? - Kann ich jetzo wohl
vernünft'gerweise die Natur genießen und nützlich diskursieren?
- 's ist doch entsetzlich!
(halb zu sich, halb zu seinem Nachbar Edinund)

Edmund
(indem er eine Zigarrentasche hervorzieht)
Darf ich bitten, mein Herr, sich zu versorgen;
zwar nicht aus Hamburg, - aus der Friedrichstraße -
jedoch von gutem Zug.

Kommissionsrat
Ich bitte ergebenst!
(zündet an. - Entzückt:)
O mein wertester Herr, habt tausend Dank!
Der Verdruß ist gelöscht, gezündet der Zigarro;
fast möcht' ich mir die Unbescheidenheit erlauben,
wenn dieser hier verraucht, sie um 'nen zweiten
ganz gehorsamst zu bitten.

Edmund
Nein, ich bitte
frei zu verfügen über meinen Vorrat.

Kommissionsrat
Edeler Mensch, sie machen ganz mich glücklichl
(Lied:)
«Ja, Natur, Gespräch und Tabaksblatt
Sind ein freundlich grünend Kleeblatt
Und Barbaren haben einmal uns gelehrt
Etwas, das Kultur zu lange hatt' entbehrt.
Darum steht auch der Rothäuter
Höh'r als mancher Goethe-Deuter,
Selbst ein Türke ist gescheiter
(Ja, gescheiter - viel gescheiter, und weiser!)
Brave jungen auch die Negros,
Die sich plagen
In Plantagen
Bei exotischen Allegros.»

(Er trällert eine Negermelodie)

(Ja wir sind recht musikalisch,
ob der Ton auch kannibalisch -)

(Er trällert weiter immer lustiger)

Hiawatha! - Manahattal
Apalacco! und Tabacco!
Trefflicher junger Mann. Die frohe Stunde
verdank' ich ihnen. Möchten sie nicht wohl
an unsren Tisch sich setzen?


SZENE II

(Edmund, zögernd, will zuerst abwehren; erblickt dann
Albertine und nähert sich, wie willenlos, dem Tisch.)

Kommissionsrat (vorstellend)
Meine Tochter
Albertine. Ein edelmüt'ger Fremder,
dem ich Großes verdanke.

Albertine (lächelnd)
Irre ich nicht,
sehe ich Herrn Edmund Lebsen vor mir stehn,
dessen Gemälde mich einst tief ergriffen?

Edmund (sehr schüchtern)
Sie irren nicht - ich heiße Edmund Lehsen -

Kommissionsrat
Bester! Und nun den zweiten! (Er steckt eine neue Zigarre an) Also Maler sind sie?! und zwar ein ganz vortrefflicher;
(Die Kapelle auf der Bühne intoniert die deutschen Tänze von Mozart.)
auf solches Zeug versteht sich Albertine.
Auch ich liebe die Kunst und bin ein Kenner,
wahrlich ein tücht'ger Kenner von Gemälden -
wir haben Augen! ich und meine Tochter!
Ich bin ganz außerordentlich erfreut! Wirklich!

Edmund
Danke. (Sie schütteln sieh die Hände)
(Der Kommissionsrat grüßt einen Bekannten, mit dem er sich lange in ein Gespräch einläßt, so daß das junge Paar unbeobachtet bleibt.)

Edmund (zu Aibertine)
Schon einmal sah ich sie, mein Fräulein,
und schamhaft hört' ich sie mein Werk beloben;
wären sie selbst so schön nicht, als sie sind -
ich liebte sie seit jenem Augenblick.

Kommissionsrat (im Gespräch)
Die Indiafahrer haben
guten Gewinn gebracht,
doch um so ärger halten sich
die Weizen, da heißt es abzuwarten und sich rüsten. - -

Albertine (schwärmerisch)
«Ein Flüstern, Rauschen, Klingen
Geht durch den Frühlingshain,
Fängt wie mit Liebesschlingen
Geist, Sinn und Leben ein.»

Kennen sie Fouqués zartes Gedicht?

Edmund (fortsetzend)

«Säng' ich es nach, was leise
Solch stilles Leben spricht,
So schien' aus meiner Weise
Das ew'ge Liebeslicht» - - - - -
(ihre Hände haben sich verschlungen).

Kommissionsrat
(wieder hinzutretend) (Die Hände lassen eilig los).
Potztausend, das wird kühl! Ich wollt', ich hätte
'nen Überrock zu mir gesteckt. - Nun, Tinchen,
hülle dich warm in deinen Shawl - Herr Maler,
es ist ein türkischer und kostet bare
fünfzig Dukaten. - Hülle dich fest ein;
gehn wir nach Haus. Leben sie wohl, mein Bester.

Edmund
Noch ein Zigarro -?

Kommissionsrat
Bitte ganz gehorsamst,
Sie sind ein überaus gefäll'ger Mann.
Zwar duldet nicht die Polizei,
daß man im Tiergarten wandelnd rauche,
doch um so schöner schmeckt ein Pfeifchen
und doppelt die verbotne Frucht.

Edmund (leise zu Albertine)
Könnt' ich nicht sie begleiten?

Albertine (laut)
Vater,
Herr Lehsen hat denselben Weg -

Kommissionsrat (einverstanden)
Recht so,
die jungen Leute vor!
ich will euch folgen.

(in bester Laune, stimmt den Anfang des Rossinischen
Marsches an. Alle drei ab - en~fernen sich behaglich, Edm-und an Albertines Arin, der Vater hinterher.)
Inzwischen hat sich auch die Menge allmählich verlaufen; die Nacht ist eingetreten. - Kurze Stille. -


SZENE III

(Plötzlich sieht der Goldschmied Leonhard, ihnen nachblickend, im Vordergrund. Sein Erscheinen möge etwas geheimnisvoll wirken. Die Szene wird während des Monologs immer dunkler, so daß man zum Schluß die Umrisse der Szenerie nicht mehr unterscheidet.)

Da geht er hin! den Kopf voll Liebestorheit
und auf dem besten Weg, ein Narr zu werden.
Ich liebe diesen Edmund; seine Mutter
wrar eine teure Freundin mir - an seiner Wiege
bin ich schirmend gestanden! Hohe Gaben
verlieh ich ihm im Bund mit der Natur,
ein großer Künstler schlummert in ihm
und läuft Gefahr einzuschlafen -.
Es gilt nun, seine Schrulle zu befriedigen,
damit Verzweiflung ihn nicht ganz verwirre,
doch lenk' ich ihm den richt'gen Weg dann ein,
das Ziel ihm vor das Aug' zu rücken.
Noch ahnt er nicht, daß Thusman ihm 'nen Possen
wohl spielen könnt' -! dem aber beug' ich vor
und spiele selbst dem Alten manchen Streich.
Und zwar sogleich will ich damit beginnen.

(Die Szene verwandelt sich im Dunkeln und stellt schließlich die Spandäuerstraße mit dem Rathause vor. Ein alter Turm, der unten einem Laden - jetzt verschlossen eingeräumt ist, ist an dem Rathause angebaut. Eine Straßenlaterne erleuchtet.)


SZENE IV

(Der Geheime Kanzlei-Sekretär Thusman kommt eilig angehüpft und vergleicht seine Uhr. Zugleich hat sich Leonhard der Ladentür am Fuße des Turmes genähert, an weicher er wiederholt pocht; seufzt dabei und sieht des öfteren nach dem Fenster darüber.)

Thusman
Konnt' ich mich so verspäten? Sehr verdrießlich!
Wie schlüpf' ich mit dem elften Glockenschlage
in meine Haustür jetzt, wie ich's gewohnt?
Thusmann, Geheimer Sekretär, wahrhaftig!
bist ein unordentlicher Mensch geworden!

(Erstutzt, da er Leonhard und seine Manöver gewahr wird)

Was pocht der kuriose Mensch
in spätester Stunde an verschloßnen Türen?
Er scheinet fremd, - ich muß ihn informieren.

(nähert sich höflich Leonhard)

Mein bester Herr, sie irren: dort im Turme
wohnt keine Menschenseele: nehm' ich aus
wenige Ratten, Mäuse, ein paar Eulen,
so behaupt' ich mit Grund, kein lebend Wesen.
Sollten sie aber manches Treffliche
in Eisenwaren zu erstehen zu gedenken,
so müßten sie des Tages sich bemühen -

Leonhard
Werter Herr Thusman -

Thusman (einfallend)
schon seit mehren Jahren
Geheimer Kanzlei-Sekretär, - ich bitte.

Leonhard
(ohne die Einwendung zu, beachten)
Werter Herr Thusman, ihr beliebet leider
mein' Absicht zu verkennen. - Eisenware
nicht such' ich hier, noch Stahl -

(nachdrücklicher)

heue ist die Nacht
der Herbstzeitwende; und mein Wille,
die Braut zu schauen. - Meine Liebesseufzer
hat sie vernommen und wird gleich erscheinen.

Thusman
Wer? - Wo? -

Leonhard
Die Braut erscheinet hier am Fenster.
(Es schlägt langsam elf. Am Fenster wird, phantastisch beleuchtet, eine weibliche Gestalt sichtbar,- sie trägt Albertinens Zuge.)

Thusman (außer sich)
Ihr himmlischen Heerscharen,
Schutz- und Trutzengel des Paradieses!
Was das bedeuten soll?l

(Mit dem letzten Glockenschlage verschwinden Licht und Erscheinung.)

Thusman (aufgeregt)
Thusman, Thusman), Geheimer!
besinne dich doch nur! Lasse vom Teufel
nicht dich verblenden! Wahre die Räson!

Leonhard
Ihr scheinet, bester Thusman, sehr ergriffen
von dem zu sein, was ihr gesehn? - Ich wollte
die Braut nur schauen; euch, indessen, muß
dabei noch andres aufgegangen sein!

Thusman (sehr aufgeregt)
Bitte, bitte, mein Herr, vergönnen sie
den schlichten Titel mir; ich bin Geheimer
Kanzelei-Sekretär und augenblicklich
ein höchst erregter, ja, wie ganz von Sinnen
gekommner! Geb' ich ihnen selbst nicht
den gebührenden Rang: ist's aus Unkenntnis
ihrer werten Person. Doch nenn' ich sie
gerne Geheimer Rat,
der würdge Titel
ist häufig hier genug,
daß man wohl selten irrt,
wenn man ihn applizieret.
Also denn, Herr Geheimer Rat,
erleuchten sie mein Dunkel!
Wer ist die Braut,
die sie zu dieser dumpfen Stunde
gedachten zu erschaun?

Leonhard
Ihr seid doch ein besondrer Herr
mit euren Titeln, eurem Rang!
Wohl kenn' ich manch Geheimnis,
erteilte manchen Rat,
Geheimer Rat
Kann ich darum billigen Fugs mich nennen.
Seid ihr doch ein belesner Mann,
in Schriften wohlbewandert,
ein kundger Deuter alter Dokumente:
und wisset nicht,
daß wenn ein Eingeweihter
zu dieser Zeit sich meldet,
ihm am Fenster
hier erscheinet
jenes Mädchen,
das zur nächsten Frühlingswende
wird die glücklichste der Bräute
in der Königstadt Berlin.

Thusman (plötzüch sehr froh und heiter)
O, Herr Geheimer Rat, Verehrungswürdigster!
Sollte das wirklich sein?

Leonhard
Es ist nicht anders!
Doch was länger stehn wir auf der Straße?
Längst ist die
Schlafensstunde versäumt -
Kommt mit mir!
Manches erfahret Ihr
über die Braut,
daß die Gedanken
euch wieder zahm werden.

(Er reißt ihn mit sich fort)

Kommt, Thusman, kommt


SZENE V

(Verwandlung. Das Innere einer Weinstube, spärlich beleuchtet; an einem Tische Manasse, ein Weinglas vor sich, allein. Thusman und Leonhard treten sofort ein.)

Leonhard
(nickt vertraulich Manasse zu)
Seh' ich euch wieder
nach langen Jahren,
seid ihr noch immer wohlauf?

Manasse (mürrisch)

Wie ihr mich findet,
wohl und gesund,
zur rechten Zeit auf den Beinen,
und, wenn es drauf ankommt,
nicht unbeholfher als sonst.

Leonhard (lachend)
Das frägt sich - das frägt sich -
Wirt! eine Flasche vom Ältesten.

Thusman (abwehrend)
Mein allverehrlichster Geheimer Rat - -

Leonhard
Laßt doch die Titel
bester Herr Thusman,
bin weder Geheimer noch Rat;
schlechtweg ein Künstler
in edlen Metallen
mit Namen Leonhard

(Sie setzen sich.)

- und sagt nun unverholen
was euch so sehr bewegte,
als ihr das Fensterbild erschaut?
- Ihr habt euch recht absonderlich gebärdet. Und sprecht!

Thusman
Mein bester Herr Professor -
- der Titel kommt 'nem wackren Künstler zu -
vermag ich denn zu schweigen,
wovon das Herz ist voll - man weiß ja.

Leonhard (ungeduldig)
Man weiß.
Schon gut. Und weiter!

Thusman (eingeschüchtert)
Weiter.
Ich geh', wie man sprichwörtlich sagt,
auf Freiers Füßen, schöner ausgedrückt:
in Amors Banden. - Ja. -
Zur nächsten Frühlingswende
gedenk' ich wohl ein Bräutlein heimzuführen.
Konnt' es denn fehlen,
daß es mich lebhaft
impressionierte,
als sie beliebten,
mir eine glückliche
Braut vorzustellen?

Manasse
Was, heiraten?
Euch verkuppeln?
Viel zu alt
seid ihr und häßlich
wie ein Pavian dazu!

Leonhard
Nehmt des Alten Wort gelassen,
halb so böse ist's gemeint. -
Doch mich selbst will es bedünken,
daß ihr euch recht spät entschlossen,
mögt ein Fünfziger wohl sein!

Thusman
Auf den neunzehnten Oktober,
Tag des hei'gen Dionysius
werd' ich achtundvierzig Jahr -

Leonhard
Nicht allein das Alter tut es,
einsam lebtet ihr zu lange,
kennet schlecht der Weiber Launen;
unerfahren, ratlos, hilflos,
ein drollige Figura,
steht ihr plötzlich vor der Frau.

Thusman
Ei, was ratlos!
Ei, was hilflos!
Könnt ihr glauben, daß ich blindlings
ohne Rat und Überlegung
mich auf diesem Wege wagte?
Vorbereitet -
wohlerwogen
überdacht
weislich begründet
ist bei einer wohlbestallten
Amtsperson von meinesgleichen
jeder schritt, den ich antrete.
Als ich mich getroffen fühlte
von dem Liebespfell Cupidos
ward der neuen Situatio
jede Sorgfalt nun gewidmet.
Mich darinnen auszubilden
es zur Meisterschaft zu bringen,
steht mir dieses Büchlein bei.

(er zieht ein Buch aus der Tische. Leonhard besieht lachend den Titel.)

Leonhard
Des Thomasii kurzer Entwurf der politischen Klugheit
vom Jahre 1710 -
- was kann der euch nützen?

Thusman
(wohlgefällig aufschlagend)
Bemerken sie doch, wie der würdige Autor
im sechsten Kapitel, so handelt vom Heiraten,
klüglich sich ausläßt in folgendenTerminis:
«zum mind'sten sei damit nicht eilig,
frühzeit'ge Heirat wirft sowohl des Leibes
als des Gemütes Kräfte übern Haufen»
- meint Thomasius -
und was die Wahl des Gegenstands betrifft: -
«die Mittelstraße ist die sicherste,
nimm keine allzuschöne, noch zu garst'ge,
zureich, zu arm nicht; zu gerin, noch vomehm.»

Leonhard
Ich seh, man kommt euch nirgends bei,
Ihr seid zu wohlgewappnet
und wißt auf jede Frage
die trefflichste Replike;

(parodierend)

«zu groß, zu klein nicht;
zu jung, zu alt nicht - »

Thusman
(ohne die Ironie zu erfassen)

«und mit den übrigen Punktis tu das Gleiche.»
Sattsam lehret noch Thornasius
angenehm zu konversieren
und vernünftigem Gespräche
ein'gen Scherz anbei zu mischen; -

Manasse
(polternd)
Ein schwarz Jahr
komm' über euch!
Fließet euch unaufhörlich
läppisches Zeug vom Maule,
verderbt mir durch das Gequieke
meine gute Stunde des Friedens!

Leonhard
Schweig, Alter, doch! Sei froh, daß wir dich leiden,
dein rohes Wesen macht's mir schwer genug.

(eine unheimliche Schalkhaftigkeit kommt in sein Wesen, indem er sich zu Thusman wendet:)

Da ihr euch gern mit den alten Historien befasset,
ist die Geschichte vom Münzjuden Lippold euch wohl bekannt,
die sich im Jahre Eintausendfünfhundertundsiebzig
zu Kölln an der Spree hat zugetragen? -

(mit Intention gegen Manasse:)

Großen Betruges, arger Schelmerei,
des angeklagt ward Lippold, der Münzjude,
in des Fürsten Vertrauen sonst hoch gestanden;
schlau wußt' er aus der Schlinge sich zu ziehn.
Nun merket auf:
Da ward es ruchbar, daß ein Zauberbuch
ihn angeleitet hatt' zu Bubenstücken;
in bösem Zorn hat es die Frau verraten. -
Man fand das Zauberbuch, das ihm verholfen,
zu meistern seinen Herrn mit höll'schen Kniffen,
und auf dem Markt ward Lippold hingerichtet,
mitsamt dem Zauberbuch ward er verbrennet;
doch meint man, daß der Satan ihn befreite,
ich mein' es auch, ich hab' es selbst gesehen!

Thusman
(der nicht ordentlich zugehört)
Aber sagen sie mir, verehrlicher Herr Professor,
die aus dem Fenster geschaut,
war es denn wirklich sie selbst?

Leonhard
Wer?

Thusman
Die werte
Demoiselle Albertine Voswinkel?

Leonhard
(heftig aufspringend)

Was habt ihr zu schaffen mit Albertine Voswinkel? -

Thusman
Nun, das ist ja eben
das holde Jungfräulein,
das ich zu lieben
und auch zu ehelichen
mir vorgenommen.

Leonhard
(immer heftig)

Herr' seid ihr total von Sinnen
hat derTeufel euch gepachtet?!
Ihr wollt das schöne
blutjunge Mädel
ihr abgelebter
alter Pedant?
Seht doch nicht weiter
als eure Nase,
mit eurem Wissen,
eurem Thomasius
und der politischen
Klugheit im Sack!
Laßt dergleichen aus dem Spiele,
dürfte sonst euch schlecht geraten
diese Nacht des Äquinoktiums!

Thusman
Ich weiß nicht, wie sie mir kommen,
mein unbekannter Herr Goldschmied.
Sie mögen selber
die Demoiselle
zu adorieren
sich wohl erdreisten;
haben mit einer
Laterna magica
das art'ge Bildnis
gar reflektiert -
Diese Künste kenn' ich ziemlich,
angelegt, mich einzuschüchtern.
Ihr Betragen ist unziemlich, sehr inkonvenabel,
doch sie schrecken mich mitnichten - !

Leonhard
(fast feierlich)

Nehmt euch in acht,
Thusman! und seid gewarnt,
Ihr habt es mit kuriosen Leuten hier zu tun!

(Das Gesicht des Leonhard verwandelt sich in eine Fuchsschnauze. Thusman fällt entsetzt auf den Stuhl.)

Manasse
(plötzlich lusfig)

Seht doch, seht -
Welch hübscher Spaß!
Doch das sind
brotlose Künste -
ich weiß Beßres,
ich kann Höhres;
viel zu hoch für einen Goldschmied.

Leonhard
(wieder normal, setzt sich ruhig)

Laß doch sehn,
was du vermagst.

(Manasse hat während seiner letzten Worte einen großen Rettig aus der Tasche gezogen, den er eifrig zu runden
Scheiben zerschneidet. Dazu spricht er lebhaft:)

Manasse
Rettig, Rettig,
schwarzer Rettig,
runde Scheiben,
glatte Ränder,
springet klappernd
in die Lüfte,
werdet Goldstück,
Münzgepräge -
Silberrettig -
Golddukaten -

(Er wirft die Retligscheiben, zu Dukaten geworden, in die Luft)

Leonhard
Schlechter Gaukler -
Eitle Künste -
unecht - falsch,
wie die Dukaten!
Knistre Funken,
schmilz den Flitter,
Funk', zerstäube!
Wind, zerstiebe!
Luft und Staub
und wieder nichts!

(Er fängt die Dukaten auf; sie zerstieben zu Funken
in der Luft)

Manasse
Schneller, schneller -
höher, höher

Leonhard
Funken, senge -
Wind, verwehe -

Manasse
Dummer Trick!

Leonhard
Dein Ungeschick -

Manasse
Kommst nicht nach -

Leonhard
Bist altersschwach -
Klägliche Kniffe -
Stümpriger Gaukler -
Haltest nicht stand,
du keifender Gauner.
Hüte dich, Alter.

Manasse
Hohohoho. -

Leonhard
Hüte dich!

Manasse
Hehehehe.

Leonhard
Hüt' dich!

(Das Jongleurspiel wird immer lebhafter; die Luft ist ein Funkenregen - Manasse stets wütender -
Leonhard überlegen lachend.)

Manasse
Huhuhuhu.
Warte, warte - dich ertapp' ich!

Leonhard
Alter, Alter hast verspielt.

(Thusman, die Haare zu Berge, die Augen fast aus dem Kopfe, hat Hut und Stock ergriffen und bringt noch einen Bückling zustande.)

Thusman
Da will ich mich doch lieber den hochzuverehrenden Herren
ganz gehorsamst empfehlen!
(Er läuft fort. Ein schallendes Gelächter folgt ihm nach.)

(Vorhang.)

Ende des ersten Aktes.


ZWEITER AKT

Einige Tage später.


SZENE VI

(Ein Zimmer bei Voswinkel. Sein neues Porträt, in Lebensgröße, hängt an der Wand. Es stellt den Kommissionsrat mit zufriedenstem Lächeln dar, einen Brief in der Hand, das erbrochene Kuvert auf einem Tischchen daneben.)

Kommissionsrat
(allein, betrachtet das Bild mit allen Zeichen der Genugtuung)

Ein gutes Bild; ein Kunstwerk ohne Zweifel!
Ganz nach dem Leben, von histor'scher Wahrheit!
die mir dazu riet, Albertine,
sie hat fürwahr! die richtige Spürnase.
Das war der frohste Augenblick, den ich lebte,
als mir von Hamburg der Aviso eintraf,
daß ich die höchste Prämie gewonnen!
Ein tücht'ger Künstlerjüngling. Edelmütig, -
nahm gar kein Geld - wollt' keine Friedrichsd'ore -
nicht mal Kurant für Leinewand und Farben!
Erst die Zigarros - und dann das Gemälde -
Von solcher deutschen Biederkeit und Tugend
las ich bis dato nur in alten Büchern!


SZENE VII

(Thusman stürzt bleich und entstellt ins Zimmer und wirft sich erschöpft in einen Lehnstuhl.)

Kommissionsrat
Geheimer! du! Zu ungewohnter Stunde!
Woher? Wie siehst du aus? Was ist geschehn?

Thusman
Kommissionsrat, hier, wie du mich siehst,
mit der polit'schen Klugheit in der Tasche,
komm' ich direkt vom Spittelmarkt gelaufen;
die ganze Nacht rannt' ich dort auf und nieder,
kein Bett hab' ich gesehn, kein Aug' geschlossen!

Kommissionsrat
Geheimer, schon zum zweiten Male
ertapp' ich dich auf losen Wegen,
Soll ich mein Vaterwort bereuen,
dann fahre so nur löblich fort -

Thusman
Kommissionsrat!

Kommissionsrat
Dann fahre so cum gratia fort.

Thusman
O Kommissionsrat, teurer,
du darfst mit Zweifeln nicht mich insultieren.
Hör' meines Unsterns
trübe Historie,
hör' mich, hör' mich
geduldig an.
(Er sammelt sich ein wenig)

Kommissionsrat
Mach's kurz,
Ich höre.

Thusman
Auf dem geregelten Heimweg
führt's mich vorbei an dem Rathaus,
welches sonst dunkel und still liegt,
ruhig, und nächtlich am Platz. -
Heute bricht durch alle Fenster
tageshelles Kerzenlicht,
ausgelassen tönt von oben
Janitscharen-Tanzmusik.
Ich vermag hineinzulugen,
auf den Zehen hochgestreckt,
gar bis in das zweite Stockwerk.
Und was seh' ich - was gewahr' ich?
Deine Tochter, Kommissionsrat! -
Demoiselle Albertine,
angetan in saubrem Brautkleid,
mit 'nem unbekannten Herrchen
pirouettiert im Walzertakt!!
Ich am Fenster klopfe, rufe:
Allerwerteste Mamselle,
was beginnen Sie hier nachts -?
Finster aber wird's und stille
in den Rathaus über mir,
höre nichts, und niemand hört mich.
Tröstlich Bild von Sitt' und Ordnung
zieht der Nachtwächter des Weges
mit dem Spieß und der Laterne.
Herzensinann! - so ruf' ich freudig,
recht zu Zeit seid ihr erschienen,
kommt und waltet eures Amtes,
hier geht's nicht ganz richtig zu.
Thusman, spricht der - nun erkenn' ich
den entsetzlichen Professor,
an dem hohlen Baßorgan -
Thusman, spricht er, diese Possen
hören auf mit einem Schlage,
wenn ihr schwöret, hier, zur Stelle,
abzulassen von der Heirat.
(Kommissionsrat, welch abscheul'che
tückische Proposition!)
Allerliebster Herr Professor, -
unanständig ist das Tanzen
und zumal mit einem Fremdling -
Doch ich laß nicht von der Schönsten! -
Kaum, daß ich gesprochen,
erfaßt eine seltsame,
wirblige, drehende,
schnurrende, kreisende,
spiralisch geschwungene
Bewegung den Leib.
Ein Walzen, unsinnig
beginnt und es schwingt mich
die Spandauerstraße
bald auf und bald ab.
Es schwingt mich,
es zwingt mich,
es treibt mich,
es schleift mich
bald auf und bald ab.
Um mich her
lauter Geheime,
lauter Thusmans
drehn sich wirblig;
jeder hält, statt
einer Dame, ungeziemlich
in den Armen
einen dürren
Besenstiel. -
Lauter Geheime,
lauter Thusmane,
Sekretäre, Besenstiele,
drehen, schwingen,
schleifen, schlingen,
kreisen, walzen,
wirbeln, tanzen.......
Drauf bewußtlos fall' ich nieder.
Und als der Morgen neblig dämmert -
(entsetze dich, Schulkamerad!) -
find' ich mich wieder - sitzend im Sattel
hoch auf des Kurfürsten ehernem Pferd;
klettre mit Todesangst glücklich herunter -
laufe schnurstracks zu dir. - Hier siehst du mich.

Kommissionsrat
(zornig)
Abgeschmacktes, tolles Zeug!
Schlecht bekam dir, will's dir glauben,
kalte Luft nach heißem Punsch.
Zauberspuk und Romantismus
duldet nicht das aufgeklärte
und sehr nüchterne Berlin.

Thusman
Ich behaupte, dieser Goldschmied
ist der Teufel in persona,
Belzebub, Doktor Faustus,
der mich foppt und neckt und plagt!

Kommissionsrat
Possen, Hirngespinste, Delirien.

(Er wird nachdenklich)

Wie du besehriebest
die Zechgesellen,
mußt' ich vermuten fast,
daß ich sie kennte.
Manasse der Jude,
Leonhard der Goldschmied,
zwei mir bewährte
biedere Männer -
Schwarzkünstler sind's unmöglich!
Zu solcher Art Beruf
Verweigert die Regierung
den nötigen Gewerbeschein.
(mit Bedenken)
Schlimm wär's, Geheimer,
wenn du so faseltest,
um von der Heirat
dich wegzuschleichen -
(Überzeugter)
Möchtest dich sachte
aus der Affäre ziehn -!
Tischest mir Wunder auf -
Fingierst Gefahren -

Thusman
Du darfst mit Zweifeln nicht mich insultieren -
Du darfst nicht länger
mich diskreditieren,
Höre mich .... ! !
(Hier wird an der Tür dreimal stark geklopft.)


SZENE VIII

(Manasse tritt ein.)

Thusman
Herr des Himmels - 's ist der Jude mit dem Rettig-Goldstück-Spielchen.
Sicher kommt der andere nach!

(Er will zur Tür hinaus,Voswinkel erwischt ihn am Zipfel.)

Kommissionsrat
Nun werden wir ja hören!
(zu Manasse)
Der Herr ist euch bekannt?

Manasse
(nach kurzem Blick)

Ich weiß nicht, was der Herr will - Ins Weinhaus kam er neulich,
Wo ich mir holte Ruhe - nach schwierigem Geschäft -
Um zwölfe aber schwankt' er - sehr aufgeregt zur Türe -
- und mehr kenn' ich ihn nicht.

(Thusman wirft sich ächzend in den Stuhl.)

Kommissionsrat
Da haben wir's: dem Affen folgt der Kater.
Was bringt ihr Neues mir, Manasse?

Manasse
Was bring' ich Neues? Nu, was werd' ich bringen,
'ne feine Neuigkeit, e großes Glück, das bring' ich ihnen heut', Herr Kommissionsrat.
Eine mächtig überraschende Sache!

Kommissionsrat
Ich bin begierig, was ihr ausgefunden.

Manasse
Glauben sie mir, sie haben was gefunden,
was man nich findet alle Tage leicht.
Mein Neffe Benjamin is in Berlin -
e schöner junger Mann, e Millionär,
seit gestern österreichischer Baron -
Er ist verliebt in ihr Fräulein Tochter,
sterblich verliebt! und möchte sie zur Frau.

Kommissionsrat
(bleibt etwas verblüfft zuerst)

Lieber Manasse, habet ihr bedacht,
daß der Neveu vom alten Glauben ist -

Manasse
Ich bitt' sie, Kommissionsrat, tut das was?
Auf ein paar Tropfen Wasser, kommt's denn an?
Er bleibt ja doch derselbe. - Uberlegt's nur,
ich komme wieder, in nicht langer Zeit;
ich nehm ihn mit, sie geben ihm die Antwort.
Leben se wohl, Herr Rat, auf Wiedersehen. (ab)

Kommissionsrat
(nach einer Pause)

Du hast gehört, Geheimer,
nun hängt es ab von dir;
hältst du dein Wort -

Thusman (beteuernd)

Wie sollt' ich es nicht halteni
(ausbrechend)
Schwiegerpapa!!

Kommissionsrat
- so bleibt alles beim alten.

(Sie umarmen sich.)

Thusman
Kommissionsrat!

Kommissionsrat
Schulgefährte!

Thusman
Schwiegervater!

Kommissionsrat
Amice!

Thusman
Kamerade!

Kommissionsrat
Sehr Geschätzter!

Thusman
Hochverehrter!

Kommissionsrat
Getreuer!

Thusman
Viel Bewährter!

Kommissionsrat
Guter Thusman!

Thusman
Voswinkel!

Beide
So bleibt es beim alten!

Ende von des zweiten Aktes erstem Teile.


ZWEITER AKT

Zweiter Teil


SZENE IX

(Ein anderes Zimmer im Hause Vorwinkels, auf einer
Staffelei ein angefangenes Portrait.)

Albertine
(an einein Tafelklavier, begleitet sich:)
«Ein Flüstern, Rauschen, Klingen
Geht durch den Frühlingshain,
Fängt, wie mit Liebesschlingen,
Geist, Sinn und Leben ein.»

Edmund
(mit Malgerätschaften in der Tür, stimmt leise ein:)
"Säng' ich es nach, was leise
Solch stilles Leben spricht,
So schien' aus meiner Weise
Pas ew'ge Liebeslicht."

(Sie gehen beide einander zärtlich entgegen)

Edmund
Nun fehlt noch der Hebräer-Marsch Rossinis.

Albertine
Und Vaters gute Laune.

Edmund
Machst du dir Sorgen?

Albertine
Nein, wenn dumich liebst.

Edmund
Du zweifelst noch, wo mir - Gott sei's geklagt-
Nichts als dein Bild im Kopfe spukt, -
Ich meine dich, du selbst, nicht das gemalte,
Das gar nicht vorwärts will -

Albertine
Ich seh'!, ich seh',
Der Sitzungen bist du bald müde.

Edmund
Schelm! jetzt ernsthaft -
Nun geht es an die Arbeit.

Albertine
Doch vorerst einen Kuß!

Edmund
Hier gleich ein Bündel Küssel

(Sie küssen sich.)

Albertine
Das reicht nicht!

Edmund
Verschwenderin!

Albertine
Geizhals! - Weißt du, die großen Maler
waren darin viel, viel entwickelter!

Edmund
Teufel, das lasse sich
ein andrer gefallen; möcht' ein großer Maler sein
in deinen Augen -

(küßt sie heftig)

Albertine
So laß es dir vorläufig gefallen
Ich zweifle - -

Edmund
Woran?

Albertine
An deiner Kunst.

Edmund
Wag' es.

Albertine
Beweise.

Edmund
Mit Malen oder mit Küssen!

Albertine
Mit Küssen! (Sie umarmen sich.)

Beide
Ewig, ewig lieben, lieben
dich allein!
(Innige Umarmung)
(In diesem Augenblick erscheint Thusman und bleibt in der Mitte des Zimmers, sprachlos zuerst, stehen.)


SZENE X

Thusman
(Erschlägt die Hände zusammen und ruft aus im Falsett.)
Aber! Aber! Aber! Aber! Demoiselle Albertine!

(Die Liebenden fahren auseinander; Edmund an die Staffelei, Albertine in die Portraitstellung.)

Aber, aber, sehr verehrte
Demoiselle Albertine!
Was beginnen sie für Sprünge?
Erst das Walzen mit dem Herrchen
um die Mitternacht im Rathaus,
nun am hellen lichten Tage
dies bedenkliche Betragen -
ist das ziemlich, ist das sittlich
für eine Braut?

Albertine
Wer ist Braut - von wem die Rede
Herr Geheimer Sekretär?

Thusman
Von wem andren, als von ihnen,
Adorable!
Hat denn nicht ihr werter Vater
ihre liebe, küssenswürdige,
weiße Hand mir zugesprochen
schon seit über einem Jahr?

Albertine
Mein Vater?

Thusman
Ihre werter Vater.

Albertine
Meine Hand?

Thusman
Zugesprochen.

Albertine
Undenkbar!

Thusman
Sicherlich!

Albertine
Hahaha!
Herr Geheimer Sekretarius
scheinen ziemlich gradenweges
aus der Weinstub' hergewackelt,
oder - (deutet auf Stirn) -- wackelt's hier im Stübchen?

Thusman
Hör' ich recht? Ei, ei! Ei! ei!
Eine zarte Demoiselle
sollte zartre Blüten reden;
- zart will ich ein Auge schließen -
zart will ich den Mund verschließen -
Was soeben hier passierte,
sei's vergeben, sei's vergessen,
aber bedenken sie,
daß sie zur Mitternacht
sich mir verlobten -
mag es auch seltsam sein,
daß sie im Brautgewand
walzend sich dreheten
mit diesem jungen Herrn -

Albertine
Merken sie, Herr Sekretarius,
welches Babylon sie schwätzen?
Gehn sie nur - es wird mir bange - Schnell, verlassen sie das Zimmer.

Thusman
(weinerlich)
O, der schnöden Behandlung!

Albertine
Gehen sie!

Thusman
O des unmeritierten Verdachtes!

Albertine
Genug! Genug!

Thusman
Nein, ich geh' nicht - nein, ich bleibe) bis sie delikater denken
über meine Wenigkeit -

Albertine
Gehn sie -

Thusman
Nein!

Albertine
ch will's!

Thusman
Mitnichten!
Müßte sonst zuwiderhandeln
des Thomasii klugem Rat -

Edmund
(nicht mehr an sich haltend)

Warte nur, verrückter Satan,
warte, warte!

(Er fährt Th. mit dem grünen Pinsel zwei-, dreimal übers Gesicht und stößt ihn zur Tür hinaus, durch welche der Kommissionsrat eben eintreten will, so daß er den "Schulkameraden" in die Arme fängt.)


SZENE XI

Kommissionsrat
Geheimer, Schulgenosse,
Wertester.
Welch ein exzentrisches
Hautkolorit!

Thusman
(noch an der Tür, erregt und weinerlich)

Schmählich verschmäht mich
die Demoiselle hier, deine Tochter.

Kommissionsrat
Wie?

Thusman
Dichtet mir Dinge an,
die mit dem Anstand ganz unverträglich sind!

Kommissionsrat
Was?

Thusman
Und gar der Jüngling,
der selber steckt noch
im grünsten Alter,
höchst alter - ieret
fährt er mir grünlich
übers Gesicht!

Kommissionsrat
Was muß ich hören
Was vernehmen!
Darf man den Bräutigam
also traitieren?

Albertine
Bräutigam -!

Kommissionsrat
Ja, es ist beschloßne Sache'
daß du Geheime Sekretärin werdest,
in wen'gen Wochen gibt es Polterabend!

Albertine
Nie und nimmer
werd' ich die Seine -
ich mag ihn gar nicht leiden,
er ist mir unausstehlich,
der alte, karikierte,
groteske, wortgezierte,
vom Herzen mir verhaßte
Geheime Sekretär!
Mein Edmund, ach! -

Kommissionsrat (alarmiert)
- Was soll das, was gewahr' ich?

Thusman
Ja, die Demoiselle Tochter
scheinen stark zu inklinieren
nach der malerischen Seite -

Kommissionsrat
Heda, sag' ich, auseinander -!

Edmund
Sollt' es auch mein Leben kosten,
laß ich sie nicht aus den Armen!

Kommissionsrat (spöttisch)
So? -Ei, seht doch, wie ritterlich,
also 'ne saubere Liebschaft
hinter dein Rücken des Vaters?
Darum so generös
mit Bildern und Zigarros,
mein junger Herr Schenie -
Sich in mein Haus zu schleichen,
die Tochter zu benarren
das also war ihr Plan!
Feiner Gedanke,
daß ich mein Einziges
solch einem Pinseler
solch einem Taugnichtgut,
hungrigen Schmierling
hing' an den Hals!

Edmund
Das zahlt ihr auf der Stelle -
(Er halt mit dem Malerstock gewaltig- aus)


SZENE XII

Leonhard
(plötzlich in der Tür erschienen)

Halt, Edmund, halt!
Und keine Übereilung.
Voswinkel ist ein Narr
und wird sich noch besinnen! -
(Kurze Pause)

Kommissionsrat
(erschrocken)

Sie, Herr Leonhard! dieser Ton - mit welchem Recht -

Thusman
(unter dem Sofa, in Sicherheit)
Kommissionsrat, sieh dich vor!
Halt die Zunge, Schulgefährte das sind ja der famose Herr Professor -

Leonhard (lachend)
Kommt hervor, fürchtet nichts;
die Strafe dünkt mich reichlich.
Immergrün, ewig gleich
bleibt fortan euer Antlitz.

Thusman
O Gott, ein Grüngesicht für immerdar!
Das meint: Demission und Pensionierung.

Leonhard
Nun, Thusman, lamentiert zu sehr nicht,
seid ihr vernünftig, entsagt ihr der Heirat,
so gibt es noch Rat, so gibt es noch Hilfe.

Thusman
Das kann ich nicht!

Kommissionsrat
Das soll er nicht!

Edmund
(schnell, zugleich)

Das rat' ich ihm!

Albertine
Das muß er wohl!

(Plotzliches Schweigen.)

Thusman
Nun sehet doch -

(Hier treten Manasse mit Bensch herein)

Nun sehet doch -

Kommissionsrat
Das fehlte noch -

(Bensch lorgnettiert die ganze Gesellschaft. Er gespreizt vor und auf Albertine zu.)



SZENE XIII

Bensch
(auf Albertine zugehend)

Ha, bestes Mädchen,
Da bin ich selber nun,
eigens gekommen
ihnen zu Füßen
mich hinzuwerfen.
Verstehen sie? Das ist solch eine Redensart;
ein Baron Bensch fällt niemandem zu Füßen,
stünd' er vor Moses selbst oder dem KÖnig - gleichviel.
Symbolisch mein' ich's selbstverständlich,
doch unsymbolisch wünsch' ich sie zu küssen,
und meinetwegen küssen sie auch mich -

(Er will Albertine umarme, die erschreckti zurückweieht.
Bensch verfolgt die geängstigte Albertine durchs Zimmer
und sagt:)

Ich lieb' dich,
ergib dich
Käferchen, Goldkäferchen!

(Dazwischen Edmund, Thusman, Leonhard, Kommissionsrat zugleich:)

Welche Frechheit,
Welche Stirne,
Arroganz, Süffisanz,
Insolenz, Impertinenz.

Leonhard
(fängt Albertine in seine Arme und wehrt Bensch ab)

Verzeiht - mit eurer Erlaubnis -
das scheint mir nicht am Platz -
zum mindesten verfrüht -
Auch könnt's bei manchem
böses Blut erregen.
Geduldet euch, Herr Bensch,
und wartet erst als Gentleman
des Fräuleins Antwort ab.
Glaubt mir - folgt mir . . . . .
Inzwischen (mit scheinbarer Wärme)
bleibet Freunde!

(Wie eine Beschworung)

Kommissionsrat, umarmt Manasse!
Thusman, und ihr, Bensch,
Reicht euch die Hände!
Und jetzt zeiget euch fröhlich.

(Er klatscht dreimal in die Hände. Auf dieses Zeichen beginnen Thusman und Bensch auf und ab zu schweben.)

Manasse
Das ist einer deiner Streiche,
du verruchter Taschenspieler!
Kommissionsrat, ohne Umständ',
(er produziert einen Strick) fanget ihn mit dieser Schlinge,
werft den Strick ihn um den Hals -
dort, dem Goldschmied - rasch gehandelt -
Zahm ist er darauf für immer
Alles gleicht sich wieder aus.
(Voswinkel nimmt das Seil und zielt zweimal vergeblich nach Leonhard, zum dritten Mal fängt er Thusman und Bensch. Die beiden stehen sofort still; dafür beginnen Kommissionsrat und Manasse auf, und ab zu tanzen.)

Thusman
(ausgelassen, nervös lachend)
Siehe, ein Tänzchen
ganz aus dem Stegreif.
Der mürrische Jude
muß hüpfen und wirbeln
wie seine Rettig-Dukaten;
und gar der würdige
Kommissionsrat
gönnt sich den Übermut
eines Vertikal-Hopsers!
Seht nun den Tanzmeister,
den Hexenmeister!
Spielt aus der Tasche den Generalbaß,
das ist ja allerliebst,
geistreich erfunden,
fein inszeniert -
(Der Tanz stockt plötzlich. Thusman und Kommissionsrat sind erschöpft in Lehnstühle gesunken.)

Manasse
(geht seinen Zorn sammelnd, wie ein wildes Tier um her. Nun ballt er wütend die Fäuste gegen den Kommissionsrat und beginnt fürchterlich:)

Höre nun - Melchior Voswinkel,
du hast verschworen dich gegen mich,
hast dich verbündet mit Satanas!
Aber verflucht sollst du sein, verflucht! Nun höre!
Du und dein ganzes Geschlecht vergeh'
A Is wie die hilflose Eulenbrut.
Gras möge wachsen vor deiner Tür,
einziehn der Dalles in den Palast,
daß deine Habe werd' aufgezehrt!
Und du sollst bettelnd in Fetzen gehn,
sollst vom verachteten Gottesvolk
werden verstoßen wie'n toller Hund:
bis du verdirbst wie die faule Frucht!
Verflucht! Verflucht sollst du sein,
Kommissionsrat Melchior Voswinkel!!

(Er eilt mit Bensch hinaus. Voswinkel und Thusman sind in Ohnmacht.)

Der unsichtbare Chor

(nachhallend)

Verflucht! Verflucht sollst du sein!

Leonhard
(wendet sich ruhig zu dem noch vereinten Liebespaare)

Laßt euch nicht durch Narreteien schwinden den Mut,
seid getrost, ich stehe dafür: es endet gut.
Aber nun ist es geboten,
eine Welle euch zu trennen,
(zu Edmund)

Kommet mit - nehmt euren Hut.

(Erführt Edmund hinaus)

(Ende des zweiten Aktes.)