Mit
einer Orgie an bunten Klangfarbenmixturen verabschiedeten sich das Cleveland-Orchestra
und sein Chefdirigent Franz Welser-Möst vom Publikum des Wiener Musikvereins.
Die "Turangalila"-Symphonie stand auf dem Programm, Olivier Messiaens riesenhaftes
konzertantes Werk über die Liebe. Inspiriert von philosophischen Vorstellungen
ferner Kulturen, den Rufen der Vögel und christlicher Mystik, fand der Komponist
da zu höchst unterschiedlichen Klangbildern, die von ekstatischem Jubel bis
zur ruhevoll gelösten Hingabe alle Stadien leidenschaftlicher Zuwendung besingen.
Die Clevelander mischten im Verein mit dem auswendig spielenden, phänomenalen
Pianisten Pierre-Laurent Aimard lustvoll die kühnsten Farbkombinationen auf
ihrer in allen Registern virtuos beherrschten Klangpalette.
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Der
Demonstration orchestraler Vollkommenheit war eine nicht minder bemerkenswerte
Lehrstunde in Sachen wienerischer Klangkultur vorausgegangen. Zu Allerheiligen
musizierten die Gäste aus dem Mittleren Westen Schuberts Unvollendete, was
hiesige Hörer stutzen ließ: Gibt es noch so etwas wie einen Wiener Klangstil?
Wenn ja: War er nicht hier in Reinkultur zu vernehmen? Es
ist schon so, die amerikanischen Orchester haben um die Mitte des 20. Jahrhunderts,
geprägt von europäischen, vornehmlich ungarisch-jüdischen Dirigenten, die
in der Zeit der Habsburger-Monarchie geboren wurden, ihren Stil entwickelt
und vervollkommnet. Was heute, in Zeiten der Erosion überkommener Werte,
aus den USA zurückkommt, ist nichts weniger als ein musikalischer Fast-Food-Klang.
Der Schubert-Klang der Clevelander, modelliert
vom sensiblen österreichischen Maestro, durfte mit verletzlichem, gleichwohl
technisch perfekt austariertem Ton durchaus als eine Art stilistischer Rückholaktion
gewertet werden; die Betroffenheit im Auditorium blieb denn auch nicht aus,
denn auf solche Weise entfaltet Schuberts Musik ihr expressives Potenzial
aufs Natürlichste, wirkt also unausweichlich.
Sensationell
auch die Klangregie in den Strawinsky-Werken. Die Psalmensymphonie (1930)
und die hierzulande so gut wie unbekannten "Requiem canticles" aus Strawinskys
letzten Lebensjahren, entstanden unter Welser-Möst wie auf dem Reißbrett
nachgezeichnet, doch voll Poesie: Was sich im Finale der Symphonie auch dank
des von Johannes Prinz phänomenal vorbereiteten Singvereins an ätherisch-entrückter
Stimmung einstellte, blieb in den Requiem-Fragmenten trotz der zu Weber-Kürze
verdichteten Sprache präsent. Soli: prägnant Andreas Jankowitsch, besonders
klangschön Elisabeth Kulmans Altstimme. sin
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