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«Bravo les Suisses!», rief letzten Freitag im
Pariser Théâtre du Châtelet ein Zuschauer am Ende einer Aufführung des
Opernhauses Zürich. Ausdruck des Patriotismus oder der Kunstliebe -
oder gar von beidem? Das gut besuchte neuntägige Gastspiel darf als ein
Erfolg gewertet werden. Dies ganz im Gegensatz zu Wagners «Ring»-
Zyklus, der gleichsam den Anlass bildete für die Einladung an die
«Suisses». «Zu dem Zeitpunkt, wo das Châtelet-Theater den Ring mit
der Zürcher Oper koproduziert», so ein Pressetext des städtischen
Théâtre musical, «schien es interessant, auch die eigenen Kräfte eines
der glänzendsten Opernhäuser Europas zu zeigen.»
Kritik am Wilson-«Ring»
Die in zwei Etappen zu Anfang der Saison gegebene
Tetralogie stiess in Paris auf ähnlich negative Resonanz wie bei ihrer
Präsentation in Zürich zwischen Oktober 2000 und Mai 2002. Im Fokus der
hiesigen Kritik stand der Regisseur Robert Wilson. Während «Le Figaro»
Wilsons «systematischen, artifiziellen Lichtwechseln» immerhin eine
«äussere, statische Schönheit» attestierte, geisselte «Le Monde» den
«grausamen Mangel an Verständnis des amerikanischen Regisseurs für die
sehr verschiedenartigen Werke, die er inszeniert». «Diese karge,
eindimensionale und blutlose Rhetorik», so das Fazit des gefürchteten
«Le Monde»-Kritikers Renaud Machart, «hat ihr Vermögen eingebüsst, den
eigenen Gemeinplätzen Leben einzuhauchen. Man stirbt vor Langeweile.»
Die - mit Zeitmangel begründete - Absage von Plácido
Domingo, der im April bei der Gesamtaufführung der Tetralogie die Rolle
des Siegmund hätte übernehmen sollen, hat diese wenig denkwürdige
Produktion jetzt noch ihres letzten Trumpfs beraubt. Das Opernhaus
Zürich war an diesem missglückten «Ring» allerdings lediglich als
Koproduzent beteiligt - weder das Orchestre de Paris unter der Leitung
von Christoph Eschenbach noch das internationale Sängerensemble (dessen
Leistung ebenfalls mehr Kritik als Lob zeitigte) haben etwas mit Zürich
zu tun.
Das Gastspiel des Opernhauses stiess da auf ungleich
positivere Resonanz. Wurde Heinz Spoerlis Bach-Ballett «In den Winden
im Nichts» lediglich mit freundlichem Beifall bedacht, so gab es nach
dem Konzert des Opernorchesters unter der Leitung von Franz Welser-Möst
anhaltenden Applaus. Und die Produktion von Franz Schuberts
«Fierrabras» wurde gar in allen grossen Zeitungen besprochen -
angesichts des (zumal im Monat März) überreichen Pariser Kulturangebots
keine Selbstverständlichkeit, auch wenn es sich um die französische
Erstaufführung des selten gespielten Dreiakters handelte.
Der Ansatz des Regisseurs Claus Guth, das Werk in seiner
Entstehungszeit anzusiedeln, wie ein Verkleidungsspiel bei einer
Schubertiade, bei dem der - durch einen Schauspieler verkörperte -
Komponist die Rollen verteilt und fiebrig bangend seinen Geschöpfen zur
Seite steht, wird fast einmütig gelobt. «Dieses Eintauchen in die
Vorstellungswelt des Komponisten umgeht alles Bombastische, ohne je dem
Drama abträglich zu sein», schreibt Philippe Venturini in «La Croix».
«Libération» feiert die Künstler im Orchestergraben: «An der Spitze des
Orchesters der Zürcher Oper, ein echtes Opernorchester, daran gewöhnt,
nie gesehen zu werden, und entsprechend geeint, lässt Franz Welser-Möst
den schönsten Schubert erklingen: natürlicher, idealer Atem, gepflegte
Phrasierung und Artikulation, zarte und fruchtige Farben.» Gelobt wird
das Orchester auch von «La Croix» («reich an Farben und an Nuancen»)
und von «Le Monde» («kraftvoll, ohne der Feinheit zu ermangeln»).
Dem Ruf Zürichs als eines europäischen Musikzentrums war
das Gastspiel des Opernhauses gewiss förderlich. Doch diesen Ruf gilt
es in der kunstliebenden Pariser Öffentlichkeit, auf deren
musikalischer Weltkarte der deutschsprachige Raum bloss einen Randplatz
einnimmt, nicht zu festigen, sondern zu einem Gutteil gar erst zu
schaffen. Berichte über das Musikleben an der Alster, am Main, an der
Isar, am Neckar oder eben an der Limmat findet man in der französischen
Presse selten. Zürich ist hierzulande als Galerienstandort und als
(gewesene) künstlerische Heimat Christoph Marthalers ein Begriff; die
Musikstadt kennen nur die wenigsten.
Auszeichnung für das Tonhalle-Orchester
So ist es zu bedauern, dass das Tonhalle-Orchester laut
seinem Intendanten, Trygve Nordwall, zumindest in den nächsten drei
Jahren wohl nicht in Paris auftreten wird. Der Doppel-CD mit den
Beethoven-Ouverturen unter der Leitung von David Zinman war im November
der «Choc de l'année» der Fachzeitschrift «Le Monde de la musique»
verliehen worden, eine Auszeichnung, die nur zwölf unter den
Aberhunderten von Neuaufnahmen des verflossenen Jahrs erhalten haben.
Ein Konzert unter der Leitung von Michael Gielen - sage und schreibe
lediglich der dritte Paris-Auftritt in der 138-jährigen Geschichte des
Tonhalle-Orchesters - bezeichnete «Le Monde» 2004 gar als «den grössten
Erfolg des Jahrs in der Cité de la musique». Ein solcher Erfolg wäre
dem Tonhalle-Orchester öfter zu wünschen. Auch im Interesse der Pariser
Musikliebhaber.
Marc Zitzmann
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