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© JOACHIM REIBER
MUSIK, DIE AUS DER STILLE KOMMT...
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FRANZ WELSER-MÖST
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MITTWOCH, 12. SEPTEMBER 2001
DONNERSTAG, 13. SEPTEMBER 2001
GUSTAV MAHLER JUGENDORCHESTER
WIENER SINGVEREIN
PRAGER PHILHARMONISCHER CHOR
ST. FLORIANER SÄNGERKNABEN
DIRIGENT: FRANZ WELSER-MÖST
GESANGSSOLISTEN
HILLEVI MARTINPELTO · MARTINA JANKOVÁ ·
YVONNE NAEF · JADWIGA RAPPÉ · HERBERT LIPPERT ·
PETER WEBER · ANDREAS MACCO
GUSTAV MAHLER
SYMPHONIE NR. 8 ES-DUR
«SYMPHONIE DER TAUSEND»
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Mit den Wiener Philharmonikern zeichnet sich, wie Franz Welser-Möst
sagt, "eine Art Zusammenarbeit ab". Mit der Wiener Staatsoper "gibt es sehr
interessante Gespräche". Und mit den Wiener Symphonikern wird, nach der Absage
eines mit Spannung erwarteten Konzertes, fieberhaft ein Ersatztermin gesucht.
Bei der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zählt
Franz Welser-Möst freilich längst zu den wichtigsten Dirigenten. In der Saison
2001/2002 präsentiert sie den Musikchef der Zürcher Oper und designierten
Chefdirigenten des Cleveland Orchestra mit einem eigenen Zyklus, beginnend
am 12. Und 13. September 2001 mit dem Gustav Mahler Jugendorchester und Mahlers
Achter Symphonie.
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Es gibt kaum einen wortgewandteren, kaum einen mitteilsameren
Interviewpartner als Franz Welser-Möst. Und doch führt das Gespräch mit ihm
unabdingbar zur Stille, zum Wortlosen und Unaussprechlichen. "Gottseidank
fehlen einem da die Worte", sagt er, als er mitten im Gespräch den Eindruck
eines Konzerterlebnisses mit Radu Lupu wiederzugeben versucht.
«Ich weiss nicht, was da passiert ist. So wie Lupu neulich in Zürich
die ,Waldstein-Sonate' gespielt hat, das war einfach unbegreiflich, unbeschreiblich.
Ich werde das mein Leben lang nicht vergessen. Das waren andere Dimensionen,
das hatte mit Klavier nichts mehr zu tun.»
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Wovon man nicht sprechen kann
«Wovon
man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen», heisst es in Wittgensteins
«Tractus logico-philosophicus». Und doch gilt auch: Wovon man nicht sprechen
kann, davon darf man musizieren.
«Es klingt
vielleicht ein bisschen platitüdenhaft», sagt Franz Welser-Möst, «aber am
einfachsten kann man es sprachlich so umschreiben, dass Musik eben dort anfängt,
wo das Wort aufhört».
Damit ist das Wort nicht obsolet geworden. Das Wort verbindet
sich mit der Musik, das Wort wird Musik, die Musik trägt das Wort. Oder das
Wort bereitet, ganz pragmatisch, die Musik vor: In der musikalischen Probenarbeit
hat das Wort Gewicht, und Franz Welser-Möst ist einer, der in den Proben
besonders viel zu sagen hat.
Wer die Probenarbeit zu seinem letzten Musikvereinskonzert mit
Bachs Matthäus-Passion erleben konnte, weiss, wovon die Rede ist. Auch das
Publikum bezog Welser-Möst in diese Überlegungen mit ein: Gerne war er bereit,
seine Gedanken zum Werk auch in einem eigens für dieses Konzert geschriebenen
Essay zu vermitteln.
Doch all dieses sprachliche Bemühen hilft nur, den Weg zu bahnen,
auf dem einem - in glückhaften Momenten - das Unaussprechliche begegnen kann.
Oder, um nochmals Wittgenstein zu zitieren: «Es gibt allerdings Unaussprechliches.
Dies zeigt sich, es ist das Mystische.»
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Sich gemeinsam öffnen
In
den Konzerten mit Bachs Matthäus-Passion hat es sich gezeigt. Das Erlebnis
dieser Passion schwingt tief und lange nach, so auch bei Welser-Möst: «Von
den Dingen, die ich in dieser Saison selbst gemacht habe, war das sicherlich
das schönste - das, was mich persönlich auch am meisten berührt hat ...»
Der Dirigent ist weit davon entfernt, den «Grund» für dieses Ereignis
bei sich selbst zu suchen. «Diese Matthäus-Passion ist wohl auch deshalb
so aussergewöhnlich geworden, weil alle auf der Bühne die gleiche Einstellung
gehabt haben.»
Die Camerata Salzburg und der Wiener Singverein - Ensembles, zu
denen er «eine sehr enge Beziehung hat» - dazu eine erlesene Solistenschar,
angeführt von Thomas Quasthoff: sie alle haben sich gemeinsam «da hineinbegeben
- sich darauf eingelassen, ganz existenzielle Dinge auszudrücken und sich
in diesen drei Stunden ganz bewusst damit zu konfrontieren.
Und das ist etwas, das nicht alltäglich ist auf einer Konzertbühne.
Die Matthäus-Passion war in dieser Hinsicht nur ein Vehikel...» Es geht um
Öffnung, im Fall der Bach-Passion um Öffnung und um Offenbarung. Welche Rolle
spielt dabei der Dirigent?
Einmal mehr lenkt Welser-Möst den Blick von sich weg auf die Gemeinschaft
aller Mitwirkenden: «Die Öffnung», sagt er, «kann nur gelingen, wenn auch
die anderen dafür offen sind.»
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Den Beruf verfehlt?
Damit aber sind wir bei einem ganz wesentlichen Punkt seines künstlerischen
Selbstverständnisses. "Ich denk' mir oft, ich hab' den falschen Beruf, wenn
ich mir verschiedene Kollegen anseh'."
Jene Kollegen nämlich, die als "echte Maestri" das Bild dieses
"ganz eigenartigen Berufes" prägen, die entsprechen seinem Wesen so überhaupt
nicht. "Das mein' ich jetzt denen gegenüber überhaupt nicht negativ, und
für die mag das ja auch richtig sein. Aber für mich ist es das nicht. Ich
kann's halt nicht, und ich bin es nicht."
Eher, sagt Welser-Möst, würde er seinen Beruf aufgeben, als sich
selbst verleugnen und seine Prinzipien verraten. Andern seinen Willen aufzuzwingen,
sich autoritär durchzusetzen - das ist nicht sein Weg.
"Deshalb hab' ich mich auch insoweit zurückgezogen, dass ich sage:
Ich muss jetzt nicht dauernd herumfahren und alle möglichen Orchester dirigieren.
Das würde nie funktionieren! Das gelingt mit ein paar Orchestern, und ich
bin sehr glücklich darüber. Und wenn es mit anderen nicht funktioniert -
dann macht das überhaupt nichts, dann ist das überhaupt nicht tragisch!"
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Wie Tag und Nacht
Es
entwertet diese Prinzipien nicht, dass sie sich nun auf das Schönste bewähren.
Der Dirigent, der sich nicht aufdrängt, wird geholt. Das Cleveland Orchestra
- "milde gesagt, eines der fünf besten Orchester der Welt" - hat den 41jährigen
zu seinem neuen Chefdirigenten gekürt.
Im kommenden
Jahr wird Franz Welser-Möst in dieser Funktion die Nachfolge Christoph von
Dohnányis antreten. Welser-Möst will die grosse Freude, aber auch ein gewisses
Erstaunen darüber nicht verhehlen.
Dass ausgerechnet dieses Orchester, dessen ruhmreiche Geschichte
mit einem ganz anderen Dirigententyp verbunden ist, nun einen Menschen wie
ihn zum Chef haben wolle, darin sieht er schon fast einen Funken "Ironie".
George Szell, Lorin Maazel, ja auch Dohnányi, über den er nur in den höchsten
Tönen spricht, repräsentierten so ziemlich genau das Gegenteil von ihm.
"Es ist wie Tag und Nacht", sagt er. "Dieser Wechsel wird hochinteressant
werden!" Die Zeichen stehen günstig. Das Cleveland Orchestra ist "innerlich
bereit" für diesen Wechsel, er selbst fühlt sich durch die enorme Qualität
dieses Ensembles in all seiner Kreativität gefordert.
"Die bieten einem schon in der ersten Probe soviel an, dass man
entweder nur sagen kann: ,So gut hab' ich das noch nie gehört!', oder es
wird einfach die Phantasie von einem beflügelt. Und genau das passiert mir
bei denen. Es ist, wie wenn man eine Tür aufmacht und plötzlich sieht: Das
kann man noch machen, und das noch und das ...!"
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A kick out of Brahms
Öffnung
also auch hier. Zu welch schönen Erfahrungen sie führen kann, erlebte Welser-Möst
zuletzt mit einer "Ersten Brahms", die für dieses Orchester "ganz anders"
war. "Ich habe ihnen zu vermitteln versucht, dieses Werk nicht als ,grosse
Symphonik' zu spielen, sondern das Gesangliche zu entdecken."
"Brahms schreibt zum Beispiel beim ,Allegro non troppo' im letzten
Satz nach der langsamen Einleitung ,poco forte'. Das heisst nur soviel: Es
muss klingen - aber nicht nach Rachmaninow, wie man das oft hört, also ,voll
in die Fette!'. Und aus dem heraus entwickelt sich erst die grosse Apotheose
gegen Schluss hin."
Das Orchester hatte zunächst etwas Mühe mit diesem Ansatz. Doch
dann ging ein Ruck durch die Reihen. Bestes Zeichen dafür war der Probenkommentar
eines alten Ersten Geigers, den Welser-Möst mit fast karikaturistischer Lust
zitiert: "I got really a kick out of this Brahms One".
"Das fand ich so schön", fährt Welser-Möst fort und kommt nochmals
auf das Eigentliche seines Arbeitsstils zu sprechen. "Musik muss doch sehr
wesentlich damit zu tun haben, dass man Gefühle miteinander teilt und zusammen
Dinge erlebt."
Sich dafür zu öffnen, meint er, sei auch für ein Orchester mit
all seinen heterogenen Elementen nicht leicht. "Manche sind nur die grosse
Peitsche gewöhnt, andere wollen sich selbst verwirklichen ... so ein Orchester
ist ja ein ganz eigenartiges Gebilde. Und da muss man erst an den Punkt kommen,
wo man einfach sagt: So, jetzt lassen wir das ganze Ego-Zeug beiseite und
geniessen einfach dieses Stück."
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Wagner light
Beim
Zürcher Opernorchester, dem er seit 1996 als Chef verbunden ist, freut er
sich über die Ergebnisse dieser Einstellung. "Da höre ich immer wieder von
Orchestermusikern, bei mir sei das so wie in alten Zeiten, als sie in einem
Jugendorchester mitgespielt haben.
Also: kein
,Dienst' in dem Sinn - sondern man musiziert einfach miteinander!" Wer das
Glück hat, direkt in den Orchestergraben schauen zu können, wenn Welser-Möst
in Zürich dirigiert, sieht es auf Anhieb:
Da werden nicht pflichtschuldigst Anweisungen exekutiert, da wird
nicht unterm ehernen Zepter des Generalmusikdirektors durch die Partitur
marschiert, sondern in grossem Stil Kammermusik gemacht. Und so klingt selbst
Wagner unter Welser-Mösts Händen erstaunlich filigran, und in der Walküre
lächelt er wirklich, der Lenz.
Winterstürme weichen dem Wonnemond - und der scheint wirklich,
wie selten, wonnig und zart. "Wagner light" haben Kritiker diese Deutung
genannt - ein wenig missverständlich vielleicht, denn leicht ist dieser Wagner
nur im Gewand, nicht aber im Gehalt. Ganz sicher aber ist er vom "Heavy Metal"
gängiger Wagner-Interpretationen denkbar weit entfernt.
Dieses Orchester spielt, wie Welser-Möst mit einigem Stolz über
"sein" Orchester sagt, "einfach aus Lust, Wagner zu spielen. Es spielt aus
Begeisterung für das Werk - und nicht aus Angst, weil der Chef dasteht. Das",
räumt er lachend ein, spiele nur in einem Punkt eine Rolle: "Wenn die mein
Gesicht sehen, spielen sie automatisch leiser!"
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Lust an leisen Tönen
Die
Kunst, leise spielen zu können, ist für ihn überhaupt das "grosse Markenzeichen
eines Spitzenorchesters". "Psychologisch ist das doch ganz einfach. Wenn
Sie den Fernseher aufdrehen und Sie sehen einen Krimi, dann merken Sie, dass
an der spannendsten Stelle ganz leise Musik kommt.
Die
ist nie laut. Und das heisst ja nichts anderes, als das ein Pianissimo das
Spannendste überhaupt sein kann." "Spannung", sagt er mit Wilhelm Furtwängler,
"Spannung kann nur aus der Entspannung kommen." Oder, wie es Welser-Möst
auf andere Weise trefflich formuliert:
"Der Urzustand der Musik ist die Stille. Aus ihr entwickelt sich
alles, nicht aus dem Lärm ..." Die Lust, leise zu spielen, wird Franz Welser-Möst
bei seinem nächsten grossen Orchesterprojekt auch auf das Gustav Mahler Jugendorchester
zu übertragen versuchen.
Die Aufgabe ist nicht leicht - nicht nur, weil der begeisternde
Feuerfunke dieses Jugendorchesters gern auch in entprechenden Phonstärken
auflodert, sondern auch, weil das Werk, um das es geht, die lauten Töne geradewegs
zu provozieren scheint.
Mahlers Achte, die "Symphonie der Tausend", als tosender Koloss.
Gerade da aber will Welser-Möst nicht hin. "Die Leut' sagen immer: ,Der zweite
Satz ist ja wunderschön, aber der erste ist so wahnsinnig monströs ...' Für
mich ist das die grosse Herausforderung, diesen Satz so zu musizieren, dass
er die überwältigende Kraft des Pfingstereignisses darstellt, ohne dass es
einfach nur laut ist."
"Das ist die grosse Gefahr in diesem Stück, dass es einen nur erschlägt.
Doch Mahler wollte, glaube ich, genau das Gegenteil: Das sollte eine grosse
Begeisterung ausdrücken, etwas wirklich Erhebendes ..."
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Grenzenlos offen
Dass
man Schwierigkeiten mit der gedanklichen Konzeption dieses Werkes haben könne,
räumt er gerne ein. Aber wenn man ihm mit Adornos maliziösen Worten über
die "symbolische Riesenschwarte" und die angeblich so gequält-forcierte Hinlenkung
zum Transzendenten kommt, dann lässt Welser-Möst die Pianokultur schnell
beiseite und fährt mit einem Sforzato dazwischen:
"Also,
Entschuldigung, Herr Adorno ist jemand, der selber Schwierigkeiten damit
hatte, und also hatte er auch Schwierigkeiten mit diesem Stück. Adorno hat
sehr viel Gutes und Richtiges geschrieben, aber auch viel Blödsinn verzapft.
Und alle meinen, das wäre die Bibel, was Musikanalyse anbelangt ..."
"Ich glaube, man darf niemanden das Recht absprechen, sich seinen
eigenen Weg zum Transzendenten zu suchen und den auch zu gehen. Viele Wege
führen nach Rom." Und dann führt er - frei aus dem Gedächtnis - anhand der
Entstehungsgeschichte den Beweis, dass Mahlers Hinwendung zum Pfingsthymnus
"kein gewollter, erzwungener Akt" gewesen sein kann, "sondern aus einem echten
Bedürfnis heraus" geschehen ist.
Welser-Möst nimmt es sehr genau mit Mahler selbst, der die "Achte"
für sein wichtigstes Werk hielt. Und er findet die "Idee dieses Werkes als
solche genial", die Idee nämlich, einen Grundgedanken der abendländisch-christlichen
Kultur in der Verbindung zweier nur scheinbar divergenter Texte aufzuzeigen.
Denn der christliche Pfingsthymnus "Veni creator spiritus" und
die Schlussszene aus Goethes Faust II berühren sich, wie Welser-Möst ausführt,
in ihrer wesentlichen Aussage: "dass es keine Grenzen gibt, wenn wir uns
nach oben hin öffnen".
Dr. Joachim Reiber ist Redakteur der Zeitschrift "Musikfreunde"
und der Programmhefte der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.
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