DER NEUE MERKER

Nummer 127 (17. Jahrgang, Juli/August - 2006)
06.07.08 12:23:22
Anton Cupak

Interview, 05/2004: Franz WELSER MÖST, Zum Wiener TRISTAN aus einer dummen Laune

Schon aus dem nostalgischen Grund, dass ich selbst meine Mittelschulzeit in Linz absolviert habe, verbunden mit erholsamen Ferien am Attersee, war es ein Muß für mich zu dem Künstlergespräch zu kommen, zu welchem Franz Welser-Möst, Dirigent von Weltruf, von Heinz Sichrovsky, dem Kulturchef von NEWS, geladen worden war. Es fand im intimen Rahmen des Karajanzentrums am Sonntag, dem 2.Mai, um 11h statt. Dass ich soviel über Schulisches hören würde, hatte ich selbst gar nicht erwartet. Das lag am Überraschungsgast aus dem Leben des Künstlers.... Sehr wohl erwartete ich eine informative und vergnügliche Stunde, denn Heinz Sichrovsky ist nicht nur mit dem österreichischen Musikleben bestens vertraut, sondern versteht auch etwas von lockerer Gesprächsführung, gewürzt mit Humor. (zu W.-M.: „Wie war die zweite Frage? Wissen Sie´s noch? Ich kann mich nicht mehr erinnern!“) Der berühmte Gast bot souverän Paroli.

HS: zu dem bestens erholt aussehenden Weltstar: Er bewundere dessen Geduld und Nervenstärke. Sich so ruhig der Erholung widmen zu können, während in Wien und Salzburg die Gerüchteküche zum Sieden kam.
W.-M.: Er habe 5 Wochen eines wunderbaren Urlaubs hinter sich. Er könne nichts dafür, dass sein Großvater schon 192o am Attersee ein Grundstück erwarb.
HS: Spricht das fulminante Philharmonische Abonnementkonzert Ende März an. „Die Liebe zu den Philharmonikern ist Ihnen nicht in der Sekunde eingeschossen.“
W.-M.: 1993 als ich erstmals das Cleveland Orchestra dirigierte, hatte ich das Gefühl: „Das geht nicht gut.“ War dann überrascht, dass er doch wieder eingeladen wurde. Bei den Wiener Philharmonikern sei es ähnlich gewesen. Großartig, dass das Orchester nach dem 1. wenig geglückten Versuch die Beziehung mit Visionen und Geduld langsam aufbaute.
HS: „Kam da nicht auch der Punkt, wo man um Sie nicht herum konnte?“
W.-M.: Er versuche das Positive in den Menschen zu sehen. Seine Position komme vom Ausland her. Es sprach sich herum. „Hoppla, da ist etwas vorhanden, was ein Maß an Qualität hat.“ Mit den Philharmonikern verbinde ihn nun gegenseitige Offenheit. Und diese Entwicklung sei ihm lieber als ein Strohfeuer, das rasch verglüht.
HS: spricht den „unvergeßlichen „Tristan“ an, als sein Gast für den Kollegen Thielemann eingesprungen war. Stimmt es, dass nur am Telephon geprobt wurde?
W.-M.: Nein, das stimme alles so nicht. Holender habe den Dir.Peirera in Zürich angerufen, da ihm Thielemann abgesagt hatte, und er wollte Peter Schneider. Er, W.-M. sei zufällig bei Eintreffen des Anrufs im Büro gestanden. Da Peter Schneider nicht konnte, habe er aus einer dummen Laune heraus, ohne viel nachzudenken, gesagt: „Das könnte ich machen.“ Peirera: „Du, ich habe da jemanden, der das machen könnte“. W.-M.: „Grüß Gott, Herr Holender!“ Großes Schweigen. „Herr Holender, kennen Sie meine Stimme nicht?“ „Da kann ich jetzt nur auf die Knie fallen.“ „Das müssen Sie nicht. Geben Sie mir den Korrepetitor!“ Mit dem habe er 2 Stunden telephoniert, um zu erfahren, wie Thielemann das gemacht hat. Dann verständigte er sich mit dem Bühnenmusikdirektor und dem Chorleiter. ......
HS: Er (W.-M.) habe viel Neid zu spüren bekommen. Sei der Neid in diesem Land eine Grundqualität?
W.-M.: Im Grund genommen schon, doch gebe es Neid auch anderswo.
HS: Ab 2007 hätte es das Angebot gegeben, Musikdirektor der Wiener Staatsoper zu werden.
W.-M.: Dem stand im Wege, dass er bis 2012 einen Vertrag mit dem Cleveland Orchestra habe, den er erfüllen wolle. Aus Respekt für diese Orchester und die Wiener Staatsoper, sollte man nicht jeder Institution 5o% an Einsatz zukommen lassen.
HS: Sein Gast werde aber den Schwerpunkt seiner Tätigkeit von Zürich nach Wien verlegen. Er werde den kompletten „Ring“ in 2 Saisonen (2007 bis 2009) dirigieren, „Arabella“ wieder aufnehmen (Regie: Sven-Eric Bechtolf) und noch Repertoire dirigieren. „Welches?“
W.-M.: Eventuell „Don Carlo“ – und ein paar andere Stücke, aber da sei er sich noch gar nicht sicher. Während seiner „Ring“-Tätigkeit in Wien, werde er in Zürich nicht dirigieren. Vorher aber noch Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“ unter der Regie von Hermann Nitsch herausbringen. Zu dicht dürfe sein Programm nicht werden, denn er brauche auch seine Zeit für den Attersee.
HS: Viel fehle da nicht mehr zum Musikdirektor.
W.-M.: Doch. 7 Jahre als Chefdirigent in Zürich hätten ihn gelehrt, dass die Aufgabe es mit sich bringe, dass man sich intensiv mit jungen Sängern befasse und sie bis zur Hauptrollenreife aufbaue. (Erwähnt als Beispiel Cornelia Kallisch). Sich also ganz wesentlich um das Sängerensemble kümmere. Und natürlich auch den Chor nicht links liegen lasse.
HS: „Dass sie das Repertoiresystem verfechten, ist außergewöhnlich.“
W.-W.: Wir leben in einer Zeit, die durch die Schallplatte in Richtung Perfektion gedrängt würde, manchmal auf Kosten der Musikalität. Viele Kollegen hätten nicht, wie er, Oper von der Pike auf gelernt. Als er in München studierte, habe es geheißen: „Im Graben macht man keine Karriere.“ Er tat dann aber bewußt den Schritt von London nach Zürich, habe sich „lebendig begraben.“ Später lerne man das nicht mehr. Mit 23 habe er bei Herbert von Karajan assistiert, der ihm sagte. „Was Sie bis 35 nicht lernen, lernen Sie nicht mehr.“ Der „Schritt in den Graben“ sei also wichtig. Dann ist man nicht gegen das Repertoiresystem. Man müsse das Verständnis zwischen Bühne und „Graben“ aufbauen. Die Sänger brächten ihn dazu, das Repertoiresystem zu verfechten, denn wo sollten sie sonst wachsen und reifen? Sie lernen durch Zuhören und Zuschauen von arrivierten Kollegen.
HS: Große Konzertdirigenten scheitern an der Oper.
W.-M.: Vom Handwerk her sei ein „Tristan“ leichter zu dirigieren als „Die Lustige Witwe“, weil es da mehr zu reagieren gibt. Opern von Wagner seien symphonischer gebaut.
HS: „Ist „Tosca“ schwer?“
W.-M.: Der ganze Verismo sei schwierig. Auch „einfache“ Werke hätten ihre Tücken. So habe er von Giordano „Madame Sans-Gêne“ins Programm genommen, aus Verehrung für Mirella Freni. Der 1.Akt sei sehr schwer. Wenn man nicht aufpasse, finde keiner mehr in den Takt . – „Lulu“ sei leichter als „Fanciulla“. – Als Chefdirigent sei man für alles zuständig und müsse den Finger am Puls des Hauses haben, um ihn beeinflussen zu können.
HS: Und der „Ring“?
W.-M.: Sei vom Musikalischen her schwierig. Über 16 Stunden einen Bogen spannen!
Nein, ein Regisseur sei nach Kusejs Absage noch nicht gefunden. Es hätte keinen Sinn, Namen hinaufzuschmeissen und dann aufzufangen. Jedenfalls werde mit „Die Walküre“ begonnen. Auch Karajan habe das getan. Es sei das geschlossenste Werk. „Das Rheingold“ sei am Schluß geschrieben worden, und der Regisseur tue sich leichter, im Rückblick diese Oper zu inszenieren.
HS: Wohin soll die „Ring“ Regie führen? Auch über den Bildschirm?
W.-M.: Da müsse er sicher passen, denn er sei kein Technikfreak. Er habe weder PC noch Internet und man schimpfe mit ihm, dass er per e-mail nicht erreichbar sei. Darüber sei er aber froh. Schließlich habe er zwei Sekretärinnen.
Was die Regie betreffe, so könne man das „Weltentheater“ des „Ring“nicht nur von einer Richtung angehen, dazu sei es zu vielschichtig. Ein wesentlicher Teil sei der Mythos, den dürfe man nicht vernachlässigen. Der Traum eines Volkes im Mittelpunkt.
HS: „Wovon hat das Volk geträumt, nicht von 1938-45?“
W.-M.: Auf der politischen Schiene scheitere man schon im 1.Akt von „Die Walküre“ völlig. In „Siegfried“ oder „Rheingold“ mögen sie manches hineininterpretieren.
In Stuttgart sollten 4 Regisseure die riesige Herausforderung übernehmen. Was dann nicht verwirklicht wurde.
HS: Werde die Regie überschätzt? Was würde sein Gast tun im Falle von Konwitschny, der die „Meistersinger“ zugunsten einer Diskussion unterbrechen ließ.
W.-M.: Da würde er nicht am Pult stehen. Das Kunstwerk muss sich beweisen in verschiedenen Zeiten, neues Licht solle daruf fallen, aus der Zeit heraus.
Über was er sich noch ärgere, seien die zerdehnten Rezitative bei Mozart. Es gibt Temposchwankungen. Aber wenn ein Komponist hinschreibt „Allegro“, kann es nicht dreimal so langsam sein. „Meine er da den „Don Giovanni“ in Salzburg?“ „Nein, den „Don Giovanni“ in Glyndebourne.”
PS: In der “Entführung“ in Salzburg habe es viel Prosa gegeben. Ein See von Plagen mit Inselchen von Musik, die bald absoffen.
W-M.: Er müsse gestehen, er habe als Chefdirigent immer im Sommer Urlaub und lebe da kunstabstinent. Dadurch habe er wenig in Salzburg gesehen.
PS: „Don Carlo“, inszeniert von Peter Konwitschny, in der französischen Fassung.
W.-M.: Er dirigiere nur die 4-aktige italienische Fassung.
PS: Und Salzburg? Nicht wenige wünschen sich, dass Sie da führend tätig werden.
W.-M.: Salzburg sei das große Flaggschiff im internationalen Musikbetrieb. Er gehöre nicht zu den Leuten, die spekulieren. Sollte jemand kommen und vorschlagen, dass er etwas in Salzburg werde, werde er sich das genau überlegen.
PS: Sie dirigieren demnächst erstmals bei den Wiener Symphonikern. Üblicherweise ist es umgekehrt.
W.-M.: Das sei eine Art Wiedergutmachung. Direktor Angyan habe ihn zu den Symphonikern eingeladen. Von Anfang an habe es blöde Kommentare aus dem Orchester gegeben. Bei der „Leonoren 1“ habe dann einer nach vorgeschrien:“Muß man den Scheiß wirklich spielen?“ Daraufhin sei er abgereist. Dir.Angyan:“Wenn Sie gehen, schadet das Ihrem Ruf?“ „Wenn ich bleibe, schadet es meiner Gesundheit.“ Inzwischen hätten sich die Zeiten geändert und im Orchester habe auch ein großer Generationenwechsel stattgefunden. Jedenfalls gebe es im Kulturbetrieb Benimmregeln.

Nun war die Zeit gekommen, den Überraschungsgast hereinzubitten. Es war der Dirigent Balduin Sulzer, Lehrer und Förderer von Franz Welser-Möst am Linzer Musikgymnasium. Für den 1.Jahrgang hatte Dir.Kloibhofer ihn vom Stiftsgymnasium Wilhering „geködert.“ W.-M.: „Oh, die Aufarbeitung meiner Jugendsünden.“
Balduin Sulzer erinnert sich: seine Situation sei schwierig gewesen in dieser 1.Klasse des Linzer Musikgymnasiums. 17 Schüler - die meisten mit schulterlangen Mähnen, und er habe sie am Anfang verwechselt. Man konnte nicht abschätzen, was aus ihnen werden
werden könnte. Vielleicht ein Platz im Brucknerorchester, bei den Symphonikern oder gar den Philharmonikern als höchstem Ziel. .
W.-M.: Er dachte, es kämen lauter Genies. BS: „Das war ein ganz normaler Unterricht.“ W.-M.: „Na, Balduin!“ Er sei ein unorthodoxer Lehrer gewesen und eröffnete den Unterricht mit den Worten: “Die´s interessiert, sitzen vorn. Dies net interessiert, die kriegen ein 4er.“ W.-M.: „Das „sehr gut“ des kleinen Mannes“ für die hinteren Reihen.“
BS: Von Anfang an sei der Unterricht praxisorientiert gewesen. Es wurde gespielt und gesungen. Das kleine Ensemble bestand anfangs aus 4 Geigern und einem Cello, noch kein Kontrabass.
W.-M.: Allerdings habe es auch Theorie gegeben und darüber 6 Schularbeiten, die alle in die letzte Woche gefallen seien. Balduin habe die Hefte hingeknallt und habe dann geschlafen., trotzdem aber gewußt, wer abgeschrieben hatte. – Er sei nicht der einzige, der ihm viel verdanke. Schließlich sei ein Schüler zum Kontrabass abkommandiert worden. Der sei heute Solobassist bei den Wiener Philharmonikern.
BS: Schließlich gab es die Aufgabenstellung mit dem Ensemble zu konzertieren.
W.-M.: „Wir wurden vermietet!“ – Erzählt, dass er aus einer Familie mit 5 Kindern komme, lauter gescheite Geschwister, er selbst war etwas verträumt, spielte Klavier und Geige und seine Eltern waren erleichtert, als sie in der Zeitung von der Eröffnung der neuen Schule lasen. Bei ihm sei ein Licht aufgegangen, in bezug auf seine Zukunft.
PS: „In welchem Moment war Ihnen klar, dass er ein ungewöhnlicher Musiker ist?“
BS: „In der 2.Klasse in musikalischer Hinsicht. Er war „Leithammel“. W.-M.: „Dass ich Dirigent bin, habe ich auch Balduin zu verdanken. Ich habe die 2.Geigen angeführt und eines Tages sagte er zu mir: „Du machst morgen die Probe!“ (Ein Mozart Divertimento) Dann ist er hinten hereingeschlichen. Ich machte dann noch öfter die Probe.“ Er brachte ihm bei, dass das Dirigieren mit dem Sesselaufstellen anfange , also mit einem Gefühl für das Organisieren.
BS: Die anfängliche Ausbildung sei die zum brauchbaren Orchesterwart. Wie sich herausstellte, entwickelte W.-M. auch da Talent. Für die Orchesterseminare in den Ferien mußte auch Geld aufgebracht werden. Als es dem talentierten Zögling gelang, nicht nur von der Familie Geld zu pumpen, sondern auch eine Verbindung zu einer Bank anzuknüpfen, -da war mir klar, er könnte etwas werden.

Damit ging das interessante und vielfach auch vergnügliche Gespräch zu Ende, doch nach herkömmlichen Ablauf dieser Veranstaltungen hatte die Musik das letzte Wort: Franz Bartolomey und Madoka Inui boten mit der Cellosonate von Richard Strauss ein kostbares Hörerlebnis.

Dr.Elisabeth Loibl

 

http://www.der-neue-merker.at/
Wien, 2006.08.06 19:36:57