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FERRUCCIO BUSONI

BRIEFE AN SEINE FRAU
1895 - 1907



1895

27. Januar/8. Febr. 1 895 Moskau
Liebe, gute, beste Frau Gerda. Ich wohne - da alle anderen Hotels überfüllt sind, wegen eines Congresses in einem neuen kleinen Hotel garni, wo ich ein kleines Entrée, einen kleinen Salon, ein kleines Schlafzimmer alles en miniature - aber sehr anständig, habe... Meine Fenster, nach hinten gelegen, gehen auf die neue, schöne Kirche mit den fünf Goldkuppeln. Der Tag, Sonne, Frost, Schnee, Goldglanz ist außergewöhnlich, beinahe märchenhaft. Auch der gestrige Abend (mit Vollmond) war, besonders bei der Stadtmauer und beim Kreml, feenhaft schön. Wahrhaftig! eine heroische Romantik herrscht hier, wie sie die "Symbolisten" nicht besser wünschen können… Ich wanderte durch die Stadt, wie durch einen See, so fremd und haltlos - wenn man weiß, daß man, im Falle der Nothwendigkeit, kein einziges Wort mittheilen kann!...
Mein Hotel ist ganz dicht neben dem Conservatorium. An der Stelle des früheren Conservatoriums wird nämlich jetzt das neue Haus gebaut; also hat sich das Institut provisorisch hier eingemiethet. Ich machte meine Aufwartung bei Safonoff, der "Repetitio" hatte. Er empfing mich auf die herzlichste Weise, küßte mich und hieß mich herzlichst willkommen.
Die Reise war miserabel. Wir wären beinahe im Schnee stecken geblieben, wie ich fürchtete, doch ging es noch gut. Schlafed und Essen unter allen Kanonen des Kreml!
Eine traurige Nachricht. Lesko [Busonis Neufundländer Hund] starb vor 4 Wochen an einem Schlag! Ganz ruhig. Sie dachten er schliefe; riefen ihn - er antwortete nicht, rüttelten ihn - er rührte sich nicht; er war todt. Papst soll ihn colossal lieb gehabt und wohl gepflegt haben. Er soll beim Tode geweint haben...
Ich vermisse Dich lebhaft und wünschte die schönen Eindrücke mit Dir zu theilen. Ich denke immer an Dich und liebe und bewundere Dich stets, wie Du bist, so einfach und richtig...
In meinem Hotel spricht man nur russisch. Überhaupt, was für ein Unterschied hier gegen Petersburg!...


Mailand, 5/XII 95
Dieses Gefühl von Bekannt und Fremd, dieser Charakter, theils anziehend, theils abstoßend, wie ich ihn in Italien treffe, ist sehr eigenthümlich und, in dem Grade wie ich es empfinde, unbeschreiblich. Die Reise war sehr ermüdend: erst nach 24 Stunden kamen wir an die italienische Grenze. Der Weg war monoton, nur zwei Stunden lang, in Tirol, hatten wir schöne Landschaftsbilder. Wenn man durch ein enges Thai fährt, das - in Schatten getaucht - ganz kalt wirkt, einsam und trostlos, und hinter einem Berge steht die Schneespitze eines anderen Berges, ganz warmgelb von der Sonne beschienen: so empfindet man so merkwürdig. Es ist, als ob dort auf dieser Spitze Alles schön und angenehm sein müßte, im Vergleich zu der Stelle, wo man selbst ist. Auch Nachts mit Mondschein und leichtem Nebel war es bemerkenswerth schön.
In Verona mußte ich drei Stunden liegen. Es war Mitternacht. Ein Führr führte mich in ein italienisches Wirtshaus 4. Ranges. Ich bekam da schlechten Braten und großartigen Wein. Typen im blauen Radmantel, roth gefüttert, mit Calabreser Hüten, kamen herein, Viehhändler aus der Umgegend. Es war etwas von Carmen's zweitem Acte - ohne Carmen - und nicht sehr behaglich. Trotz der späten Stunde und der Müdigkeit und des Nebels, ging ich mit einem Führer durch die Stadt.
Sie hat ein römisches Amphitheater - etwas wie das Colosseum - welches gewaltig wirkt (es faßt 70tausend Personen); die Häuser und die Gräber von Romeo und Julia und hervorragende Paläste aus der schönsten Renaissance...
Die Direction des Vereines, wo ich spiele, ist sehr werthvoll. Die Herren sind sehr ernst (wie sie behaupten) und leiden in ihren Programmen keine Transcriptione.n. Deshalb mußte ich die Tannhäuser-Ouverture abschieben. Als ich sagte, die Bach'sche Orgelfuge wäre auch eine Transcription, da sagten sie: es wäre besser, das auf dem Programm nicht zu bemerken... Wie finden Sie das Alles, liebe Frau?!!
Man scheint überhaupt hier die sachlichen Ausdrücke zu vermeiden. Ich erstaunte nicht wenig, als ich sah, daß auf der Closetthüre meines Hotels stand: Jardin. Ein Garten, wo nur die Kaktusse blühen!... Merkwürdig, es macht mir eine kindische Freude, italienisch zu sprechen; fremd zu sein und doch nicht fremd...


Milano, 7. Dec. 95
Tausend Dank für Deine lieben Briefe; sie sind mir ein Trost in der Stimmung moralischen Katers, mit der ich mich hier - trotz meiner Anstrengungen anders zu denken - herumschleppe. Ich sitze hier im Hotel an einem elenden Pianino, mit einer schlechten Zigarre im Munde, in einem ungeheizten Zimmer. Die kühle, beinahe feindselige - wenigstens mißtrauische - Art, mit der man mich hier empfangen hat, hat mich sehr enttäuscht. Es kostete mich die ganze Kraft meines Könnens und Willens, um gestern Abends hier das Publikum zu gewinnen. Es ist schließlich gelungen, und heute sind die Zeitungen einstimmig begeistert... Ich glaube gar, die Società del Quartetto fürchtete, sich mit mir zu blamiren.
Von den Orchesterzuständen und den Dirigenten kannst Du ein Bild bekommen, wenn ich sage - daß, gegen diese, das Gewandhaus zu Reinecke's Zeiten als ein Ideal von Vollkommenheit und Bedeutsamkeit gelten konnte.
Die Zustände sind vorläufig hoffnungslos. Es wäre eine Riesenarbeit, das Land soweit nur zu bringen, daß es erreichte, was Deutschland längst schon weiß und glaubt. Bis dies gelänge, wären aber die anderen Länder wiedenim voraus.
Auch in sittlicher Beziehung ist es noch barbarisch. So mußte R., um in das Künstlerzimmer zu kommen, erst extra einem Herrn vorgestellt werden, welcher sie "am Arm" dahin führte. Anders dürfte es nicht sein. Litterarisch sieht's nicht besser aus. Ausgenommen die philosophischen Dramen von Bovio (einem Tolstoi ohne die Fantasie, ohne die technische Leichtigkeit und ohne die Klarheit des Russen) ist in io Jahren Nichts von Bedeutung erschienen... Ich mache mich fort und bin Gott sei Dank bald wieder bei Dir...


(Parma,) 9. December 1895
Die kleine Stadt Parma (Heimath des berühmten Parmesankäses, sowie des Malers Correggio - auch Grabstätte Paganinis) ist echt italienisch, was Mailand nicht ist, und hat mir am besten gefallen. Hier sieht man Abbés, Esel und was sonst zum italienischen Colorit gehört. Der Wein ist unerreichbar, die Bevölkerung ignorant, der Ort alt und steckengeblieben. Das Publikum war enthusiastisch ohne Vorurtheile, ohne Kritik und Selbstbewußtsein, anders als in Mailand, wo man viel steifer ist, als die echten Germanen jemals sein können... Weißt Du, daß hier der Sohn Paganinis noch lebt? Ich werde mündlich mehr erzählen...
Ich fühle mich sehr fern von Dir und beklage, Dich nicht mit mir zu haben. Wir müssen nach Italien "als Couristen" kommen; die alten Sachen, das Essen und den Wein genießen. Alles Übrige ist nichts werth. Und auch das ist, ohne Dich, nur halb [so viel] werth...

1896

(Christiania den) 9. Oct. 96
Mit schwerem Herzen mußte ich mich in Kopenhagen zur sofortigen Weiterreise entschließen. Mit schwerem Herzen, denn Kopenhagen strahlte im prächtigsten Nachsommerwetter, wie wir es seit Monaten leider nicht gesehen haben! Die Fahrt war in der That eine Frühling- und Festfahrt, soweit sie das Wetter betrifft. Die Strecke Kopenhagen-Helsingborg habe ich wirklich genossen; die Landschaft (besonders zwischen Hilleröd und Helsingör) ist herrlich. Was für Bäume! Und was für Herbstfarben! Bei Helsingör das fantastische Schloß Kronborg im besten Renaissance-Styl - wir haben es bei unserer unglücklichen Eisfahrt ganz übersehen!
Die letzte Nacht mußte ich mir ein Schlafcoupé nehmen, sollte ich nicht in Stücken ankommen. (Diese Stücke hätte ich nicht spielen können.)
Hier sehe ich eine Ausstellung von Walter Crane angezeigt, in Kunstforeningen. - Natürlich gehe ich Nachmittag hin.
Nansen, Nansen und Nansen!
Nansen-Cravatten
-Cigarren
-Hüte
-Stiefel
-Strümpfe
-Vorträge
-"Fram"-besög.
Na-1 'n seh'n Se mal...
Ich freue mich wie ein Kind auf die Tauentzienstraße [Nr. 10, Busonis damalige Wohnung in Berlin]... Tschi tschi moï! ... Habe gelesen, daß hier ein gewisser Fernicio Bussoni spielen soll! Wer ist das?


[...] In Göttingen, wenn auch nur einen Abend zu sein, ist vernichtend! Abends angekommen, blieb mir die Wahl zwischen dem Schauspiel und dem Rathskeller, "allwo die Stadtkapelle concertirte". Ich ging ins Theater, um Etwas zu haben und blieb bis zum Ende des vorletzten Aktes. Auf den Straßen Todtenstille, geschlossene Läden, geschlossene Fenster, verriegelte Häuser. Kein Mensch zu sehen. Eine halbe Stunde später kamen die Leute aus dem Theater. Zuerst in Gruppen, zu 3, zu 4, paarweise: sie waren bald vorüber. Dann die Musikanten, mit ihren eingewickelten Instrumenten; zuletzt die zwei Feuerwehrleute. Dann noch einer oder zwei, wieder einer, dann war's wieder mausestill. Fünf Minuten später kam eine alte Frau aus einem Thor und lockte lächelnd ihren Hund wieder herein; schloß die Thüre. Neue Stille. un war es aus. Ich ging verdrießlich in mein schlechtes Hotel, trank ein Glas Wein und nun schreibe ich Dir. - Die Fahrt von Hannover war schön, das Wetter wunderbar, die Landschaft in den prächtigsten Combinationen von Herbstfarben glühend. Es war Sonnenuntergangszeit...
Die Stadt Göttingen (Musenstadt genannt) zählt 24 000
Einwohner; es ist wohl die kleinste, in der ich in neuer Zeit gespielt habe.
Freilich früher habe ich solcher Reminiscenzen einen Sack voll sammeln können. Denkwürdig bleibt noch meine Reise in Tirol (im Alter von 12-13 Jahren), bei welcher eine Stadt wie Göttingen den Glanz- und Höhepunkt bedeutet hätte.
Mein Zimmer ist kalt, sodaß ich kaum wage hinauf zu gehen...
Göttingen 6 Nov. 1896. -


[...] Das ist hier ein Treiben! Grieg krank und auch der Viola-Spieler vom Quartett krank! Da das Böhmische Quartett schon einmal deswegen abgesagt, so werden morgen (wenn Nedbal nicht spielen kann) 2 Trios gespielt, und ich soll dann eine Solonummer (Brahms) vortragen. - Hanslick saß heute wie eine egyptische Gottheit bei der Probe (er schlief auch ein paarmal ein), war sehr steif, ceremoniell, aber von mir entzückt. (Der Vergleich mit R[ubinstein] kam noch einmal!) - Wien bei Sonnenwetter ist immer schön! Gestern Trios probirt, heute idem, immer geübt; bin sehr müde. Denke jeden Augenblick an Dich. Frau Grieg hat sehr schön von Dir gesprochen.
[Wien,] 3. Dec. 96

[...] Sehr wohlgethan haben mir Deine lieben, lieben Zeilen.
1000 Dank dafür! Eben komme ich vom Concert. Nedbal war gesund, also nur Tschaikowsky. Hanslick kam auch in's Concert. Erfolg groß! - Der Saal voll bis auf's Podium. Feierlicher Applaus nach der Claviervariation mitten im Stück...
[Wien, 4. Dezember 1896]


[Aachen,] 9. D. 96
Heute lese ich in der "Presse", daß Hanslick von mir schreibt:
"Busoni, ein großartiger, entzückender Pianist, der Einzige, der völlig an Rubinstein erinnert. -" Hat mir viel Freude gemacht...
Ich wohne in einem "durch und durch" empirestyligen Hotel, aber sehr fein. Alle Möbel sind vom gediegensten "römischen" Muster, aus rothem Holz mit Messingverzierungen; der Tisch mit Marmorplatten und Thierklauen an den Füßen; die Leuchter von Bronce, als dorische Säulen, jeder Lehnstuhl ein kleiner Thronsessel. Zwei sehr schöne Höfe, mit Cement gepflastert, Säulen und Bogen herum, geben ein herrschaftliches Aussehen...
Der Concertsaal wunderschön. Die ganze Anordnung der Concerte ist hier "streng nach Gürzenich"


(Crefeld, den) 12. D. 1896
In einer Stunde ist hier Concert. Gestern Abends habe ich aus Verzweiflung - Anderes war nicht anzufangen... - Kegel geschoben!


Bis 8 Uhr konnte ich liegen, dann schlief ich noch sitzend bis 12. Auf dem Wege bekam ich nur ein Schinkenbrödchen! Abends war ich fiebrig, hatte Kopf schmeit. Meine Nummer kam zum Schluß, und ich mußte im Künstlerzimmer bis 1/210 darauf warten. Endlich kam ich zum Spielen. Der Erfolg war enorm. Man sagt, ich hätte außerordentlich gespielt. (?)

Dann Souper mit Brahms, Leschetitzky, Epstein, Door und Direktor Fuchs... Heute mit Richter gesprochen...
Nachmittag Empfang bei Gutmann. Mußte spielen. Mittags Konzert (philh.) mit Gabrilowitsch (er spielte ausgezeichnet). Bin hier "en vogue", wie es scheint. Doch dauert das in Wien nur bis zur nächsten Sensation. Morgen noch Besuch und Einladungen. Ich könnte sowieso kaum denken, heute wieder in [den] Waggon zu steigen... Freue mich schrecklich nach Hause...
Sonntag.
[Wien, zo. Dezember 1896]

1897

(Verviers, le) "Ferviers" 1. 1897
[…] Die Probe fand Abends statt, gleich nach meiner Ankunft. Ich war zerschlagen von der 8-stündigen Fahrt, dem frühen Aufstehen und dem Mangel an Essen während der ganzen Reise. Ich spielte noch dazu vor vollem Hause, - auch die Soils. Den nächsten (Concert-) Abend war ich wiederum ganz frisch. Die Wanderer-Fantasie ging sehr gut der Erfolg war ganz außerordentlich, schreierisch. Überall trifft man Einen oder Zwei, auf die man Werth legt. In Elberfeld wohnt der ausgezeichnete Mensch, Herr von Dameck (früher im Quartett Petri - wir trafen ihn am Auer-Tschaikowsky Abend in Berlin), ein Mann von außerordentlich klarem Verstand und feiner Ironie, gebildet und Philosoph von der besten Sorte. Dann war dort der älteste Sohn von Herrn von Hase, der künftige Chef von Breitkopf & Härtel, ein vollkommener Abdruck seines Vaters...
In der Nachbarstadt Barmen (ganz verbunden mit Elberfeld) residiren die "Ibach's", welche mir einen großen Concertflügel in's Hotel schickten und mich zu sich einluden. Wegen Schneegeschichten mußte ich leider in Elberfeld den ganzen Sonntag bleiben. - Es gab große Einladung bei einem der Directoren... Heute in Perviers, treffe hier Prof. Seiss aus Cöln, der einige Tage Erholung sucht. Ein feiner, sehr freundlicher Mann. Der Lehrer Mengelberg's.
Bald bin ich wieder bei Dir worauf ich mich wie ein Kind freue...
In Elberfeld bekam ich 100 Mk. mehr, als ich dachte!! Immer weiter, immer heiter etc.


Sonnabend. [Lüttich, 24. Februar 1897]
Ich habe einen recht angenehmen Eindruck von meiner Reise. Gegen mein Erwarten ist Liege nicht niederländischen Charakters sondern ziemlich im Typus der norditalienischen Städte. Im ganzen ist man etwa 25 Jahre zurückversetzt. Bald glaubte ich in Triest zu sein, bald in einer Stadt des südlichen Tyrols. Ersteres erkennt man aus dem Ansehen des Theaters z. B. und der Cafehauser; letzteres beim Anblick der Kirchen, die sehr hübsch und interessant sind. Hügel und Festungen umgeben reizend die Stadt. Die Gassen sind sehr eng. Anfangs gefiel es mir, überall französisch zu hören...
Man hat hier noch malerische Eindrücke. In einer Ecke einer alten Mauer sah ich eine junge Italienerin sitzen, die Castanien verkaufte - von einer trüben Lampe beleuchtet. Das gab ein hübsches Bild.
Die Kirche St. Jaques ist famos. Hauptsächlich gothisch, hinten romanisch, an einer Seite ein höchst elegantes Renaissance-Portal. Das stört nicht, weil Alles echt ist. Ein nettes Dienstmädchen hielt mich an: "Pardon, M'sieur, est-ce que ce n'est pas après vot'e p'tit chien, que vous cherchez? - Parceque'il-y a la un p'tit chien perdu." So sprach die p'tite chatte. -
In Köln hielten wir zwei Stunden. Doch leider von 9 1/2 bis 11 1/2 Uhr. Vom Dom sah ich nur die Silhouette; Köln hat die engsten Straßen, die ich kenne und der Dom sieht aus wie Gulliver in Liliput. Beim Zurückfahren werde ich Zeit haben, den Bach der Architektur gründlich zu besehen...
Die Fahrt von Köln nach Liege (auf einem Pariser Zug) war unglaublich. Was für Wagen! Was für lärmende Conducteure! Was für Disciplin! Die rannten hin und her, gaben 2-3mal das Zeichen zum Abfahren, sprangen mal in den Wagen herein. Avez-vous du bagage? - Allez-vous a Paris? - Est-ce que c'est Monsieur qui va à Liège? - Aber besonders diese Wagen vom Jahre 50!!! Ich kam erst gegen zwei an und wie zerschlagen...


[Nach Thale im Harz]
Berlin 11. Juli 97
Heute Nacht erlebte ich das merkwürdige, daß ich mich nach 12 hinsetzte und bis zum Morgen an einer. "Ouverture" schrieb, die ich in einem Zug angefangen und beendet habe. Natürlich ist Nichts vollkommen, und dieses Stück wird noch durchgearbeitet werden müssen. Allein es ist nicht schlecht, sehr fließend, von einem beinahe Mozartschen Style... Diese Leistung hat mir Freude gemacht, und auch Du wirst gewiß darüber zufrieden sein...


Nach Thale
Heute um 11 Uhr kam die Sonne heraus!!! - Ich hielt's nicht aus zu Hause und ging in den Sonnenschein hinaus. Dies, verbunden mit Deinem gottlob heiteren Briefe, verschaffte mir einen freudigen Tag. Nach einer elenden Regenwoche - Sonne! Es war wie ein Geschenk, das hoffentlich auch Euch im Harz zu Theil geworden...
Meine Ouvertüre habe ich die ganze Woche durchgedacht - morgen hoffe ich die Skizze ausgeführt zu haben... Deine Zeilen haben mich sehr erfreut - keine Melancholei!!... Kikili - putschinolli !!!
Berlin 19. Juli 97

Der alte Thayer (Beethovenbiograph) starb
[Er war in Triest ein väterlicher Freund des kleinen Busoni gewesen].


(Wiesbaden, den) 25. Oct. 1897
Das Wetter ist herrlich. Alles geht ohne Paletot. Freunde trifft man überall, so hier Hr. Max Reger, Komiker Rosé, Mannstaedt, und - zu meiner großen Oberraschung - amico Stolz. Glücklicherweise in besseren Verhältnissen, als Chordirector und Capeilmeister der Konigi. Oper. Es war angenehm, einen so unverwüstlich treuen Ffeund zu treffen. Ich glaube, er ist unveränderlich als solcher - doch man täuscht sich bekanntlich. Ich freue mich Dich schon übermorgen wiederzusehen, habe Dich 100mal hergewünscht. Ich komme wahrscheinlich in Eisleben auch am Vormittag an. War sehr fleißig, es geht gut...


London 31 0.97
Nach einer sehr guten Fahrt, während welcher ich beinahe an die 18 Stunden in den verschiedensten Stellungen schlief, kam ich bei einem hier nicht ungewöhnlichen Nebelmorgen glücklichst, frisch und gestärkt und mit einer gewissen optimistischen Stimmung an; bereit Eindrücke aufzunehmen und die günstigsten Seiten der Dinge zu sehen. Die Sonne war roth und ohne Strahlen, in der Landschaft sah man zuweilen die Kronen der Bäume ganz klar und scharf, indessen der Stamm in eine Art Schlagsahne sich verlor, so daß man die Vorstellung eines chinesischen Gemäldes bekam...
Eine so glatte Fahrt habe ich selten gehabt, man hätte auf dem Schiff Billard spielen können; sie war so rasch, daß wir mit 1/2 Stunde "Verfrühung" ankamen...
Der erste Eindruck von London ist durchaus sympathisch und ganz derart, wie ich ihn erwartete. Das ist einmal eine wirkliche Großstadt, deren Größe nicht allein in der Raumausdehnung und Einwohnerzahl liegt. Nach allen Richtungen sind die Straßen belebt, es gibt kein Centrum, an dessen Ende nicht sofort ein neues Centrum wäre. Der Omnibusverkehr verwirrend - sehr komisch wirkt es, daß die Conducteure (ohne Uniform) die Leute zum Einsteigen einladen, indem sie sich seitwärts hinausbeugen, mit der Hand und dem Arm hinauswinken und zugleich den Namen ihrer Richtung rufen. Die Hansoms - zweirädrige Wagen, offen und doch ganz geschützt, bei welchen der Kutscher hinten, für den Passagier absolut unsichtbar sitzt - sind die besten Droschken der Welt und übertreffen selbst die russischen Iswostschiks. Auch die Soldaten - rothe Jacken, keckschief sitzende Mütze ohne Krempe, Spazierstöckchen in der Hand - sehen im Verhältnis zu den deutschen mit ihren aufgezogenen Bewegungen, graziös und elegant aus. Wunderschön die schottischen Regimenter mit der bekannten Nationaltracht.
Die Bücher- und Möbelläden fallen gleich in die Augen, wegen des Geschmackes und der Gediegenheit der ausgestellten Waren. Schöne Ausgaben sind übrigens gar nicht billig...
Auf der Straße sieht man hier noch Originale, Dickens'sche Figuren, die einen - gegen die berlinische und amerikanische Durchschnittlichkeit - einmal erfreuen.
Der Flügel, den mir Bechstein bestimmt hat, ist ausgezeichnet, und ich hoffe darauf nichts von meinem Können für den Hörer einzubüßen. Empfangen hat mich der junge Herr Bechstein, derselbe, den ich einmal in Berlin traf und der so sehr meine Sympathie erweckte!
Das Haus Bechstein ist von entzückender Architektur, die ganze Anlage des Geschäftes sehr bedeutend.
Heute sah ich Richter auf der Straße. Regentstreet (ungefähr wie die 14te Straße) Piccadilly (etwa die 23te und Oxfordstreet (entsprechend der 6ten Ave. von New York) sind alle in meiner Nähe, und man trifft sich hier ebensogut als auf der Friedrichstraße in Berlin oder dem Graben in Wien. - Ich freue mich, wenn Du kommst...

Der gestrige Abend (Nachmittag!) war ein sehr schöner Erfolg, ohne ein ganz enthusiastischer zu sein und überzeugte mich, daß mit einem oder zwei Recitals in London nichts gemacht wäre - mit Beharrlichkeit aber vielleicht viel. So sollen Paderewsky und Sauer auch angefangen haben, nämlich mit leeren Sälen und mäßigen Kritiken. Letztere waren heute für mich voller Achtung - geschimpft wurde zwar nicht, aber auch nicht gehimmelt. A young pianist - a new pianist - a pianist, simply named Busoni, yet unknown - so fangen sie alle an.
Ich muß sagen, daß ich heute bei dem Gefühl, immer wieder von vorne arbeiten zu müssen, ein Sisyphus der Debuts, mich ein wenig deprimirt fühlte. Andere Leute, wie Liszt und Rubinstein, haben das mit 31 Jahren nicht mehr nöthig gehabt. Allerdings habe ich hier weder in society - noch bei der Kritik - noch für das Publikum noch in den Schaufenstern - noch im Programm etwas gethan, um mich populär zu machen. - Der Erfolg wuchs gestern von Stück zu Stück -es wurde auch eine Zugabe. - (Ich spielte gut.) -
Ach, die "billigen" Bücher in England!... Dieser Seufzer kommt mir vom Herzen - ich sah vor 3 Tagen zum ersten Male eine wirklich würdige, ja monumentale Ausgabe des Don Quixote - 9 dicke Bände in Folio, darin alle Originalradirungen, Stiche, selbst Zeichnungen, Aquarelle, von Künstlern aller Zeiten und Länder,welche theils in einzelnen Bildern, oder in Cyklen den Don Quixote illustrirten. Es gibt da sogar verschiedene Proben von denselben Blättern; Druck, Papier, Einband, herrlich; Preis -2400 Mark. Nun, ich werde es nie besitzen - darin muß man sich ergeben; denn hätte ich auch 2400 Mk für Bücher auszugeben, so würde ich ja damit eine kleine Bibliothek kaufen...
[London,] g. Nov. 97


London 3. D. 97
Als der Zug abfuhr, gab es mir einen Stich und als ich gestern morgen aufwachte, fühlte ich mich so allein wie selten.
Ein strahlendes Wetter, wie Du es leider nicht in London erlebt hast, ein echtes "Wiener" Wetter, kalt, sonnig und klar, war mir ein guter Trost. Dazu kam, daß ich im Daily Telegraph die erste wirklich warme und ausführliche Besprechung des Concertes fand Abends, bei Pagani, war es hübsch. Das Kölner Quartett (ich kannte alle die Herren, Willi Heß an der Spitze) war da; mit ihnen Popper und Arbos. Letzterer hat eine große Freundschaft zu mir gewonnen. Er möchte so einen Freund hier in London haben, meinte er, um davon zu profitiren. Übrigens muß jetzt (sagte er weiter) ein Wechsel in seinem Leben kommen: so ginge es nicht, und er weiß nicht welchen Weg einzuschlagen. Ein Selbstquäler und -schinder No 1!
Das gab Veranlassung zu Betrachtungen über das englische Kunstempfinden in der Gesellschaft, und wir kamen zu dem Resultat, daß man es hier mit einer überfeinerten, sensationssüchtigen, verflachten, also verfallenen Culturperiode zu thun hat. Der Zustand ist ungesund, am meisten für die Künstler selbst. - Vergleicht man die Lebensweise eines Alma Tadema mit der Rembrandts so merkt man wo der Fehler sitzt und schüttelt ernstlich den Kopf...


Heute ist nichts weiter geschehen, als daß Fuchs meinem Portrait eine sehr gute Wendung gab. Das Sitzen ist aber langweilig und zeitraubend.
Friedheim kam am Nachmittag zu mir. Ich spielte Liszt's [Don Juan-] Fantasie vor, worüber er entzückt war. "Liszt selbst hätte es nicht besser gemacht." Ich spielte noch Hexameron, Norma, Stumme vor. Er gab mir, während des Spielens, einige Directionen, die sehr anregend waren; er hat diese Stücke von Liszt selbst gehört, schwelgte in Erinnerungen und war, trotzdem, von meinem Spiel sehr überrascht, wie es schien. Er machte mir die größten Complimente...
Ich bin froh, hier bald fertig zu sein, will aber in den beiden Recitals, die mir noch bleiben, mein Bestes thun.
Morgen, Sonntag, werden keine Briefe ausgegeben, ich muß also bis Montag warten um von Dir was zu erfahren. Wie gut, daß Du telegraphirtest...
London, 4. D. 97


Das Concert ging ausgezeichnet, der Erfolg wird immer größer... Gabrilowitsch war da. Hexameron (mit einigen Winken von Friedheim) wirkte so, daß jede Panation applaudirt wurde. Nach dem Thema großer Applaus. So:soll es wirken - dann darf man auch ein bißchen Selbstvertrauen bekommen...
Willst Du nicht nach Wien kommen? Es wäre sehr schön. Antworte gleich, so habe ich den Brief noch in London...
London 6. D. 97


Der Erfolg ist fest und ungewöhnlich, so daß mein Zurückkommen zur "Season" sehr wahrscheinlich ist. Dann sollst Du gleich mit mir reisen und die ganze Zeit hier sein; wir werden es schön haben... Grieg schrieb mir einen sehr reizenden Brief... Friedheim ist voll Bewunderung für mich und gab endlich zu, daß ich auch ohne Liszt [Nämlich ohne persönlicher Schüler Lists gewesen zu sein] angekommen bin.
London 8. Dec. 1897

1898

(Budapest,) 2. Mz. 98
Endlich bin ich hier und weiß, was ich spielen soll. Die Hunde haben gestern gar nicht geantwortet, nachdem ich telegraphisch anfrug. Ich saß zu Hause und übte an 4 Sachen, unruhig, gespannt.
Rosenthal traf ich gestern schließlich auf der Straße, er kam 1/4 Stunde zu mir herauf und fing gleich an von Technik zu reden. Ist sonst wie früher - keinen Menschen fand ich bei einer Pause von 15 Jahren! so wenig verändert wie ihn.
Vorgestern Abends _ 11 guckte ich einen Moment bei Ronacher [hinein]. Sang oben eine Dame, zu ernst für eine Chansonette, zu unbedeutend für Ernstes und Tragisches, aber stellenweise mit Talent und Raffinement des Vortrages.
Herr Schnabel ist die jüngste Hoffnung von Leschetitzky - ein fünfzehnjähriger Pianist. Derselbe stand neben mir bei Ronacher, stellte sich vor, lieh mir Operngucker und Programm und theilte mir mit, die Dame oben wäre Yvette Guilbert. So bin ich ohne Absicht dazu gekommen sie zu sehen und ohne Vorurtheil sie zu taxiren.
Der erste Eindruck von Pest, bei einem schönen Sonnenmorgen ist famos.
Eben angekommen, in einer Stunde ist Probe...


(Cassel, den) 22. J[anuar] 1898
Die Gallerie ist hier schön, kann aber zu den Eindrücken von Holland und London nichts hinzuthun. Ein Türke (ganze Figur) von Rubens hier ist classisch, ein Pendant zu dem Capitän Borro von Velasquez. - Einige Rembrandts sind unvergleichlich - schließlich ist ein Guido Reni da, der mich mit diesem Maler ganz versöhnt hat. Der Erfolg war gestern enthusiastisch ("Erlkönig") "was bei unserem Publikum viel heißen will" wurde mir gesagt. Cassel ist sehr hübsch, "Sie sollten aber einmal im Sommer zu uns kommen." - Jetzt fahre ich nach Solingen...

Nach Woltersdorf bei Erkener
Gestern traf ich einen alten, lahmen Mann, mit rasirtem Gesicht und langen weißen Haaren, bettelarm und malerisch zerfetzt, mit einem so guten, ja edlen Ausdruck in den alten Augen, daß er aus Hugo's "Miserables" herausgesprungen schien; es war eine Gestalt, wie man sie selten in Berlin sieht.
Ich mußte ihn ansprechen, was ihn sehr zu freuen schien; er war 77 Jahre alt und Gärtner gewesen, - er sah auch so aus, wie man sich Linné vorstellen könnte, im Geiste noch sehr klar und im Sprechen deutlich. Er nahm gerne eine halbe Mark an und dankte so freundlich, daß ich eine Virtelstunde lang noch davon Behagen fühlte.
Noch etwas anderes Altes fand ich; von Liszt - ein Capriccio alla Turca, welches das Originalstück zu der späteren Fantasie über die Ruinen von Athen ist, sehr werth- und effektvolles Stück. Endlich noch: Choräle von J. S. Bach, herausgegeben von Philipp Emanuel, Originaldruck, - darunter herrliche Stücke und die Muster zu seinen Choralvorspielen, gedruckt 1784...
Eine und eine halbe Stunde mußte ich heute verwenden, um allein die vier Programme für Berlin auf zuschreiben; mit Daten, detaillirten Sätzen u. s. w. - sehr genau Wird guten Eindruck machen…
[Berlin,] 16. Jl. 98


Nach Woltersdorf
[Berlin,] 16. Jl. 98

Ubungs-Regeln für Ciavierspieler

1. Übe die Passage mit dem schwierigsten Fingersatz; hast du ihn beherrschen gelernt, dann spiele mit dem leichtesten.

2. Bereitet dir die technische Art einer Passage besondere Schwierigkeit, so nimm alle ähnlichen Figuren, deren du dich entsinnst, aus anderen Stücken, durch; -so wirst du in die betreffende Spielart System bringen.

3. Verbinde stets das technische Üben mit dem Studium des Vortrages: die Schwierigkeit liegt oft nicht in den Noten, sondern in der vorgeschriebenen dynamischen Schattirung.

4. Vergeude nie die Kraft, indem du dich vom Temptrament hinreißen läßt; es kommen Schmutzflecke in die Stelle hinein, die man nie wieder auswäscht.

5. Versteife dich nicht darauf, Stücke, die du früher schlecht eingeübt und die deswegen nicht gelingen, überwinden zu wollen; es ist meist vergebliche Arbeit. Hast du aber deine Spielweise inzwischen ganz geändert, so beginne das Studium des alten Stückes von vorne, als ob du es nicht kenntest.

6. Studire Alles und Jedes, als ob es das Schwerste wäre; versuche die Jugend-Etuden vom Standpunkte des Virtuosen aufzufassen. Du wirst staunen, wie schwer ein Czerny, ein Cramer oder gar ein Clementi zu spielen ist.

7. Bach ist der Grund des Clavierspiels, Liszt die Spitze. Die beiden werden dir Beethoven ermöglichen.

8. Nimm von vornherein an, daß auf dem Clavier Alles möglich ist, selbst wo es dir unmöglich scheint, oder wirklich ist.

9. Pflege deinen technischen Apparat, so daß du für jeden beliebigen Fall bereit und gewappnet bist, so kannst du beim Üben eines neuen Stückes deine ganze Kraft auf seinen geistigen Gehalt richten; die technischen Probleme werden dich nicht aufhalten.

10. Spiele nie unsorgfältig, selbst wenn dir Niemand zuhört oder die Gelegenheit dir zu klein scheint.

11. Gehe nie über eine mißlungene Stelle hinweg, ohne sie zu wiederhnlen; kannst du es in Gegenwart Anderer nicht thun, so thue es nachträglich.

12. Lasse womöglich keinen Tag vergehen, ohne dein Clavier angerührt zu haben.

Was denkst Du über diese "Übungs-Maximen"? Es sind meine Erfahrungen.
Findest Du sie werth, dem Leßmann geschickt zu werden?...
Berlin 20. Juli 1898.


Nach Woltersdorf
Safonoff hat gestern telegraphirt, daß er erst Sonntag abends ankäme. So habe ich ihn noch nicht gesehen. Dafür kam um _ 2 Uhr der "Fagottoff" und blus mir ein Concert von Weber vor. Das erinnerte mich an die selige Kinderzeit, wo ich Aehnliches auf der Clarinette hörte!
Habe 6 Stunden geübt. Zweimal hat man Nachmittag geläutet - doch habe ich nicht gelitten, daß man mich störe; und spielte den Tauben, indem ich weiter "die Stumme" spielte...
[Berlin, 21. Juli 1898]


[…] Der erste Mensch den ich heute traf, war - Delius. Er war hoch erfreut und überaus herzlich. Dann Pitt, der mich auf die (ich glaube gute) Idee brachte, die historischen Concerte mit Wood zu wiederholen. Was denkst Du davon? Ich werde von Manchester extra herkommen, um mit Wood zu reden... Ich denke jeden Augenblick an Dich und freue mich so sehr auf zu Hause, auf Weihnachten, und dann auf den Beethoven-Abend...
[London, 11. Dezember 1898]


London. 16. D. 98

Meine Sonate hatte bei Dayas und Brodsky einen "Thrääänen"-Erfolg. Dayas besonders war ganz aus Rand und Band gerathen und gab zu Ehren des "Ereignisses" (wie er sagt) tags darauf ein Diner, bei sich zu Hause (denn er hat sich eine comfortable Wohnung und ein eigenes Häuschen eingerichtet), welches Diner mit großem Herzen-,und weitem Beutel, aber nicht mit großem Glück verlief... Eingeladen waren nur ich und Brodskys. Brodsky hatte am Morgen Verdruiss gehabt und erschien in der mürrischesten Laune. Kein Wort, kein Lächeln. Frau Brodsky hatte Magenzustände und aß nichts, sondern kam bloß wegen "derr sympatischen Atmosferre"...
Dieses London ist schön. Vorigen Sonntag ging ich auf 1/4 Stunde in den Hyde Park. Da gab es Redner und Rednerinnen. Eine alte, furchtbar häßliche und schäbige, bebrillte Tante, stellte sich plötzlich auf einen Fleck, deponirte auf dem Boden ein Kästchen, nahm daraus eine Bibel und fing mit singender und weinerlicher Stimme die Einleitung eines "Speech" an. Drei Menschen blieben stehen (ich darunter), dann noch drei, endlich so ein Dutzend. Dann schlug sie die Bibel auf und suchte ein Zeichen. Es waren viele Zeichen drinnen. Beinahe jede Seite.
Sie suchte und fand nicht. Blätterte rückwärts und vorwärts. Ich dachte: "Du verspielst dir jetzt dein Dutzend Zuhörer". Aber das Publikum fing an, sich zu amüsiren und wartete mit Humor auf den Augenblick des Zeichenfindens. Das kam noch lange nicht. Endlich, als es geschah, wurde laut gelacht. Die Hand der Tante blieb auf dem offenen Buche liegen und die Augen erhoben sich; noch eine kleine Pause und die Maschine nahm die Bewegung wieder auf. Aber in dem Augenblick zerstreuten sich die Zwölf wieder, denn die Pointe war vorbei. Für heute genug. Ich denke an Dich jede Stunde, besonders wenn ich was Schönes sehe, oder mit guten Leuten bin. - Aber bald bin ich zu Hause...

1899

[London, 9. Januar 1899]
Diesen Tag (Montag) entschloß ich mich doch in London zu verbringen... Es war ein glänzender Sonnentag, wie man hier selten zu sehen bekommt. Und noch eine zweite Sonne leuchtete mir, nämlich eine Rembrandt-Ausstellung großartiger Art, die ich Vormittag besah. Ja, das war nagot [schwedisch… etwas]!) Schade, daß Du nicht mit warst. Delius traf ich auch. - Jetzt aber geht die Müh- und Trübsal los. Ich hoffe noch etwas Freude von Edinburgh...

(London,) 22 Juni 1899.
Gestern abends traf ich auf der Straße Richter, der mich dahin führte, wo alle Deutschen sich comfortable fühlen, nämlich zum "Gambrinus".
"Sie, ich wor leiter nöt in Wean, wenn S' g'spielt hob'n, oder ich hob' g'hört, daß Ihna der Mahler in der Prob' a Stund' geben hot. Do hört sich do' alles auf! Der mog kan Solisten nöt, weil er ka Rutin hot und nöt von Blatt dirigirt, dös muß ober a Kapellmeister a so guat können als wie on Ciavierspieler, gölt'ns?" Und so ging es fort, wie es ihm auf dem Herzen lag...
Frau Matesdorf ist zwar reizend, naiv und gutmüthig wie ein Kind, aber sie hat mich zu einem Sonnabend-Nachmittag-at-Home gefangen, wie einen ganz gewöhnlichen Flunder. -
Noch von Richter. Ich sagte zu ihm: "Ich gratulire den Wienern zu Ihrem Verbleiben". - "Dös is no' nöt g'sogt. I wir mar dö Sach noch sehr überleg'n. I glaub', i halt's
nöt aus." - "Aber die Zeitungen geben alle die Nachricht, als bestimmt." - "Jo, dös Papier is g'duldig."
Scheußliches Regenwetter!!
Heute abends die Soirée, auf die ich mich freue, wie ein Kind auf die Prügel...


Ich hatte große Freude Ysaye näher kennen zu lernen; er spielte gestern mit. Er ist ein großer Künstler und ein amüsanter Mensch, un peu moqueur, aber - wie gesagt - ein Künstler ersten Ranges!
Ohne mich zu rühmen, habe ich gestern, trotz ihm und Melba den größten Erfolg gehabt: "it was the succes of the evening", wie mir einer sagte.
Ich bleibe nur noch wenige Tage; wäre der verw … Sonntag nicht dazwischen, so käme ich früher.
Aber ich habe Sehnsucht nach Hause, trotzdem es hier immer ungewöhnlich anregend ist...
[London,] 23. Jn. 99


[London,] 26 June 1899
Mit Ysaye ein paar Mal zusammen gewesen, der mir gefällt und auch nicht; der aber diesen merkwürdigen Magnetismus hat, wie z. B. Rubinstein. So ist man ihm nicht böse, wenn er unhöflich oder roh ist, sondern wird betrübt. Er lacht genau wie Rubinstein und ist ebenso thierisch und gewöhnlich und königlich wie er. -
Von Bekannten traf ich Carreno, Teresina Tua, Camilla Landi, Johannes Wolff, Holmann; Muck mehrmals bei Matesdorf. Vorgestern Abends waren beide Mucks da, Arbos, Schulz-Curtius; ich war in Stimmung zu spielen und habe viel und gut gespielt! Ich habe Einladungen und Rendez-vous nach so vielen Seiten, daß ich vor Donnerstag Abends nicht reisen kann. Ich darf wegen einiger Tage einige gute Gelegenheiten nicht versäumen, so gern ich wieder zu Hause wäre. Ich bin nicht gut gestimmt, weil ich nichts arbeite...

[…] Mein gestriges Recital ging glänzend. Ich spielte so gut, als mir möglich. Nichts ist mißlungen, der Erfolg enthusiastisch und die schon heute erschienenen Recensionen zeigen einen weiteren Schritt in dem Wurzelschlagen in London. Sie sind, wie Du siehst, zum ersten Mal ohne jeden Tadel und der Daily Telegraph sehr ausführlich. Ober einen gewissen kühlen Ton, der hier zur Vornehmheit des Journalismus gehört, werden die Blätter in den Besprechungen nie hinausgehen: ich sehe das nicht nur an mir, sondern an anderen längst in England berühmten Künstlern...
[Manchester,] 23. 11.99

Nun geht es Schlag auf Schlag und mit wachsendem Erfolg. Vorgestern in Manchester mit großartiem Succes, gestern in Nottingham. Es war sehr gut arrangirt; es wurden nur Einladungen vertheilt und nur an das beste Publikum der uralten Stadt... Inzwischen bin ich schon wieder in London... Die immer verschiedenen Programme sind sehr anstrengend, aber auch anregend. Physisch bin ich recht müde, aber sonst wohl...
London 29.11.99


Manchester 7. 12. 99
Gestern abends haben D[ayas] und Br[odsky] meine Sonate ausgezeichnet gespielt. Infolgedessen großer Erfolg, ich wurde auf das Podium "aux honneurs de la scène" gerufen. Alle grüßen Dich von ganzem Herzen...


[London, 8. Dezember 1899]
Wie schön, heute Brief und Karte von Dir zu haben. Habe herzlichsten Dank dafür!
Nun ist das Schlimmste vorbei; ich habe bis gestern wie ein Hund gearbeitet; das letzte Programm (106 [Beethoven], 4 Balladen [Chopin], Polonaise [As-dur, Chopin] und "Robert" von Liszt) in einem und einem halben Tage vorbereiten müssen, was auch glücklich gelang. Ja ganz vorzüglich gelang. Nun aber, nach der großen Anstrengung, war Abends bei Matesdorf Soirée. Von interessanten Menschen fand ich mich am sympathischsten und schnellsten mit Sargent ab. Ich werde ihn, nach Schottland, aufsuchen; er freute sich über meine Liebe und Übersicht der Malerei und genoß sehr mein Spiel. Vielleicht malt er mich, was mich (und Dich gewiß auch) lächerlich freuen würde... Von meinen neueren Leistungen waren die 32 C-moll Variationen eine der genialsten (verzeihe den Ausdruck, ich fand keinen anderen im Augenblick), die 12 Etuden von Chopin aber diesmal so vollkommen wie vielleicht niemals vorher. Es ist furchtbar viel über mich geschrieben...
Heute traf ich Grützmacher (Sohn, Mitglied des Heß-Quartetts) der mich bat, den Abend vor Köln mit ihnen in Bonn zu spielen. Der Geburtsort Beethovens liegt eine halbe Stunde von Cöln. Also werde ich es thun...


[London, 9. Dezember 1899]
Die "freien Tage" nach Schottland sind mir sehr anstrengend geworden, ed ecco come: am 5 war Concert in Glasgow, am 6. reiste ich sechs Stunden nach Manchester, wohnte dann dem Brodsky 4tett bei und hatte späte Einladung (bei Speelman). Am 7. weckte mich Fuchs mit seinem Cello, um meine Suite zu spielen, Nachmittag spielte Brodsky meine Sonate und das Concert von Brahms und Abends (jetzt kommt das Beste) entschloß ich mich, dem Mayer und Dayas in Mayers Haus ein Privat-Recital zu geben.
Ich spielte:

Toccata Cdur Bach
Adagio und Fuge aus der Sonate op. 106
3 Etüden von Chopin
Normafantasie. -

Ich habe selten so gut gespielt und der Eindruck den ich merkte hervorgebracht zu haben war mir ein großer Triumph und ein Trost und eine Freude. Nach dem Adagio konnte keiner ein Wort reden. Nach der Normafantasie (während welcher Dayas oft die Augen aus dem Kopf springen wollten) stand dieser auf und sagte nur: Schade, daß dich der "Alte"[ nämlich Liszt, dessen Schüler Dayas gewesen war] nicht gehört hat, er hätte dir seinen Segen gegeben und wäre ruhig gestorben...

1900

[Essen (Ruhr) den] 13. Jan. 1900
Folgendes wörtlich aus einem französischen Lexicon (Larousse): ‘Buson’, (diminutif de ‘buse’) Nom vulgaire (!) d'oiseaux rapaces brésiliens du genre ‘buse’. Le ‘buson de Dandin’ est le ‘buteogallus aequinoctialis’. Le ‘buson de Spix’ est une autre espèce de buse, le spizigeranus meridionalis. (Auf deutsch: der südländische Spitzfinger).
Figuratif: ‘Homme stupide’. (!!). Welche traurige Celebrität doch mein Name erlangt hat! Also wenn man sagt: Quelle espèce de ‘buson’, que celui-là! so heißt das: Was Der doch für ein Dummkopf ist!
Nun von Essen.
Das Hotel ist hier großartig. Ganz neu gebaut und im modernen Styl, gehört es (wie Alles hier) dem Krupp.
Es sind viele hübsche Motive, Tapeten und Dekorationen angebracht...
Als ich ankam, war hier noch Nacht. Die Stadt hat die Eigenthümlichkeit, daß sie bei Nacht besser aussieht, als bei Tag; je finsterer, je besser! (jetzt schneit es.) -
Fabrikstadt und Wohnstadt sind getheilt. Die berühmte Kirche aus dem 9. Jahrhundert (s. Brockhaus) ist zwar alt, aber nur ein Viereck mit Löchern und durch öfteres "Neu-Renoviren" total verpfuscht.
Auch alte Häuser giebt es und enge, schiefe Straßen. Aber alt und schief ist nicht immer interessant. Zum Beispiel nicht in Essen.
Und nun gehe ich in Essen, unter Essen, zum Essen...

Ah - diese Provinz! Das sind zwei Tage von beinahe physischem Leiden, die ich hier verbringe. Diese Leute, Directoren, Amateurs, Kenner; und diese Krupp-Verehrung, dieses Hofleben "am Hügel", wie hier der Wohnort Krupp's heißt; dieses Herumschmeißen mit Citaten und Reminiscenzen an Künstler, diese Eindrücke nach der Lecture der Leßmann'schen Zeitung und noch so vieles! Ich bin so verstimmt, daß ich vor lauter Schweigen und Mich in mich selbst kehren für recht dumm und schläfrig gelten muß...
[Essen,] 14. Januar 1900


(Köln,) 16. I. 1900
Ich war gestern Abends auf 3/4 Stunden in einem Varieté-Theater, wo es eine für mich neue Nummer gab, die einen gewissen Eindruck auf mich machte. Ich habe mich immer zu Automaten hingezogen gefühlt, besonders wenn irgend welche geheimnisvolle Umstände mit solchen in Verbindung gebracht wurden. -
Diesmal war es nichts Geheimnisvolles, aber etwas in seiner relativen Vollkommenheit doch sehr Bemerkenswerthes. Auf der Bühne war ein Theater im Kleinen und auf diesem wurde eine ganze Varietévorstellung (soweit sie mimisch, das ist ohne Worte und Gesang, darzustellen ist) von mechanischen Puppen dargestellt. Ein Orchester und Kapellmeister war auch dabei, sowie Logen mit Publikum besetzt.
Dieser Mechanismus wies Feinheiten auf, die vom Publikum nicht verstanden und geschätzt wurden. Feinheiten der Beobachtung und der Correctheit, wozu - um sie zu verstehen - ein ebenso correkter Beobachter gehört, und das Publikum ist es nicht.
Zum Beispiel. Die erste Nummer war ein Trapezkünstler. Die Bewegungen, die Biegungen des Körpers u. s. w. waren ganz richtig. Als er zu Ende war und vom Trapez heruntersprang, da machte er - auf dem Boden angekommen - noch einen kleinen Sprung, wie das Gesetz der Elasticität es erfordert. Das ist doch fein. Dann kamen 2 sogenannte Musikclowns. Sie hatten an Händen und Füßen Glocken, die durch Schütteln der Glieder zum Klingen gebracht wurden. Also 8 Glocken. Diese waren gestimmt, so daß damit eine Melodie geschüttelt (nicht gespielt) werden konnte. Das ging auch ganz richtig vor sich. Jeder der Beiden schüttelte gerade den Arm oder das Bein, zur rechten Zeit und mit der nöthigen Dauer, wie es für die Melodie erforderlich war. - Dann kam eine Schulreiterin und zum Schluß 8 Balleteusen. Sie waren erst allein, dann kam eine "Prima ballerina" von hinten und in die Mitte. Alles sehr graziös, rhythmisch und mit einer solchen Beobachtung des Lebens, daß es einen geradezu satirischen Eindruck machte. Nun rechne noch, daß der Kapellmeister sehr genau, nach dem Rhythmus und selbst nach dem Charakter des Stückes, dirigirte und der erste Geiger und der Contrabassist des Puppenorchesters präcis strichen. Ich war davon entzückt. Nach dem Beifall ging der Vorhang noch einmal auf und es erschien - auf ganz dunkler Bühne - eine "Serpentin-Tänzerin" die einer wirklichen sich zum Verwechseln ähnlich geberdete und bewegte. Man hatte sich in diese kleine, aber täuschend wahre Welt so hineingelebt, daß - als die Dame erschien, die das ganze leitete oder der das ganze gehörte - dieselbe mir wie eine phantastische Riesin vorkam. Sie war allerdings ebenso hoch, wie das ganze Theater.
Als ich aus dem Theater heraus kam, war Schnee gefallen; harter, trockener Schnee. Diese Erscheinung, mit der herrschenden Kälte verbunden, wirkte auf die Straßenleute wie Champagner. Zuerst fingen einige Buben in einer Seitenstraße auf dem glatten Boden zu rutschen an. Bald bildete sich eine Galerie von Zuschauern dazu. Einige davon entfernten sich und fingen selbst an auf der Hauptstraße zu rutschen. Die Ladenmädel, die vom Geschäft nach Hause gingen, wurden angesteckt. Nun griff das immer mehr um sich. Alle, selbst Männer mit Brillen, rutschten oder versuchten zu rutschen, rannten in einander, stießen die Vorderen an oder fielen hin. Wenn Jemand fiel, lachten die Umstehenden. Bald lachte dabei die ganze Straße. Das war ein Rutschen, Rennen, Stoßen, Fallen und Lachen, als ob Alles betrunken wäre. Ein so komisches und lebhaftes Bild habe ich selten gesehen...

(Zürich) 20.2. 1900
Südlich ist es hier und Windstöße wehen die Luft Italien's herauf. Aber still und langweilig. In Straßburg war es wunderschön; ich habe mich mit Blumer's sehr befreundet. Er ist ein prächtiger Mann, schön, fest und grade, einer der einfachsten Charaktere die ich je gekannt. Sie ist eine kleine Philosophin, jung und interessant. Beide sind sehr gut und äußerst ehrlich. "Quant aux vins", es war zu verführerisch. Wir haben oft des Nachts "flûté", wie man dort sagt, das ist "dem stillen Suff gefröhnt". Das Concert verlief glänzend und machte "Sensation".
Diese zwei Wochen in der Schweiz werden lang werden! Es ist nichts Aufregenderes, als die Stille, für mich. Man möchte aus der Haut fahren. In Basel gibt es den todten Christus und die Frau mit Kindern von Holbein! Darauf freue ich mich...

(Basel) Sonntag 25. [Februar 1900]
Mein Erfolg in Zürich war so groß, daß die Tonhallen-Gesellschaft mich zu einem Clavier-Abend zu Donnerstag einladet... Hier Holbein und Böcklin gesaugt. Von Holbein: Frau und Kinder und den todten (liegenden) Christus, unglaubliche Handzeichnungen. Von Böcklin citire ich nur: Vita somnium breve (das Leben ist ein kurzer Traum) worauf Kindheit, Jugend, Alter und Tod in einem Bilde vereinigt sind. (Vorne spielen zwei Kinder im Grase an einem Bächlein. In der Mitte, monumentartig der Marmorbrunnen mit der Lebensquelle. Links dahinter zieht der Jüngling zu Pferde in's Leben, vorne rechts sieht ihm das Mädchen nach. Über dem Brunnen sitzt ein gebrochener Greis, der Tod ist hinter ihm im Begriff ihn zu treffen.) Farben!! - Na! Dann "der heilige Hain". -
"Selbstportrait" (das letzte).
Eine ganze Sippschaft Meermenschen im Wasser um einen Felsen spielend. Und noch Anderes.
Eine herrliche Kathedrale mit Kreuzgang und wunderbaren gothischen Skulpturen ist hier auf dem Berge, von wo aus eine bemerkenswerthe Aussicht auf den Fluß und die Stadt hinunter. Nun war heute ein Sonnenmorgen! Leider der erste seit ich in der Schweiz bin.
Ich bringe einiges Hübsche mit... (Erwarte eben Otto Hegner zum Frühstück.)


Es ist schon der zweite Tag nach dem Concert in Basel und ich bin noch immer da. Die Jahreszeit ist berückend, beinahe schon wie ein später Frühling, sonnig, warm. Es ist hier pittoresque und alterthümlich, dabei ziemlich lebhaft, ähnlich wie in den größeren italienischen Provinzstädten. So habe ich, anstatt den Einladungen nach Zürich oder nach Straßburg zu folgen, vorgezogen hier, ganz unbekannt, a Tage auszuruhen. Die Leute glauben, ich sei schon abgereist.
Aber heute Abends muß ich wegen des Züricher Clavier-Abends nach Zürich... Hier allgemeine Begeisterung, besonders unter den jungen Pianisten. Lochbrunner kam aus Zürich und Hegner war aus dem Häuschen. Es gab Beethoven-Concert (selten so gut als diesmal) und Paganini- Variationen, Brahms. -Zugabe: Polonaise Chopin.
Mündlich werde ich Dir ausführlicher erzählen, von zwei jungen Söhnen von Segantini, die ich in Winterthur traf und die mich nach Zürich begleiteten, auch wahrscheinlich zum Ciavierabend kommen werden.
Das Programm davon ist
Bach-Busoni
Beethoven 106
Paganini-Brahms
2 Legenden [Liszt]
Mazeppa [Liszt].
Die S., bei denen ich wohnen soll, sind leider die einzigen, die gut von F. reden... Daher nie kleine Städte! Sie sind wie nette Spießbürgertöchter, die von außen anziehend und gemüthvoll scheinen, aber im engeren Zusammenleben kleinlich und boshaft werden. -
Das Hôtel, das ich hier bewohne, ist groß, comfortabel und in seiner Art schön, aber aus der Biedermanns (oder Biedermeyer) -Zeit stammend. Der Styl oder Unstyl dieser Periode gab mir die folgende Reflexion ein.
Diese Zeit muß von den reinen historischen Stylarten (in Architektur und im Kunstgewerbe) gedacht haben, ungefähr wie wir (in der Kleidung) von den historischen Kostümen denken. Wir finden sie schön, malerisch und kleidsam; würden es aber als Maskerade betrachten uns römisch, mittelalterlich oder Rokoko zu kleiden.
Unsere Kindheit wurzelt noch in jener Zeit und ich kann, trotz meiner Vernunft, noch immer von einem Biedermann-Salon jenen Begriff von feierlich-gediegener Ausstattung empfinden, den mir stylisirte Ameublements nicht so geben, wenn sie auch künstlerisch mehr erfreuen und ästhetisch mehr befriedigen. So kann ich mir noch immer ein vornehmes, altes Vereinslokal am besten im Biedermeyer-Styl denken (z. B. den Schillerverein in Triest) oder höchstens noch im Empire-Geschmack; nie aber mit künstlerisch-phantastischer Einrichtung...
(Basel, Hotel Drei Könige,) 27. 2. 1900


Das Tschaikowsky-Conzert vorbei und ging ausgezeichnet; but once and never again; - ich fühlte mich wie in einem neuen Paar Stiefel; es sah elegant aus, aber ich ziehe sie gerne wieder ab...
London, 20. Juni 1900


[London,] 25. J[uni 1900]
Endlich fand ich einen Artikel, wie ich schon lange wünschte, daß einer geschrieben wäre. Nämlich - was denkst Du? - einen Aufsatz über den "Schachautomaten von Mälzel", und von keinem Schlechteren geschrieben, als Edgar Allan Poe! Dieses ist ein Meisterst ii c k von Logik und Advocatur und giebt die unbestreitbare Erklärung des Schwindels. Ich wundere mich, daß es nicht öfters citirt wurde. Nur der Meister der "Doppelten Mordthat", des "Entwendeten Briefes", der Schöpfer des "Ami Dupin" konnte an eine solche Lösung mit Ruhe, Scharfsinn und unwiderlegbarer Consequenz, gehen. Dabei eine "Goethe'sche" Klarheit des Styls und der Darstellung!...

Das war eine schwere Fahrt von 24 Stunden nach einer nicht ausgeschlafenen Nacht, die auf das Concert folgte! Heute mußte ich die Probe absagen, ich bin zu zerschlagen!
Dafür ist London immer schön, und schade daß ich es schon morgen Abends verlassen muß. -
Schön war auch gestern die Fahrt von Frankfurt nach Köln, immer den Rhein entlang. Burgen, Ruinen, Weinberge, Dampfschiffe, in schöner Beleuchtung, an ihnen zog ich vorbei...
[London, 19. Oktober 1900]


Aachen, 24. Oct. 1900
Es ist eine schöne und vornehme alte Stadt, dieses Aachen. Die Leute sind so liebenswürdig und fein. In der Musikalienhandlung war man charmant, gab sich alle Mühe. Da liegt auf dem Boden ein Stoß von über 2000 Heften, worunter viel altes [von] Liszt sein soll [Busoni war ein eifriger Sammler von Erstausgaben Lisztscher Werke; seine Sammlung ist wohl die umfassendste dieser Art geworden] … Heute und thorgen Abend ist Symphonic-Concert mit Marteau (Sinding-Concert). Bin noch unentschlossen ob ich bleibe. Vielleicht. Bin ja gottlob frei!... Leider ist meine Stimmung wieder gesunken...


[Brüssel,] 26. Oct. 1900
Ich blieb in Aachen zum Concert und hörte Marteaus ausgezeichneten Vrtrag von Sindings Violin-Concert. Natürlich wurde ich gleich bemerkt. Musikdirector Schwickerath grüßte mich sogar vom Podium herunter...
Heute speiste ich bei Ysaye, der ein schönes eigenes Haus, eine schöne Frau und schöne Kinder hat. Der Cornponist Fauré aus Paris war da; er spielte eigene Variationen vor. Ich spielte Bach's Toccata und die Variationen von Rubinstein, war in guter Vorspiel-Stimmung und die beiden prächtigen Künstler waren entzückt.
Heute Abends ist die o. Aufführung von "Samson et Dalila" von St. Saëns. Er ist selbst hier, ich werde auch ihn kennen lernen, worauf ich mich natürlich freue...
Man plant ein Recital und von Seiten der Concerts populaires eine ‘Commemoration de Joseph Dupont’, zu welcher ich und Ysaye aufgefordert werden sollen.
Die Liszt-Ausgaben-Ernte war hier reich, ich kaufte 36 Hefte. Das nächste Mal kommst Du mit...


(Barmen, den) 2. D. 1900
Der gute von Dameck erfreute mich. Er macht nächsten Sommer seine Reise nach Island, wohin ich ihn wirklich gern begleiten möchte, da ich dieses Land seit meiner Kindheit - noch von der Jules Verne-Lecture her - zu sehen erträume. Vielleicht thue ich's auch...

Onkel Krüger ist im Dom-Hotel, davor permanente Volksversammlung. Ich sah ihn, wie er sich mit bäurischer Eckigkeit vor derselben bückte. Ein spaßhafter Diplomat...
Heute habe ich zum ersten [Mal] versucht, den ganzen Vormittag nicht zu rauchen.

Das Lied vom Mustermenschen.
Er ist ohn jede Bitterkeit
gegen die ganze Welt,
sein Urtheil ist Nachsichtigkeit,
sogar wenn man ihn prellt.
Als Vater, Sohn und Gatte
ist er so weich wie Watte,
und gegen Domestiken
hat er auch keine Tücken.
Im Streite gibt er nach
doch Streit ist nicht sein Fach.
Er hütet seine Zunge,
schont Magen und schont Lunge,
und nüchtern ist er immer
und sieht kein Frauenzimmer.
Und jetzt - man höre, staune –
die neuste Musterlaune:
Den einzigen Zigarrenrauch
den läßt er auch!
O Mustermann, o Mustermann,
was bist du für ein Dummrian,
daß du des Lebens Spiel
so ohne Zweck und Ziel
nur auf den weißen Tasten
mit Hungern und mit Fasten,
doch ohne Kreuz' und Been
läßt tonlos fast verwehen.
Hoppla, hoppla, Mustermann,
Mach' es nach, wer's kann!

Gedichtet zu Cöln am Rhein den 3. Dec. 1900


(M.-Gladbach den) 7. D. 1900
Drei Regentage! und was für Ausruhen! In Cöln, Mitternacht nach dem Concerte, mußte ich nach Mainz, wo ich nach drei Uhr ankam, und im Regen um diese Zeit, eine halbe Stunde nach dem Hotel wandern mußte, da es keine Wagen gab. Morgens, im besten Schlaf, vom Orchester-Diener geweckt, der sogar noch Eile hatte, weil die Probe schon im Gange war. Eine öffentliche Probe! Ich wollte zuerst gar nicht spielen; als ich gezwungen wurde, spielte ich die ganze Zeit pp, so daß das Publikum doch beinahe nichts zu hören kriegte. (Siehst es, da hast es.) Darob etwas Kränkung des Herrn Director Steinbach, Bruder des großen Meiningers, und Abends [war ich] meinerseits beinahe außer Stande zu spielen, wie eigentlich noch nie bisher.
Und dieses Gladbach! Diese Grenzstädte überhaupt!
Es kommt noch Wesel, dann aber, mit dem nächsten Schnellzug nach Holland!
Schon zähle ich die Tage, die mich wieder nach Hause bringen. Doch ist Holland noch ein ernstes Stück Arbeit. - In Cöln war großer Erfolg...
Danke für Deine lieben, lieben Briefe... Schreibe oft. Sei froh. Denke gut von mir...


(Wesel, den) 9. December 1900
Nachdem ich mich ein paar Tage lang auf Bummelzügen herumtrieb, erwischte ich heute in Düsseldorf wieder einmal einen D-Zug mit Restaurantwagen, der mich vorübergehend etwas heiter stimmte. Was hilft's? Dafür bin ich in Wesel in ein Hotel "mit Kerzenbeleuchtung" gerathen und der Regen hält mich schon um 8 Uhr Abends zu Hause, während die Straßen, schwarz und glänzend wie das Innere von Riesenaalen und ebenso menschenleer, trüb, trüb daliegen...
Heute war ich bei X. in Neuß zu Gast, da die Stadt auf meinem "Triumphwege" lag. Es ist immer eigenthümlich, die Eltern und das Elternhaus eines in der Fremde getroffenen jungen Menschen nachträglich kennen zu lernen. Die Analogien zwischen meinem Elternhause und den Scenen aus "Heimath" kommen, in verschiedenen Nuancen, immer wieder. Papa X. ist ein Original, schwach, nachgiebig, confus und gehört zu der Categorie der in Provinznestern und Familiensorgen verkommenen besseren Menschen... Er sieht ungefähr aus wie "the man with the dog's head" aus Barnum's Circus, faßt sich jeden Augenblick mit beiden Händen, wie verzweifelt, nach obengenanntem dogs head, um aber sofort in den flehendsten und demüthigsten Ton zu sagen: "ach nein, ach doch"; oder "ist's möglich?" Die Mutter ist leider nicht sympathisch... Die Schwester ist sehr häßlich aber von unglaublicher Güte, wie es scheint, und auch klug.
Sie sieht aus wie eine ganz andere Hundeart, mehr nach den kurzhaarigen Rassen gehend, etwa wie eine englische Dogge (Bulldogg) mit Affen gekreuzt. Ach, so ein Interieur ist ein Jammer! Sie bewirtheten mich nach ihren Besten und feierten mich wie einen Schutzengel. Aber ich wurde nicht froh und hatte furchtbare Mühe, mich ihrer Intelligenz und Bildung anzupassen...
Wie freue ich mich über Leib!
Dem Benni solltest Du vielleicht das Märchenbuch des Jungbrunnen kaufen das angezeigt ist. Ich denke, es wird gut sein. Geschmack und Auge zu erziehen ist ebenso wichtig als das Herz zu bilden, ebenso wichtig als alles todte Wissen unwichtig ist. Dahin bin ich mit meinen Ansichten schließlich gerathen...


(Utrecht,) 15. 12. 1900
Gestern morgen war es in Amsterdam schön, sonnig, und ich hatte einen freien Tag. Ich erwachte, zwanzig Jahre alt, mit dem Gefühl, dem Schritt, mit dem Geruch der zo Jahre. Ich sah die Sachen wie neu, entdeckte Details und Wirkungen, Formen und Farben, wie in dem Alter, wo man zum ersten Mal sieht und denkt, man ist Entdecker aller dieser Beobachtungen. Es war ein schönes und wieder neues Gefühl und ich hoffe, daß es oft noch wiederkommt...
Bei Mengelberg war ich zu Tische. Sein Orchester ist jetzt eines der besten in Europa. Ich äußerte den Wunsch öfters zu kommen und da er meinte, es wäre immer schwer, die 6 Städte zu combiniren, so schlug ich vor, auf meinen häufigen Durchreisen nach London, in Amsterdam allein, aber regelmäßig zu spielen. Er freute sich darüber sehr...
Mit der Kindler, die zum Concert kam, ging ich in das Reichsmuseum. Ich verstand zum ersten Male deutlicher die Bedeutung von Rembrandts dritter Manier und war tief ergriffen. Welcher lange Weg doch zu Allem! Aber auch der alte Elias und der jüngere van der Heist entzückten mich auf's Neue. Von Rembrandt bewunderte ich, außer der Nachtwache, die mich diesmal durch ihre Wirkung überraschte, die kleine anatomische Lection (deren Kühnheit mir erst [jetzt] ganz einleuchtete) und das Farbenwunder benannt: die Judenbraut. Meine gute Stimmung half auch viel mit...


[Rotterdam, 20. Dezember 1900]
In Arnhem, Haarlem - wo Mengelberg und "his band" mitwirkten - war es ganz reizend. Ich habe alle diese Leute zu Freunden gewonnen. Mengelberg hielt noch gestern auf "den großen Meister" eine herzliche Rede...


1901

Deine Briefe haben mich erwärmt und erheitert und beglückt. Habe Dank!
Es steht für mich fest, daß ich am zweiten nach Haus fahre. Bis dahin täglich Concert (wie es in den Biergärten-Affichen heißt). -
Das Recital in London verlief sehr gut. Doch läßt sich die Müdigkeit nach und nach fühlen und mit dem Brüssler Abend betrachte ich das Hauptwerk dieses Winters als beschlossen!
Noch habe ich bis ersten April gegen zwanzig Concerte, davon noch vier in London.
Vielleicht fährst Du mit mir am 7. zurück. Alle wünschen Dich hier sehr, am meisten Dein Dich liebender herzlichst küssender Ferro Mann.


Manchester 25/2 V901
Danke Dir sehr für Deinen lieben Brief. Sei bitte nicht enttäuscht, daß ich doch nicht am ersten April zu Hause sein kann; wir werden meinen Geburtstag am Ostersonntag feiern, das ist ganz in der Ordnung. Ich bin nämlich so übermüdet, daß ich gestern zu meinem großen Bedauern das Concert der Philharmonie absagen mußte.
Auf meiner Rückreise von Birmingham, gestern, überfiel mich Fieber, welches so starke Dimensionen annahm, daß ich mich Nachmittag zu Bett legen mußte, nachdem ich noch die Probe mit Mühe und Noth mitgemacht hatte...
Heute ist das Fieber weg, der Kopf frei; der Arzt sagt, daß ich mich (ohne krank zu sein) in einem Erschüpfungszustand befinde - und daß ich meine Reise aufschieben muß, wenn ich dieselbe Sache nicht noch einmal erleben will.
Danken wir Gott, daß es nicht schlimmer ist, und trösten wir uns über das verdorbene Fest, das verlorene Geld (denn ich verliere über woo Mk) und das verspätete Wiedersehen, welches von Allem mir am schwersten fällt. -
Ob sich Delius so leicht trösten wird? Ich bin sehr unglücklich für ihn, ich weiß wie viel ihm an der Sache lag. Er soll versuchen ein späteres Datum zu bekommen; im schlimmsten Falle bleibt das Ganze für den nächsten Herbst.
Ich fühlte schon lange daß Etwas kommen würde, hoffte aber noch hier fertig zu werden.
Größe also Delius und entschuldige mich bei ihm.
Größe alle die enttäuschten Gratulanten am Montag. Sie sind zu übernächstem Sonntag freundlichst eingeladen.
Ich küsse Dich sehr und grüße Dich innigst, meine liebe Frau... [London,] 28. 3. 1901
[…] Ich freue mich auf "Krieg und Frieden" und auf meine Jungen überhaupt...

Auf dem Schiffe schlief ich wie zu Hause. Es war allerdings die glatteste Fahrt, die ich bisher über den Canal gehabt - nebenbei bemerkt: die siebenundzwanzigste.
Der Sonntag war traurig. Nirgends konnte ich hinein... Endlich entschloß ich mich in das Künstlerzimmer von Queen's Hall zu gehen und auf dem Erard-Pianino zu üben. Das ging.
Colonne ist ganz gealtert, gebeugt und ohne Haare. Irre ich mich, oder wir trafen ihn in Paris als einen noch frisch-energischen, etwas militärischen Schnauzbart. Er ist auch in seinem Wesen weicher und lächelnder als früher, was ihn aber kaum verbessert... Ich war hier gestern Abend so frisch, jugendlich und so voller Ideen, daß ich Noth hatte sie alle zu behalten oder aufzuschreiben. Das neue kleine Orchesterstück ist ganz fertig im Kopf, an dem Concert, an der Bach-Ausgabe, am Aufsatz wurde gearbeitet und gesammelt.
Aber meine Kräfte sind noch nicht da, flackern nur so auf und nach dem glänzend gelungenen Liszt-Concert war ich unfähig, die Nacht durchzuschlafen...
(London,) Dienstag [30. April 1901]

Kurzes Tagebuch aus Paris.

Mittwoch, 1.Mai [1901]

7 1/4 Abends angekommen. Reizendes kleines Privathotel am Quai Voltaire. 8 Uhr zum Abendessen auf dem Boulevard. Gegen neun in die Folies-bergères...

Donnerstag, 2. Mai.
Den ganzen Tag auf der Suche nach Liszt-Ausgaben. Von einem Orte zum anderen Adressen erbettelt, und überraschende Funde gemacht.
Abends gegen 10 Uhr zu Bullier, wo große Sommereröffnung war. In einem Mädel mit kurzen Haaren, schiefem Hut, von blassem Teint und Zigarette im Mund Frl. Teresita Carreno erkannt und begrüßt. Mit ihr zwei Polen, ein Mann und ein Mädel, Bekannte von Kauffmann. Den Abend mit ihnen verbracht. Sie im offenen Wagen nach Hause, bis Passy begleitet; wunderbare Mondnacht, phantastischer Eindruck.
Tagsüber Mr. und Mrs. Robert Freund beim Louvre begegnet. Herzliche Erkennung.


Freitag, 3. Mai.
Mit Freunds im Hotel de Londres 12 Uhr dejeunirt. Angenehmen Gang und Gespräch mit Robert bis 3 Uhr gehabt.
Darauf allein einen Rundgang durch das Quartier latin unternommen. Als Schönstes und Anregendstes von Paris erkannt. Ungeheuer genossen. Alterthümliches, Malensches, Lebendiges erschaut. St. Severin, St. Germain, St. Sulpice. Rue du Bac. Rue dc Sèvres. Rue de Rennes. Rue des St. Pères.
Inzwischen immer weiter nach Liszt-Ausgaben...
In einem Musikalienantiquariat: Le Patron spricht mit einem Besucher. "Mais quand moi je faisais l'artiste, j'ai gagné plus qu'un artiste quelconque! Ils ont beau eu faire des intrigues - Enfin, je suis arrivé, j'ai réussi. Et je m'en fiche." Und alles mit sehr lauter, herausfordernder Stimme.
Ich bat um eine andere Antiquaradresse. "Mais Monsieur, il n'y a que moi, qui tient du Litz [sic] a Paris." "Mais comment?" - "Mais, quand ii y en a quelq'ue part, c'est rnoi qui l'achète; alors vous voyez !"
Und es war Nichts weiter herauszukriegen...


(Glasgow,) 16. Sept. 1901
Glasgow scheint mir von allen englischen Städten die, welche den westlicheren amerikanischen (Typus Chicago) am ähnlichsten ist. Als Künstler fühlt man sich nicht am Platz; was man sieht, ist weder malerisch, noch interessant; sondern massenhaft und roh. Es ist zu klein, um eine industriell großartige Ausstellung zu geben, zu wenig artistisch um eine schöne Ausstellung zusammen zu bringen. Dieselbe hier ist klein (nicht so groß, wie die Berliner seinerzeit) und häßlich. Die Gebäude sind häßlich, die Anlagen und die Menschen. Ein provisorisch gebauter Saal in Form eines Circus von innen und ganz kahl und nüchtern, einer umgestürzten Punschbowle von außen (oder eines Nachttopfes in einem nicht bewohnten Hotelzimmer): das ist der Raum, wo ich heute Abend und noch zweimal spielen werde. Ich fürchte mich vor diesem bezahlenden Ausstellungs- gewisserweise Sonntagspublikum, unter dem ich keinen Hund kenne und dem ich selbst ein unbekanntes Vieh bin. Der Jammer der Virtuosen-Carrière ist mir wieder einmal klar geworden; ich leide heute darunter sehr...
Heute Nachmittag hatte ich Gelegenheit, auf einem Steinway zu üben. Meine Finger haben dieses Instrument noch immer nicht vergessen!...


(Glasgow,) St. Enoch's Hotel, den 17. 5. 1901
Wahrlich, sollte ich (durch irgend eine Teufels-Intrigue beim Schicksal) gezwungen werden, in Glasgow zu leben, ich gäbe die Musik auf und würde Regenschirmfabrikant. Einträglicher, geachteter und für die Bevölkerung von greifbarem Nutzen ist der Stand eines Parapluie-Zurichters im edlen Herzen Schottlands.
Das Concert gestern Abends war ungefähr, wie ich es erwartete. Bei der Ankunft im Künstlerzimmer wurde ich durch die Bitte des Ausstellungs-Comités (Hut ab!) überrascht, daß ich das ganze Programm ohne Unterbrechung spielen möchte. Eigentlich freute es mich; nachher zeigte es sich aber, daß es anstrengend war. Das Publikum war sehr enthusiastisch und zahlreich... Nachher gab es lebende Bilder und im Park Feuerwerk.
Dieses Gefühl: eine Nummer der Ausstellung zu sein, ist bös.
In der Ausstellung gestern mußten ziemlich 100.000
Menschen gewesen sein, aber was für - -!

Gestern waren ungefähr dreitausend Menschen im Concert. Erfolg groß. Sache selbst unheimlich.
Heute gehe ich in die Kunstabtheilung der Ausstellung, die hervorragend sein soll...
Glasgow, 19. S. 1901


(Glasgow,) Freitag [zo. September] 1901

Gestern kam erst Dein Brief von Montag und brachte Sonnenschein in mein Gemüth...
Heute ist endlich auch draußen Sonnenschein; nach einem stürmischen Vormittag mit heftigem Regen ist jetzt klarer Himmel - der doppelt wirkt, weil der Wechsel ohne Übergang war.
Aber mein Vertrauen zum Regenschirmgeschäft leidet darunter doch ein wenig... Aber die Sonne, die Sonne! Ich sehe "Gespenster."
Gestern Galerie besucht und Dir gleich ein Heft von Abbildungen geschickt. Rodin steht da wie ein Großstädter unter Provinzlern.
Der Johannes ist an Einfachheit, Größe und Psychologie das Bedeutendste, das seit den großen Italienern geschaffen ist. Ein Bild von ganz außergewöhnlicher Wirkung ist dieses "Work" von Brown. Merkwürdig gedacht, aufgefaßt und vielleicht am merkwürdigsten gemalt. Es erinnert am meisten an Leempoels, doch ist es bunter und von packender Sonnenlichtwirkung. Ein sehr bedeutendes Talent, mit zu viel Verstand, so scheint mir dieser (schon gestorbene) Brown gewesen zu sein.
Gestern vormittag arbeitete ich gut an meinem Concert.
Das soll wirklich etwas werden...


[London,] Sonntag [10. November 1901]
Meine wenigen Tage bisher waren sehr stark mit Arbeit ausgefüllt. Am Mittwoch erst um 2 angekommen, mußte ich eine Menge dummer Kleinigkeiten erledigen: Wohnung suchen, Clavier bestellen, Noten zum Sonaten-Abend kaufen etc. Dann schrieb ich Dir und schließlich war ich von der Reise so caput, daß ich das Üben der halbvergessenen Sonaten und der ganz steif gewordenen Finger (ich kam hier erfroren und ausgehungert an) auf den nächsten Concerttag verschieben mußte. Donnerstag nahm ich di Sachen 2 Stunden allein durch, dann 2 Stunden mit Ysaye und da war knapp Zeit geworden, mich anzuziehen und weitere 2 Stunden öffentlich zu spielen. Das machte sechs Stunden - und ohne Lunch! Am Freitag hatte ich die schwere Kopfarbeit, sechs Programme für Newman zusammenzustellen und mich zum Recital (Sonnabend Cristalpalace) vorzubereiten.
Da spielte ich gut, war aber ganz allein, in diesem elenden Locale, vor einem fremden, wenig musikalischen Publikum...
Eine schöne Sache war, daß das Clavier hier allerersten Ranges ist. Mit Ysaye spielten wir wirklich schön und rein. Die Programme für die Trioabende und die beiden Recitals, die ich entworfen habe, sind großartig. Die Dante-Sonate habe ich in einem doch aufgenommen. Soweit geht es mir gut. Ich bin nur sehr, sehr ermüdet und voll im Kopfe…
[…] Becker ist ein guter Künstler, paßt aber nicht ganz zu uns zwei anderen...
Mit Ysaye werde ich immer freundschaftlicher. Er liebt mich jetzt sehr, war von der Beethoven Sonate 109 neulich ganz ergriffen...
London, 17. 11. 1901

***

Dienstag Nachts
Gestern fuhr ich 6 Stunden nach Newcastle, spielte Abends, und reiste dieselbe Nacht zurück. Heute war also ein neutraler Tag - Ysaye in Liverpool - und so verbrachte ich einen Theil desselben, mein Leben wieder durchzumustern und ein Fach zu ziehen. Dabei mußte ich soviel an Dich denken, was ich Dir alles Gutes verdanke; ich gedachte, wie Du in unsicheren Zeiten mit unveränderlicher Freudigkeit mitgegangen bist, wie Du mich immer ermuthigt und getröstet hast und durch Deinen Sonnenschein alle Nebel verscheuchtest. Ich muß Dir das schreiben und wieder einmal ordentlich dafür danken.
Morgen wird wieder gearbeitet. Ich habe zu jedem Concert hier etwas ganz oder halb Neues vorzubereiten; das giebt, bei den kurzen Intervallen, viel zu schaffen.
Ich schreibe dies Alles absichtlich nieder. Nur zu leicht scheint es trüglich, bei größerer Zeit- und Raum-Entfernung, daß auch die Gedanken fern sind von einander. Ich wollte Dir jetzt beweisen, daß es so nicht ist. - Gute Nacht, liebe Gerda mia...


Mittwoch früh
Über meine Programme wirst Du wohl etwas schreiben. Vielleicht änderst Du noch an den Recitals...
Das Buch von Maeterlinck "La vie des abeilles" ist sehr nach meinem Herzen. Rein und tief und natürlich und gedankenreich und eigenartig. Maeterlinck scheint noch immer zu steigen; seine Füße berühren kaum mehr die Erde...
Nun muß ich ein sehr naives (um nicht ärgeres zu sagen) Trio von St.-Saëns studiren, denn Nachmittag ist Probe.
Von der Weber'schen Sonate mußte ich - um mein Gedächtnis aufzufrischen - ein Exemplar kaufen und ich nahm "um zu sehen" (wie man im Poker sagt) die Liszt'sche Ausgabe. Es ist Liszt vieles nicht eingefallen, was ich darin einrichtete und änderte und beinahe selbstverständlich ist. Einiges dagegen hat er so gemacht, wie ich gedacht...
London, 20. 11. 1901

1902

Gestern Abends war das Concert in Birmingham, heute Sheffield, morgen Manchester.
Ysaye war gestern so ungezogen gegen mich, daß ich ihn satt bekommen habe. Es war wegen einer Probe zu [einem Stück von] Saint-Saëns (das ich garnicht kannte, nie gesehen noch gehört, am selben Abend zu spielen hatte). Y[saye] ließ mich 3 Stunden bei Bechstein warten und auf drei Botschaften die ich schickte kam immer die Antwort daß er schlafe oder liege. Es war nun 1 Uhr (der Zug ging um 2) ich hatte nichts gegessen. Ich ging zu ihm und sagte ich könne unter diesen Umständen das Stück nicht spielen. Er machte aber eine Scene, so daß schließlich Newman, der da war, ihm sagen mußte daß er ungezogen wäre, Unrecht hätte und schweigen sollte. Es hat mich (nervös, wie ich schon war) sehr erregt und Abends war ich kaput. Die Sonate probirten wir (das ist lasen wir prima vista) eine Stunde vor dem Concert in einem Magazin. Ich war halb krank, wir spielten wie zwei Schuster, anders nicht möglich.
Dazu ist heute und gestern ein Wetter! O England! O Tunis!
Heute Nacht schlief ich aber i o Stunden.
Für heute Abends (neues Programm) haben wir auch nicht probirt. Ich aber frage Y[saye] nicht.
Siehst Du wie man mit kleinlichen Leuten kleinlich wird. Es ist ein Jammer.
Nächster Brief wird besser. Heute fühle ich mich ganz wohl, trotz Provinz, Regen und Schusterei...
Birmingham den 4. Febr. 1902


[Manchester,] Donnerstag [6. Februar 1902]
Es wird hier immer schlimmer leider. Ich spiele täglich schlechter, fühle mich müder und trauriger. Diese Sachen sind nicht für mich. Lieber Stunden geben. Ich denke so oft und herzlich an Dich, an Euch. Möchte so gern zu Hause sein. - Wenn es so fort geht so werde ich für Wien unbrauchbar sein. Ich mache heute die Wiener-Programme und schicke sie zu Dir zur 1.) Begutachtung 2.) Ausführung 3.) Absendung an Gutmann...

Vielen Dank für Deinen lieben, lieben Brief, den ich erst am nächsten Morgen früh in Newcastle erhielt. Er hat mich sehr beFuhigt und froh gemacht.
Nimm's nicht übel, daß ich das Concert in Aberdeen (Dienstag) absagte. Ich hatte es wirklich nötig und eine so unüberwindliche Sehnsucht nach etwas Ruhe! Ich habe so drei!! freie Tage die ich hier in London genieße. Heute habe ich wieder regelrecht gearbeitet!... Nun noch drei, viermal, then 't is over.
Kaum fühle ich mich frei, so kommen Ideen und das ist die wahre und einzige Lebensfreude.
Ich habe ausgedacht, den Aladdin von Oehlenschläger nicht als Oper sondern als ein Gesammtwerk von Schauspiel, Musik, Tanz, Zauberei - womöglich in einen Abend zusammengestrichen - zu componiren. Es ist meine alte Idee des Theaterstückes mit Musik wo sie nötig ist, sonst soll sie das lebendige Wort nicht hemmen.
Als Schaustück, als tiefes symbolisches Werk, könnte es etwas Ähnliches wie die Zauberflöte werden, dabei mit besserem Sinn und einem nicht tot zu machenden Sujet.
Außerdem habe ich mir für den Sommer 6 Arbeiten vorgenommen, das Clavier-Concert als Hauptstück. Wie schön!
Ein anderes ist die Herausgabe der geharnischten Suite...
[London,] 10. 2. 1902


Wie schön war es, durch Dein Telegramm zugleich Deine glückliche Ankunft und Deine lieben Wünsche zu erfahren! Im Ganzen aber ein trauriger Geburtstag trotzdem sich Gomperz' Mühe gaben, ihn Mittags durch Lieblingsmenu, Geschenke und herzliche Worte zu verbessern.
Dein und Bennis Bild standen vor meinem Teller, bekränzt. Das war lieb... Ich fühle mich hier sehr frisch, aufgeweckt und mit Ideen. Leider ist es eigentlich zu Ende, denn ich dachte heute Abend (Donnerstag) nach Triest zu fahren. Ob ich es noch einen Tag aufschiebe? An Delius schrieb ich, sogar ausführlich.
Gestern Abends hörte ich - (ich wollte es nicht versäumen, um meine Eindrücke über das heutige Italien zu vervollständigen) - d'Annunzio's Francesca mit der Duse.
Es ist, scheint mir, ein flaches Werk. Kein einziges Wort schien mir werth erinnert zu werden. Viele Worte, manchmal schöne, klingende, aber keine Gedanken. Die Menschen etwas puppenhaft und costümstockähnlich, die Handlung mühsam um diesen kleinen Kern des Galeotto-Buches geflochten. Stinimungsvolle und malerische Bilder, aber nicht von ihm; sondern Ubertragungen nach Burne-Jones und ähnlichem, und oft ein Verwechseln des Malerischen mit dem Litterarischen. Der Erfolg galt nur der Duse - die schöne Bilder stand und saß, aber etwas manirirt wird...
Wien, 4.4. 1902

Heute Nacht (Freitag-Sonnabend) in Triest hatte ich diesen Traum:
Ich sah ein neues Geschlecht (Thier oder Mensch ist nicht zu entscheiden); es war klein, nicht größer als eine Eichkatze. Sie hatten Eidechsenleiber mit doppelt so langem fuchsähnlichem Schwanz. Vom Kopfe ist mir nichts mehr deutlich, als daß er einen klugen, menschlichen Ausdruck hatte.
Es war ein großer Saal. Für diese Geschöpfe groß genug, daß sie - wie im Freien - sich darin bewegen und in Kutschen fahren konnten. Die Kutschen waren sehr elegant, sogenannte Galakutschen und fuhren wie in einem Corso oder einer Procession geordnet in der Reihe. Es war wie eine große Feier. Die Geschöpfe zeigten im Ceremoniell, im Betragen eine große, alte Cultur.
Ich sprach mit einigen von ihnen und frug, warum ich sie zum ersten Mal sähe und nie von ihnen erwähnen gehört?
Man sagte mir, daß nur derjenige, der reinen Herzens geworden, sie erblicken könnte. So hätte sie das gläubige und naive Mittelalter gut gekannt und mit ihnen im Verkehr gestanden. (Jetzt erinnerte ich mich auch, rieviel im Mittelalter von Kobolden, Elementargeistern u. s. w. die Rede gewesen). Das raffinirte XVIII. Jahrhundert hätte sie geleugnet und infolgedessen auch wirklich nicht mehr gesehen.
Aber (sagte ich), warum will S. Francesco d'Assisi, der doch gewiß reinen Herzens gewesen, nichts von ihnen wissen?
Man antwortete: S. Francesco d'Assisi war gewiß reinen Herzens und hat sie gesehen; aber er hat das Gesicht für eine Versuchung des Teufels gehalten und seine Wirklichkeit geleugnet. -
Das war der Traum. -
Triest. 6. A[pril] 1902

Heute Sonntag wollte ich Abends nach Paris fahren, auch weil morgen Nachmittag Ysaye und Pugno meine Sonate spielen; - als ich zu spät merke, daß ich nicht genügend baares Geld habe - und heute ist nichts aufzutreiben. Pugno soll - sagt Ysaye - eine Mohrenangst haben und ich sollte - falls ich käme - rechtzeitig telegraphiren. Wenn ich unangemeldet erscheine, so riskire ich, daß Pugno - me fera la blague, et viendra me chercher dans le public pour me faire jouer moi-même ma Sonate...
Wir waren mit Saint-Saëns zusammen, der, trotz seiner fast 70 Jahre, heiter und gesprächig und lebhaft wie ein Kind ist. Wir sind diesmal sicher uns näher gekommen. Er dirigirte sein Prelude des Barbares, das mir fast noch besser gefiel.
Elgar versprach mir die Erstaufführung des Vorspieles und Finales seines Gerontius für meine Concerte in Berlin [Die Orchester-Abende (mit neuen und selten aufgeführten Werken), welche Busoni von 1902 bis 1909 mit dem Philharmonischen Orchester in Berlin veranstaltete]... Nikisch traf ich noch flüchtig im Hotel. Er hatte am Abend vorher einen außerordentlichen Erfolg. Ich selbst spielte gut (ohne Probe) und wurde 5mal hervorgerufen. Es war dieser der größte Erfolg den ich mit Beethovens Esdur-Concert bisher erreichen konnte.
Weingartner war ganz nett - er war auch sehr gefeiert, wie überhaupt die Stimmung des Publikums beim Festival sehr warm war. Das Concert wo ich spielte war übrigens von allen sechs das meist besuchte.
Meine Sonate ist nun auch in Amsterdam (Wijsman und Spoor) gespielt worden... Diese wiederholten Aufführungen meiner Violin-Sonate in so kurzer Zeit haben mich doch sehr angeregt. Ich rechne ernstlich darauf vom nächsten Herbste an ebenso eifrig als Componist zu streben, wie bisher als Pianist.
Dieser Sommer verspricht sehr fruchtbar zu werden; ich fiebere nach der Arbeit. Vorläufig ist hier noch nichts bestimmtes, doch beinahe sicher, daß ich Ende Mai oder Anfang Juni wiederkommen muß...
[London,] 4. Mai 1902


Nach Stockholm
Ich habe mich stark beschäftigt und finde darin vollste Befriedigung. Nur die Mahlzeiten sind recht traurig... Nikisch bleibt bei den "Philharmonischen" (ich wußte es genau) und ich soll im ersten Concert spielen. Vielleicht Saint-Saens... Delius schrieb eine Karte seine Partitur wird gedruckt. Fernow ist merkwürdig ängstlich, ob meine Concerte nicht den "Philharmonischen" schaden könnten. Ich mußte eine lange Rede halten um ihm die völlig sinnlose Idee von Concurrenz aus dem Kopf zu schlagen. Ich schließe vorläufig,weil ich ganz in der Tarantelle stecke, die ihre erste rohe Form heute erhalten soll. Ich stecke ganz tief drinnen, schwimme in einem Triolenmeer, schlage Tambourin, stehe auf einem Bein - (aber nicht weil das Zimmer nicht ausreicht) - - diese Tarantelle, die auf das Adagio folgt, ist wie wenn man aus dem Forum in eine Volkstraße von Rom geräth. Oder wie ein Volksfest, das vor dem Pantheon losgelassen wird. Auch das schöne Lied "e Si, e Si, e si che la porteremo, la piuma sul capello, davanti al colonello, giuriam la fedeltà" kommt sehr gut herein.
Also viel Freude Euch und mir. (Leib ist wohl und reizend.)... Berlin 11. 7. 02


Nach Stockholm
Der Schluß meines Concertes ist jetzt ganz nach meinem Wunsche gerathen - mit dem langsamen Satz bin ich beinahe fertig. Auch die beiden "lustigen" sind skizirt. Wenn es so weiter geht - - - -
Jetzt ist's ein schauderhafter Regen...
Die Stücke die Remy brachte, sind so wie das heutige Wetter. Er - Remy - hat den Fehler aller Franzosen, patriotisch zu sein; er tadelt gern Deutsches und lobt gern Französisches, obwohl er sich Mühe giebt gerecht zu sein; was aber wiederum seine romanische Oberflächlichkeit und Raschheit nicht zur Vollkommenheit gelangen läßt. Denn er urtheilt immer zu schnell und ist geistreich auf Kosten der Wahrheit...
[Berlin,] 17. [Juli 1902]


Nach Stockholm
Das Leben geht hier seinen geregelten Gang.
Leib weckt mich jeden Morgen -
das ist sehr nett und hübsch, es erinnert mich etwas an Lesko.
Drei Abende hintereinander war ic
h in Gesellschaft von Anzoletti - ich habe ihn sehr, sehr lieb...
Die Zeichnung hier ist roh und ungeschickt aber nicht zum lachen. Ich habe dafür ein bischen Schwäche. Sie soll die Idee meines Clavier-Concertes in einem architektonisch-landschaftlich-symbolischen Bild zusammenfassen
[Busonis Zeichnung wurde später von Heinrich Vogeler für das Titelblatt des "Concerto" benutzt]. Die drei Gebäude sind der 1. 3. und 5. Satz, dazwischen die beiden "lebendigen": Scherzo und die Tarantelle; das erste als Naturspiel einer Wunderblume und eines Wundervogels - das zweite durch Vesuv, Cypressen dargestellt. - Über dem Eingang geht die Sonne auf; an der Türe des Schlußgebäudes klebt ein Siegel; das geflügelte Wesen am Ende ist die Naturmystik von Oehlenschlägers Chor...
(Dienstag) Ich habe den Brief wieder geöffnet, um Dir meine Trauer über den Einsturz des Marcusthurm zu klagen. Wenn solche Riesen enden, dann endet in jedem Etwas mit...
[Berlin, 21. und 22. Juli 1902]


Nach Stockholm
[…] In der Tarantelle kommt Liebesnacht mit Serenade - auch Vesuvausbruch vor. Sie ist sehr weit...
[Berlin,] 22. 7. 02

Nach Stockholm
[…] Die Tarantelle, auf die wir beide hoffen, wird die Hoffnungen erfüllen; sie wird sehr bedeutend.
Ich habe Anzoletti einige Bruchstücke vom Concert vorgespielt; er war sichtbar ergriffen und konn kaum sprechen. Das war mir eine große, reine und - verdiente Freude... Berlin 28.7.02


Nach Stockholm
Die Tarantelle soll Neapel selbst werden; nur etwas reiner, jedoch nicht so rein wie die anderen Sätze. Sie enthält vorläufig noch zu Vieles, und da muß wiederum gereinigt werden. In der Hauptsache ist sie fertig...
[Berlin,] 1. August!! 1902

[Wiesbaden] 2I. O[ktober] 1902
Die Ankunft in Mainz, frühmorgens bei ungewöhnlich schönem Wetter war wie eine Befreiung; - die Farben der Landschaft, der Rhein, die weiten Perspectiven, die man in Berlin vergißt, wirkten auf mich wohithuend. Mächtig überraschte mich der Dom, da keiner mir davon gesprochen hatte, und ist doch einer der besten romanischen Bauten Deutschlands! Gleich schicke ich Dir eine Fotografie davon, damit Du siehst - daß, wenn ich auch nicht schrieb, ich doch an Dich dachte. Zum Schreiben war ich zu müde, die Nachtreise - obwohl durchschlafen - hatte mich angestrengt. Außerdem probirte, übte und concertirte ich in Mainz, so daß ich für heute beschließen mußte gar nichts zu thun, was Du hoffentlich nicht unrecht findest. Der Erfolg war groß, ich habe sehr gut gespielt.
Der Dom ist ganz mit kleinen Häusern verbaut, sodaß man davon nur das sieht, was auf der Fotografie auch zu sehen ist... Auch sonst hat die Stadt hübsche alte Sachen - liegt landschaftlich herrlich und besitzt den besten Wein.
Wiesbaden, mit seinem Gemisch von Kleinstadt und Curort, erscheint mir heute recht langweilig. Der Kaiser war bis gestern da, und heute gibt's nur halbabgenommene Ehrenpforten, Haufen von Flaggen und Tannenkränze außer Gebrauch auf den Trottoirs zu sehen.
Veranlassung war: ein Kaiser Friedrich Denkmal, welches so miserabel, armselig und conventionell ist, daß man ein herrliches Fest feiern müßte, wenn dasselbe wieder herunter käme...

1903

[Teplitz, 9. Februar 1903]
Teplitz - Regen - Müdigkeit - Morgen Uhr früh muß ich nach London -
Ein guter Bösendorfer und der alte Bartusch (Clavierstimmer aus Wien) sind mein bischen Trost. -
Ich schicke Dir innigste Grüße. Bitte schreibe nach London hier.

(
London,) Sonntag [22. Februar 1903]
Jetzt freue ich mich noch auf mein letztes Recital
6 Etuden von Chopin
César Franck,
6 Etuden von Liszt.
[…] Mit Liszt geht hier (durch meine Arbeit) eine starke Veränderung vor. Ein Blatt schrieb, man wünschte ein ganzes Liszt Recital von mir zu hören (extraordinär für England!), ein anderes schrieb, es wäre schade, daß ich nur 6 Etüden von Liszt spielte anstatt alle i z, "the whole set, which had recently in Berlin a sensationel succes"...

Ich freue mich so auf den Süden!!!
Wenn ich mich auch sehr, sehr müde fühle (eben bin ich von Harley zurück) so ist es doch sehr schön, eine Insel zu verlassen, die in jeder Weise eine "Insel" ist...
Eine liebe und sehr hoffnungsreiche Bekanntschaft habe ich hier gemacht in einem jungen Musiker, Percy Grainger, Australier; einem lieben, reinen, hochbegabten und denkenden Kerl, der sich in der ersten Stunde an mich anschloß. Er spielte mir eine sehr gute Toccata von Debussy...
[London,] Dienstag [24. Februar 1903]


[Lyon,] 12. 3.03
Mein Zug geht erst heute Abends und ich muß ohne Aufenthalt nach Fiume fahren, wenn ich überhaupt rechtzeitig ankomme! Ich verstehe und liebe Carl XII., dafür, daß er nicht aus der Türkei herauskam, wahrscheinlich aus einem ähnlichen Reisefieber, als ich habe. Ich habe meine Tarantelle fertig im Kopf, und sehr gut. - Lyon hat mir sehr gefallen, das Wetter war unvergleichlich; das Concert - - - so so, etwas komisch, auf einem miserablen Erard, der auf einer Dilettantenbühne aufgestellt war. Die Leute sollen sehr "verblüfft" gewesen sein; sie hatten so eine Art Clavierspiel nicht geträumt. Der Ton ist aber hier im Allgemeinen sehr angenehm und ernst. Die Stadt sehr lebhaft, landschaftlich wunderschön, architektonisch zum Theil sehr gut; hat übrigens eine halbe Million Einwohner (âmes). Danke Dir für Deine liebe Gesellschaft in der Schweiz. Ich war dort sehr glücklich. Auf Wiedersehen... Küsse die Kinder...

Gestern habe ich ganz Italien von West nach Ost an seiner breitesten Stelle durchfahren. Es war merkwürdig zu erwachen und plötzlich nur Italiener zu sehen und Italienisch zu hören... Venedig ist, oder scheint mir, traurig. - Die Sonne war mir, seit Du fort warst, treu; aber die Sonne in Italien hat für mich immer etwas Tragisches - sie scheint auf so viele Ruinen!...
Venezia 14. Marzo 03

Italien ging wie ein Cinematograph vorüber, aber dafür sind wir gestern von Venezia nach Fiume 11 Stunden (!) gereist; eine Strecke, die ein deutscher Schnellzug in 3-4 Stunden macht. Todmüde um i Uhr Nachts angekommen, fand ich ein mittelmäßig, "etwas gestirnken habendes" Hotelzimmer. Meine einzige Freude ist wieder der alte Bartusch, den ich Bart-busch nenne. Und morgen muß ich schon um 1/26 Uhr früh nach Triest, wo ich Abends ein schweres Programm habe. Es ist nicht angenehm.
Fiume ist ganz gcnau ein kleines Triest; es verhält sich zu diesem wie ein Steinbaukasten für i Mark zu einem Steinbaukasten für 2 Mk. 50. Eine so ähnliche Ähnlichkeit habe ich bis jetzt noch nie getroffen. Hafen mit Mob, Corso und hinter dem Rathhaus die alte und arme Stadt den Berg hinauf mit einigen römischen Resten. Derselbe Steinbaukasten, nur eine kleinere Schachtel und weniger Steine.
Heute, Sonntag, Militärmusik auf dem Hauptplatz. Viel Hutabnehmen seitens der Herren und gemacht-vornehmes Nicken seitens der Frauen. Hübsche "Sartorelle" elegant und ohne Hut. - Aber die Sprachverwirrur übertrifft die von Triest. Man spricht hier deren vier und keine einzige rein. Italienisch, deutsch, ungarisch, slavisch. Kleine Dampfer führen nach Nachbarorten. Sie sind zur Abfahrt bereit. Elegante Provinzdamen gehen mit ängstlichem Lächeln über die provisorischen Brücken hinunter, beladene Bauernweiber und "ausfliegende" Bürgerfamilien. Die Sonne scheint starr und streng, beinahe drohend. - Abbazia, das künstliche Nizza, ist sehr nahe, eine viertel Stunde. Man erwartet von dort Concertbesucher. Das ist wenigstens ein weltstädtisches Publikum.
Auf der Reise Venedig-Fiume hatte ich einen sympathischen Gefährten, einen alten ungarischen Maler; Studiengenossen von Böcklin, Lenbach, Leibl, Defregger.
Ein echter ritterlicher alter Ungar, halb Aristocrat, halb Künstler, mit ausgezeichnetem Urtheil über seine Kunst...
Fiume, den 15. Mz. 03


[München, 31. März 1903]
Das Concert ging gestern sehr gut. Weingartner war sehr angenehm...
Es regnet entsetzlich. Es ist kalt. - Um 8 Uhr geht mein Zug nach Straßburg. - Vielleicht entschließest Du Dich doch hinzu fahren!
Morgen werde ich 37 Jahre! Davon habe ich 14. Schön mit Dir verlebt...


[Straßburg, 2. April 1903]
Es war wirklich unendlich aufmerksam und lieb, die Art, wie Du zu meinem Geburtstag an mich gedacht hast.
Ich danke Dir so, und möchte, daß Du wüßtest, wie ich jeden Augenblick seit gestern Dir in Gedanken dafür dankte...

Nach Alt-Aussee
[Berlin, 12. Juli 1903]

Ich vermisse Dich hier und habe mich gleich der Arbeit gewidmet. Vom Bahnhof ging ich nach Hause und richtete mich sofort mystisch-comfortabel im kleinen Zimmer ein, wo die große Skizze des Concertes täglich weiter geht. Täglich auch wird daran vervollkommnet, so daß ich hoffe, ein menschlich-möglich vollkommenes Werk zu geben...


Nach Alt-Aussee
[Berlin 15. Juli 1903]

Morgen werde ich, nach schwerem Entschlusse, nach England fahren. Seit drei Tagen habe ich Reise-fieber und alles Denken stockt. Das Concert ist jetzt "bis auf den Tipfel" zu meiner vollen Zufriedenheit abgerundet. Es gab noch einiges Nachträgliche zu thun...


Nach Alt-Aussee
[Berlin,] 16. Juli 03

Du mußt verzeihen, was ich heute that, - ich habe die beiden London-Spielereien am 17. und 21. abgesagt. Das klingt hier kurz und trocken, hat mir aber viele schlimme Tage gekostet es dahin zu bringen.
Ich habe nie eine solche Form von Nervosität in mir beobachtet, wie diesmal. Die Unterbrechung meiner Concert-Niederschrift beschäftigte mich am meisten. Ich hatte das Gefühl, ich würde sie, einmal unterbrochen, nie wieder jemals vollenden; (und kein Mensch könnte sich in dem Bleistift-Entwurf zurechtfinden.) Dann, daß ich durch die Zerstreuung, alle wichtigen, nicht aufgeschriebenen Details vergessen würde Schließlich rechnete ich aus, daß ich wirklich risire, mit dem Concert nicht fertig zu werden wenn ich die Arbeit der Skizze erst Ende Juli wieder aufnehme.
Ich habe ja durch die Aufregung dieser Tage (und übrigens auch durch das wieder aufgenommene Clavier-üben) 4 Tage verloren...
Wenn das Concert klar und fest vor mir da liegt, dann erlaube ich mir eine kleine Reise...
Bitte, liebe Gerda, schreibe ob Du einverstanden bist und nicht böse. Ich fühle mich sonst so befreit und glücklich - warte nur noch auf Deine Worte, um ganz froh zu sein.
Vielleicht kleines Telegramm gefällig? Wäre sehr behurrahet...


Nach Alt-Aussee
Wie gut und lieb Dein Telegramm, wie dankbar bin ich Dir dafür! Ich schreibe nur um Dir das von ganzem Herzen zu sagen!
Seit meinem Entschluß nicht zu reisen, habe ich großartig gearbeitet, in drei Ca gen den ersten Satz ausführlich geschrieben!
Ich nehme mir vor, durch Arbeit meinen kleinen Leichtsinn zu decken... Auch das Clavier wird täglich betrieben. Morgen fange ich an, an meinen Orchester-Concerten zu schaffen...
Berlin, wo wir sin, am 19. Juli 1903


Nach Alt-Aussee
[Berlin, 23. Juli 1903]

Die Arbeit schreitet ungeheuer regelmäßig fort, ‘à la Zola’. Ich genieße außerordentlich. Deine Briefe, wenn sie morgens kommen, belichten mir den ganzen Tag. Ich bin ruhig-heiter und seit langer Zeit ein wenig innerlich zufrieden.
Die Reise nach England werde ich am 25. August antreten müssen...
Die Nachmittage für "höheres Clavierspiel" habe ich aufgegeben...
Hansomes-Droschken sind in Berlin eingeführt, etwas breiter und niederer als die Londoner, - machen sich ausgezeichnet...
Der große Whistler ist todt...


Nach Alt-Aussee
[Berlin, 25. Juli 1903]

Ich bin in guter Stimmung aber etwas müde, da ich eben den 2ten Satz fertig geschrieben habe. Zwei Sätze (über 50 Seiten) in io Tagen, das ist anständig.
Clavier spiele ich täglich. Auch die Programm-Arbeit für die Orchester-Abende hat begonnen. Die Briefe der Componisten fangen an einzulaufen, vielmehr einzuströmen...
Verzeihe, wenn ich kurz bin (nicht gleichgültig), aber mein Kopf ist wie eine Tonne mit Diogenes drinnen, ohne Laterne...


Nach Alt-Aussee
Ich stecke tief in Arbeit, die Ausarbeitung des Adagio geht glatt - aber die Tarantelle wird mir noch manche Nuß zu "genacken" geben...
Was ich über Lello höre freut mich allerväterlichst was treibt aber der Haupterbe?...
Ich füge Dir hier noch ein Bild Rampolla's bei, des päpstlichen Bismarck; ein böses, großes, unvergeßliches Gesicht...
[Berlin,] 29. VII. 03


Nach Alt-Aussee
[Berlin, 3. August 1903]

Am meisten steht noch stets das "Concerto" in meinen Gedanken, welches beim ausgeführten Niederschreiben immer noch vollkommener und fester wird.
An der Tarantelle nahm ich zwei kleine Operationen vor, die sie noch blühender machen...
Die große Skizze geht zwar etwas langsamer als vorher, aber so daß ich fließend die Partitur werde danach anfertigen können.
Das Wetter hier ist kalt und regnerisch, wie im November. Ich sehne mich nach Sonne, wie nach etwas Unerreichbarem...


Nach Alt-Aussee
[…] Heute hoffe ich den dritten Satz der mir sehr wichtig war - zu Ende zu machen. Ich habe aber vorausgegriffen und an der Tarantelle die befürchteten Nüsse glücklich gegenackt. (Ohne Nußknacker mit eigenen Zähnen; nichts caput, außer den Nüssen.)
So scheint Alles zu gelingen und Du wirst Freude
haben...
[Berlin,] 6. Aug. 03


Als am Mittwoch Abends und spät Nachts noch kein Telegramm von Dir kam, war ich ernstlich besorgt. Am folgenden Morgen las ich eifrig die Zeitung, ob sie von Stürmen, Verspätungen und sonst was in Schweden meldete; da ich nichts fand, wurde ich ruhiger und endlich Nachmittag erschien das Telegramm...
Ich arbeite fleißig. Die Instrumentation hat begonnen und soll auch als solche des Werkes würdig werden. Ich übe sehr fleißig Clavier und correspondire.
Ich wünsche so herzlich, daß Du Dich wohl fühlst und Dir und den Deinen Freude bereitest.
Heute bin ich ganz in Gedanken bei Euch, hoffe für Euch einen schönen Tag.


Nach Stockholm
Leider konnte ich für Pappus [Busonis Schwiegervater Carl Sjöstrand feierte seinen 75. Geburtstag] nichts anderes als ein Telegramm zusammenbringen; er wird fühlen, wie herzlich es war... Berlin 11. S. 03


Nach Stockholm
Welche große Freude bereitete mir Dein lieber Brief heute; ich habe mich mit Euch glücklich gefühlt und machte das Wiedersehen im Gefühl ganz mit.
Und Dein schöner Traum! Das ist ja fast Flaubert's St. Antoine. Den Brief bewahre ich mir auf, denn er ist nicht gewöhnlich und gar nicht "elend" wie Du meinst.
Ja, ich glaube an das "Concert", das in der Partitur erst die vollkommene Gestalt, zu meiner eigenen Überraschung fast!, gewinnt. Das wird klingen...
[Berlin,] 12. S. 03

Wie das Leben einem entschlüpft! Die Tage sind wie Aale; man packt sie am Kopf und sie glitschen der Hand beim Schwanze heraus, gerade als man sie fest zu halten meinte...
Ich habe doch das St. Saëns-Concert gespielt; - da S. Saëns in den nächsten Tagen hier sein wird, so wünschte ich nicht daß ihm was Dummes zu Ohren kommen sollte..
Der Erfolg war hier stärker als anderswo (von diesem Stück) - man bringt eben dem Französischen alles möglich entgegen...
[Straßburg,] Donnerstag [21. Oktober 1903]


(Chester,) 1/27 Abends, am 9. Nov. 1903
Eben im alten Chester, Käsestadt, dem englischen Parma, angekommen. Habe noch eine Stunde bis zu dem gemüthlichen Hemd- und Frackanziehen und benutze sie (Thee ist bestellt) um Dich ein bischen von mir wissen zu lassen.
Die Überfahrt war sehr gut, von Seekrankheit kein Zeichen, alles klappte und ich schlief ganz erträglich auf einer Art Zuchthausbett (nach der Härte zu urtheilen) einem Bett für Sünder und gegen Sünden...
Draber fand ich im Café Royal. Er will an Mahler, mit dem er behauptet in freundschaftlicher Correspondenz zu stehen, durchaus wegen seiner 5. Symphonie für meinen Orchester-Abend schreiben. Das wäre ja sehr schön.
Mahler könnte dann auch die beiden Liszt-Clavierstücke dirigiren...


(London,) 53. Nov. 03
Mahler hat sofort zugesagt ohne Honorar zu kommen, aber es wird doch schwer, wegen des Programmes sich zu einigen. Die 5. Symphonie ist noch nöt firti und die dritte, die er machen möchte, fordert Frauen- und Knaben-Chor, Altsolo und die Passagiere von Noah's Arche. Da ich weder Alt-, Tenor- und Baß-Nilpferde, noch chromatische Schlangen, noch Pedal-Paradiesvögel zur Verfügung habe - - - -!
Doch - on verra et peut-être on entendra...
Daß ich erfuhr, ich hätte am 17. hier im Richter-Concert spielen können, anstatt nach Irland fahren, segeln und schwanken zu müssen, hat mich verdrossen...
Die Kritik in Berlin stellt sich eigentlich sehr auf meine Seite diesmal. Gute neue Sachen werden ja nie sofort anerkannt, wohl aber diesmal mein Prinzip.


(London,) 19. Nov. 1903
Es war ein artiges "tour de force", von dem ich noch die Glieder und die Nerven spüre. Nach zwei Nachtfahrten nach und von Irland hier am Morgen angekommen, empfing mich Schulz [-Curtius] mit der Frage, ob ich für den erkrankten Heß am selben Abend im Richter-Concert spielen wollte. Ein Brahms-Abend war festgesetzt und keine andere Wahl als die des Dmoll-Concertes möglich. So setzte ich mich gleich auf drei Stunden hin, um das Ding wieder in's Gedächtnis und die Finger zu kriegen. Nachmittag war Probe mit dem Manchester Orchester. Abends ging es dann glänzend und mit großem Erfolg. Diese Leistung war physisch und geistig eine meiner anstrengendsten und wurde - auch von Richter - hochgeschätzt.
Trotzdem ich eigentlich ziemlich fertig war, mußte ich doch tags drauf nach Cambridge, wo Recital war. Auch da spielte ich noch sehr gut und frisch aber heute bin ich an der Grenze.
Ich bat Marga, nach Cambridge (1 Stunde Fahrt) mitzukommen und nach dem Concert lud uns Mr. Dent, dieser Engländer, der so gut italienisch sprach, in sein kleines, sehr geschmackvolles Junggesellenheim (im Universiätsgebäude) auf ein kleines Souper ein... Liebe Gerda, hoffentlich fühlst Du ein wenig meine Anstrengung mit. Ich selbst bin ja froh, daß ich das zustande brachte. Mr. Dent war rührend in seinem freudigen Eifer zu bewirthen und seiner naiven, angenehmen Befangenheit...
Sonnabend Nachmittag ist Recital hier (Chopin). Dienstag Liverpool, Donnerstag fängt Schottland, mit Dundy, an. An Mahler schrieb ich ausführlich und hoffe, morgen Antwort [zu haben].
Außer dem Richter-Concert habe ich hier noch eingentlich keine künstlerische Freude gehabt; Chester, Crystal-Palace, Dublin, waren fast entmuthigend. Das vornehme Universitätspublikum von Cambridge, mit den leicht begeisterten Studenten auf dem Podium animirte mich schon mehr und - wie ich sagte - das wirkte auf das Spiel bedeutsam und schnitt für 1 1/2 Stunden die Müdigkeit ab…


8. D. 03. Paris
Die Überfahrt bei Tag war so entsetzlich, daß ich noch heute ernstlich krank bin. Als ich in Dover ankam, sah ich ein Bild zum Erschrecken. Das Meer war ganz schmutzig und ungeheuer stürmisch, ekelhaft. Das Schiff schwankte schon im Hafen unheimlich. Man hatte das Gefühl, daß man sich geradewegs in den Schlund eines bösen Monstrums begäbe.
Ich bedachte mich noch schnell, die Reise wieder aufzuschieben, denn es sah aus, als ob man dem Tode oder wenigstens einer gespenstigen Ungewißheit entgegenginge.
Allein England ist leider eine Insel und einmal mußte ich diesen Weg gehen, um es zu verlassen; Zeit zum Abwarten von schönem Wetter hatte ich nicht; also ein Entschluß: ich war auf diesem schauderhaften Schiff, und die Brücke wurde hinter mir weggezogen. Wir brauchten 2 1/2 Stunden und ich war von Anfang bis Ende und noch drei Stunden nachher gefährlich krank, habe entsetzlich gelitten. Nach Corsica [Es war ein steter Wunsch Busonis, Corsica zu besuchen] gehe ich nun sicher nicht, ich kann das nicht wieder riskiren!
Ich ging Abends um etwas Luft zu schöpfen zum Boulevard und begegnete gleich bei der ersten Ecke den beiden Deliussen. Sie grüßen Dich sehr... Entschuldige, ich glaube ich bin nicht klar im Kopfe und schreibe durcheinander. Was aus dem Clavierspiel heute werden soll weiß Niemand...


9. Dec. 1903. Paris
Wie ich schon telegraphirte, hatte ich gestern Abends einen unerwartet großen Erfolg. "Depuis Rubinstein on n'a pas entendu un pianiste pareil" das war der allgemeine Sprach. - Ich war und bin darüber sehr glücklich. Bis drei Uhr Mittags war ich noch seekrank und auf dem Sprunge abzusagen, dann raffte ich meine Energie zusammen und übte drei Stunden lang.
Abends war ich frisch und spielte gut; das Clavier war erbärmlich, er-bärm-lich und es kostete mich eine große Kunst es ein wenig in meinem Styl klingen zu lassen...

1904

Ich schreibe Dir noch auf dem Wege nach Boston, damit Du gleich bei Deiner Ankunft den Faden wieder in die Hand bekommst, der leider während zehn ganzer Tage (und mehr vielleicht!) abgeschnitten scheint.
Der Abschied von Dir war mir schwerer als ich zeigte und nie werde ich die Stimmung vergessen, die mich überfiel, als ich durch die Häßlichkeiten von Hoboken watete, um zu der ewigen Ferry [1] zu gelangen. Es war wie ein Rückfall in eine Krankheit, die man für überwunden hielt; denn auf “Moltke” fühlte ich fast schon “europäisch” und meine Laune fing die guten, alten Sprünge wieder an.
Auch quälte es mich, daß Du doch noch nicht abgereist warst - und daß ich nichts Genaues darüber wußte.
Ich bat Clark mir sofort zu schreiben, zu welcher Zeit der Dampfer fuhr.
Wir hatten knapp Zeit zu packen und etwas zu frühstücken; bei Beidem “half” mir Mr Clark mit gleichem Vergnügen und Schweigsamkeit. Nur einmal brach er in eine kurze aber begeisterte Hymne auf Dich aus: “wenn er heiratete, so müßte es eine Frau wie Du sein” (es gibt aber keine zwei davon).
Im Zuge fiel ich sofort in tiefen Schlaf, der drei Stunden dauerte. Dann bestellte ich Thee, nun rauche ich und schreibe und erwarte in einer Stunde Boston zu erreichen.
Ich muß Dich um Verzeihung bitten, daß ich Dir hier einige traurige Momente bereitete; aber ich konnte nichts dagegen thun und habe noch mit Schwierigkeit die Hälfte meiner bitteren Stimmung unterdrückt.
Du warst immer so gut, und ich danke Dir...
[Auf der Fahrt von New York nach Boston] 3. März 1904

[1] Fähre.


[Boston,] 4. März 04
...Gestern führte ich den ganzen Tag das ideale amerikanische Leben und wartete bis spät Abends auf “ferries”, “cars”, “trains” etc. Schließlich war ich ganz mürbe.
Frau Gardner holte mich von der Vormittag-Probe ab und führte mich zu ihrem Haus, das unbeschreiblich schön, werth- und geschmackvoll ist. Es enthält einen idealen Concertsaal. Alles Schöne was ich dort sah erhob mich sehr; venetianische Gothik, Titian, Velasquez, eine wundervolle Bronzebüste von Benvenuto [Cellini] sprachen zu mir eine hier nicht gehörte Sprache. Die Sonne dringt in jedes Zimmer des Hauses; der große Hof ist gewärmt und so ahnte man Italien; es war eigentlich Italien selbst.
Das Programm das ich sende enthält meine ganze Bostoner Geschichte. Auch die des “Todtentanzes” [von Liszt] (der 1839 concipirt und erst 1864 aufgeführt wurde. Du siehst: das Gute reift langsam.)...


[Boston,] den 5. M[ärz] 04
Gestern war ein überfüllter Tag - morgens: Probe, dann: Mrs. Gardner, dann Frühstück im Botolph-Club, - öffentliche Probe, einige Briefe geschrieben und Besuche empfangen, endlich Abends bei Gericke, bis Mitternacht...
Mrs. Gardner hatte über 500.000 Dollars Zoll gezahlt unter Bedingung, daß sie ihr Haus der Stadt schenkt!
Als das in Ordnung war fand man, daß sie nicht das Recht hätte in dem geschenkten Haus zu wohnen!
Da sie aber wohnen blieb, so zwang man sie binnen 3 Tagen noch 200.000 Dollars nachzuzahlen.
Die Frau ist jetzt beinahe arm. Was sie da gesammelt hat, repräsentiert eine enorme Summe (von den vielen seltensten Büchern, die dort ganz verschwinden!, kostet allein eine alte Dante-Ausgabe 2500 $). Sie hat einen der schönsten Tizians, die ich sah: der Raub der Europa.
Alle Säulen, Bogen, Thüren, Fenster sind echt; römisch, romanisch und venetianisch. -
Liebe Gerda, ich schreibe Dir heute zum dritten Mal; habe ich doch die Gewohnheit und das Bedürfniß, Dir alles mitzutheilen, was ich sehe und erlebe...
(Heute geht’s nach Chicago - oh!)


[Auf der Fahrt von New-York nach Chicago] 6. März [1904]
Es war sehr schön das gestrige Concert, großer Erfolg, zwei Lorbeerkränze, habe mein bestes gethan.
Aber sie verstehen es nicht - außer Löffler, Stasny, Grünberg und Gericke, ist es für die Übrigen fast umsonst.
So spricht Hale nur von technical wonders, während ich den Totentanz aus losen Steinen aufgebaut habe.
Der “Wüstensatz” im Saint-Saëns war nur Klang und Poesie (alles gelang gestern besonders) und da spricht er noch von Technik und nichts weiter! -
Künstler sind nun einmal nur für Künstler da - Publikum, Kritik, Schulen und Lehrer ist alles dummes und schädliches Geplunder...
Löffler schenkte mir das schöne Buch von Whistler [1] (eine Rarität).
Frau Gardner war bei beiden Proben und im Concert; ich glaube an ihr eine gute Freundin zu haben. So gestaltete sich der Abend zu einer schönen Feier. Alle bedauerten Deine Abwesenheit...
Das Concert von Strauß in N. Y. soll traurig gewesen sein. Der Saal fast leer und der Don Quixote ging so mangelhaft, daß er mitten unterbrechen und von Neuem beginnen mußte...

[1] The gentle art of making enemies.


[Detroit,] 8. Mz 04
...Wenn es hier eine Buchhandlung giebt, so ist sie irgendwo aus Scham versteckt.
Nun bin ich gestern 28 Stunden (mit der beliebten Verspätung, diesmal von nur 2 Stunden) Boston-Chicago gereist, um 2 Uhr Nachmittags angekommen, um 8 Uhr abends gespielt (ohne Probe, ging gut) und um Mitternacht nach Detroit gefahren... In Chicago werde ich nur eine relative Ruhe haben; ich muß spielen, üben, Mephisto-Walzer fertig machen und die Einladungen regnen nur so und mit solcher Zudringlichkeit...
Auf der Reise leistete mir Whistler trefflich Gesellschaft. Wie viel Unrecht ist Dem gethan worden und auf welche grobe Weise! - Und wie richtig er als Künstler fühlte!
Ich denke jeden Moment, wie es auf dem Dampfer sein mag - hoffentlich nicht zu schlimm - und ich habe es kaum besser...


8. Mz.
...Ich falle um vor Müdigkeit, thatsächlich, und muß mich bald für das Concert anziehen!
Ich schrieb Dir jeden Tag, mit dem Tage Deiner Fahrt angefangen; auch heute ging schon ein Brief ab. Ich sende Dir in Gedanken einen innigen Gruß.
Wahrscheinlich denkst Du auch an mich. Du siehst, die drahtlose Telegraphie hat nicht Marconi erfunden. -


[12.] März. - Chicago, 1904
Jetzt - Sonnabend den 12. - mußt Du bald “Land sehen”!
Ich wünsche täglich und stündlich, daß Du so leicht als möglich diese Reise überstehest. - Ob ich morgen schon Telegramm habe? -
Als ich gestern Abend, vor dem Zubettegehen meinen Band Molière zuklappte, dachte ich mir: Ich müßte Molière eigentlich dankbar sein, er hatte mir über eine Stunde hinweggeholfen. Aber kaum hatte ich’s gedacht, daß ich mich schämte und ärgerte.
Wie?, betrachte ich mein Leben als so wenig werth, daß ich möglichst schnell und unbemerkt über eine Stunde hinwegkommen will? Ist das nicht das verrückteste Gegentheil von dem was ich wünsche?
Eine Stunde! Jede Minute davon kann eine besondere Freude enthalten - und die Stunden meines achtunddreißigsten Jahres sind - wörtlich genommen - gezählt; ich weiß, sie kommen nie wieder, und da danke ich noch diesem alten französischen Possenreißer, daß er mir eine davon gestohlen hat!
Aber mein Traum, heute Nacht! Ich war in einer alten Stadt (N. B., die ich schon 2-3 mal vom Traume kenne, aber nie in Wirklichkeit gesehen habe) und mußte von der Spitze eines gothischen Thurmes, eine äußere Wendeltreppe hinuntersteigen. Ich stieg durch ein Fenster in’s Innere und kam gerade in eine Kapelle wo Gottesdienst abgehalten wurde (ich glaube “katholischerweise”). Da - ein Zeichen des Priesters - und drei Männer, drei Dämonen, brachten halb durch die Luft und blitzschnell ein Clavier herein - und das war “le piano du Diable”. (Ich weiß, daß ich es französisch dachte.) Nun mußte ich spielen, und zwar, zu der Kirchenceremonie, das gottloseste Zeug, dessen ich mich erinnern konnte. Ich weiß, daß ich unter anderem das Kaspar-Lied aus Freischütz und die Mephistofeles-Serenade von Berlioz spielte. Wurden die Passagen schwer, dann spielte das Ding von selbst!
Blitzschnell wurde es wieder weggetragen - ich rief noch: Halt, ich muß noch etwas Religiöses spielen, aber zu spät.
Es ist wohl die Schuld des Mephistowalzers, an dem ich fleißig schreibe, und der meisterhaft wird.
Am Bostoner Symphonie-Abend bekam ich zwei Partituren in die Hände: den Elias von Mendelssohn und “l’Enfance du Christ” von Berlioz. Das letztere, weniger berühmte, enthält Momente, wo ich (alter Routinier) das Maul aufsperrte, und fast nicht wieder zu kriegte.
Und gestern war ich in Mr. S’s “Classe”. Das schöne Bild (es wird nicht älter und nicht jünger) vom Helsingforser Conservatorium “entrollte” sich wieder vor meinen Augen. Ein Junge und zwei Gänse spielten - der Meister hielt kleine verlegne, halb-humoristische Redchen und setzte sich schließlich selbst an den Flügel. Der arme Kerl, er konnte Nichts. Aber die Gänse schnatterten entzückt, der Meister machte ein paar selbstironische Bemerkungen, neues Entzücken, oh! oh!, - mir aber klagte er, er wäre nicht in Übung, worauf ich sagte: ich hätte Nichts bemerkt. - Vorgestern Abend bei Consul Graf Roswadowsky. Ausgezeichnete Menschen, beide von der nobelsten Einfachheit - wunderbares italienisches Essen. Mit Ganz: les Preludes und Mazeppa auf 2 Clavieren gespielt...
Ich habe schon eine Cabine auf “Blücher”. Frohes, frohestes Wiedersehen...


[Chicago, 13. März 1904]
Es ist vor dem Concert, 1 Uhr Mittags, Sonntag den 13. (2. Recital). - Gestern Abends las ich fleißig spanisch: ich mache merkbare Fortschritte, lese beinahe fließend...
Ich bin heute aufgeregt in Erwartung des Telegramms. Es ist der 11. Tag, seit Du gefahren bist! Hier weht es dämonisch, und es ist wieder kalt. -
Den Mephisto-Walzer habe ich Über die Hälfte. -
Ich denke auch schon fleißig wieder an das “Concert” und fühle mich überhaupt geistig sehr frisch. Diese drei Tage Ruhe haben magisch gewirkt.
(Commentar: Ich merke, daß ich die Worte “dämonisch”, “Mephisto”, “magisch” hintereinander gebraucht habe. Das kommt davon, daß man im Lande der Romantik lebt! -)
Mein Fenster geht auf den See und seit gestern ist das Wetter klar. Diese monotone graue Eis- -und Wasserküste läßt an den hohen Norden denken. Es sind im ganzen 2-3 horizontale Linien, in die nur der Sonnenreflex einigen Reiz bringt.
O Land der Gefangenschaft alles Lebendigen! Alles Poesievollen, Historischen, Künstlerischen und Menschlichen!
O Land, wo das Mittel zum Zweck wird. Die Eisenbahn, die Menschen befördern sollte zu schönen Endzielen; das Gold, das sie bereichern sollte zum Genusse; die Industrie, die ihnen Bequemlichkeiten und Lebensschmuck verschaffen sollte: sie sind selbst die Beherrscher ihrer Schöpfer geworden. Man erweitert die Bahnen, man gewinnt Gold, man producirt, damit es geschehe, damit ein Anderer es nicht zuvor thue! Traurig, traurig. Und häßlich!
[Am Rande der beiden vorstehenden Absätze:] (Hier hat der Leser den Ton zu ändern, und aus dem objec-tiven Bericht in klagendes Pathos Überzugehen. Volksredner-Charakter.)
Merkst Du, liebe Gerda, dieses Gemisch von Schwermuth und Ironie, Ernst und Lebensheiterkeit, das mich jetzt “hat”? - “Sollte es der Frühling sein?” (Im Tone von Kainz, als er sprach: Sagte er nicht, die Liebe? - “Johannes” von Sudermann, 2ter Act, letzte Scene.) - Nun muß ich mich ankleiden...
Ob ich, nach dem Concert, das Telegramm finde? Es ist wohl noch zu früh.

(4 Stunden später.)
Nun ist das Concert gewesen - ausverkauftes Haus, 300 Leute mußten zurückgeschickt werden. Ich habe beide Male hier mein Allerbestes gethan...
Liebe Gerda. - Liebe Jungens. -


[Chicago,] 15.Mz. [1904]
...Ich war gestern Abends in der Walküre ...
Aber welche Enttäuschung war es mir dieses Werk nach vielen Jahren wieder zu hören. Wie arm und leer schien es mir (es gibt nur vier Motive im ganzen Stück und drei wirksame Actschlüsse) und wie billig. Möglich, daß ich unter diesem entmuthigendem Eindruck Übertreibe, aber das “Altern” scheint mir doch hier mit unheimlichen Schritten zu eilen.
Wenn ich an den 115 Jahre alten Don Juan denke, so ist das doch kein Verhältnis. Die Vorstellung war schwach, trotzdem Namen wie Burgstaller, van Rooy und Ternina mitwirkten. Aber wie selten ist ein Künstler das, was er ist, zu einer gegebenen Stunde; und sie waren diesmal alle müde und verschnupft. Resultat: Katzenjammer vom “Theater”, wie gewöhnlich. Mottl, der dirigirte und Alles zusammenhielt (ich habe ihn dies-mal sehr bewundert), warnte mich ernstlich, hinzukommen. Er hatte aber Recht...


(Cincinnati,) Den 17. Mz. [1904]
Eccomi a Cincinnati! Vorletztes Concert Übermorgen. -
In Chicago hatte ich viele Genugthuung - man hat mich voll anerkannt. Die beiden Roswadowskys sind charmant; - er ist nicht tief noch geistreich; aber an Güte, Noblesse und Einfachheit ein echter Edelmann...


[Cincinnati,] am 18. Mz. [1904]
...Was ist Cincinnati für eine Weltstadt, gegen Indianapolis!
Aber wie anders sehe ich jetzt alles, als vor 10 Jahren. Wie langsam lernt man “sehen”. Wie wenige lernen es ganz. -
Man sagte mir in Indianapolis, daß sich dort häufig Neger mit Indianerinnen vermischen und das soll einen Typus geben, wie der leibhaftige Satan. -
Ich habe mich dadurch übermüdet, daß ich am letzten Tag in Chicago vor Ganz und Schiller die Norma, Sonnambula, Variationen von Rubinstein und 2 mal den Mephisto-Walzer spielte; das war an demselben Tage, wo ich 6 Stunden an der Bearbeitung geschrieben hatte.
Nun, es geschieht mir recht.
Denke, daß ich nur mehr Tage hier habe!!!!!!
Auf baldiges, frohestes Wiedersehen...
Tschi-pu-li-ki!! (bedeutet auf japanisch: Dein Dich sehr liebender) Ferromann.


(Rochester,) 21. Mz. 1904
Trotzdem heute das letzte Concert hier sein soll, fühle ich mich ganz “unkannibalisch unwohl”. Was soll man in einem solchen barbarischen Nest thun, selbst denken? Am unterhaltendsten sind noch die Hotels. So ein “Auditorium” hatte doch allerlei; Theater, Concert, Restaurant mit eleganten Frauen, Bars, Zeitungen, Zigarren...
Der Hauptunterschied zwischen Engländern und Amerikanern scheint mir zu sein: daß die ersten immer schweigen, die andern immer schwatzen. Man kann es am deutlichsten auf der Eisenbahn beobachten.
Heute bekam ich wieder ein Magazin in die Hand, mit Portraits hervorragender Engländer aus den 40er Jahren. Was das für andere “Visaschen” sind!...
Sehr gut sagte in demselben Magazin ein gewisser Huneker [in einem Aufsatz] über Richard Strauß - daß Wagner selbst abgeschlossen hat, Liszt aber dem Fortschritt “die Fackel hielt”. Sehr gut, daß Wagners Bedeutung in seiner Musik und nicht in seinen Reformen besteht. -
Und sehr gut sagt Whistler, daß der Künstler zu wählen hat: daß die Natur Alles enthält, und nur die Wahl des Künstlers ein Bild daraus machen kann; sowie die Claviatur alle Töne enthält, und nur ihre Zusammenstellung Musik bedeutet.
Heute schreibe ich das Wort Finis unter America. Mit wieviel höherer Freude werde ich dieses Wort unter mein “Concerto” setzen! - Aladdin, Ahasver und der II. Theil des Wohltemperierten Claviers sind meine Pläne.
Unnöthig zu sagen, wie ich mich auf Alles zu Hause freue. Traurig, daß ich nichts von Dir höre, während Du bis zu meiner Ankunft Nachrichten haben wirst. -...


Nicht ganz Tagebuch und nicht ganz Nachtbuch

Aufzeichnungen an Bord des “Blücher” während der Überfahrt von New-York nach Cuxhaven:
24. März bis 3. April 1904- - Ferruccio Busoni


Sonntag 27. Mz. 1904
Während das Wetter mehr oder weniger ungünstig war, so lange ich in Amerika blieb, erwachte ich am Morgen der Abfahrt, den glänzendsten Tag vor Augen. Alles war Sonne, Glanz, die Luft lau und doch prickelnd, die Stadt erschien wie erneut. Dieses und der Gedanke an die Abreise versetzten mich in eine jener unendlich seltenen, fast unrealen Seelenstimmungen, wodurch jede Einzelheit erfreulich oder interessant wird. Vieles sieht man, wie zum ersten Mal im Leben, und das verleiht ein täuschendes Gefühl von Jugend. Mein Wagen fuhr durch ein stilles und vornehmes Quartier von Hoboken, das mir so sehr gefiel, daß ich einen Augenblick fast die Lust hier zu verbleiben fühlte. An Bord ein reges Leben, Abschiedsscenen, wehmütiger und fröhlicher Art - doch beide übergossen von dieser alles erheiternden Sonne; so daß die ganze Scene das Gepräge von etwas Festlichem erhielt.
Als der Dampfer sich in Bewegung setzte, die Capelle ein altes gemüthvolles deutsches Lied spielte, und unten hunderte Menschen, hart aneinander, und alle mit Taschentüchern winkend, scheinbar von uns zurückwichen; wir aber an den höchsten Gebäuden New-Yorks, an der Freiheitsstatue, an imposanten Dampfern ruhig vorbeifuhren - Alles das immer in diesem Sonnenkreis eingewickelt und von ihm verklärt - da weinte ich, von einem melancholischen Glück überfallen; eigentlich erhoben, und doch so sehr gewahr alles menschlich Schwachen, der kleinen Zusammengehörigkeit, der Zaghaftigkeit der Meisten gegenüber einem größeren Entschluß und einer weiteren Entfernung; selbst ergriffen von dem Gefühl, einer Periode meines Lebens, einem großen Lande, einer Welt für sich vielleicht zu unfeierlich, ohne die angemessene Bedeutung, den Rücken zu kehren; erregt durch die Aussicht auf die längst ersehnte, nun greifbar nahende Gelegenheit, Alles was mir lieb ist, wieder zu treffen; durch die Verantwortung neuer, auf mich wartender, mir selbst und durch die Umstände auferlegter Pflichten; die in nächsten Tagen eintretende Vollendung eines Lebensjahres und eine unwillkührliche Neigung, zwischen Gethanem und zu Thuendem, die Balance zu ziehen.
Das ist in mir eine Quelle ewiger Unruhe, daß das zu Thuende mich lebhafter beschäftigt als das Gethane, selbst wenn letzteres das Schwierigere von den beiden gewesen sein sollte.
Diesmal war ich ja mit dem Erledigten zufrieden und ich habe wohl in diesem Jahre zwei Drittel des mir Vorgenommenen erfüllt (ein seltener Procentsatz); - und doch zittere ich mehr vor dem Drittel, das mir zu thun bleibt, als ich über die zwei gethanen Drittel Ruhe empfinde...
Zwei Tage waren schön auf der Fahrt; sonnig und ruhig. Des Freitags Nachmittag hatte ich wohl eine halbe Stunde lang den Genug vollständiger Ruhe; ich setzte mich in den Sonnenschein und genoß diesen ungewöhnlichen Augenblick. Doch bald wieder Ungeduld - diese unerträgliche Passivität - man zählt die Viertelstunden. Und heute Sonntag, plötzlich, Nebel. Die Pfeife tönt und zählt die Viertelstunden mit. An Bord ist alles zusammengeschrumpft. - Wenn ich mich nur mit Interesse beschäftigen könnte!
Eine große Freude. Ich habe Stevenson gelesen. Er ist ein Großer; ein Erzähler, ein Denker, ein Realist, ein Phantast, Poet, Philosoph, einfach und complicirt; aber immer mit einem Meistergriff beginnend und diesen festhaltend. Er ist neu, originell und doch von dieser Art, daß er ebenso gut 300 Jahre vorher oder nachher hätte entstehen können. Er ist tief, ohne schwer zu sein; er ist ein Moralist und doch hauptsächlich ein Schriftsteller. Denn das sind die beiden Punkte: Der Künstler muß vor Allem ganz Professionist sein: dann aber weitsehender Mensch, außerhalb zeitlicher und räumlicher Augenblicksverhältnisse. - Diese sind die Bleibenden...
Ich habe die Partitur von R. Strauß’ “Sinfonia domestica” mit an Bord. Strauß ist ein entschiedenes Talent und hat reiche Gaben in sich. Vielstimmigkeit und Bewegung sind ihm ein nothwendiges Element. In diesem Stück versagt die Deutlichkeit musikalischer Illustration (ich habe es nur gelesen) - nur das Kindergeschrei ist (wenn man den Titel vorausweiß) nicht mißzuverstehen.
Das lange Werk besteht aus kleinen Sätzen. Die Sätze aus kleinen Motiven. Vieles kehrt wieder aus früheren Werken. Wie ein Familienbild, ein sehr unerfreuliches, irritirtes, aufgeregtes, ruheloses. In der Partitur sieht es aus wie in den Straßen New Yorks. Oboe d’amore, das alte Instrument, die tiefere Oboe, wirkt nur durch ihren Namen; wer aber hört den Namen, wenn es gespielt wird? Eine vollständige Klarinetten-Familie muß, durch ihre oft kammermusikalische Verwendung, ein hübsches Colorit geben. (Also eine Familie in der Familie).
Eine meisterhafte Fuge.
Ein Scherzo - ein Wiegenlied, beide nach Recept, ohne Überraschungen.
Ein paar bekannte Steigerungen, immer wieder Tristan-Reste.
Oftmaliges Abbrechen und Wieder-anfangen. Trivialität im Lyrischen und im Volksmäßigen (letzteres immer durch Polkarhythmus, wie früher im Till Eulenspiegel, in Don Quixote, in Feuersnot). Eine bewundernswürdige Leichtigkeit zu compliciren und Kleines auszubreiten. Strauß muß die beiden Hauptstimmen, dann die Hauptmittelstimme ausschreiben, und hinterher alles was noch dazwischen Platz hat hineinstopfen. Man kann das ja immer weiter, aber er hört nicht rechtzeitig auf. Er kennt nicht die Meisterschaft des Unvollendeten.
Im Ganzen ein Werk von dem man die größte Achtung, viel Amüsement, mehrere Citate (besonders technisch) erhält. - Soweit der erste Eindruck.


Montag 28.
Habe mit steigender Bewunderung Stevenson gelesen. Er wiederholt sich nicht. Ein Bazar von Ideen und Scenen! Den Schlüssel des Novellenproblems besitzt er wie Keiner.
Ich las eine spanische, eine französische, eine irische Novelle; eine psychologische, eine philosophische. Überall Colorit und Charaktere mit packender Plastik. Humor, Pathos, Ernst, Naturpoesie, Menschenbeobachtung. Und - über alledem - der Novellenstoff, der Schriftsteller. -
An Bord steht ein schöner Steinway-Flügel. Ich wage nicht ihn aufzumachen. Ich kann diese Prüderie vor der halben Öffentlichkeit nie überwinden. (Ich hätte große Lust zu spielen -wenn ich nur allein wäre!)
Die Bordgesellschaft ist überdies unsympathisch und hängt gar nicht zusammen. Jeder sieht den andern steif, fast feindlich an.
Ein amerikanischer Bildhauer Niehaus (ein Kind von 8 Jahren, aber ehrlich und Künstler) ist der Einzige, den ich sprach. -
Der Nebel ist schnell geschwunden. Das schöne Wetter hält an.


Versuch einer kritischen Analyse

In seiner Novelle “Strange case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde” hat Stevenson unternommen, einen abstrakten moralischen Begriff zu verkörpern (das Wort ist realistisch zu nehmen): er beginnt seine Arbeit mit einem jener novellistischen Meister-Griffe, die des Lesers Seele dem Autor sofort unterwerfen. Dieser läßt jenen auch durch eine lange Reihe sich immer mehr häufender Situationen und Mysterien nicht wieder zur Besinnung kommen: solches thut erst die Lösung, die den Knoten des Geheimnisses durchreißt und - weil sie eine nicht zu verkörpernde Idee als lebende Persona in Scene führt, eine so violente und groteske Form annehmen muß, daß sie das Gelingen des Ganzen, bei einem Autor von weniger Autorität und geringerem Geschick als das Stevenson’s, zum Stürzen gebracht hätte.
Die Idee, die Stevenson das Motiv zu seinem Werke gibt, und die nirgends ausgesprochen ist, ist die folgende.
Jeder Mensch besteht aus den beiden Elementen von Gutem und Bösem. Wenn aber einer versuchen wollte und es dahin bringen könnte, seine Individualität nach diesen beiden Elementen zu theilen, so würde ihm das nicht vollkommen gelingen. Der Mensch kann sich zwar vollkommen seinen schlechten Instinkten überlassen, aber seine guten Triebe nie ganz von den bösen befreien. So wird der bessere Mensch (wenn wir nun zwei getrennte verschiedene Existenzen desselben annehmen) seine angeborenen üblen Neigungen bewahren und die Sehnsucht hegen, sich diesen dann und wann zu überlassen. Dieser Extract vom Schlechten wird ein Individuum ergeben, das anfangs kleiner, schwächer und jünger sein muß, als das ganze, originale Individuum. Kleiner und schwächer, weil das Böse nur ein Theil des Ganzen ist, und jünger weil dieser Theil weniger in Thätigkeit getreten, ungebrauchter ist, als der zusammengesetzte Mensch. Aber während der zusammengesetzte Mensch den Hang hat, seine teuflische Seite auszuüben, hat der schlechte und insofern vollkommenere Theil desselben, keinen Trieb Gutes zu thun, weil er das nicht kennt.
Die Sehnsucht und die Freude des ursprünglichen Menschen an der Austobung seiner Leidenschaft wird aber stärker und öfter mit jeder neuen Probe; und der kleine schwache und jüngere zweite Mensch beginnt zu wachsen, kräftiger und älter zu werden und erlangt all-mählig die Herrschaft über den ersten; gegen dessen Absicht und zu seiner Verzweiflung, bis dieser ihm unterliegt. -
In welche Form Stevenson diese tiefe Idee kleidet, verschweige ich hier lieber, um nicht die Überraschung zu zerstören mit welcher der Autor auf den Leser zum Schlusse wirkt.
Dem Deutschen B. T. A. Hoffmann hat wohl etwas ähnliches vorgeschwebt, als er die Figur des Juweliers’ Cardillac in “Fräulein von Scuderi” entwarf; aber das Problem war ihm nicht ganz so klar geworden und er führte es nicht bis zur letzten Consequenz.
Die Phantastik des Hoffmann und die psychologische Strenge des Poe sind hier vereint; die Führung der Handlung ist romanhaft spannend und an das Sensationelle streifend. Im Ganzen einer der merkwürdigsten Typen von Novelle, denen man begegnen mag.


Dienstag, 29.
Bin heute erst um 12 Uhr aufgestanden. Das Schiff “rollt” seit gestern Nachmittag immer schlimmer. Als es anfing, war ich 5 Minuten lang seekrank, aber nicht mehr. Ich scheine auch dieses gelernt zu haben - was mir noch wichtig sein kann. Endlich kam auch eine “Pokerpartie” zu Stande! Da ich mich dabei nicht aufrege, so ist es wirklich ein guter Zeitvertreib, hier.


Mittwoch, 30.
Und nun sind wir in eine sogenannte “Dünung” hereingerathen und das Schiff schwankt, oder “rollt” entsetzlich. Ich bin nicht seekrank aber “hard at the limit” - mein Magen ist bedenklich “wählerisch” geworden. Die Nächte sind qualvoll, ich stehe jedesmal vom Bett auf, wie von einer Krankheit. Und noch immer wird erzählt: So eine Seereise ist eine Erholung.
Es stellt sich heraus, daß mich die Passagiere hier, mehr oder weniger, alle kennen.
Und natürlich werde ich mehr oder minder deutlich um “ein kleines Stück” bedrängt.
Wird man einmal Ruhe haben?
Ich freue mich auf die Vollendung meines “Concerto” wie noch nie; auf die Proben - die Aufführungen auf meine Orchester-Concerte, meine wohlverdiente Zerstreuung.
Wie viel Schönes habe ich noch im Leben.!
Diese Seereise ist das Letzte was ich vorläufig noch ertragen kann; meine Energie ist in dieser Beziehung erschöpft, meine Geduld reißt.
Ich fühle, daß meine Nerven existiren und wie Kinder, mir über den Kopf wachsen und mich bald tyrannisiren könnten. Aber weder Kinder noch Nerven sollen es jemals thun. -
Wie jung unsere (europäische) Musik noch ist, wenige hundert Jahre, und unsere Kultur zählt nach vielen Tausenden. Es muß ein Grund sein, warum Musik als Kunst sich so spät entwickelt. Vielleicht, weil sie nicht ihre Vorbilder fertig in der Natur vorfindet, wie die anderen, und der erste Impuls - zu imitiren -nicht entstehen kann.
Wir sollen uns daher nicht wundern, wenn die Ameri-kaner noch keine eigene Kunst in der Musik besitzen. Der sehr aufgeweckte Sinn für das Reale macht aus den Amerikanern vorzügliche Maler. Die Musik ist nach meinem Empfinden dem abstrakten Sinne am nächsten; worin die Amerikaner noch Kinder und Dilettanten sind. Die Musik ist am meisten der Natur verwandt, aber nicht ihren Formen, sondern ihrem Wesen. -


31. März
Heute denke ich schon: “Morgen”, nämlich die Ankunft in England. Wie schwerfällig so ein großes Schiff ist! Es erreicht Cuxhaven erst am dritten Tag darauf. - Ich war lange unschlüssig, ob ich nicht von Cherbourg über Land nach B[erlin] fahren sollte; aber alles in allem gerechnet, es ist praktischer weiter zu Wasser, - wenn nicht Nebel dazwischen kommt. - Ich bin hier mit jedem Tag müder, physisch und im Kopfe, die Reaction ist da. -


1. April
Ein ganz guter Aprilscherz, den ich in Scene setzte. Gestern Abends bei Captain’s Dinner wurde officiell beschlossen und bekannt gegeben, daß ich heute, 11 Uhr, eine Matinée geben sollte. Alle Leute, die erst um diese Zeit aufstehen, waren schon um 9 auf den Beinen, nur ich blieb im Bett liegen. Ich ließ sagen, daß ich nicht wohl sei. - Leider bin ich’s wirklich nicht. Das Essen hier schadet unmenschlich. Dazu Erkältung, Erschöpfung, Nerven. -Wie hätte ich spielen können. Habe seit dem 21. keine Taste angerührt. Und nun bin ich 38 Jahre alt geworden. Und mit 40 “ist der Berg erstiegen”. Was ist schlimmer? das mühevolle Steigen, oder angelangt zu sein? Fragezeichen. Ich bin aber nicht unzufrieden. Möge es so, und nicht schlimmer, weitergehen! -
Es ist doch das Land, das dem Meere die Schönheit gibt: erst mit der Küste bekommt es Zeichnung und Farbe und - durch das Verhältniß - auch Größe. Das war wieder beim Herannahen von Plymouth zu merken; ein außerordentlich reiches Bild. –


(Plymouth).
Der Brief von Gerda hat mich ganz verwandelt - lieb von ihr und entzückend - wie immer. Und Europa ist schön und ich gehöre nun einmal dahin - aber die Kleinlichkeiten sind auffallend lästig, besonders wenn man von einem anderen Erdtheil wieder hinkommt. - Die eng-lischen Zeitungen geben die Musikprogramm der Woche.
In London gibt es den Messajah und die Pathétique... Man könnte ebenso gut die Zeitung vom vorigen Jahre lesen. Und in Berlin giebt es die Pathétique und den circulus vitiosus *-** und dieses Himmels Milchstrasse. Menschen - Überall. - Und in New York gab es wieder einen großen Brand.


2. April 1904
Wir sind in Cherbourg so spät angekommen (warum? ist unerklärbar) daß wir die Passagiere für Paris erst am nächsten Morgen - allerdings schon um 5 Uhr - ausladen konnten. Um 6 traten wir die Fahrt nach Cuxhaven an, so daß wir - wenn nichts dazwischen kommt morgen, den 3. um 12 Uhr Mittags dort sein müßten. Das Wetter ist prachtvoll, klar, ruhig und frisch. -
Gestern Abends blätterte ich wieder in R. Strauß’ Partitur: sie gewinnt nicht bei wiederholter Bekanntschaft. Sein Orchester ist - trotz der ungewöhnlichen Virtuosität -nicht “klingend”, weil sein Componiren gegen seinen Orchestersatz ist. Es ist zu verzweigt. Ich glaube, er hat sich wieder in einigen Proportionen geirrt. “Beim Wagner, da klingt alles - und ich bring’s oft nöt fertig” hat er selbst gesagt. Das ist, weil Wagner Alles auf die Hauptidee concentrirte. Bei Strauß gibt es eigentlich 12 Nebenideen durcheinander: die Hauptidee liegt mehr in der Stimmung als im Motiv, wird aber leicht verwischt durch Uberhäufung. -
Doch ich muß das Werk hören. Musik ist da, um gehört zu werden. -
Die Hälfte der Passagiere ist ausgestiegen. Man fühlt sich vereinsamt. Man gewöhnt sich eben an Alles und zu dieser Fahrt gehörten gewisse Gesichter, die jetzt fehlen. -
Gestern Abends und heute früh war ich unwohl - der bekannte Erschöpfungszustand war nahe. Jetzt, nach dem Frühstück fühle ich [mich] besser. - Ich hoffe der Krisis diesmal auszuweichen...
Das ist wohl der letzte Abend an Bord und ich schließe dieses Ragout, das man nicht “Tagebuch” nennen kann. Höchstens: Dämmerungsbuch. Denn es dämmern die Gedanken darin; sie schlafen halb. Doch giebt es Abend- und Morgendämmerungen. Ich hoffe daß es eine Morgendämmerung ist und daß ein schöner, neuer und heller Tag folgt.
Am Abend des 2. April 1904 an Bord “Blücher”.

Ferruccio Busoni



(London,) 20. November 1904
...Alle meine Vorstellungen von einem Londoner Sonntag-Vormittag wurden heute übertroffen. So etwas Leeres und Trübes, Einsames, Todtes, Lähmendes kann man nie so vollständig denken, als wie es ist...
“Florian Geyer” war ein guter Reisebegleiter. Zuerst erstaunte ich über die Sprache, alterthümlich, reich und kräftig (zum ersten Male begegneten mir viele unver-ständliche Ausdrücke) - dann aber ermüdete sie durch ihren fortwährenden “Lutherischen” Kraft-Jargon, umsomehr als alle Personen, ohne Unterschied ihres Charakters, dieselben Ausdrucksformen gebrauchen. Außerdem werden in dem ganzen Stücke nur Meinungen ausgetauscht, über gewesene oder zu erwartende Vorfälle, - Bürger, Bauern, Krieger, Ritter sprechen meist aufgeregt über Vorgänge, die man nie zu sehen bekommt. Endlich reden nur Männer im Stücke, und was für Männer! Eines mittelalterlichen Zuschnittes, gewaltthätig, fromm und abergläubisch, wie sie zur Reformationszeit noch waren; wunderbar portraitirt und lebendig, aber mir fremd und abstoßend. Es ist eine dramatisirte Chronik des Bauernkrieges, wie die Gobineau’s von der Renaissance; ob der Unterschied des Genusses an dem Sujet oder auch an der künstlerischen Behandlung liegt, kann ich mit Sicherheit nicht sagen...
Diese Reise in die irischen Nebel hat so was Trübseliges! Ich bin außerdem von der Reise zerschlagen. Ich werde versuchen, ein wenig zu arbeiten...


[London, 22. November 1904]
“Ist heut’ die dritt’ Nacht gewest, wo ich nicht hab’ mein Gebeine uf ein ehrlich Bette strecken gekunnt” würde einer in “Florian Geyer” berichten können. (Ein Buch, das gegen Schluß sehr wächst)...
Die Ankunft in Irland war sehr schön; sie versöhnte mich fast mit den unsinnigen Mühsalen der Reise...


(London,) 23. Nov. 1904
To Mrs. Busoni in Berlin, geliebte Gattin, zweifache Mutter und Hofpianistenfrau.
Abs. F. B., Reisender in höchst zerbrechlichen Tonwaren. Sonst solid.
...In diesem Augenblick schicke ich mich an, nach Manchester zu fahren - “kein Tag ohne Reise” diesesmal - und bin natürlich nicht in bester Laune. Vor einer Stunde hat Schultz--Curtius und Frau Matesdorf mit mir bei Monico “geluncht” - es war ganz nett aber nicht besonders “jugendlich”.
Daß ich als Mensch und Künstler lieber nach vorwärts, als zurück sehe, damit hängt wohl auch zusammen daß ich lieber jüngere Menschen um mich habe.
Und so möge es bleiben, bis an’s Ende - denn wenn das aufhört, ist’s betrübend, wie Dein Vater sagte, wenn er sich auf die Hände stellte und die Beine gegen die Wand stemmte...


(Manchester,) 24. Nov. 04
Hier herrscht Finsternis und Frost, wie in einer raffinirt eingerichteten Abtheilung von Dante’s Inferno, wo reisende Virtuosen - ruhm- und geldgierig, die ihr bestes Theil vom Leben deshalben wegwarfen – zähneknirschen und blind sind...
Das Henselt-Concert gefiel dem Richter (in der Probe) ganz besonders; so verschieden sind Menschen und Musiker!...


(Krefeld, den) 28. Dec. 1904
Diese unbedeutende Reise hatte ein klein wenig Pech - denn erstens verschlief ich Crefeld und fuhr vorbei, erwachte auf einer kleinen Station fast in Holland und mußte auf einen Zug zurück beinahe eine Stunde warten.
Merkwürdig, daß man kein Billet controllirte und ich stieg frech in die erste Classe nach Crefeld (ohne Billet) zurück, so daß ich zwei Stunden umsonst (aber auch vergebens) gefahren bin.
Zum zweiten hatte ich mir kein Hotel notirt, gerieth zuerst in ein jammerbares Haus und mußte ein besseres ausfinden.
Zum dritten und schlimmsten, hatte ich ganz vergessen, daß ich die Chorfantasie von Beethoven zu spielen habe - war weder vorbereitet noch hatte ich eine Clavierstimme mitgenommen. Als ob das nicht genügte gibt’s auch noch kaltes Regenwetter, das diese häßliche Stadt noch häßlicher macht! Sie ist viereckig gebaut, nämlich von einem Nord-Süd--Ost und West-Boulevard umgeben, so daß ich den Verdacht habe, daß sie zuerst Carré-feld hieß.
Und hier muß man 2 Tage sein! Basta!...

1905

[London,] Sonntag [12. März 1905]
Ich war sehr, sehr enttäuscht, als heute - statt Deiner selbst - Dein Telegramm ankam... Die einzige Tröstung ist, daß Du einer entsetzlichen Überfahrt entgangen bist...
Ich habe mit dem Caufall ein Project eines neuen Flügels besprochen. Es handelt sich darum, in dem sogenannten “modernen” Clavier zwei Manuale (Tastaturen), die Register des “Clavicembalo” und die “Koppelungen” (Verdoppelung der Octave) einzuführen. Wenn das gelange, so würde eine neue Epoche des Clavierspiels kommen. Der jetzige Zustand ist hoffnungslos und die Fortschritte der Pianola und ähnlicher Erfindungen sind nicht ganz zu unterschätzen...


Nach Godinne in Belgien
[Berlin,] Donnerstag [12. Juli 1905]

...Gestern (Mittwoch) kam Mengelberg, als ich zu essen anfing und speiste mit mir. Das Essen war gut, die Sitzung ganz gemüthlich... Der “Chianti Busoni” [1] ) wurde versucht - er war ganz vorzüglich. -
Eine neue (dritte) Aufforderung nach Amerika ist heute gekommen...
Der erste Act von T[urandot] ist fertig und das erste Stück der “Suite” daraus vollständig geplant...

[1] Von den Weingütern eines Onkels.


Nach Godinne
[Berlin, 14. Juli 1905.]

…Von der Turandot sind heute 50 Partiturseiten fertig. (Noch nicht ganz die Hälfte.) Die Lust und Leichtigkeit dauert an. -


Nach Godinne
[Berlin,] Sonnabend 15. [Juli 1905.]
...Ich bin sehr viel zu Hause, mehr fast wie sonst, immerfort mit Etwas beschäftigt und war stets vor Mitternacht zu Hause, schlafe wie ein Kind, lasse mich um 9 Uhr wecken und fange um 10 regelmäßig an; - die “chinesische charmante Tyrannin” wird geschmückt und bald soll sie ihren Hochzeitschleier an- und ihre Grausamkeit abgelegt haben. Das heißt, noch sind Stoffe, Farben und Geschmeide zu wählen und zusammenzustellen, daß sie auch wirklich strahle und gefalle. -
...Herrlich sagt Schopenhauer von der Musik: “Das unaussprechlich Innige aller Musik, vermöge dessen sie als ein so ganz vertrautes und doch ewig fernes Paradies an uns vor-überzieht, so ganz verständlich und doch so unerklärlich ist, beruht darauf, daß sie alle Regungen unseres Wesens wiedergibt, aber ganz ohne die Wirklichkeit und fern von ihrer Qual.” Dieser ewige Schlimmdenker hat doch wieder einmal recht: spricht er, so weiß er was und wie.
Ich schreibe so alles durcheinander, wie wenn Du zu Hause bist und [ich Dir] gelegentlich das und jenes zeige. Das Wetter ist so schön jetzt gegen Abend - dieser Hof aber vor dieser stillen Wohnung [1] ist traurig. Ich habe so ein Gefühl von Hoffnungen und Erinnerungen - gekreuzt daß ich nicht weiß, bin ich ein Greis oder ein Jüngling. Vielleicht empfinde ich heute zum ersten Male mein wirkliches Alter. Denn:
Mit vierzig Jahren ist der Berg erstiegen,
Du stehest still und schaust zurück...

[1] Augsburgerstraße No. 55, Gartenhaus.


Nach Godinne
[Berlin,] Sonnabend [22. Juli 1905]
...Gestern kam, durch das schnelle Schaffen, eine Übermüdung und die erste der berühmten “Mauern” stellte sich vor mir auf. Nicht so hoch, daß ich sie nicht mit einigem wenigen gewandten Klettern übersteigen kann.
“I can climb!” Aber, wird man zu ermüdet, fällt das Klettern schwerer. Heute bin ich beinahe darüber...
Am günstigsten wäre Ysaye zur Eröffnung [1] und ich denke, auch ihm bequemer... Er sollte auch dirigiren. Das Programm würde ich französisch machen im Orchestertheil und classisch in den Solos. Kreisler wollte Bach Doppel-Concert und Mozart’s Violin- und Viola-Concert vorschlagen. Dazu sollte Ysaye am Schluß die II. Symphonie von d’Indy dirigiren. Zwischen den beiden Solos käme César Franck von Pierné instrumentirt und am Anfang eine Ouverture, entweder classisch oder französisch oder belgisch...

[1] In den von Busoni veranstalteten Berliner Orchesterkonzerten.


Nach Godinne
...Die Turandot wird morgen auf die Bühne treten - grausame, stolze Töne melden schon heute ihre Nähe. Doch soll man nicht vergessen, daß sie auch schön ist!
[Berlin,] Montag [24. Juli 1905]


Nach Godinne
...Ich sitze noch immer zu Hause, habe prächtig gearbeitet - sie ist erschienen!... Der Marsch der Heldin ist nämlich sehr unter den Händen gewachsen - erinnerst Du Dich, wie Du in Madrid eine sehr gute Bemerkung machtest (female), die ich sofort skizzirte? (fact!) Daraus ist eben noch mehr geworden...
[Berlin,] Dienstag den 25. Juli 05


Nach Godinne
...Die Turandot ist auf der 72. Seite. Heute Nachmittag ließ ich sie ruhen. Ich nahm mir Deine Warnungen zu Herzen. Aber die Sache geht fast von selbst.
Material ist da für zwei Orchester-Suiten. Der Marsch der Turandot an dem ich arbeite ist wie ein Portrait der Figur und ich habe im Geiste es in 4 Charakterbildern gedacht: “die Grausamkeit - die Leidenschaft - die verhüllte Schönheit - die entschleierte Schönheit”...
[Berlin,] Mittwoch, 26 (?) [Juli 1905]


Nach Godinne
[Berlin, 30. Juli 1905]
...Die “Philharmoniker” ließen mir sagen, daß zum ersten Concert [1] nur 2 Proben möglich und “hoffen, daß ich mich damit einverstanden erkläre.”
Ich schrieb einen Brief zurück, der gedruckt werden sollte!
1.) daß ich rechtzeitig engagirt hätte und jedes spätere Engagement, das sie hindert, in zweiter Reihe kommt.
2.) daß sie, wenn sie die Bedingungen nicht halten und den Abend dadurch verderben, Conventionalstrafe zahlen müssen, ebenso wie ich im gleichen Falle. Daß sie aber dadurch der ganzen Serie schaden, also dreimal Strafe zahlen sollten.
3.) daß sie sich schämen sollten, so wenig Ehrgeiz zu haben und ein wichtiges, schweres und neues Programm so abzuthun.
4.) daß ich die 3.Probe verlange und außerdem, daß niemand fehle und niemand sich durch andere vertreten lasse.
5.) daß die Proben so günstig wie möglich für die Aufführung gelegt werden müssen, usw.
(Es wurde am selben Tage geantwortet, daß man meine Wünsche erfüllen werde.)
Meine Eltern, statt zu bedauern daß ich Schwierigkeiten hatte, schicken heute Vorwürfe. Geduld! -
Die Arbeit geht vorwärts, bald wechselt wieder die Scene. Sie (die Arbeit) ist größer und wichtiger als ich dachte; die Skizzen gingen auffällig schnell und enthalten weit mehr, als sie zuerst vermuthen ließen. - Sie “wächst” auch unter den Händen...

[1] Es handelt sich um die “Orchesterkonzerte mit neuen und selten aufgeführten Werken”, die Busoni leitete.


Nach Godinne
...Heute habe ich den Turandot-Marsch ganz fertig gemacht (84 Seiten)... Das Stück ist ziemlich imposant und sehr wirkungsvoll.
Also freue ich mich morgen wieder, ein anderes Stück mit neuem Klang, und neuer Stimmung anzufangen...
Berlin, 31. Juli 1905


Nach Paris
Ich denke, Du bist jetzt in der räthselvollen unvergleichlichen unerschöpflichen Stadt des 11. und 14. Ludwig und des denkwürdigen 1793. Keine hat so viele An-knüpfungspunkte an die menschlichen Menschlichkeiten, wie dieses grausame und reizvolle Monstrum...
Inzwischen habe ich drei Räthsel zu lösen; und die Leute aus dem II. Act zu expediren. Seit gestern übe ich auch wieder fleißig und einiges Neue...
1905. Mittwoch 2. Aug. [Berlin]


Nach Godinne
[Berlin, 6. August 1905]
...Ich selbst bin so voll von meiner Arbeit, daß ich an nichts Anderes denken kann - mitten in den Besuchen und selbst im Vorspielen stehle ich mich ganz unbewußt wieder in das Zimmerl - unterbreche oft das Essen. Jetzt sind es an die 100 Seiten, damit endet erst der 2. Act. -
Das Concertstück von Egon ist sehr gut; ein wenig zu viel Kopf und Absicht, aber ein guter Schritt weiter. Einige Striche und Änderungen haben wir vorgenommen, die es noch verbessern. Wie weit ist doch der Weg zur Meisterschaft, selbst für einen sehr Begabten -und für den oft noch weiter, da er sich größere Probleme gibt! Die unglaubliche Klarheit und Fertigkeit dieses letzten Werkes von mir - es ist ja leichter als das frühere - befriedigt mich sehr...


(Leipzig, den) 4. S[eptember] 1905
Das Wetter ist so ungewiß, daß man zu keinem Lebensgenuß kommt. Dafür gibt es “Messe”... Ich rekapitulirte in Gedanken die Entstehung meines Bündels Werke und die verschiedenen Stadien, durch die ich mußte. Dabei erinnerte ich mich, daß die Zeit des “Zweiten Quartettes“ [1] entsetzlich gewesen. Der erste Satz lag über ein Jahr unvollendet da, und keine Courage noch Inspiration es weiter zu führen... Die Aufgabe war mir zu groß; erst im 2. Jahr war ich etwas hineingewachsen und konnte es, mit großem Willen, zu Ende bringen. Und die unsichere Zeit des Symphonischen Tongedichtes! - Nein, meine Componisten-Existenz beginnt wirklich erst mit der [zweiten] Violin-Sonate. - Ich ruhe hier ein wenig aus; fühle mich behaglich gelangweilt...

[1] Begonnen im 20. Lebensjahr.


[London,] 26. Nov. 05
...Mit Egon blieb ich im Hotel noch sehr spät auf... Ich las ihm mein “Scenarium” [1] vor - er war davon sehr überzeugt, meinte es wäre neu, fremd und doch so, “als ob es nicht anders sein könnte”. - Die Sache hat nämlich eine ungewöhnlich feste und klare Form und Egon machte mich darauf aufmerksam, welcher Reiz darin liege, daß “Nichts zu Ende ausgesprochen wird”...

[1] “Der mächtige Zauberer”, Operntext nach Gobineau.


Birmingham [29. November 1905]
...Das Regenwetter dauert fort - es ist nicht heiter. Caufall ist rührend zu mir. Heute erschien er unsicher mit einer Speisekarte, um _ 3 in meinem Zimmer. “I mein” - sagte er - “nit immer Clavier spielen - auch a Biss’l essen”...
Ich habe die Novelle von Gobineau noch einmal durchlesen müssen und war frappirt wie gut mir der erste scenische Wirf gelungen. Es handelt sich darum ihn durch Ausführung nicht zu verflachen...
Ein guter Theil des Dialogs kann einfach vom Original übersetzt werden, er ist dort durchweg kurz und dramatisch und von prägnantem Ausdruck.
Ist das Textbuch fertig, dann teile ich mir im Kopfe die Sache in “Musikstücke” ein, es ist so einfach!...

1906

Nach Stockholm
Ich muß Dir noch so sehr danken für Deine große Haltung am Donnerstag [1]. Viele schickten Briefe und Blumen. Ich schreibe auf dem russischen Consulat, in Erwartung der Visirung des Passes...
Gestern war ich ganz erschöpft, wie beinahe noch nie. Mußte noch probiren, üben und spielen. Ein Concert, ohne Dich, war selbst Dritten fremd und leer... Ich bin recht herunter. Diese Reise wird unter den Umständen noch schwerer...
[Berlin,] 17. II. 06

[1] Die Nachricht von der tödlichen Erkrankung seines Schwiegervaters Carl Sjöstrand.


Nach Stockholm
(Karlsruhe,) 19.F.06

Ich schreibe Dir auf gut Glück, um Dir zu sagen, wie sehr innig ich mit Dir fühle. Diese Tage haben mir eine Erschütterung gegeben, die physisch wie moralisch tief zu spüren ist. Sie haben mich wieder ein Stück weiter gebracht - ob höher? wird sich zeigen, wenn die Wolken sich wieder verzogen haben. -
Das Textbuch [1] ist vollständig redigirt... Auch die Musik hat mich noch mitten in Allem beschäftigt.
Ich habe schwerer als sonst das Haus gestern verlassen; Deine Abwesenheit habe ich - mit Allen drückend empfunden...

[1] Zur “Brautwahl”.


(Basel,) 25. II. 06
...Die Beschreibung von Pappus’ Schönheit im Tode hat mich so ergriffen; und jedesmal wenn ich die Be-schreibung wieder las. Und ich mußte sie dreimal lesen. Wie freue ich mich, wie erleichtert hat es mich, daß der Eindruck jedenfalls nichts zurückließ, was Dir in der Erinnerung peinlich sein könnte...


[Triest, 2. März 1906]
Gestern (den 1.) spielte ich noch in Graz - da nahm ich den nämlichen Abend den Zug nach Triest. Zuerst soupirte ich mit dem Ehepaar Kienzl. Die Ankunft heute hier war von besonderem Reiz - das Meer überrascht immer bei dieser Wendung nach Nabresina - trotzdem man weiß, was kommt. Der Tag ist strahlend, die Luft klar und lau, Triest sieht aus wie eine heitere Priesterin der See. In den Sitten und dem Gebahren und Aussehen der Menschen fiel mir eine Ähnlichkeit mit Madrid auf. Die Frauen haben oft denselben Ausdruck; die Periode der Cultur ist fast gleich. Ich stieg im Hotel ab und schleppte mich drei Stunden mit dem Entschluß nach der “Schmiedegasse” [1]. Zu Haus ist’s nicht heiter und sehr ermüdend. Mama ist zwar noch sehr lebendig und Papa nicht so schlimm wie auf dem Bilde; aber ich kann’s kaum ertragen in dieser Atmosphäre zu sein.
Es war unnennbar schön, Dich in W[ien] zu sehen. Du warst auch in einer so milden und zärtlichen Stimmung...

[1] Busonis Eltern wohnten in der Via dei fabbri.


...Meine Fenster gehen auf den Hafen. Die Schönheit dieses heutigen Vormittags ist unvergleichlich. Die Sonne scheint überall [hin] zu dringen; der einzige Schatten den ich sehe, ist der meines Hauses, vor mir, auf dem Boden.
Das Meer ist glatt, ohne Linienunterbrechungen, wie ein zartblau gespannter Atlasstoff, nur am äußersten Rand stark dunkelblau, im Contur. Rechts die Karstberge grau-röthlich, vollbesät mit weißen Würfelchen, gegen den Abhang, nach Miramar zu verdunstend. Alles Weiße tritt scharf hervor, wie mit geschliffenen Kanten. Segelbarken und kleine Dampfschiffe mit rothen, blauen und schwarzen Schloten bilden das Bewegliche im starren Bilde. - Herrlich müßte die weiße, halbkreisige und aufsteigende Stadt vom Wasser an zu sehen sein, und oben bei S. Giusto muß ein Sonnen- und Mauerfrieden herrschen, der fast heilig und heroisch wirken dürfte. - Wenn ich das alles wiedersehe, muß ich immer an Triest in der Napoleonischen Zeit denken. Damals war die Stadt reich; und respectable Handelsherren, würdig und heiter, mit hohen Cravatten, vermittelten den Handel zwischen dem bunten Orient und dem steifen, grauen Hamburg. Von der Luft jener Zeit, hat ein kleiner Windzug noch meine Kindheit angeweht; und Triest nahm die Mitte zwischen der Unregelmäßigkeit und Verschlagenheit der Orientalen und der strengen Correktheit der Hamburger Patrizier [ein].
Damals entstand die “neue” Stadt, die Empire-Stadt, außerhalb des Kreises der alten, noch heute höchst merkwürdigen, ganz geschlossenen Berg-Stadt. Und mit der Aufhebung des Frei--Hafens, die mein Großvater noch schmerzlich erlebte, sank die Bedeutung Triest’s zu der heutigen Charakterlosigkeit herunter. - Aber, wie man liebe und langbekannte Menschen immer gleich sieht, so sehe ich noch das Triest meiner Kindheit, - ebenso wie ich meine Mutter seit 30 Jahren unverändert schaue, obwohl es sich in Wirklichkeit anders verhalten muß. So sehe ich auch mein heutiges Gesicht in dem Kinderbild, das ich Dir schicke, und das mir im Ausdruck nicht gewöhnlich scheint. Nach dem Ort der Aufnahme muß ich im 13 . Jahre gestanden haben. -
Es gibt nichts Schlimmeres als das Rückwärts-Schauen und als Orte, Menschen und Thatsachen, die einen dazu veranlassen. Ich thue es selten und mag es nie thun, aber hier ist ein solcher Fall. Darum fühle ich mich unbehaglich und wie aus einer Eisenbahn--Hauptstrecke nach einer Seitenstation, in der Nacht, verschlagen, wo keine Züge verkehren. Es ist eine Unterbrechung meines wirklichen Ich’s, das draußen in der Welt berühmt, thätig und vorwärtsschauend ist, während hier ein altgewordenes Kind in der stillgestandenen Umgebung seiner Kindheit um 25 Jahre zurückgebracht wird!
Hinaus! Und noch einmal gelebt! So schreit es in mir und dabei denke ich an den idyllischen Schluß des Adagio und die darauffolgende Tarantella im Concerto.
Aber nach dem Schluß der Tarantella? - Die Luft ist hier fast römischer Art und hypnotisirt einen und zieht mit weichen Armen nach dem Süden und der ruhigen Lebensfreude Italiens. -Wird das der Schluß sein?
Denken wir noch nicht daran...
[Triest,] 4. März 1906


(London,) den 14. Juni 1906
Das Textbuch ist, bis auf die letzte Scene mit den 3 Kästchen, fertig - theils auf der Bahn, theils gestern hier habe ich eifrig daran gefuscht. Manches wird sich ja noch ändern, inzwischen fällt mir allerlei Musikalisches (noch visionär) ein, so habe ich z. B. die Introduction zum 3. Act mit Glück entworfen. Aber nichts bekommt Form, so lange ich nicht an meinem Schreibtisch bin und die Noten sehe. Ich hoffe nicht Wenig von diesem Stückchen - das mir nur eine fortwährende Schaffensfreude und kaum welche Sorgen bereiten wird.
Gott sei gedankt, daß das Patti-Concert vorbei ist. Doch warum danke ich Ihm, wenn es mit seinem Willen geschehen mußte?
Ich war der einzige normale Mensch auf dem Podium! Die andern waren:
Patti - 63 Jahre alt
Santley - 72 Jahre alt
Eine Geigerin - 11 Jahre alt
Ben Davies - 100 Kilo schwer.
Und diese Albert-Hall. Gut für Stiergefechte, mag gehen!, aber für Clavierspiel? Und das Programm - und die Musik!...


Gestern hörte ich einen Theil von M. Hamburgs Concert und ging dann noch einen Moment zu Pachmann. Er endigte grade die “Aufforderung zum Tanz”. Als das Publikum darauf applaudirte, zeigte er mit den Händen daß er reden wollte. Mr. Godowsky - sagte er - has made an arrangement of this piece - very difficult! - he can’t play it himself - he - he. I – he - he don’t play it yet - before - the public - must be careful - careful - careful - he, he, he - (und ging lachend und achselzuckend ab).
Die “Brautwahl” geht von selbst weiter und nimmt mich mit. Das Vorspiel zum I. Act steht auch beinahe da, überhaupt die ganze erste Scene. Auch die Dichtung der letzten Scene ist auf dem Wege. - Ich fühle mich dabei sehr froh - aber eigentlich nur dabei, sonst bin ich nicht recht in Stimmung, aber gottlob wohl...
[London,] 17. Juni 06


Nach Schloß Habrovan in Mähren [1]
Deinen schönen Brief erhielt ich bald nachdem ich meinen weg hatte; und er machte mich ganz froh!
Wenn Ihr Euch dort schon mit Details aus meiner Kindheit befasset, so erinnere die Frau Caroline daran, daß ich den “Hoffmann” aus ihrer Bibliothek mitbekam und daß diese Bände mir Kindheit, Jugend und Mannesalter in verschiedener, aber immer anregender Weise begleitet hätten.
In Hoffmanns Biographie lese ich Etwas, was ich Dir aufschreiben muß. Dort heißt es:
Im Frühjahr des Jahres 1820 hatte H[offmann] eine große Freude. Ein Reisender brachte ihm einen herzlichen Brief von Beethoven. Beethoven schrieb: “Ich ergreife die Gelegenheit, durch Herrn N. mich einem so geistreichen Manne, wie Sie sind, zu nähern. Auch über meine Wenigkeit haben Sie geschrieben - - Sie nehmen also, wie ich glauben muß, einigen Antheil an mir. Erlauben Sie mir, zu sagen, daß dieses von einem mit so ausgezeichneten Eigenschaften begabtem Manne Ihresgleichen, mir sehr wohl thut. Ich wünsche Ihnen alles Schöne und Gute.”
Auch von Oehlenschläger ist ein Brief an H[offmann] da, unterschrieben: “Adam Oehlenschläger, Serapionsbruder.” Das Alles hat mir Freude gemacht und die Brautwahl bleibt nicht stehen...
[Berlin,] 4. Juli 06

[1] Besitz der berühmten Sängerin Caroline Gomperz-Bettelheim.


Nach Schloß Habrovan
...Die Oper geht weiter - das rein Lyrische liegt mir weniger. Dafür klingt mir schon Manasse’s Fluch in den Ohren und Thusman’s Erzählung. Erfindung ist in jedem Takt und so soll es bis zu Ende sein. -...
[Berlin,] am 16. Juli [1906]


Nach Schloß Habrovan
...Das Lied ist gut geworden. Es bildet den “Kern” der Zeltenscene. -
Gestern war ich einen Moment bei Bartolini. Die Jungen (C. und L.) sind plötzlich weg, ohne zu zahlen und haben ihn mit vielen Hunderten in einer argen Verlegenheit gelassen.
Er war prächtig. “Sehen Sie - sprach er zu mir - ich bin gut und lasse mir wenn’s nötig das Hemd ausziehen vom Leibe. Unter Männern kann man sich verständigen. Sie hätten mir offen sprechen sollen. Ich bin gut (aber hier wurde er schon etwas unheimlich) und meine einzige Religion ist: thue Niemandem, was Du nicht möchtest, daß Dir gethan würde. Und danach handle ich. Aber wenn man mir ein Unrecht zufügt (und hier wuchs der Kerl in fürchterlicher Weise) sehen Sie: ich bin einmal über den Ocean gefahren - habe meine sämmtlichen Geschäfte in Südamerika im Stich gelassen bis nach Italien fuhr ich, um einen Mann in Stücke zu hauen.” - “Aber was habt Ihr ihm gethan?” frug ich, wirklich erschreckt - es lief mir über den Rücken. “Seien Sie zufrieden, der Mann thut Niemandem mehr wehe.” - Das ist wirklich im Styl der Renaissance.
Mein Reiseplan ist - eine Nacht durch nach München, dann Innsbruck - wenn es mir dort zu wenig gefüllt, nach Bozen und Trient.
Ich bin so ungeduldig. Mitnehmen thue ich nur: das Textbuch und Notenpapier, keine Bücher und auch kein stummes Clavier! [1]...

[1] Busoni besaß nie ein solches stummes Klavier.


Meine Stimmung - bis auf die kleine Reise-Ungeduld - herrlich gut! Das machen Deine lieben Nachrichten und die Erinnerung an die letzten Wochen z’Haus...
[Berlin] 17, Juli 06


Nach Schloß Habrovan
[München, 19. Juli 1906]

Ich habe Deinen so lieben ersten Brief, der mich zu dieser Reise aufforderte, mitgenommen. Ich reise morgen weiter nach Innsbruck...
Das Wetter ist prachtvoll, aber glühend. Du solltest mich sehen, in einem Nanking-Anzug! Ich habe noch viel gemacht. Die Zelten-Scene ist fertig. Das “Kleeblatt” ist gemüthlich mit dem Rossini’schen Marsch abgegangen...


Nach Schloß Habrovan
(München, den) 20 Jli 1906

...Von München habe ich keinen sympathischen Eindruck. Dazu gibt’s noch dieser Tage ein “Bundesschießen”, und die vollbärtigen Herren mit Lodenjacken, Rucksack und Cotillonsorden vom Schießplatz, gehen stolz und männlich-froh herum...
Schon um 11 Vormittags sind die Bierhäuser mit Früstückslustigen voll und die Gartenbänke den ganzen Tag besetzt. - Billig ist es hier, daß man sich nicht traut, mehr als 10 Pfg. Trinkgeld zu geben, um nicht verdächtig zu werden. - Die Kellnerinnen sind eine menschenfreundliche, oder vielmehr männerfreundliche Einrichtung. Die gemüthliche Berathung mit der Speisekarte giebt hier zum Essen eine anmuthige Einleitung. - Bilder habe ich mir nicht angesehen, denn mein Hirn ist schon mehr als nötig mit der Oper geplagt. - Ich glaube, daß ich heute abends direkt nach Trient fahre; ich habe genug von grüner Kleidung und Gemsbärten und nackten Knieen.
Ich habe von Trient eine Erinnerung, daß es mir dort gefallen sollte. Ich war im dreizehnten Jahre dort, als wir Wien verließen und wie mit den Jahrmarktswagen von Ort zu Ort zogen. - Lebhaft habe ich einen Grafen und Abbé im Gedächtnis mit einem ungewöhnlich geistreichen und vornehmen Gesicht. Auch daß es Winter war und wir in den Häusern froren. In dem Stein--Saal eines Palazzo Salvotti, den uns der Frei- und Hausherr freundlichst eingeräumt hatte, spielte ich mit vor Kälte steifen Fingern. Die Leute saßen im Paletot und hochgezogenem Kragen in den Reihen. - Auch meine erste männliche Regung glaube ich dort verspürt zu haben, “dieweil” im Hotel ein Zimmermädchen mit ganz rothen Haaren und ganz schwarzen Augen sich von mir einmal küssen ließ, worauf meine Mutter sagte “non è bello”, was mich eben zum Bewußtsein brachte.
Von Trient ist Bozen sehr nahe und ich werde zwischen den beiden wählen. Das Essen ist im italienischen Tirol sehr gut, das Klima göttlich, der Wein echt und mein Baden werde ich gern 14 Tage treiben. -
Ich bin glücklich, daß Du Dich so wohl gefühlt hast auf Habrovan. Von dieser Familie ist immer nur Gutes für mich gekommen und sie wird meine Dankbarkeit und Liebe bis zu Ende haben...


Nach Wien
Bei dreißig Grad - zwischen 2 und 3 (“dalle due alle tre”) - habe ich eben einen Besuch in einem Capucinerkloster gemacht. Ich mußte das sehen, und brauchte auch die Stimmung für meine Kirchen-Vision. - Nur Mauern und Sonne, das war der Weg hinauf. Der “Superiore” empfing mich zuerst ziemlich zurückhaltend und etwas mißtrauisch. - Man hörte drinnen die Brüder ihre Litaneien absingen. - Das paßte mir sehr gut. Ein kühler Hof (Chiostro) empfing mich labend - ein Brunnen in seiner Mitte. Der Superiore war ein wenig sicherer, als ich mich als Künstler, Amico dei Religiosi und (Gott verzeih’ mir die Lüge!) als Schüler des berühmten Liszt vorstellte (hier war der Superiore ganz un-informirt), so daß ich mich beeilte hinzuzufügen, Liszt wäre selbst Geistlicher und ein Freund Pio Nono’s gewesen. Beim Namen Pio Nono, war er wieder ganz auf festem Boden und hieß mich nun willkommen. Er führte mich in die Kirche, wo er vor dem Hauptaltar eine vorgeschriebene Reverenz machte (ich bekreuzte mich, habe es noch im Griff!) und dann durch die sehr bescheidenen Räume des Klosters. In den Garten traute er sich bei der Hitze nicht hinaus, auch erzählte er von Schlangen, die es nötig machen, mit Stöcken bewaffnet zu gehen. Die Bibliothek sagte er - wäre einstmals kostbar gewesen, aber durch Napoleons Regierung (toujours lui!) geplündert worden. Orgel hatten sie keine. Er hieß mich freundlich zurückkommen und verabschiedete mich mit einem bescheidenen: Vogliate bene ai Capuccini! Als ich ihn frag, ob er lange hier wäre, neigte es das Haupt und er schien schnell durch viele Erinnerungen zu gehen: 35 Jahre! meinte er, und die ganze anerzogene Resignation klang aus diesen weder verzweifelt noch zufrieden ausgesprochenen Worten. -
Nun habe ich mich hier festgesetzt, die Manuscripte ausgepackt und ein kleines Clavier im Zimmer. Leider ist meine Ader, die im schönsten Fließen war, mit der Abreise plötzlich getrocknet. Noch eine Stunde vor der Ab-reise mußte ich Notenpapier hervorholen, um einen guten Einfall aufzuzeichnen. Seitdem ist es aus!
Gestern war ich schnell noch in Bozen, um meinen Aufenthalt zu entscheiden. Es ist kein Vergleich!
Bozen: die deutsche Renaissance-Bürgerstadt (im Style von Schwind, aber nicht so hoch) und Trento: die ita-lienische Renaissance-Fürstenstadt, wie Ferrara, Parma u.A. -
Zwei so deutliche Typen, nur eine Stunde von einander, kommen wohl nicht wieder vor. -...
[Trient,] Sonntag 21. Juli 1906


Nach Alt-Aussee
Trento, 25. Juli 1906

...Einsamer, als ich bin, kann man nicht auf dem Mont-Blanc sein. Ich kenne Keinen und spreche mit Niemandem, außer mit dem Portier und den Kellnern.
Für die Nerven mag es wohl gut sein; aber auf meine Fantasie wirkt das gerade negativ. Die Landschaft ist groß und ich bestieg vorgestern einen Hügel um das ganze Bild zu haben. Trento’s Aussehen aus der Vogelperspective erinnerte an das von Bologna: streng, düster, gefestigt, graue Mauern und Ziegeldächer; aber die Landschaft ist viel großartiger hier und wirklich heroisch. Dazu die Wolkenbildungen, wie sie die Gebirgsgegenden haben, mit häufigem Gewittercharakter, und überraschenden Sonnenbeleuchtungen auf einzelne Theile, während andere ganz in kalten Schatten liegen; die sehnsuchtserweckende Perspective in die Öffnung am Ende des Thalbildes. Des Morgens gesehen, oder gar zum Sonnenuntergang wirkt das auf das Gemüth sehr beeindruckend und ich glaube, wenn es von der Seele ordentlich verdaut sein wird, auch (später) befruchtend auf das Schaffen. - ... Ich warte auf die nächste Post, um den Brief zu schließen.
Inzwischen habe ich wenigstens mein Textbuch fertig in’s Reine geschrieben und - zur Zerstreuung - eine hübsche Titelzeichnung dazu gemacht. -...


Nach Alt-Aussee
[Trient, 26. Juli 1906]

...Ich bin so stumpf hier geworden, daß ich nicht mehr Aufsehen errege; ich zähle schon zu den Trientinern und werde bald, wegen ausgesprochenen Nationalcharakters, zum Ehrenbürger ernannt.
Ach, warum gehen die Mädchen immer im Profil?
Du glaubst gar nicht, wie traurig die Menschen hier aussehen. Sie leben in einer hoffnungslosen Stadt, und jeder neue Tag - mit seiner Leere und seinem Mangel an Spitze -ist zu befürchten; Überraschungen zu erwarten, das gewöhnt man sich mit der Zeit ab! - Das Schlimme ist, sie sind des Zustandes bewußt und ich bemerkte dieselbe Resignation und Negation, wie beim Capuciner-Prior, in ihrem Ausdruck, ihren Gesten und Phrasen.
“Cosa la vole! Qua a Trento!”
Bei den Mädchen schien mir, daß sich die Notwendig-keit von Gemütsbewegungen in Zanksucht äußert und zwar genügt der kleinste Anlaß, um die schon über-geladene Atmosphäre explodiren zu lassen. Eine ältere Tochter, mit Eltern, die ihre gewöhnliche Bank auf der Promenade besetzt fand, machte zu den Alten deswegen eine halbe Stunde Skandal, verdarb sich und ihnen den schönen Abend.
Das war nicht die Wuth über die Bank!, sondern über die Ereignislosigkeit, Gefangenschaft, Hoffnungslosigkeit, die sich schon seit 30 Jahren - täglich!!! - ansammeln. Gott sei Dank, daß die Bank da war, um einmal wieder Luft zu machen. -
Gegen Trento ist zum Beispiel, Empoli “amerikanisch” zu nennen. -
Ich lese jetzt einige intime Briefe von Giusti, voll Witz und Grazie...


Nach Alt-Aussee
Ich habe hier, um ein paar Stunden Gesellschaft zu haben, den “Ballo in Maschera” von Verdi gekauft...
Es ist ein starkes Werk, brutal, aber von einer großen Kraft und Plastik. Einige Momente darin gehören zu den besten von Verdi, scheint’s mir; - ich habe es nämlich nicht gekannt, nur daß ich Vieles, mir aus meiner Kindheit im Ohr Klingendes, dort wiederfand. - Aber das Textbuch! Und die Verse! Es ist die Geschichte Gustav des Dritten, aus politischen Rücksichten nach Boston verpflanzt.
“Odo l’orma dei passi spietati”
“Ich höre die Fußspuren der unbarmherzigen Schritte” - giebt es so was? -
Dieser Tagliapietra ist ein feiner, kluger Junge, Idealist und betet mich an. (Er begleitete mich - der Einzige - zum Bahnhof.) Psychologisch interessant ist es, daß mein Vater, aus Eifersucht, mich vor ihm schlecht gemacht hat, um ihn abzuschrecken! Mit dem Anfang: “Ma Lei non conosce mio figlio!” ging die Liste meiner Fehler los. Denke Dir, mein Vater, der nicht dulden würde, daß man an mir die leiseste Schwäche erwähnte, thut es selbst, damit ein anderer mir nicht nahe kommt!
Verzeihe, dieser Brief ist etwas durcheinander, aber ich schrieb ihn zu drei Malen...
[Trient,] Samstag (28 ?) [Juli 1906]


Nach Alt -Aussee
[Trient,] 30. Juli [1906]

...In diesem kleinen Giusti-Buch war auch ein Gedicht oder eine Rede abgedruckt, zur Gelegenheit der Ernennung Napoleons zum König von Italien. - Das Buch habe ich meinem Papa geschickt, weil es so viel von Orten und Zeiten, die ihm aus seiner Jugend ganz nahe bekannt sind, spricht. Er hat sich sehr darüber gefreut.
Über den armen von Saar habe ich hier ausführlich gelesen (Freie Presse, Münchener N. N.); es hat mich sehr beeindruckt. Es war eine Zeit, wo ich ihn sehr liebte...
Madonna di Campiglio ist von hier nur mit Wagen und Pferden und mit einer 10stündigen Fahrt zu erreichen. Gestern versuchte ich, die vertikale Sahara hinaufzusteigen mit der Hoffnung auf eine Oase; und fuhr mit einer Sekundärbahn 1 _ Std. nach Lévico, einem Badeort auf dem Berge, wo es Eisenbäder gibt (“ferruginosi”) und viele Fremde, so hieß es. Es war ein Fiasco, denn die Fahrt war Überheiß, oben kein Mensch bis 8 Uhr Abends zu sehen; ein langweiliges theueres Hotel, das mich abstieß.
Ich trat in eine kleinere Wirtschaft ein; auf einem alten Clavier lag “ausgerechnet”, wie die norddeutschen Mädels sagen, Sinding’s Frühlingsrauschen und Puccini’s Bohème. An der Wand hing ein Oelfarbendruck nach einem Sichel’schen Frauenzimmer. Auf der Straße pfiff ein schielender Bauernjunge den Faust-Walzer. - Hier kann man also sehen, was in der heutigen Kunst wirklich populär und verbreitet ist! - Und da spricht man von “lebendigen” Kunstwerken!? Welcher Bauernjunge pfeift den Don Juan und wo findet man den Clavierauszug in einer Gebirgswirthschaft?...


Nach Alt-Aussee
...Ich bin fortwährend ganz, ganz allein, die Briefe abgerechnet und meine lieben Bekannten Thusman, Leonhard, der Comissionsrath und selbst der unausstehliche Manasse - interessante Leute - und dann noch Verdi und Berlioz, allerdings Männer ersten Ranges!, und schließlich mich selbst, auch erträglich. -
Es ist doch der einzige Ausweg für den Operncomponisten, seinen Text selbst zu machen... Wunderbar, wie man, während des Componirens, streichen, hinzufügen, umstellen kann, nach dem musikalischen Bedarf.
Der Text eines Dichters, ist für den Componisten, wie das gegebene Terrain, die gegebenen Verhältnisse, der Zweck und die Geldmittel zu einem Gebäude, für den Architekten. Ich habe, die letzten drei Tage, den Antrag Manasses und die darauffolgende Versöhnung der beiden alten Freunde gemacht. Letztere zu einer kleinen “Freuden-Stretta” erweitert auf den Gedanken: “So bleibt Alles beim Alten”. Sehr komisch wie die Zwei, nach ihrer Verständigung, sich gegenseitig an’s Herz drücken...
[Trient,] 3. Aug. 1906


Nach Alt-Aussee
[Berlin, 9. August 1906]

...Mit großer Freude las ich den “Don Juan Tenorio” des Tirso de Molina zu Ende, der gewaltig ist, bei großer Frische und Leichtigkeit, groß bei völliger Naivität. Nie werden die schaffenden Künstler das jemals wieder erreichen. Die Unbefangenheit ist vorbei. Wir rechnen mit einem zu großen Publikum, das zu viel Verschiedenes kennt.
Es wird so schwer, nur zu seiner eigenen Freude und zu der seiner nächsten Freunde zu schaffen, wie Tirso in der kleinen Provinz, und für den ihm wahrscheinlich befreundeten Hof; wie Goethe für Weimar - (und seine Naivität schwand im Verhältnis zu dem wachsenden Weltruf). Bei dem Gefühl der Verantwortlichkeit und dem Wetteifer mit einer sich immer mehr anhäufenden Masse von Meisterwerken und technischen Anforderungen ist das Erscheinen eines großen und dabei naiven Genies hundertmal höher zu stellen, als desselben vor 3-400 Jahren, weil es um so viel schwerer zu Stande kommen kann. - Jedenfalls ist der “Don Juan” Molina’s ein seltener Typus dieser verschwundenen Art (Holberg ist so einer noch) und ich hätte nicht nur große Lust, das Stück dem Reinhardt zu empfehlen sondern, was ein bischen frech ist, die nötige Musik dazu zu schreiben. Sie bestände in einigen Serenaden die gesungen werden und ein paar unsichtbaren Chören, die die Erscheinung der Statue begleiten. - Der steinerne Gast kommt nämlich zu der Einladung Don Juan’s; das endet aber nicht hier, sondern er ladet Don Juan wieder zu sich ein und zwar “in die Capelle”. Don Juan sagt zu. Er wird mit einem Mahle bewirthet, wie man es im “Cabaret de la Mort” umsonst kriegt. Dazu gibt’s eine unheimliche Tafelmusik. Ein Geisterchor singt:

“Denket alle, die ihr fürchtet
Gottes unermeßne Strafen,
Wie so bald die Zeit verronnen –
Wie man jede Schuld muß zahlen.”
(Leporello: “Diesen Vers hab’ ich verstanden –
Er bezieht sich klar auf uns.”)

Das ist eine Theater-Situation von allererstem Range! Engagements werden dies Jahr nicht fehlen, deshalb halte ich mich noch diesen Monat mit allzuernstem Arbeiten zurück; es melden sich immer mehr. -
Ich freue mich unendlich auf Dein Wiederkommen...
Dieser Alte, den Du beschriebst, ist ganz Hoffmann’scher Art; das Süßsauere, Verbindliche, hinter dem sich etwas Kluges und Unerforschbares versteckt, etwas ganz Anderes als er im alltäglichen Umgang scheint: das sind ja die Hofraths Krespel, die Pathen Drosselmeier und ähnliche “fatale” Menschen, wie er selbst einen Serapionsbruder sagen läßt.


Amsterdam 4. Oct. 1906
...Ich bin heute zerschlagen und habe mit einer napoleonischen Geste ein Concert in “Enschede” - einem Fabrikdorf - abgesagt! Sonnabend ist erst der II. Abend, so daß ich heute (Donnerstag) ganz meinen Neigungen leben kann. Zu diesen gehört augenblicklich die Bearbeitung des “Aladdin”, von der ich gestern gleich 2 Scenen niederschrieb. Ich muß nämlich jedes Wort aufschreiben - was die Aufgabe viel größer macht - da vieles in der Diction zu ändern, zu concentriren, auch wirklich besser auszudrücken ist...


Gestern absolvirte ich den II. Abend und beendigte den I. Act Aladdins. Der Abend war einer jener seltenglücklichen, wo jeder Takt nach Wunsch gelingt, neue Einfälle unterwegs kommen und gleich richtig klingen und das Instrument gehorcht. Ich kann mich täuschen, aber es schien mir von Anfang bis Ende vollkommen in der Technik, mühelos, dabei frei und schwungvoll. Der alte Daniel de Lange hat, als von der Überleitung zur Fuge (in der 106 [1] ) sprach, geweint und mich heftig geküßt. J. meinte dagegen, es wäre Geschmacksache, und “seine” Auffassung wäre anders.
Ich antwortete ziemlich heftig, daß bei so einer reifen Kunstleistung von “Geschmacksache” zu reden nicht am Platze wäre, sondern nur zuzuhören.
Was die Aladdin-Arbeit betrifft, so bin ich damit zu-frieden. Es gelang, in den ersten Act eine große Einheit-lichkeit zu bringen. Es läuft nur schnurgerade und läßt sich nicht “auf Kreuz-und-Krummwege ein” - man wird in Athem gehalten durch die Einfachheit der steigenden Linie. Oehlenschlägers Buch leidet - bei so genauer Betrachtung - an einer weibischen Geschwätzigkeit und - was ich schon früher merkte - an Unbeherrschung der deutschen Sprache, endlich auch an “Genrehaftigkeit”. Die bürgerlichen Details nehmen einen zu breiten Raum, fast wie alt-holländische Kunst [ein]. Die Mutter ist entschieden eine alte Dänin. Ich darf beim Bearbeiten kein Wort ungeprüft vorbeilaßen - wenige Zeilen habe ich ganz im Original behalten können. Trotzdem ist die Anlage des Buches groß und genial und die große Mühe werth...
Amsterdam, 7 October 1906

[1] Sonate Op. 106 von Beethoven.


...Zwischen der adriatischen Küste und dem Canal, welcher Abstand! So einen enormen Unterschied habe ich nie beobachtet. Nebel, Sturm, Kälte - alle winterlichen Teufel beisammen - und erst vorgestern dieser Sonnenuntergang in Triest! Ich habe solches Entsetzen vor dieser Fahrt nach Irland - aber Schultz-Curtius ist unerschütterlich...
London, 2. Dec. 1906


(Manchester,) 4. D. 1906
...Die Harrison-Tour ist diesmal von einem beschämenden Charakter - damals mit Ysaye war es noch sehr gut dagegen. Hier in Manchester ist es ja ein bischen besser, man kennt und liebt mich und empfängt mich gut.
Es ist doch herrlich, daß ich immer meine eigenen Gedanken mit habe und daß ich dieses Jahr - und wahrscheinlich von nun an nimmer anders - jeden Augenblick, wenn ich mich concentrire, irgend etwas ausrichte. - Der Geist ist immer rege - doch verlangt mein Körper ein wenig Ausruhen - denn zuletzt ging es im Galopp.
Ich habe solche Sehnsucht nach Deinen Briefen, liebe, liebe Gerda; vielleicht nie vorher habe ich mich so wohl und zusammen gefühlt mit Dir, wie jetzt. Und das wird sich nicht mehr ändern; ich empfinde jetzt in allem so sicher.
Bis zur Beendigung des “Zauberers” sehe ich auch im Schaffen gerade aus; dann wird wahrscheinlich die famose “dritte” Periode auch für mich beginnen und ich hoffe zum Theil, etwas davon auszuführen, was ich zuletzt “geschrieben” habe.
Was mag Bösendorfer gesagt haben?
Ich neige jetzt sehr zu der Wiener Idee [1]; es könnte mir doch für drei Jahre eine Art Freiheit geben. Diese nächsten zehn müßte ich allerdings reich sein können! Aber auch so wird es gehen. Wie schön, daß Du dabei bist!...

[1] Die Berufung zum Leiter der Meisterklasse des Wiener Konservatoriums.


Sonntag den 9. D. 06. Edinburgh
Es war heute seit - ich weiß nicht wann - das erste Mal daß ich ordentlich übte und die 24 Preludes von Chopin hatten, nach einer so langen pianistischen Pause, ganz besonderes Interesse. Gestern war das Concert um 3 und so war’s auch wieder zum ersten Mal nach langem, daß ich einen freien Abend hatte; überhaupt daß ich auf die Straße ging. In Manchester, Liverpool, Sheffield, Newcastle, Birmingham, habe ich nicht den Kopf aus dem Hotel gesteckt. Endlich kam auch hier Dein zweiter Brief an, so daß es ein Stückchen blauer Himmel in jeder Hinsicht wurde...
Ich bin hier so schön allein. Sarasate [ist] in einem anderen Hotel, ein Theil der “Party” über Sonntag verreist. Die Stadt ist immer besonders. Der Himmel zerrissen und immer beweglich hinter den unbeweglichen Silhouetten der alten Hügel-Viertel. Abtheilungen schottischer Soldaten in rothen Jacken, carrirten Unterröcken und Shawls, weißen Gamaschen, welche die haarigen Knie frei lassen, ziehen mit unternehmendem Gange vorbei. Die Burg sieht auf Bauten von 6 verschiedenen Jahrhunderten herunter. Der Sonntag ist hier am heiligsten. Es ist, wie das andere Ende der Triester Eindrücke...


Edinburgh, [10.] Dec. 1906
...Sarasate ist ein gehirnloser und dabei temperamentloser Mann. Aber er hat ungeheuer viel durch Andere erlebt und war mit den größten Künstlern auf vertrautem Fuße. Das gibt ihm einen gewissen historischen Firnis.
Er erzählte wie er und Rubinstein an dem Abend eines Gewandhaus-Concertes im Hôtel, in Leipzig, beim “Whist” saßen. Es sollte eine neue Symphonie zum ersten Male gespielt werden - von wem, ist vergessen - die Rubinstein sich nicht anhören wollte. Gegen 10 Uhr kamen Leute vom Concert in’s Hotel. “Nun, wie war die Symphonie?” schrie Rubinstein dem ersten Besucher ent-gegen. - “Oh, sehr musikalisch”. “C’est jugé”, polterte Rubinstein und schlug mit der Faust auf den Tisch. “Quand les allemands disent " musikalisch ", c’est sûr que c’est embêtant”. -
Ich habe so geübt, daß ich’s im Rücken fühle. Diese 24 Preludes sind nicht leicht, aber ich freue mich auf diese neue gute Nummer...


...Die 24 von Chopin gaben mir sehr viel zu thun. Sie klingen nicht so schwer, sind aber nicht leichter, als die Paganini-Variationen. Und so sehr verschieden in Technik. Man muß umspringen können! Aber es ist eine vortreffliche Bereicherung. Ich freue mich sehr auf den z i. in Berlin...
Noch drei Harrisontour-Abende!
Und dann Adieu auf immer, diesem Herrn!...
[Aberdeen,] 11. Dec. [1906]


Immer zwischen einer Reise und einem Concert. Die Recension aus Aberdeen schicke ich Dir weil sie das Beste ist, was auf Englisch über mich geschrieben worden. Merkwürdig, da oben, in dieser kleinen schottischen Stadt wurd ich gleich das erstemal fast erschöpfend verstanden...
Die Preludes von Chopin haben mir rund 12 Stunden Studium in 4 Tagen gekostet.
Glasgow erinnert mich immer an Chicago - so sehr, daß ich heute einen Cigarrenladen aufsuchen wollte, der - wie mir schnell einfiel - in Amerika ist.
Sarasate sagte von C. Franck - “C’était un mauvais accompagnateur - Il accompagnait très mal - On en a fait un Dieu. -“ ...
Glasgow 12 D. 06


(Bradford,) 13. D. 1906
Was für schöne Briefe Du schreibst; wie gut sie mir alle gethan haben!...
Mit Sarasate hatte ich heute ein merkwürdiges Gespräch über Musik, das mich klar sehen ließ, daß mein Aufsatz für die Meisten noch zu früh kommt.
Er ist allerdings 62 Jahre alt und war niemals ein Revolutionär, aber er könnte ein bischen mehr Schwamm gewesen sein für das Gute, in das er sein Leben durch getaucht war.
Er hat etwas von Brodsky im olympischen Eigensinn, und wieder etwas von der urtheilslosen Ablehnung von meinem Vater: das ist das Lateinische...
Gottlob, heute 10 Uhr ist diese Tournee vorbei, und die Gesellschaft!
Ich komme wieder in meine Gewässer.
Wenn man Etwas gegen seine Überzeugung thut, dann gelingt’s auch nur halb, oder gar nicht...

1907

...Ich habe wieder eine fast unerträgliche Woche durchgemacht und ich betrachte diese Tage (8. - 15. März) völlig wie in den Wind geworfen. Marseille ist eine Stadt, die zwischen Madrid--Neapel-Triest eine untergeordnete Mitte hält. Mit Triest hat es die Ähnlichkeit des Hafens, der genau so zur Stadt liegt, und die des Mistral, der ungefähr daßelbe ist wie die Bora. Dieser schreckliche Wind kommt alle 2 Monate auf 3-4 Tage dort auf Besuch, und ich hatte die Chance gerade ihn anzutreffen. Architektonisch ist die Stadt trostlos, landschaftlich soll sie bei schönem Wetter vieles bieten, das ich nicht sah, weil ich nur den Hut zu halten und die Augen fortwährend zu reinigen hatte...
Musikalisch hat man dort die Ignoranz von Neapel und die Schlagworte von Paris. Liebenswürdige Atmosphäre. Der Zug zurück nach Genf kam um die Zeit, wo er in Genf eintreffen sollte, justament in Lyon an, nämlich mit 3 _ Stunden Verspätung. Ungeduldig stieg ich in Lyon aus. Mein erster Eindruck von dieser Stadt war völlig verfärbt; es gab Frost! Wind und - par conséquence - leere Straßen. Nächsten Tag machte ich in Genf halt, nachdem ich 6 _ Stunden, von Lyon dahin, gebraucht. Andere 8 _ Stunden erforderte der Weg von Genf nach Freiburg. Also drei lange Reisen und dazwischen Wüsten. - Niemals mehr gehe ich nach Musikexotischen Orten Concerte geben! Es war heute beinahe ein Aufsteigen, daß ich in diesem bescheidenen Städtchen ein wohlgeordnetes Orchester und ein verständiges - wenn auch durchschnittliches - Verhältnis zu meinem Thun antraf...
Freiburg (i. B.,] 15. März 1907


[München, 17. März 1907]
Ich hatte gestern, den 16., wieder einen sehr anstrengenden Tag, in Freiburg. Die Mignon lud mich ein noch einmal zu spielen. Ich mußte vorerst tüchtig üben und dann erst! Genug, ich war in der Fabrik von 12 bis _ 9 Uhr und spielte Norma, Don Juan, Polonaise, Ruinen von Athen, und Kleineres, auf einen Sitz. Vorher und nachher wurde ich freundlich und trefflich bewirthet. Dann nahm ich den Nachtzug nach München...


Nach Drottningholm bei Stockholm
[Berlin,] Sonntag. [7. Juli 1907]

...Ein junger Student sprach mich mit vor Aufregung zitternder Stimme auf der Straße an, um mir seinen großen Eindruck von der Lecture meines Büchels mitzutheilen. Es war sehr erfreulich, diese hingebende und kritiklose Empfänglichkeit bei der besseren Jugend zu sehen!...


Nach Drottningholm
[Berlin, 13 . Juli 1907]

...Ich bin mitten in der Vollendung des Theiles der Brautwahl. Die Aufgabe war doch größer als ich dachte und bei meiner unüberwindlichen Empfindung, daß jeder Takt etwas sagen soll, nicht schneller zu bewältigen...


Nach Drottningholm
Sonntag [14. Juli 1907]

...Ich habe keine Ruhefreude bis ich nicht mit einigen Abschnitten meiner Arbeiten im Reinen bin. Ende Juli oder Anfang August soll ich nach Weimar, wegen der Liszt-Ausgabe. Das fällt sehr un-à-propos mit Norderney zusammen...
Alles geht - gottlob - gut, regelmäßig und ohne Enttäuschungen, noch Überraschungen. Mehr kann man in diesem Leben nicht wünschen...
Mein Kopf steckt voll Sachen. Es ist aber immer Platz für den Gedanken an Gerda. Auch ich freue mich auf die “Nachferien” - werde Euch im Triumph empfangen Dieser Tage habe ich Béranger gelesen und den II. Teil der “Trojaner” [von Berlioz] studiert. Beides vortrefflich...


Nach Drottningholm
[Berlin,] Mittwoch, 17. Juli 07

In diesem Augenblick, _ 6 Uhr, habe ich meinen Act bis auf die letzte Note beendet - ich bin sehr froh, es ist ganz nach Wunsch gelungen!
Trotzdem es regnet, fliege ich hinaus. Morgen werde ich eine Übersicht machen, davon, was ich zu thun habe, und mich dann zu einem Plan entscheiden... Jetzt muß ich ausruhen! Ich glaube, dieser Act ist noch besser!...


Nach Drottningholm
[Berlin,] Sonntag 21. Juli 07

Es ist so kalt heute und grau, daß man ruhig auf den frühen November schließen könnte. Wir sind aber am 21. Juli: leider ein Sonntag. - Mein Kopf hat seit 3 Tagen nicht “rumort”, sondern, wie ich erwartete, gefeiert. Es sind heute angekommen: eine lustige Zustimmung Egon’s nach Norderney zu kommen und die Tabelle meiner Daten von Wolff. Die Tabelle sieht recht geschlossen aus mit ihren größeren Gruppen, England - Schweiz - Holland - (im April Italien geplant, und dann Paris) - dazwischen sechsmal in Berlin... Was nun meine Pläne betrifft, so denke ich die nächste Woche hier auszunützen für zwei Sachen. 1.) Muß ich als Clavierspieler wieder frisch werden für Norderney - 2.) den 2. Act der Brautwahl in’s Reine und Ausgeführte bringen.
Dann kommen die Reisen nach Weimar und Norderney...
Außerdem faßte ich vorgestern den Entschluß, von nun an bis zu ihrer Beendigung, meine ganze Aufmerksamkeit nur auf die Brautwahl zu concentriren, welche doch recht wichtig wird. -
Die Liste meiner sonstigen Arbeiten habe ich noch nicht aufgestellt, da ich die drei letzten Tage wirklich feierte. (Ich schlafe wie ein Kind!) - Aber sicher muß ich Anfang September in Wien sein (Wohnung und Prüfungen) und am 22. nach England reisen. Gott sei Dank, daß der Lebenspuls so schlägt, das spornt mich mehr an als die Ruhe. - Ich bin gottlob gesund und zufrieden, ohne übermüthig zu sein. Sollte die reife Mannesstimmung sich endlich melden? Ein Rest von Kindlichkeit ist aber immer in mir und läßt sich nicht “überwürden”!...


Nach Drottningholm
...Ein Prozeß, der heute Nacht zum Abschluß kam, hat mich derartig interessirt, daß ich gestern Abend, theils zur Übung, theils aus Opposition, eine andere Darstellung versuchte; ich habe wirklich nachgedacht und meine Gedanken aufgeschrieben...
Warum hat man nicht einen Kopf wie Edgar Poe?! Diese Idee hat mich dieser Tage fast gequält - wenn ich auch ein besserer Musiker und ebenso guter Künstler bin wie er. Natürlich, auch Übung gehört dazu.
Poe hat ein solches Verbrechen in seinem “the Mystery of Marie Roget” Schritt für Schritt gefolgert, was sich viele Jahre später vollständig bestätigte. - Dieser Mann Hau hat sich vor Gericht bewunderungswürdig, kühl und consequent gehalten; er war viel stärker als seine Richter.
Es wird noch einen Nachprozeß geben müssen. -
Ich gehe jetzt an meine Arbeiten - der zweite Act (I. Theil) ist gelungen...
[Berlin,] 23. Juli 1907


Nach Drottningholm
[Berlin, 26. Juli 1907]
...Die Weimarer Reise ist noch unentschieden. Wie gern hätte ich diese vier kargen Tage noch unbeschnitten! Ich rechne jetzt mit jedem einzelnen Tag und sehe mit Erstaunen und Schrecken fast den Abend seine Schatten vorauswerfen und den Tag verschlingen. Das Leben reicht nicht aus und schwirrt vorbei wie eine Landschaft, durch das Eisenbahnfenster gesehen. Die Dinge an denen man eben vorbeifuhr sieht man im nächsten Augenblick hinten weit liegen, und ebenso rasch ist man an die entgegengesetzte Entfernung gelangt.
Manchmal habe ich das Gefühl Alles stehen zu lassen (die Beschäftigungen) um dieses ewige “von-Neuem-Beginnen” nicht mehr zu fühlen. Aber die Leere ist noch schlimmer. Besser ein langer mühsamer Weg, als gar kein Weg, wie in den Sand- oder Eis-Wüsten...
Von kleinen Freuden kann ich berichten, wie von den gelungenen Bucheinbänden; der Lecture einer sehr originellen Novelle von Clemens Brentano (“Die mehreren Wehmüller oder die ungarischen Nationalgesichter”); von Grüßen die der durchreisende Herkomer seinem Freund Widemann für mich auftrug (Widemann ist der alte Bildhauer bei Bartolini)...
Bartolini erzählte wieder ein sehr abenteuerliches Erlebnis, wie er einer Judenfrau in Südamerica versprach, sie in ihre Heimat zurückzubegleiten und buchstäblich die Reise von Brasilien bis tief in Rußland hinein, im schwersten Winter, mit gefälschten Pässen unternahm und durchführte und schließlich, auf dem Rückweg, in Berlin stecken blieb. - Der wäre ein güter Mann für Napoleon gewesen...


Nach Drottningholm
[Berlin, 28. Juli 1907]

Das Clavierüben kostet mich Ueberwindung, doch darf man es nicht lassen! Es ist wie ein Thier, dem die Köpfe nachwachsen, möge man noch so viele abhauen. Das Componiren ist dagegen wie ein abwechselnd schöner und schwieriger Weg, von dem man eine immer längere Strecke zurücklegt, immer mehr Stationen erreicht 13 und hinter sich läßt, doch dessen Endziel unbekannt und unerreichbar ist. - Es freut mich, daß Du in Hebbel Schönheiten findest. Er muß denken und suchen - aber er scheint mir von den Allerbesten!


Nach Drottningholm
An den Tagen wo ich keinen Brief von Dir bekomme, lese ich den letzten wieder durch - und der letzte, für den ich Dir gleich dankte, ihn kann man gut noch mehrere Male lesen!
Denke Dir, heute bekam ich eine Art “Geschichte von Berlin”, worin thatsächlich eine Abbildung von der “Execution des berüchtigten Hof- und Münzjuden Leuppoldt” nach einem alten Stich, sowie sogar ein Porträt von einem “Leonhardt Thurneisser”, Goldschmidt aus Thurn, in seinem 45. Jahre (ein schönes Gesicht), enthalten sind. Auch das Porträt des Juden ist in dem Rahmen der Hinrichtung eingefügt; es stellt einen Kopf von großer Klugheit, scharfen Zügen und fast arabischem Charakter dar. Sie haben ihn schrecklich gequält und es ist leider kein Zweifel, daß er nach den vielen Grausamkeiten die man ihn erleiden ließ, sicher und für immer todt war. - Diese beiden Figuren liebe ich als Künstler sehr und ich fuge - während der Arbeit - immer kleine Züge nach. Ich habe jetzt fast die Sicherheit, daß die Brautwahl wirken wird. Ich bin ganz ungeduldig Dir a. B. “des geheimen Kanzleisekretärs Thusman unwahrscheinlichen Bericht” in seiner Vollendung zu zeigen. Mit dieser Vollendung ist nun auch die Form der Einleitung zum II. Act vorgezeichnet, welche ff mit dem Walzer “Allegro, vertiginoso” ohne weiteres einsetzt. Ich bin im Ganzen sehr weit mit dem Stück. Das Textbuch trägt ja schon das Datum Juni 1906...
[Berlin,] 30. Juli 1907


Nach Drottningholm
(Norderney, den) 1. Aug. 1907

...Es ist ein komisches Gefühl, nach drei Monaten Pause wieder öffentlich spielen zu müssen. Ich fühle immer stärker das “Beschämende” darin.
Ich habe ein Buch mit, das sehr viel verspricht. De Quincey’s “Murder considered as one of the fine arts” und anderes von ihm. Das muß so wie in die Familie Poe-Baudelaire gehören. De Quincey ist der Nämliche, der den Opium-Esser beschrieben hat.
Ich erhoffe hier einen Brief von Dir. Deinen letzten, den “goldenen”, habe ich in meine Brieftasche genommen...


Nach Drottningholm
(Norderney, den) 2. Aug. 1907

Es ist am Vormittag nach dem Concert. Es ging gut.
(Beethoven C moll-Concert, Liszt’s Héroïde elegiaque und Rakoczy-Marsch, neu.)
Als ich ankam, war die Stimmung wie am Anfang des fliegenden Holländers. Hier - dachte ich “zwischen mir und mir” (d.i. italienisch) - hier braucht man die Ouverture nicht au spielen. Die Natur spielt sie selbst. So dachte ich und ging zum Kurhaus in die Probe und - die ersten Töne, die ich hörte waren die der Ouverture zum fliegenden Holländer; nun spielte sie das Orchester wirklich. Übrigens mußte ich sagen: “Ein gutes Bild, ein Kunstwerk, ohne Zweifel, ganz nach dem Leben” [1] . - Schade, ich muß doch spätestens morgen fort, um nach Weimar zu gelangen... Die Fürstin Bülow - die sich übrigens noch erinnerte mich bei Wertheimstein gesehen zu haben (sie mußte die 24 verflossenen Jahre zugeben, ob wollen oder nicht!) - hat hier jeden Sommer Sapellnikoff bei sich zu Gast... Sie waren beide zu mir zuckersüß, wie Süditaliener und Russen meisterhaft verstehen, mit den beschämenden Übertreibungen der Schablonen-Diplomatie...
Zwischen allen diesen kleinen Erlebnissen, wie eine Spitze die mehrere Flicken verbindet, ging die Lectüre von dem sehr originellen und witzigen De Quincey...
Diesen Sommer habe ich einen der größten Fortschritte in meiner Entwicklung festgestellt. Ich habe in meinem musikalischen Geschmack, wie Du weißt, zuerst Schumann und Mendelssohn überwunden, ich habe Liszt mißverstanden, dann angebetet, dann ruhiger bewundert; Wagner angefeindet, dann angestaunt, dann wieder romanisch von ihm mich abgewandt; habe mich von Berlioz überrumpeln lassen, und - was eines vom Schwierigsten war - zwischen gutem und schlechtem Beethoven unterscheiden gelernt; letzthin die neuesten Franzosen für mich entdeckt, und als sie mir zu schnell populär wurden, wieder fallen lassen; endlich mich den älteren Theater-Italienern mit der Seele genähert. Das sind Metamorphosen, die 20 Jahre umfassen. Unveränderlich in meiner Schätzung stand, wie ein Leuchtthurm im brandenden Meere, die Partitur des Figaro, die ganzen 20 Jahre durch. Als ich sie aber vor einer Woche wieder ansah, habe ich zum ersten Male menschliche Schwächen darin erspäht; und meine Seele flog vor Freude zu erfahren, daß ich nicht mehr so tief als vorher darunter stehe; wenngleich diese Entdeckung anderseits nicht nur einen wirklichen Verlust bedeutet, sondern [auch] auf das Unhaltbare alles menschlichen Thuns (und wie viel mehr auf mein eigenes!) hindeutet. -...

[1] Zitat aus Busonis “Brautwahl”.


Nach Drottningholm
(Weimar, den) 5. Aug. 1907

...Ich langte am 4ten Vormittags hier an und hatte, mit Obrist und von Hase, gute fünf Stunden Arbeit...
Wir nahmen gestern jedes einzelne Heft Liszt durch. Die Beiden waren doch über meine Fachwissenschaft darin etwas überrascht. - Außerdem Skizzen, Manuscripte und alle möglichen Fragmente, darunter sehr interessante.
Es existirt eine ganze große Fantaisie symphonique über Motive von Berlioz für Clavier und Orchester; Ungedruckt. Ich wußte einmal davon, hatte es gesucht, und dann aufgegeben.
Das neue Theater ist von außen fast fertig. Vor dem russischen Hof steht der gute alte Großherzog – zu Pferd! - und militärisch gekleidet, von ganz neuer Bronze, was ganz unwahrscheinlich aussieht.
Das Tempelherrenhaus ist stumm [1]. - Man ist hier in fortwährender Angst, es könnte einmal ein Wagen kommen! -
Übrigens, die Herausgabe von Liszts Gesammtwerk scheint “ziemlich” beschlossen; hapert aber hie und da doch. Hase war sehr vertraulich mit mir und mehr auf meiner Seite als auf der der Commission.
Bald schreibe ich mehr.
Auch Dein letzter Brief hier war friedenspendend und glückmeldend. Ich bin Dir wirklich dankbar und ruhig und froh. - Mit mir selbst war ich, glaub’ ich, noch nie im Leben so einig, klar und bewußt. Alles zusammen ist ja fast mehr, als man (anderen Menschen gegenüber) das Recht hat zu beanspruchen! Und doch ist es, gottlob, so...

[1] Busoni hatte dort auf Wunsch des Großherzogs Carl Alexander († 1901) in den August- und Septembermonaten der Jahre 1900 und 1901 eine Meisterklasse für Klavierspiel abgehalten.



Nach Drottningholm
[Weimar, 6. August 1907]

Während ich in Berlin mit jeder Stunde was anzufangen weiß, gibt es hier bloß “auf die Uhr gucken”. Nebenbei ist das Essen schlecht, das Trinken unter mittelmäßig und infolgedessen der Schlaf nicht ausruhend...
Endlich habe ich keine Arbeit mitgenommen (mit Vorsatz zwar) aber es hat kein gutes Resultat. In der Arbeit und im Zuhausesein liegt meine Erholung, und ich muß (ohne jede Heftigkeit gesagt) diesem Drange folgen.
Ich fange ja im September wieder die Reiserei an und die dauert bis Ende April, wenigstens. Das sind acht Monate. “Ein Morgen ohne Arbeit ist eine Hölle” schreibt einmal Wagner; wieviel mehr eine Woche, oder mehrere. Dem Denken kann man nicht verbieten, und es macht einen nur unruhiger, es abstrakt zu thun. Das Aufschreiben macht den ganzen Sorgen ein Ende...
Egon war über die Brautwahl sehr “geknickt” und zum Theil ergriffen. Ich war recht glücklich. Überhaupt sollst Du nicht denken, daß ich nicht froh wäre; ich wiederhole, daß ich nie im Leben einen so befriedigendes Zustand hatte. Es ist fast überfließend. - - - -
Als Egon über die deutsche Grenze kam hatte er Beethovens Sonaten im Koffer, die beim Zollamt herausgeangelt wurden. “Was ist das?” sagt der Zollbeamte. “Das sind Noten. Beethovens Sonaten.” “Ach, das sind Beethovens Sonaten”, sagt darauf der Zollbeamte und blättert sie durch. “In der Auffassung” sagt er noch (indem er den Band zurückgibt) “ist das das Schwerste”. “Und” (fügt er noch hinzu, da er Egon für einen Engländer hält) “ein Ausländer kann das nicht fertig bringen; dazu gehört schon ein Deutscher”.
Ist das nicht für Simplicissimus?! -
Mit steigendem Genuß habe ich die “Mordkunst” von de Quincey zu Ende gelesen. Sie besteht aus drei längeren Aufsätzen, die, im Zeitraume von 27 Jahren (!) geschrieben sind. In dem letzten finden sich die Beschreibungen von zwei Gewaltthaten, welche zu dem Dramatischsten und Klügsten gehören, das ich jemals gelesen.
Er geht von dem Satz aus, daß das Publikum angesichts eines geschehenen Mordes und nachdem die ersten Eindrücke von Verblüffung, Schrecken und Mitleid vorüber sind, sich als Amateur verhält und Bewunderung und Kritik sich einstellen. - Das ist richtig.
“Wunderbar”, schreibt er ungefähr, “ist die Macht eines Menschen, wenn er über Skrupel und Angst hin-weggeht, und eine Nation in seinen Händen hält”. Auch das ist richtig... Der dritte Aufsatz ist ernst und inquisitorisch, aber die beiden ersten von einem teuflischen Witz.
N.B. Ich freue mich sehr auf die Liszt-Ausgabe, welche ein kleines Meisterwerk werden soll. Man hat Zugestimmt, daß ich in Vor- und Nachbemerkungen meine Ideen ausspreche.


...In Cardiff war das ganze musikalische England versammelt. Von denen die Du kennst, z. B. Cowen, Hervey, Dr. Elgar. - Der dürre Stock, welchen Euterpe über Britannien schwingt, beginnt einige Knöspchen zu zeitigen...
Der alte Bösendorfer, der wieder ein wenig jünger ist, baut für mich einen Flügel mit 8 Octaven und besonderer Dämpfungs-Einrichtung. Es ist doch ein bewunderungswürdiger alter Herr.
Mein Classenzimmer in Wien hat die Aussicht auf die Karls-Kirche, welche in meiner Erinnerung immer das schönste Bild war...
Es werden noch mehr Schüler sich melden, ob gute...?
Ich bereue, daß ich keine Arbeit mithabe, anderseits ist es gut (vielleicht). Der Provinztrab ist hier nicht sehr erbaulich. Überdies verliere ich viele Tage...
Ich habe notirt, daß diesen Winter neun Aufführungen meiner Werke stattfinden sollen. Ich freue mich darauf. Aber erst zu Hause freue ich mich recht! Liebe Gerda, morgen ist unser Hochzeitstag! Sei bedankt für alles Gute und Schöne, das Du mir gabst und danken wir zusammen dem Schicksal, das uns zusammen und bis hierher führte. Ich bedaure innigst, daß wir den Tag nicht zusammen verleben sollen, aber es sollen noch viele und glückliche folgen...
Bath den 26. Septbr. 1907


(Bowdon,) 30. Septbr. 07
Ich bin hier sehr herzlich empfangen und fühle mich unter verständnisvollen wirklichen Freunden [1], aber meine Sehnsucht nach Hause wird nicht still...
Dann ist es recht dumm, daß ich gar nichts zum Arbeiten mitgenommen, ich wäre froh es wenigstens im Geiste durchzustöbern.
In labore requies - Ausruhen in der Arbeit – soll Liszt’s Devise gewesen sein; aber nur solche Arbeit, die interressirt...


Ich habe diesmal einen etwas freundlicheren Theil von England durchquert. Bath war ein hübscher Eindruck mit seinen schönen entfernten Hügeln überall rings als Hintergrund, seinen krummen alterthümlichen Winkeln, seinen geschmackvollen Empire-Gebäuden, kleinen Überraschungen überall, alten Bücher-Läden und einem großartigen Hotel außer--englischen Gestempels, bot mir die Stadt (am Morgen nach dem Concerttage) einen angenehmen Vormittag.
Landschaftlich großartig war der Punkt an welchem mein Hotel in Bristol liegt. Eine Hängebrücke führt dort (in Clifton) über einen tiefen Abgrund heroischen Styles - sie liegt sehr hoch und man kann von der Stelle weit in das Flußthal nach zwei Seiten sehen. - Auch hier in Barrow ist es fast ländlich; die letzte Stunde Weg am Rande des Ufers recht romantisch...
Unterwegs beobachtete ich im Vorbeifahren einen Schäferhund der eine Heerde führte. Sie war in zwei Gruppen getheilt, hatte sich sattgefressen und mußte nach Hause getrieben werden. Der Hund hatte viel zu thun, denn kaum hatte er die vordere Truppe in die gewünschte Richtung gehetzt, mußte er an die andere denken, zurücklaufen und von der hintersten Reihe beginnen. Er machte das mit viel Geschick und guter Laune, und ich mußte an die Berliner Schutzleute denken, die beim Vergleich jämmerlich wegkommen...
3. Oct. 1907. Barrow-in-Furness


[Wien, 16. Oktober 1907]
...Das Niveau [meiner Klasse] ist ungefähr auf der Höhe (“Höhe” ist gut!) meiner einstigen Moskauer Klasse. Kaum einer ist da, mit dem ich über ein Bild, ein Buch, eine menschliche Frage conversiren könnte.
Heranziehen von Vergleichen aus der Psychologie, Aesthetik, Natur, begegnet keinem Verständnis. Nur Fingersatz, Pedal, piano und forte, Rhythmus das ist was ich hier lehren kann. Die kleine, häßliche Russin, die zuletzt in Berlin war und weinte, ist noch eine cultivirte Person gegen die Übrigen...


...Mein “Zimmerl” im Schulgebäude ist ganz gemüthlich geworden - ich habe Aussicht, im Schottenhof Wohnung zu finden...
Der “Schottenhof” ist jenes große umständliche Gebäude in gar keinem Styl, das auf die “Freiung” sieht und an die “Schottenkirche” angepickt ist... In diesem Hause habe ich Liszt als Kind vorgespielt; er wohnte dort bei einem Vetter...
Wien am 17. Oktober 1907


Heute ist vielleicht der schönste Tag des Jahres, und ich bin gottlob frei; ich will ihn auskosten.
Zierst aber schreibe ich Dir einen Gruß und ein paar Gedanken: dann wandere ich zum Conservatorium und erledige kleine Geschäftssachen, und (wenn mich nichts aufhält) gehe ich daraufhin, mit der Ausrede, Wohnungen anzusehen, herum und esse schließlich, bei diesem!! Wetter im Volksgarten. Ich bekomme jeden Morgen zum Frühstück die Neue freie Presse...
Ich bin dahinter gekommen, daß der Ruin der Wiener (in ihrem Verhältnis zur Kunst) in den Feuilletons seinen Grund hat. Diese systematische, halbhundertjährige, dabei tägliche Lecture von witzigen, oberflächlichen, kurzen und alle auf ein gangbares Schlagwort zugespitzten Kunstgesprächen, hat bei den Wienern das eigene Sehen, Hören, Vergleichen, Denken und jede Gründlichkeit zerstört.
Diese kleinen Wiener haben etwas Pariserisches in ihrer Genußsucht und Überlegenheit und fallen - bei ihrer Sensationsjagd - wie die Pariser oft herein!
Auch die Frauen erinnern, mehr als die Londonerinnen und mehr als die Berlinerinnen, an jene von Paris: es gibt so viele “Luxusthiere“ darunter; Du weißt wie ich’s meine. Der Typus der “belle-femme” kommt hier auch sehr oft vor. Solche Frauen wie die der Familie Gomperz sind eigentlich eine Ausnahme!
Diese altmodische Vornehmheit, die noch von den 1830er Salons abstammt, ist hier sehr charakteristisch. Nirgends sieht man auf einem kleinen Fleck so viele “Ekipaschen” beisammen; die Fiakers spielen Privatequipage und holen mit feierlicher Umständlichkeit aus: man hat immer das Gefühl, daß zu einer Hofsoirée gefahren wird.
Dieses protzige Pferdegetrappel ist nur in Wien zu hören und es ist bezeichnend, daß jedes Haus, jeder Hof, jedes Trottoir zu einer Wageneinfahrt eingerichtet ist...
Dein Brief von gestern hat mir so wohl gethan und eben kommt ein neuer an. Wie gut, daß ich noch nicht ausging. Er ist leider nur sehr kurz (und sah so dick aus!)...
[Wien,] am 19. Okt. 1907


...Die Conservatoriumsluft dringt durch die nurritzen in meine Classe: so schrieb ich vor Tagen an Mama. - Sie antwortete übrigens erstaunlich vernünftig, klar und lieb. -
Ich habe noch keinen Menschen besucht.
Einen hübschen Abend hatte ich am Samstag: die Eröffnung eines neuen Cabarets, von den besten hiesigen Malern, Architekten und Decorateuren ausgestattet. Ich saß am selben Tische mit einigen von diesen jungen Künstlern, die sehr intelligent und furchtbar eifrig waren. Klimt gehört auch dazu...
Ich dachte: Aphorismen über Clavierspiel zu schreiben...
Der erste fiel mir ein: Vor allem muß die Technik sein. Damit sie die Schwierigkeiten verbergen helfe. - Die Schwierigkeiten soll man verbergen, auf daß der musikalische Faden, von welchem der Spieler das eine Ende und der Zuhörer das andere Ende hält, straff bleibe. Die eingeschaltete Cadenz klinge wie eine Parenthese nach der man denselben Ton, den man verlassen hat, wieder aufnimmt...
[Wien,] am 21. Oktober 1907


[Wien,] 22. [Oktober 1907]
...Gestern abends nach der Stunde, nahm ich die drei männlichen Schüler mit zum Abendessen, auch damit etwas Contact entstehe. Es war sehr nett...
Ich sehe Keinen, auch nicht im Conservatorium. Die Leute werden zwar gekränkt sein, aber sie müssen sich daran gewöhnen.
Gestern war die Classe schon etwas besser (die sechste stunde): die Leute fangen an, das Niveau zu spüren.
Am schlimmsten sind diese kleinen Wienerinnen (ich kenne sie seit meiner Kindheit, es ist noch immer derselbe Schlag... ), die Alles spielen, gleichviel was, und weil es halbwegs geht, wie sie es ungefähr in den Ohren haben, glauben, daß sie es können. Dabei ist die Art des Claviertalentes so unfachmännisch und ganz systemlos.
Man sagt, Beethoven sei schwer zu spielen und Liszt nur Virtuosenthum. Aber “glaube grade Gegentheil” [1].
Denn ein Stück von Beethoven kann man immer erken-nen; dagegen solltest Du hören wie ein Sonett von Liszt und selbst eine Etude klingt. Man versteht garnicht, was vorgeht, wenn sie so was hier spielen.

[1] Stehende Redewendung seines russischen Schülers Gregor Bekiemischeff.


[Wien, 24. November 1907]
Eben habe ich “Turandot’s Frauengemach” fertig aufgeschrieben, nun fehlt bloß noch die “Erscheinung”...
Am 8. spielt hier Sauret (mein Concert). Soll ich deswegen bleiben? Zwischen Wiesbaden und Wien las ich im Zuge “The Devils Disciple” [1]. Der Eindruck war sehr gemischt - aber doch fesselnd. Der erste Act ist vollkommener “Dickens”. Die Conversation vom Galgen herunter mit einem General sieht sehr unwahrscheinlich aus. Es hat alles vom Roman. Aber in so bewegten Zeiten - -!...

[1] Von Bernard Shaw


Ich schreibe Dir schnell ein paar Zeilen, um Dir zu sagen, daß ich soeben ( _ 8 Uhr Sonntag) die 5 Clavierstücke [1] beendet habe. Sie müssen nur noch in’s Reine geschrieben werden. Das letzte (Erscheinung) ist wohl das merkwürdigste. -
[Wien,] 1. Dec. 1907

[1] Die “Elegien”.


...Was Galstons Liszt-Spiel betrifft, so freue ich mich seiner Erfolge. Wenn man in Liszt’s Styl eingedrungen ist, so klingen seine Stücke immer besser als die aller Anderen...
Man schimpfe nicht auf Berlin. Wer und was hat nicht Fehler? Nach den guten Eigenschaften soll man Sachen und Menschen beurtheilen...
Die Wiener können nicht davon lassen, Alles mit der Vergangenheit zu vergleichen...
Einen fortschrittlichen Zirkel bildet die sogenannte “Wiener Werkstätte”.
Übrigens habe ich Klimt kennen gelernt, ein höchst einfacher, fast bäurischer, sehr klug aussehender Mann...
[Wien,] am 3. December 1907


Heute werd’ ich mit dem 1. Sonett [1] fertig. Ich habe mich aus mehreren Gründen entschlossen, es bei diesem zu lassen.
Erstens: sind die beiden anderen so ähnlich - dieselbe Tonart, dieselbe Arpeggien-Begleitung - daß ich meine Aufgabe mit dem ersten für gelöst betrachte. Es ist auch das größte und abwechslungsreichste.
Zweitens: kann ich nicht mehr! Ich muß ausruhen, sonst bringen mich die drei nächsten Monate um...
Ich glaube, es wird sehr gut klingen und wirken.
Hoffentlich bist Du überzeugt und einverstanden...
Gestern Abend beschloß ich (um zu wissen!) Mme Butterfly anzuhören. Es fing um 7 Uhr an. Das Billet kostete 14 Kronen. Punkt 7 Uhr 20 Minuten war ich wieder heraus. Ich ging spazieren, essen, und kam noch zum letzten Act zurück.
Es ist unanständig.
Das Publikum werde ich aber nie verstehen lernen. Langweiligkeit, Monotonie, Unwahrheit, das schluckt es herunter, als ob es flüssige Perlen wären.
Allerdings gab’s keinen Applaus zum Schluß, aber das Theater war ausverkauft. Und in’s Bristol kamen reiche, selbstzufriedene, lächelnde Juden entzückt zurück. Die japanischen Decorationen und der modern angezogene See-Officier berücken die Leute...
Wien Montag 16. Dec. 1907


Es ist gut, daß ich meine vorläufige Arbeit mit dem Sonett abschließe, das ich Dir heute im fertigen Manuscript eben abgeschickt habe. - Ich bin fast schmerzlich angestrengt. - Aber auch sehr zufrieden mit dem Ergebnis dieses gesegneten Jahres 1907...
[Wien,] 17. Dec. 1907