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Konzertsaison
Interview

Leidenschaft und Taktgefühl: Fabio Luisi

Erlebt man den grazilen Italiener und vielbegehrten Dirigenten bei einer Probe mit dem MDR Sinfonieorchester, vermittelt sich sofort die Konzentration, mit der er arbeitet - bis zum Schluss wird gefeilt. Dass er seinen Vertrag als künstlerischer Leiter bis 2009 verlängerte, sehen die Musiker als Glück und Chance. mdr.de sprach nach einer Probe mit Fabio Luisi.

Quelle: artour
Der MDR-Chefdirigent Fabio Luisi.
Ihnen geht der Ruf voraus, ein Dirigent zu sein, der sich als Diener der Musik versteht, der sehr präzise und fordernd ist, aber kein bloßer Taktschläger. Das Orchester hat Sie sich gewünscht. Angeblich wird bei den Proben auch wieder mehr gelacht, seit sie 1999 Chefdirigent wurden. Gerade haben Sie ihren Vertrag bis 2009 verlängert. Was, glauben Sie, zeichnet Ihre Arbeitsweise aus?

Ich kann das schwer beschreiben. Was meine Arbeit mit dem MDR Sinfonieorchester betrifft, habe ich das Gefühl, dass wir wirklich ein Stück Arbeit gemeinsam machen wollen - und zwar gut! Ich weiß, was ich möchte - Präzision zum Beispiel - und das versuche ich zu vermitteln. Sehr konkret und sachlich, mit Konsequenz und vielleicht auch Härte. Zugleich muss ich als Dirigent aber auch ein guter Psychologe sein. Denn ich habe da einen Riesen-Organismus vor mir, der eine Eigendynamik, eigene Gesetze hat. Dazu gehört, dass in einer dreistündigen Probe irgendwann die Konzentration nachlässt. Dann kann ich auch mal zehn Minuten lässiger sein, einen Witz erzählen, laufen lassen. Ich brauche also ein Gespür für die Situation, muss mich einstellen, ohne mein Ziel aus den Augen zu verlieren.
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Fabio Luisi

Sie proben hier im neuen MDR-Klangkörper-Domizil am Augustusplatz, wenige Meter vom Gewandhaus entfernt. Einer ihrer Vorgänger als Chefdirigent trat an mit dem Ziel, das Gewandhausorchester zu übertrumpfen. Wie sehen Sie als künstlerischer Leiter des MDR Klangkörpers das Verhältnis?

Das Gewandhaus ist natürlich eine Konkurrenz, an der man sich misst. Man muss dabei aber sehen, dieses Orchester gibt es seit mehr als 200 Jahren und uns gibt es seit rund 80 Jahren. Das ist schon ein Unterschied. Das Gewandhaus pflegt eine sehr alte Tradition, die den besonderen, einheitlichen Klang des Orchesters ergibt - vor allem in den Streichern. Es steht eben für diesen charakteristischen, tiefen deutschen Orchesterklang. Aber es geht nicht einfach darum, wer besser ist, wer schlechter ist. Es geht darum, dass sie gut sind und dass wir gut sind! Unsere Aufgaben unterscheiden sich. Das Gewandhausorchester muss sich stärker am Publikum orientieren, das heißt auch an Auslastung und Einspielergebnissen. Wir sind ein Rundfunkorchester und bieten neben dem sehr beliebten "Zauber der Musik" eben auch die "Rundfunkkonzerte", um Außergewöhnliches oder Zeitgenössisches zu entdecken. Und das ist unser Auftrag.
Sie haben für die neue Spielzeit ein Repertoire "jenseits ausgetretener Pfade" angekündigt. An was denken Sie?

Da denke ich zum Beispiel an die Aufführung von Hector Berlioz´ "Benvenuto Cellini" in einem unserer "Rundfunkkonzerte". Diese Oper gilt als sehr schwer und wird sehr selten gespielt, obwohl der Stoff natürlich sehr spannend ist. Dieser Cellini, das war ja ein richtiger Abenteurer und Frauenheld. Vielen ist er als Bildhauer bekannt. Aber er war auch Waffenschieber und Schmuggler, sogar Morde werden ihm nachgesagt. Also er hatte ein sehr interessantes Leben.
Fast schade, dass Sie sich trotzdem auf eine konzertante Fassung beschränken müssen ...

Ja, allerdings. Aber es wird auch so ein schwerer Brocken. Eine Herausforderung für Orchester, Chor und Solisten. Denn die Musik ist schwer zu spielen und schwer zu singen. Selbst konzertant aufgeführt würde diese Oper ungestrichen sechs Stunden dauern! Allein acht Proben haben wir als Vorbereitung angesetzt und dann werden wir zehn Tage lang jeden Tag zwei Proben haben. Das wird sehr intensiv für alle. Die Premiere wird am 8. April in Leipzig sein, da wir die Weimarer Fassung der Oper spielen, gibt es am 15. April eine Aufführung in der Weimarhalle. Es ist zwar schade, dass dann alles wieder vorbei ist, aber so ist nun einmal das Konzertleben!
Quelle: artour
Präzision, Einsatz und Ehrlichkeit überzeugen Fabio Luisi am meisten.
In den "Rundfunkkonzerten" graben Sie sinfonisches Repertoire aus, das andere Orchester nicht spielen, bekanntlich liegt Ihnen aber auch viel an Gustav Mahler. Warum?

Mahler ist eine Herzensangelegenheit für mich. Es ist schwer zu erklären, warum. Ich empfinde seine Musik als sehr ehrlich und sehr echt. Das ist nicht nur Zeigen, sondern Sein. Da ist eine Tiefe, die mich beeindruckt und mit der ich mich sehr gut identifizieren kann. Ich habe mit dem Sinfonieorchester ja fast alle seine Sinfonien gespielt. Bis auf die Dritte und Vierte. Im nächsten Jahr führen wir erst einmal die 3. Sinfonie auf. Neben den Sinfonien soll auch Mahlers "Lied von der Erde" zum Kernrepertoire des Orchesters werden. Das, was wir bereits kennen, wollen wir auch immer wieder aufnehmen und spielen, damit wir es besser verstehen, vertiefen können. Genauso müssen wir aber die Begegnung mit der zeitgenössischen Musik wieder aufleben lassen, die in den letzten Jahren etwas vernachlässigt wurde.
Zeitgenössisches soll in der neuen Reihe "Sende(r)musik" eine Rolle spielen, die im November startet ...

Ja, das ist unsere Dienstag-Reihe für kleinere Gruppen als Nachfolger des "Hörfensters". Es sind einige Rundfunkübertragungen mit Publikum geplant. Zeitgenössische Musik wird von vielen Orchestern als Alibi gemacht, als "Pflichtübung". Das sieht dann so aus, dass kleine Stücke vor ein ganz normales Konzertprogramm gestellt werden. Wir versuchen eben auch, Konzertaufträge zu vergeben. So planen wir für die nächste Spielzeit zwei Uraufführungen mit Stücken von Bernd Franke und Christa Schmied.
Haben Sie unter den Zeigenossen jemanden entdeckt, der sie ähnlich wie Mahler berührt?

Leider nein. Obwohl wir zwei sehr schöne Erstaufführungen von Schweizer Komponisten in der letzten Saison hatten. Diese zeitgenössische Musik ist natürlich schwer zu "verstehen", man muss sie öfter hören, sich auf die "Sprache" einlassen. Aber das muss man auch, wenn man in eine Oper geht. Das ist einfach eine andere Welt. Man muss den Alltag draußen lassen können, sich konzentrieren, wirklich zuhören.
Wie haben Sie den Zugang zu dieser anderen Welt gefunden?

Durch meine Eltern. Ich war vier Jahre alt und hatte es ein bisschen schwer, denn ich war asthmakrank. Da kam Fußballspielen natürlich nicht in Frage. Meine Eltern haben nach einem Ausgleich für mich gesucht. Mein Vater war Lokführer und hatte einen netten Vorgesetzten. Seine Frau gab mir Klavierstunden. Das hat mir großen Spaß gemacht. Nach ein paar Jahren konnte sie mir nichts mehr beibringen. Sie schickte mich zu einer anderen Lehrerin. Dann kam das erste Erfolgserlebnis. Ich nahm an so einem Kinderwettbewerb am Lago Maggiore teil. Meine erste große Eisenbahnfahrt. Es kam mir vor wie eine Weltreise. Ich habe dort eine Clementi-Sonatine gespielt, die erste Sonatine, die C-Dur-Sonatine. Damit habe ich gewonnen. Das motiviert natürlich, wenn man sich vorher so geplagt hat. Es ging dann immer so weiter. Ich habe mein Abitur und gleichzeitig mein Musik-Diplom im Fach Klavier gemacht. Dann studierte ich bei Aldo Ciccolini in Paris.
Quelle: artour
Angst vor Massen sollte ein Dirigent nicht haben - Fabio Luisi.
Wie aber entstand der Wunsch zu dirigieren?

Durch die Begegnung mit der Oper. Ich habe an der Oper in Graz als Korepetitor gearbeitet. Da wusste ich, mich würde es reizen, ein so kompliziertes Geschehen zu organisieren - Musik, Gesang und Bühne. Vor allem das dramatische Moment dabei. Aber ich wusste nicht, ob ich mich als Dirigent eignen würde. Mein Lehrer, Milan Horvat, hat mir diese Welt des Dirigierens eröffnet. Aber es war schwerer, als ich es mir vorgestellt hatte. Ein Student, der seine Dirigenten-Ausbildung beendet hat, ist noch lange kein Dirigent. Das habe ich gemerkt, als ich das erste Mal mit 28 Jahren vor einem 100-Mann-Orchester stand. Es ist schon ein großer Unterschied: Als Pianist führt man ein Leben ganz allein. Als Dirigent muss man kommunikativ sein, das ist das A und O des Berufes! Als Pianist arbeite ich jeden Tag an meinem Klavier acht Stunden lang. Als Dirigent arbeite ich mit 100 Musikern eines Orchesters und dann kommt vielleicht noch eine Chorprobe mit ganz anderen 70 Menschen! Für diesen Beruf darf man keine Angst vor Massen haben!
Bleibt noch Zeit fürs Klavier?

Nein, ich habe nicht mehr genug Zeit zu üben. Das Klavierspielen fehlt mir sehr. Ich habe so gerne Kammermusik gemacht! Aber jetzt bringe ich nichts mehr zustande. Es reicht gerade noch, um meinen Sohn, der Cello spielt, zu begleiten ...
Abgesehen von der Hausmusik: mit jungen Leuten zu arbeiten, scheint Ihnen Spaß zu machen. Sie haben kürzlich Musikschüler aus Leipzig zu einem Probenbesuch eingeladen ...

Ja, die Schüler sind eine ganze Probe lang geblieben, ich habe sie im Orchester sitzen lassen, direkt neben den Musikern. Da haben sie auf die Noten schauen und erleben können, wer wie spielt, wie auf mich reagiert wird. Dann nach der Probe sind sie noch eine dreiviertel Stunde geblieben, um Fragen zu stellen. Also zum Beispiel, wie man eine Partitur liest, wie die Partitur eines zeitgenössischen Stückes aussieht - wir hatten gerade einen Zeitgenossen probiert. Es kamen gute Fragen, weil die Kinder, die so zwischen 12 und 16 Jahre alt waren, alle schon musikalisch vorgebildet waren. Ich denke, es hat ihnen sehr gefallen.
Könnten Sie sich vorstellen, dass auch musikalisch nicht vorgebildete Schüler so eine Probe besuchen, um sie für die Musik zu gewinnen?

Das ist ein bisschen schwieriger, weil so eine Probensituation etwas Besonderes ist. Es ist Arbeit, kein Event. Und man müsste die Kinder, vor allem wenn sie nicht musikalisch gebildet sind, vorbereiten. Einfach so in die Probe werfen, sollte man sie nicht.
Machen Sie sich eigentlich Sorgen, wenn Sie bei einem Konzert in die Runde schauen und kaum junge Leute im Publikum sehen? Sie haben es ja selber anhand ihrer Biografie beschrieben, die Liebe zur Musik müsste im Elternhaus, aber auch in der Schule geweckt werden. Wozu sollte ein guter Musikunterricht, der heute oft zu kurz kommt, befähigen?

Er sollte zu nichts befähigen, sondern ein Gut vermitteln, dass man sich aufbewahrt. Er sollte einem Eingang zu Welten verschaffen, zu denen man sonst keinen Eingang findet. Es geht nicht darum, dass Kinder Noten lesen können. Es ist natürlich schön, aber es muss nicht sein. Die Kinder müssen eine Anleitung bekommen, wie sie ein Stück hören können, worauf sie aufpassen müssen. Man müsste ihnen vermitteln, was eine Oper ist und was sie erwartet, wenn sie in ein Opernhaus gehen! Das ist wichtig! Aber das ist ein generelles Bildungsproblem, das hier eine Rolle spielt. Gefragt wird meist nicht, was man für das Leben braucht, sondern, was man für die nächste Schulstufe braucht. Und die Musik braucht man nicht für die nächste Schulstufe - für das Leben - wenn man das ganz zweckorientiert sieht - eigentlich auch nicht. In diese Richtung geht die Gesellschaft.
Angeblich sammeln Sie Koffer und bewahren immer noch alte Füllfedertinten-Fläschen auf, die Sie bei Gastspielen in der DDR erstanden haben. Sind Sie ein Nostalgiker?

Nicht nur. Zum Beispiel halte ich E-Mails für eine großartige Erfindung. Ich bin schließlich viel unterwegs.
Jüngst bereiteten Sie mit der Dresdner Staatskapelle die Richard-Strauss-Oper "Die Liebe der Danae" für die Salzburger Festspiele vor. Müssen Sie angesichts Ihrer vielen Verpflichtungen die Familie manchmal im Chatraum treffen?

Das weniger. Chats sind mir ein bisschen zu chaotisch. Andererseits funktioniert das Netz bei allem Chaos auch wie eine Gemeinschaft. Als unser Kind ernsthaft krank war, haben wir im Netz nach Informationen gesucht und darüber Kontakt zu Eltern bekommen, die die gleichen Probleme hatten wie wir. Es hilft und tröstet auch, dass man nicht alleine ist. Wenn ich von berufswegen ins Internet gehe, dann schaue ich mir Newsgroups oder Foren für Musik an. Abgesehen von Klatsch und Tratsch erfährt man dort auch wirkliche Neuigkeiten, kann sich über sehr spezielle Probleme informieren - oder auch Hilferufe beantworten, etwa in der Art: "Ich möchte übermorgen ins Konzert, habe aber keine Ahnung, wer Mahler ist, kann mir da jemand helfen?" Und dann kann man dem armen Menschen ein paar Zeilen schicken.
12.09.2002 | 20:06  
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