Schon
aus dem nostalgischen Grund, dass ich selbst meine Mittelschulzeit in
Linz absolviert habe, verbunden mit erholsamen Ferien am Attersee, war
es ein Muß für mich zu dem Künstlergespräch zu kommen, zu welchem Franz Welser-Möst, Dirigent von Weltruf, von Heinz Sichrovsky,
dem Kulturchef von NEWS, geladen worden war. Es fand im intimen Rahmen
des Karajanzentrums am Sonntag, dem 2.Mai, um 11h statt. Dass ich
soviel über Schulisches hören würde, hatte ich selbst gar nicht
erwartet. Das lag am Überraschungsgast aus dem Leben des Künstlers....
Sehr wohl erwartete ich eine informative und vergnügliche Stunde, denn
Heinz Sichrovsky ist nicht nur mit dem österreichischen Musikleben
bestens vertraut, sondern versteht auch etwas von lockerer
Gesprächsführung, gewürzt mit Humor. (zu W.-M.: „Wie war die zweite
Frage? Wissen Sie´s noch? Ich kann mich nicht mehr erinnern!“) Der
berühmte Gast bot souverän Paroli.
HS: zu dem bestens erholt
aussehenden Weltstar: Er bewundere dessen Geduld und Nervenstärke. Sich
so ruhig der Erholung widmen zu können, während in Wien und Salzburg
die Gerüchteküche zum Sieden kam.
W.-M.: Er habe 5 Wochen eines
wunderbaren Urlaubs hinter sich. Er könne nichts dafür, dass sein
Großvater schon 192o am Attersee ein Grundstück erwarb.
HS:
Spricht das fulminante Philharmonische Abonnementkonzert Ende März an.
„Die Liebe zu den Philharmonikern ist Ihnen nicht in der Sekunde
eingeschossen.“
W.-M.: 1993 als ich erstmals das Cleveland
Orchestra dirigierte, hatte ich das Gefühl: „Das geht nicht gut.“ War
dann überrascht, dass er doch wieder eingeladen wurde. Bei den Wiener
Philharmonikern sei es ähnlich gewesen. Großartig, dass das Orchester
nach dem 1. wenig geglückten Versuch die Beziehung mit Visionen und
Geduld langsam aufbaute.
HS: „Kam da nicht auch der Punkt, wo man um Sie nicht herum konnte?“
W.-M.:
Er versuche das Positive in den Menschen zu sehen. Seine Position komme
vom Ausland her. Es sprach sich herum. „Hoppla, da ist etwas vorhanden,
was ein Maß an Qualität hat.“ Mit den Philharmonikern verbinde ihn nun
gegenseitige Offenheit. Und diese Entwicklung sei ihm lieber als ein
Strohfeuer, das rasch verglüht.
HS: spricht den „unvergeßlichen
„Tristan“ an, als sein Gast für den Kollegen Thielemann eingesprungen
war. Stimmt es, dass nur am Telephon geprobt wurde?
W.-M.: Nein,
das stimme alles so nicht. Holender habe den Dir.Peirera in Zürich
angerufen, da ihm Thielemann abgesagt hatte, und er wollte Peter
Schneider. Er, W.-M. sei zufällig bei Eintreffen des Anrufs im Büro
gestanden. Da Peter Schneider nicht konnte, habe er aus einer dummen
Laune heraus, ohne viel nachzudenken, gesagt: „Das könnte ich machen.“
Peirera: „Du, ich habe da jemanden, der das machen könnte“. W.-M.:
„Grüß Gott, Herr Holender!“ Großes Schweigen. „Herr Holender, kennen
Sie meine Stimme nicht?“ „Da kann ich jetzt nur auf die Knie fallen.“
„Das müssen Sie nicht. Geben Sie mir den Korrepetitor!“ Mit dem habe er
2 Stunden telephoniert, um zu erfahren, wie Thielemann das gemacht hat.
Dann verständigte er sich mit dem Bühnenmusikdirektor und dem
Chorleiter. ......
HS: Er (W.-M.) habe viel Neid zu spüren bekommen. Sei der Neid in diesem Land eine Grundqualität?
W.-M.: Im Grund genommen schon, doch gebe es Neid auch anderswo.
HS: Ab 2007 hätte es das Angebot gegeben, Musikdirektor der Wiener Staatsoper zu werden.
W.-M.:
Dem stand im Wege, dass er bis 2012 einen Vertrag mit dem Cleveland
Orchestra habe, den er erfüllen wolle. Aus Respekt für diese Orchester
und die Wiener Staatsoper, sollte man nicht jeder Institution 5o% an
Einsatz zukommen lassen.
HS: Sein Gast werde aber den Schwerpunkt
seiner Tätigkeit von Zürich nach Wien verlegen. Er werde den kompletten
„Ring“ in 2 Saisonen (2007 bis 2009) dirigieren, „Arabella“ wieder
aufnehmen (Regie: Sven-Eric Bechtolf) und noch Repertoire dirigieren.
„Welches?“
W.-M.: Eventuell „Don Carlo“ – und ein paar andere
Stücke, aber da sei er sich noch gar nicht sicher. Während seiner
„Ring“-Tätigkeit in Wien, werde er in Zürich nicht dirigieren. Vorher
aber noch Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“ unter der Regie von
Hermann Nitsch herausbringen. Zu dicht dürfe sein Programm nicht
werden, denn er brauche auch seine Zeit für den Attersee.
HS: Viel fehle da nicht mehr zum Musikdirektor.
W.-M.:
Doch. 7 Jahre als Chefdirigent in Zürich hätten ihn gelehrt, dass die
Aufgabe es mit sich bringe, dass man sich intensiv mit jungen Sängern
befasse und sie bis zur Hauptrollenreife aufbaue. (Erwähnt als Beispiel
Cornelia Kallisch). Sich also ganz wesentlich um das Sängerensemble
kümmere. Und natürlich auch den Chor nicht links liegen lasse.
HS: „Dass sie das Repertoiresystem verfechten, ist außergewöhnlich.“
W.-W.:
Wir leben in einer Zeit, die durch die Schallplatte in Richtung
Perfektion gedrängt würde, manchmal auf Kosten der Musikalität. Viele
Kollegen hätten nicht, wie er, Oper von der Pike auf gelernt. Als er in
München studierte, habe es geheißen: „Im Graben macht man keine
Karriere.“ Er tat dann aber bewußt den Schritt von London nach Zürich,
habe sich „lebendig begraben.“ Später lerne man das nicht mehr. Mit 23
habe er bei Herbert von Karajan assistiert, der ihm sagte. „Was Sie bis
35 nicht lernen, lernen Sie nicht mehr.“ Der „Schritt in den Graben“
sei also wichtig. Dann ist man nicht gegen das Repertoiresystem. Man
müsse das Verständnis zwischen Bühne und „Graben“ aufbauen. Die Sänger
brächten ihn dazu, das Repertoiresystem zu verfechten, denn wo sollten
sie sonst wachsen und reifen? Sie lernen durch Zuhören und Zuschauen
von arrivierten Kollegen.
HS: Große Konzertdirigenten scheitern an der Oper.
W.-M.:
Vom Handwerk her sei ein „Tristan“ leichter zu dirigieren als „Die
Lustige Witwe“, weil es da mehr zu reagieren gibt. Opern von Wagner
seien symphonischer gebaut.
HS: „Ist „Tosca“ schwer?“
W.-M.:
Der ganze Verismo sei schwierig. Auch „einfache“ Werke hätten ihre
Tücken. So habe er von Giordano „Madame Sans-Gêne“ins Programm
genommen, aus Verehrung für Mirella Freni. Der 1.Akt sei sehr schwer.
Wenn man nicht aufpasse, finde keiner mehr in den Takt . – „Lulu“ sei
leichter als „Fanciulla“. – Als Chefdirigent sei man für alles
zuständig und müsse den Finger am Puls des Hauses haben, um ihn
beeinflussen zu können.
HS: Und der „Ring“?
W.-M.: Sei vom Musikalischen her schwierig. Über 16 Stunden einen Bogen spannen!
Nein,
ein Regisseur sei nach Kusejs Absage noch nicht gefunden. Es hätte
keinen Sinn, Namen hinaufzuschmeissen und dann aufzufangen. Jedenfalls
werde mit „Die Walküre“ begonnen. Auch Karajan habe das getan. Es sei
das geschlossenste Werk. „Das Rheingold“ sei am Schluß geschrieben
worden, und der Regisseur tue sich leichter, im Rückblick diese Oper zu
inszenieren.
HS: Wohin soll die „Ring“ Regie führen? Auch über den Bildschirm?
W.-M.:
Da müsse er sicher passen, denn er sei kein Technikfreak. Er habe weder
PC noch Internet und man schimpfe mit ihm, dass er per e-mail nicht
erreichbar sei. Darüber sei er aber froh. Schließlich habe er zwei
Sekretärinnen.
Was die Regie betreffe, so könne man das
„Weltentheater“ des „Ring“nicht nur von einer Richtung angehen, dazu
sei es zu vielschichtig. Ein wesentlicher Teil sei der Mythos, den
dürfe man nicht vernachlässigen. Der Traum eines Volkes im Mittelpunkt.
HS: „Wovon hat das Volk geträumt, nicht von 1938-45?“
W.-M.: Auf
der politischen Schiene scheitere man schon im 1.Akt von „Die Walküre“
völlig. In „Siegfried“ oder „Rheingold“ mögen sie manches
hineininterpretieren.
In Stuttgart sollten 4 Regisseure die riesige Herausforderung übernehmen. Was dann nicht verwirklicht wurde.
HS:
Werde die Regie überschätzt? Was würde sein Gast tun im Falle von
Konwitschny, der die „Meistersinger“ zugunsten einer Diskussion
unterbrechen ließ.
W.-M.: Da würde er nicht am Pult stehen. Das
Kunstwerk muss sich beweisen in verschiedenen Zeiten, neues Licht solle
daruf fallen, aus der Zeit heraus.
Über was er sich noch ärgere,
seien die zerdehnten Rezitative bei Mozart. Es gibt Temposchwankungen.
Aber wenn ein Komponist hinschreibt „Allegro“, kann es nicht dreimal so
langsam sein. „Meine er da den „Don Giovanni“ in Salzburg?“ „Nein, den
„Don Giovanni“ in Glyndebourne.”
PS: In der “Entführung“ in Salzburg habe es viel Prosa gegeben. Ein See von Plagen mit Inselchen von Musik, die bald absoffen.
W-M.:
Er müsse gestehen, er habe als Chefdirigent immer im Sommer Urlaub und
lebe da kunstabstinent. Dadurch habe er wenig in Salzburg gesehen.
PS: „Don Carlo“, inszeniert von Peter Konwitschny, in der französischen Fassung.
W.-M.: Er dirigiere nur die 4-aktige italienische Fassung.
PS: Und Salzburg? Nicht wenige wünschen sich, dass Sie da führend tätig werden.
W.-M.:
Salzburg sei das große Flaggschiff im internationalen Musikbetrieb. Er
gehöre nicht zu den Leuten, die spekulieren. Sollte jemand kommen und
vorschlagen, dass er etwas in Salzburg werde, werde er sich das genau
überlegen.
PS: Sie dirigieren demnächst erstmals bei den Wiener Symphonikern. Üblicherweise ist es umgekehrt.
W.-M.:
Das sei eine Art Wiedergutmachung. Direktor Angyan habe ihn zu den
Symphonikern eingeladen. Von Anfang an habe es blöde Kommentare aus dem
Orchester gegeben. Bei der „Leonoren 1“ habe dann einer nach
vorgeschrien:“Muß man den Scheiß wirklich spielen?“ Daraufhin sei er
abgereist. Dir.Angyan:“Wenn Sie gehen, schadet das Ihrem Ruf?“ „Wenn
ich bleibe, schadet es meiner Gesundheit.“ Inzwischen hätten sich die
Zeiten geändert und im Orchester habe auch ein großer
Generationenwechsel stattgefunden. Jedenfalls gebe es im Kulturbetrieb
Benimmregeln.
Nun war die Zeit gekommen, den Überraschungsgast hereinzubitten. Es war der Dirigent Balduin Sulzer,
Lehrer und Förderer von Franz Welser-Möst am Linzer Musikgymnasium. Für
den 1.Jahrgang hatte Dir.Kloibhofer ihn vom Stiftsgymnasium Wilhering
„geködert.“ W.-M.: „Oh, die Aufarbeitung meiner Jugendsünden.“
Balduin
Sulzer erinnert sich: seine Situation sei schwierig gewesen in dieser
1.Klasse des Linzer Musikgymnasiums. 17 Schüler - die meisten mit
schulterlangen Mähnen, und er habe sie am Anfang verwechselt. Man
konnte nicht abschätzen, was aus ihnen werden
werden könnte.
Vielleicht ein Platz im Brucknerorchester, bei den Symphonikern oder
gar den Philharmonikern als höchstem Ziel. .
W.-M.: Er dachte, es
kämen lauter Genies. BS: „Das war ein ganz normaler Unterricht.“ W.-M.:
„Na, Balduin!“ Er sei ein unorthodoxer Lehrer gewesen und eröffnete den
Unterricht mit den Worten: “Die´s interessiert, sitzen vorn. Dies net
interessiert, die kriegen ein 4er.“ W.-M.: „Das „sehr gut“ des kleinen
Mannes“ für die hinteren Reihen.“
BS: Von Anfang an sei der
Unterricht praxisorientiert gewesen. Es wurde gespielt und gesungen.
Das kleine Ensemble bestand anfangs aus 4 Geigern und einem Cello, noch
kein Kontrabass.
W.-M.: Allerdings habe es auch Theorie gegeben
und darüber 6 Schularbeiten, die alle in die letzte Woche gefallen
seien. Balduin habe die Hefte hingeknallt und habe dann geschlafen.,
trotzdem aber gewußt, wer abgeschrieben hatte. – Er sei nicht der
einzige, der ihm viel verdanke. Schließlich sei ein Schüler zum
Kontrabass abkommandiert worden. Der sei heute Solobassist bei den
Wiener Philharmonikern.
BS: Schließlich gab es die Aufgabenstellung mit dem Ensemble zu konzertieren.
W.-M.:
„Wir wurden vermietet!“ – Erzählt, dass er aus einer Familie mit 5
Kindern komme, lauter gescheite Geschwister, er selbst war etwas
verträumt, spielte Klavier und Geige und seine Eltern waren
erleichtert, als sie in der Zeitung von der Eröffnung der neuen Schule
lasen. Bei ihm sei ein Licht aufgegangen, in bezug auf seine Zukunft.
PS: „In welchem Moment war Ihnen klar, dass er ein ungewöhnlicher Musiker ist?“
BS:
„In der 2.Klasse in musikalischer Hinsicht. Er war „Leithammel“. W.-M.:
„Dass ich Dirigent bin, habe ich auch Balduin zu verdanken. Ich habe
die 2.Geigen angeführt und eines Tages sagte er zu mir: „Du machst
morgen die Probe!“ (Ein Mozart Divertimento) Dann ist er hinten
hereingeschlichen. Ich machte dann noch öfter die Probe.“ Er brachte
ihm bei, dass das Dirigieren mit dem Sesselaufstellen anfange , also
mit einem Gefühl für das Organisieren.
BS: Die anfängliche
Ausbildung sei die zum brauchbaren Orchesterwart. Wie sich
herausstellte, entwickelte W.-M. auch da Talent. Für die
Orchesterseminare in den Ferien mußte auch Geld aufgebracht werden. Als
es dem talentierten Zögling gelang, nicht nur von der Familie Geld zu
pumpen, sondern auch eine Verbindung zu einer Bank anzuknüpfen, -da war
mir klar, er könnte etwas werden.
Damit ging das interessante
und vielfach auch vergnügliche Gespräch zu Ende, doch nach
herkömmlichen Ablauf dieser Veranstaltungen hatte die Musik das letzte
Wort: Franz Bartolomey und Madoka Inui boten mit der Cellosonate von
Richard Strauss ein kostbares Hörerlebnis.
Dr.Elisabeth Loibl