Rainer Köhl
Irdische Schönheit ist vergänglich

Händel-Oratorium „Il Trionfo del Tempo e della Verità“
mit der Jungen Kantorei in der Peterskirche

Geschrieben hat Händel sein Oratorium „II Trionfo del Tempo e della Verità“ in gleich drei Fassungen - zu hören war es hierzulande bislang noch nie. Zum letzten Mal wurde es 1739 in London aufgeführt, in seiner zweiten Fassung. Die erste Version legte der junge Händel im Italien des Jahres 1707 vor - das erste Oratorium des Komponisten, entstanden auf Anregung des römischen Kardinals Benedetto Pamphili, der das Libretto schrieb. Für die dritte Fassung benutzte Händel eine englische Übertragung des Librettos, „The Triumph of Time and Truth“ - es wurde dies sein letztes Werk. Für die deutsche Erstaufführung des Oratoriums, die mit der Jungen Kantorei in der Heidelberger Peterskirche zu hören war, griff der Dirigent Joachim C. Martini auf die zweite Fassung zurück. Publiziert war diese bislang nicht - drum richtete sie der musikwissenschaftlich geschulte Dirigent anhand der Manuskripte und Abschriften kurzerhand selbst ein.

„Il Trionfo del Tempo e della Verità“ (Der Triumph der Zeit und der Wahrheit) reflektiert in allegorischer Form ein Thema, das im 17. und 18. Jahrhundert sehr „en vogue“ war: das „Vanitas“-Erlebnis, die Vergänglichkeit alles Irdischen. Verhandelt wird die Thematik von vier allegorischen Figuren: „La Bellezza“ (Die Schönheit), „II Piacere“ (Die Lebenslust) im Widerstreit mit „Il Tempo“ (Die Zeit) und „II Disinganno“ (Die Weisheit). An die Vergänglichkeit zu denken, behagt der Schönheit keineswegs - unangenehme Einsichten verdrängt sie und spricht dafür, das Leben in vollen Zügen sorgenlos zu genießen. Hauptsächlich als Rahmen, an den Anfängen und Schlüssen der drei Teile tritt der Chor hinzu, um die Allegorien zu überhöhen und subjektive Aussagen ins Allgemeine zu fassen. Ein- oder Ansichten werden chorisch verstärkt - sei es, daß das Hoch auf die Lebensfreude mit hymnischer Vitalität angestimmt wird, sei es, daß die Vergänglichkeit allen Seins in noch dunkleren Farben geschildert wird als zuvor von deren Protagonisten.

Momente ausgesuchter klanglicher Raffinesse bietet die Partitur darüber hinaus, etwa zu Beginn des zweiten Teils, wenn der Wohnsitz der Lebenslust ausgemalt wird mit einer Sonatine für Solo-Violine, sowie einem Solo für Glockenspiel, über welches es heißt, daß es von einem begabten Jüngling gespielt werde, dessen rechte Hand beflügelt sei und unsterbliche Werke hervorbringe: eine Reverenz des Librettisten an den jungen Genius Händel und gleichzeitig ein starkes Argument gegen die Macht des Vergänglichen.

Die vier jungen Gesangssolisten waren die tragenden Säulen in dieser herausragenden Aufführung unter Joachim Carlos Martinis Leitung. Claron McFadden als Bellezza war sozusagen die Hauptfigur in diesem allegorischen Disput. Zarten Schmelz ließ die Sopranistin schillern und dunkel funkeln, trug die Leichtigkeit, Lieblichkeit und Schönheit, wovon sie sang, berückend in ihrer Stimme, wußte diesen Attributen gleichfalls überaus nuancierten Ausdruck zu verleihen. Sublim leuchtende Spitzentöne und schönste Feinzeichnung, insbesondere in ihrer Schlußarie „Quel del Ciel Ministro eletto“, verliehen der Aufführung kostbare Momente. Ein Herz und eine Seele war die Sopranistin mit der Sängerin des Piacere - namentlich in der geschmeidigen Leichtigkeit und den Unisono-Koloraturen während des Duetts „II voler del fior degl'anni“.

Elisabeth Scholl sang die Partie von Il Piacere hinreißend ausdrucksstark: im zart abgetönt Subtilen ebenso wie im virtuos Entschlossenen, das sie koloraturenstark funkeln ließ. Intensität und konzentrierte Strenge wußte die Sopranistin bezwingend zu vereinen in ihrer Arie „Tu giurasti di mai non lasciarmi“, während Anmut und Frische ihrer Stimme zu bezaubernder Heiterkeit beflügelt wurden durch die wundersame Helligkeit, welche das Glockenspiel in ihre Arie „Il leggiadro Giovinetto" brachte. Im Anschluß an ihre Allegro-Arie „Lascia la spina“ sang Elisabeth Scholl noch eine Largo-Variante dieser Arie aus der ersten Oratorien-Fassung: unerhört sublim-weltentrückt gesungen, war dies ein wundersamer, tief reflektierender Einhalt.

Einen überragenden Eindruck hinterließ der erst 27jährige englische Altist Nicholas Hariades - ein glänzender Stilist und hoch kultiviert singender Künstler, von dem in Zukunft sicher noch Großes zu hören sein wird. Wundervoll geschmeidig und sublim im Pianogesang, stark nuancenreich, damit verlieh er als Il Tempo dem Schattenhaften seiner Arie „Urne, voi che racchiudete“ herrlich eingedunkelte Wirkung. Berückend ist sein Stimmansatz, die wie aus dem Nichts herausglühenden Töne, bestechend perfekt ist seine Technik. Damit entwarf er eine erlesen klingende Affektkunst, Farbnuancen, die überaus expressive Wirkungen zeitigten, herausfahrend in furios blitzenden Koloraturen. Für David Cordier sprang der Altus Peer Abilgaard in der Partie von Il Disinganno ein - in warm gedeckte Farben schmiegte er seine Arien, Stilgefühl und sängerische Intelligenz bestens einend.

Vorbildlich transparent und farbenreich gelockert sang die Junge Kantorei, immer sehr beweglich und hochmotiviert, den hedonistischen Ausdruck, den der Chor besingt, durch impulsreiche Lebendigkeit dabei anschaulicher machend als durch klangliche Saturiertheit.

Händels Oratorium, das ist wundervoll inspirierte Musik. Die Dramatik der Gefühle, das Hin und Wider der Leidenschaften, Ansichten, Lebensphilosophien ließ Joachim Martini großartigen Klang gewinnen. Wogen schlugen hoch im Spiel des Frankfurter Barockorchesters, beherzte Affekte kamen in der Arienbegleitung zum Einsatz, wurde immerzu hochbeteiligt, flexibel, stark animiert und mit großem Engagement musiziert. Satte Klanglichkeit, farben- und ausdrucksstark im Tutti, delikat in den zahlreichen Soli (Oboen, Cembalo, Orgel, Violine). Großen, stehenden Beifall und Jubel gab es am Ende.

Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg, 9. Juni 1998