Die Klangaristokraten
Eine Klasse für sich: Das Cleveland Orchestra in der Alten Oper
VON TIM GORBAUCH
Von
allen amerikanischen Spitzenorchestern gilt das Cleveland Orchestra als das
klassischste, aristokratischste, alteuropäischste. George Szell führte es
mehr als 25 Jahre und zementierte das Image mit markigen Worten: "Wir fangen
da an zu proben, wo die anderen aufhören."
Auf Szell folgten Lorin
Maazel, dann Christoph von Dohnanyi und nun der Österreicher Franz Welser-Möst.
Auch er ist ein Mann kontrollierter Sachlichkeit. Auch er ist ein besessener
Arbeiter. Auch er ist ein Klangfetischist. So perfekt, so fanatisch präzise
und über jeden Einwand erhaben wie das Cleveland Orchestra nun in der Alten
Oper Gustav Mahlers neunte Sinfonie präsentiert - das ist genauso atemberaubend
wie rar. Und es macht klar: die Amerikaner zählen zu den besten der Welt.
Dabei
gehört Mahlers Spätwerk zum Heikelsten überhaupt. Der Klang dünnt oft aus,
nur noch ein kleiner Faden hält ihn mit der Welt zusammen, von der er erzählt.
Zum Ende hin, im finalen Adagio, das ganz langsam und mit unendlicher Geduld
Abschied nimmt, lässt Welser-Möst tatsächlich so leise spielen wie möglich.
Und plötzlich verstummt auch in der Alten Oper alles Husten, plötzlich ist
da nichts mehr außer einer Stille, die leuchtet. Und lange noch, nachdem
der letzte Ton verklungen ist, steht Welser-Möst mit erhobenen Händen und
angespannten Körper da, hört der Musik nach, wie sie im Nichts nachklingt.
Eine
solche Spannung weit über die letzte Note hinaus, die muss ihnen erst einmal
einer nachmachen. Dabei ist Welser-Möst als Dirigent fast zu zurückhaltend,
fast zu nüchtern. Das Erzählerische, das Romanhafte, das Mahlers Ton substantiell
zu eigen ist, interessiert ihn nur am Rand. Eher geht er die Partitur analytisch,
als ein immens ausdifferenziertes Klangereignis, das er gleichsam enzyklopädisch
vor unseren Ohren auffächert.
Das könnte auf Dauer zu wenig sein, aber wem ein solches Orchester zur Verfügung steht, der muss Kritik nicht fürchten.
[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau online 2005
Dokument erstellt am 24.10.2005 um 15:40:03 Uhr
Erscheinungsdatum 25.10.2005
|