M&T:
Acht Auftritte waren für Sie an den Festspielen geplant, nun werden es sechzehn,
und das in weniger als vier Wochen. So viel Loyalität dem eigenen Haus gegenüber? |
F.W.-M.:
Selbstverständlich! Wenn man Chefdirigent eines Opernhauses ist, ist man
sozusagen Teil der Familie. Und dann tritt die Sippenhaftung in Kraft...
(lacht) Im Ernst: Für mich war das keine Frage, dass ich diese Produktion
übernehme. Als Chefdirigent hat man eine Verantwortung und eine Verpflichtung,
und entsprechend habe ich andere – auch auswärtige – Verpflichtungen abgesagt.
Abgesehen davon gibt es nicht viele Dirigenten, die diese Oper überhaupt
dirigieren. |
|
M&T: Haben Sie sie denn schon dirigiert?
|
F.W.-M.:
Nein, noch nie. Es ist schon ein bisschen ein Ritt über den Bodensee, eine
Ausnahmesituation. Aber zuweilen passiert gerade in solchen Situationen etwas,
das Ausnahmerang hat. Entweder geht es schief, oder es wird besonders gut.
Darauf muss man sich einlassen. Es ist eine Feuerwehraktion – aber es geht
nicht anders. |
|
M&T: Wie lernen Sie diese komplexe Oper in so kurzer Zeit?
|
F.W.-M.:
Eigentlich ist das ein recht nüchterner Vorgang. Man analysiert das Werk,
beschäftigt sich mit dem Libretto; und dann geht man mehr und mehr ins Detail
und versucht, aus dem Überblick über das Ganze alle die einzelnen Details
in sich hineinzufressen. |
|
M&T:
Um besonders schmackhafte Kost handelt es sich ja nicht: «La Fanciulla del
West» steht im Verruf, eine drittklassige Wildwest-Oper zu sein mit mehrheitlich
plakativer Musik...
|
F.W.-M.:
...Finde ich überhaupt nicht! Puccini hat in dieser Oper eine Orchestersprache
entwickelt, die wesentlich über das hinausgeht, was er in seinen früheren
Opern erreichte. In dieser Partitur steckt viel Impressionistisches – und
das interessiert mich besonders. Puccini malt auf eine bislang ungehörte
Weise musikalische Bilder – fein ziselierte Stimmungsbilder statt Schmachtfetzen
wie etwa in der«Butterfly». Entsprechend kommt dem Orchester eine riesengrosse
Rolle zu, bedeutender jedenfalls als in allen andern Opern Puccinis. Daran
muss man hart arbeiten. Eigentlich sehe ich «La Fanciulla del West» als eine
einzige grosse Parlando-Oper. Ähnlich vielleicht wie «Arabella» von Richard
Strauss – auch hier gibt es nur ganz wenige grosse Melodien, und alles andere
ist reine Konversation. Um so unerklärlicher ist für mich das Vorurteil gegenüber
der «Fanciulla»: dass das eine laute Oper sei, in der es nur so knalle. Klar
sind da ein paar Momente, wo man ordentlich hinlangen muss. Aber sonst handelt
es sich um sehr differenzierte Musik – eine «Turandot» ist in dieser Hinsicht
viel massiver. |
|
M&T: Riccardo Chailly hatte geplant, das Werk erstmals in seiner Originalgestalt zu dirigieren. Halten Sie sich ebenfalls daran? |
F.W.-M.:
Ich habe mir das Original besorgt. Denn Toscanini nahm für die Uraufführung
an der Met bekanntlich dynamische Retuschen vor. Er veränderte die Partitur
hin zu höheren Lautstärken, um der Grösse des Opernhauses zu genügen. In
Zürich werden wir das nun erstmals zurückretuschieren: so, wie es Puccini
ursprünglich notiert hat. |
|
M&T: Und die Striche, die Toscanini eigenhändig anbrachte – werden die in Zürich endlich geöffnet? |
F.W.-M.:
Nein. Riccardo Chailly überlegte sich ursprünglich, ob er sie öffnen soll.
Aber letztlich entschloss er sich, die Striche von Toscanini zu übernehmen.
An diesem Entscheid kann ich jetzt, in so kurzer Frist, nichts mehr ändern.
Denn die Sänger haben ihre Partien bereits nach diesen Vorgaben gelernt. |
|