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4. Juli 2005, Neue Zürcher Zeitung

«Ich kann nicht ohne Oper sein»

Franz Welser-Möst über seine «Rückkehr» als Chefdirigent

Der Vertrag von Franz Welser-Möst als «Erster Dirigent» des Opernhauses läuft aus. Doch der frühere Chefdirigent bleibt dem Haus erhalten. Als Generalmusikdirektor kehrt er in die Position zurück, die er von 1995 bis 2002 innegehabt hat. Wie es dazu gekommen ist, erläutert er im Gespräch mit Marianne Zelger-Vogt.

Als wir uns vor gut zwei Jahren über Ihre Position als «Erster Dirigent» des Opernhauses und über Ihre ersten Erfahrungen als Chef des Cleveland Orchestra unterhielten, sagten Sie wörtlich: «Es wird dem Haus nicht erspart bleiben, einen Nachfolger für mich zu suchen. Es ist für mich keine Frage, dass ich neben Cleveland nicht eine zweite Chefposition haben kann.» Jetzt ist dies trotzdem möglich geworden. Weshalb und zu welchen Konditionen?

Erstens habe ich mich in Cleveland eingelebt, ich bin jetzt am Ende meiner dritten Saison. Am Anfang war mehr Aufwand erforderlich, um etwas zu erreichen. Vor allem aber habe ich gemerkt, dass ich einfach ohne die Oper nicht sein kann. Meine Rückkehr als Chefdirigent kam aus einem eher zufälligen Gespräch mit Alexander Pereira nach einer «Traviata»-Vorstellung hier zustande; ich war sehr glücklich, dass wir, nachdem ich sechs Wochen weg gewesen war, eine wirklich gute Vorstellung hatten. Ich sagte dann, dass ich nach dem «Ring» in Wien liebend gerne wieder nach Zürich kommen würde. Das ist mein Opern- Zuhause. In den ersten sieben Jahren war sehr vieles echte Knochenarbeit, um das Niveau des Orchesters und des Hauses zu verbessern. Es geht dabei nicht nur um Proben, sondern auch um Personalentscheidungen. Nun hat sich in den letzten drei Jahren gezeigt - was ich nicht vermutet hätte -, dass man dieses Niveau auch bei einer kürzeren Anwesenheit halten kann.

Neue Gegebenheiten

Als dann Alexander Pereira sagte: «Lass uns überlegen, ob wir das mit etwa dreissig Abenden - was auch an anderen Häusern Usus ist für einen Chefdirigenten - nicht zustande bringen», sind wir uns einig geworden. Ich bin mit diesem Haus sehr eng verbunden. Deshalb habe ich zugesagt, aber eine Bedingung gestellt, ich wollte, dass das Orchester geheim darüber abstimmt. Das ist geschehen, und ich war überrascht - denn nach zehn Jahren schleift sich ja auch vieles ab -, dass über 80 Prozent des Orchesters dafür gestimmt haben, dass ich wieder Chef an diesem Haus werde. Ich habe es mir damals nicht vorstellen können, dass das neben der Verantwortung in Cleveland geht, aber heute sieht es anders aus als vor drei Jahren; dazu kommt, dass wir eine engere Zusammenarbeit im Medienbereich anstreben.

Bedurfte es einer Zustimmung von Seiten des Cleveland Orchestra?

Es steht in meinem Vertrag, dass jede andere Position, die mit einem Titel verbunden ist, sei es auch nur «Erster Gastdirigent», der Zustimmung des Cleveland Orchestra bedarf. Dort sieht jedoch einiges auch anders aus als vor drei Jahren. Wir sind wesentlich mehr auf Tournee, als wir damals gedacht haben. Und da ich die Person bin, die quasi das Bindeglied ist zwischen den verschiedenen Institutionen, gibt es komplementäre Elemente, und es entsteht kein Konkurrenzverhältnis zwischen dem Cleveland Orchestra und dem Opernhaus Zürich. Aber letztlich ist die wichtigste Motivation für eine solche Entscheidung das Künstlerische, nicht die Karriere.

Ein weiterer Puzzlestein in dem Ganzen war, dass Alexander Pereira nicht nach Mailand gegangen ist. Die Pläne, die wir für die nächsten paar Jahre haben, sind sehr spannend, und letztlich geht es für mich darum, die für mich künstlerisch am meisten befriedigende Arbeit zu machen und auf dem Niveau, auf dem sich das Orchester jetzt bewegt. Dass unsere DVD-Aufnahme des «Rosenkavaliers» im Mai mit dem Diapason d'Or ausgezeichnet worden ist, zeigt, dass wir auf der internationalen Bühne mitspielen und eines der ersten Häuser sind. Dass ich in Zürich bleibe, hat aber auch mit meiner Persönlichkeit zu tun. Ich bin ein langsamer Typ. Je länger ich eine Beziehung habe mit einem Orchester oder einem Haus, desto mehr blühe ich auf. Das zeigt sich auch in meiner Beziehung zu den Wiener Philharmonikern. Es heisst immer, es gebe heute nicht genügend Dirigentenpersönlichkeiten, das hat auch damit zu tun, dass man sich Zeit nehmen muss. Diesen Reifeprozess kann man sicher besser absolvieren, wenn man langfristig an ein Haus oder eine Institution gebunden ist.

Weshalb werden das Cleveland Orchestra und das Opernhaus im DVD-Bereich kooperieren?

Auch im Konzertbereich sind CD-Aufnahmen heute enorm schwierig. Die Situation beim Cleveland Orchestra ist so verfahren, dass es für eine DVD- und TV-Aufnahme wesentlich billiger zu haben ist als für eine CD-Aufnahme. Der Grund dafür ist ein Vertrag, der vor Jahren zwischen den Gewerkschaften und den grossen Aufnahmefirmen gemacht wurde. Ein Ausweg daraus ist, dass man DVD-Aufnahmen macht.

Werden Sie in Zürich auch die administrativen Verpflichtungen wieder übernehmen, von denen Sie als «Erster Dirigent» entlastet waren?

Ich werde sicher bei Probespielen wieder dabei sein. Aber ich werde mich um gewissen Kleinkram nicht mehr kümmern, denn da hat sich in den letzten Jahren auch vieles eingespielt. Es ist wie ein grosses Schiff, das man mühselig in eine andere Richtung bringt, aber dann fährt es auch in diese Richtung, nur die schnellen Kurven sind nicht möglich. Aber mit dem Orchestervorstand und mit Alexander Pereira zusammen ist vieles in meinen ersten sieben Jahren in eine Richtung gegangen, die ich für richtig halte und die sich bewährt hat. Zum Beispiel, dass ich bei Probespielen ein Vetorecht verlangt habe. Das hat damals, 1995, im Orchester eine grosse Aufregung verursacht. Aber man hat gemerkt, dass wir keine Kompromisse machen und dass das Orchester damit besser und besser wird.

Projekte und Ziele

Und die Zahl der Abende, an denen Sie hier dirigieren?

Es wird etwa das Pensum sein, das Mehta in München gemacht hat oder Nagano dort machen wird, rund dreissig Abende. Siebzig Abende, wie ich es in den ersten sieben Zürcher Jahren mehrmals gemacht habe, das geht rein physisch nicht. Aber ich glaube, es ist richtig, wie es jetzt ist. In den letzten Jahren hat sich auch unsere Gastdirigenten-Liste immer mehr verbessert, das war mir auch ein Anliegen, dass zum Beispiel Dohnányi jedes Jahr kommt, Harnoncourt hat sowieso diese wunderschöne lange Beziehung zu Zürich, Chailly kommt jetzt wieder zurück, Minkowski ist regelmässig hier. Haitink wird zu uns kommen, das ist wunderbar, ich liebe ihn sehr. Das erleichtert die Arbeit eines Chefdirigenten, weil das Orchester immer gefordert ist und dadurch auf einem gewissen Niveau bleibt.

Sie haben bei unserem Gespräch vor zwei Jahren gesagt, dass Sie Opern nur in Zürich dirigieren werden, jetzt machen Sie ab Dezember 2007 den neuen «Ring» an der Wiener Staatsoper. Ist das die Ausnahme, die die Regel bestätigt?

Dieser Verführung konnte ich nicht widerstehen. Vor drei Jahren, als ich in Cleveland begann, haben die ersten Gespräche stattgefunden. Ich habe zugesagt, weil ich dachte, ich würde in Zürich weniger machen. Ich werde tatsächlich während der zwei Wiener «Ring»-Jahre in Zürich etwas kürzer treten. Aber der «Ring» ist schon die Königsdisziplin, und da meine Beziehungen mit den Wiener Philharmonikern sehr schön geworden sind und wir wirklich eine tolle Sängerbesetzung haben, war die Versuchung einfach zu gross!

In Zürich machen Sie den «Ring» nicht während dieser Zeit?

Nein, das wäre zu anstrengend. Ich mache hier anderes in dieser Zeit.

Sie haben das Angebot, Musikdirektor der Wiener Staatsoper zu werden, ebenso abgelehnt wie Alexander Pereira den Ruf nach Mailand. Welche Bedeutung ist bei diesem Entscheid Ihrer künstlerischen Partnerschaft mit Alexander Pereira zugekommen? Werden Sie in Zürich künftig noch stärker als Team zusammenarbeiten?

Alexander Pereira und ich haben auch unsere Kämpfe ausgetragen. Wir haben uns in vielen Dingen zusammengerauft und sind inzwischen ein ziemlich eingespieltes Team, auch was die Besetzungsfragen angeht, wo es manchmal Differenzen gab. Ich glaube, dass die allerersten Sänger mehr und mehr Interesse zeigen, nach Zürich zu kommen. Die Dirigenten habe ich schon genannt. Wir versuchen einfach, weiter in diese Richtung zu gehen. Wir werden sehen, was uns gelingt, aber es gibt einige Pläne, die sehr vielversprechend sind. Wir sind alle gemeinsam einen Weg gegangen. Ich habe mich schon gefragt, werde ich jetzt bequem? Ich habe aber das Gefühl, dass wir noch nicht am Plafond angelangt sind. Ich bin von Natur aus ein neugieriger Mensch. Wenn ich das Gefühl hätte, der Plafond sei erreicht, dann würde es mich nicht mehr interessieren, hier wieder Chefdirigent zu sein. Nur ein paar Abende «abzuliefern» - das genügt mir nicht.

 
 
 

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