Georg Friedrich Händel:
Il Trionfo del Tempo e del Disinganno

 

Aufführung


25. 1. 2003
(Première)

Vorschau


16. 1. 2003

Ein Maestro voller Energie und Theatralik

Ersatz von Rang
Begegnung mit Marc Minkowski, der am Zürcher Opernhaus Händel dirigieren wird

Ausgerechnet als Einspringer (für Nikolaus Harnoncourt) präsentiert sich einer der führenden französischen Dirigenten von heute erstmals im Zürcher Opernhaus: Marc Minkowski.

Mario Gerteis
Er ist erst 40 und steht doch schon ganz oben – gefragt in der halben Welt, in Paris und Wien, bei den Festspielen von Aix-en-Provence und Salzburg. Minkowski gilt als Barock-Spezialist und wird in Zürich auch ein Werk von Händel auf die Szene bringen. Indes wehrt er sich entschieden, auf die Musik des 18. Jahrhunderts eingeengt zu werden.
Selten in letzter Zeit habe ich einen Dirigenten so körperhaft an der Arbeit gesehen. Vor allem in den raschen Partien machen Hände und Beine ungestüm mit, der massige Körper pendelt wild hin und her – dass das Pültchen tief unten steht, ist kein Zufall, er würde es sonst umschmeissen. In der französischen Presse gilt Marc Minkowski als «Tanzbär» oder als «Sprinter». Minkowski selber wiegelt lächelnd ab: «Früher hat das sicher gestimmt, ich liess mich von meinem Temperament mitreissen. Heute bin ich ruhiger geworden, achte mehr auf die grosse Linie. Ich versuche, die Energien von aussen nach innen zu lenken. Das Ziel ist das gleiche geblieben: Espressivo – das aber mit Kanten und Ecken.»

Fagottist und Orchestergründer
Minkowski ist ausgebildeter Fagottist. Das hat sich inzwischen geändert: «Zuerst war das Dirigieren eine Art Hobby, um mich zu amüsieren. Dann gewann es immer grössere Bedeutung, obwohl ich als Fagottist von den bedeutendsten Ensembles sehr gefragt war und dort viel gelernt habe.» Er findet es wichtig, dass ein Dirigent zuerst im Orchester gesessen und praktische Erfahrungen gesammelt hat. Er erwähnt den Cellisten Nikolaus Harnoncourt, der für ihn zur Initialzündung geworden sei: «Als ich Vivaldis Quattro Stagioni erstmals mit Harnoncourt hörte, traute ich meinen Ohren nicht. Was da aus den Lautsprecherboxen auf mich einkrachte, war nicht immer schön, aber voll Leben, aufregend und dramatisch.»
Und so gründete der 22-jährige Marc Minkowksi – das war 1984 – sein eigenes Ensemble mit Originalinstrumenten: Les Musiciens du Louvre. «Zunächst war es eher eine Hobby-Formation, ein Musizieren unter Freunden. Kaum konnte ich mit den Eintrittsgeldern ein Honorar verdienen.» Ab 1987 wurde die Sache professioneller, nicht zuletzt dank der Mithilfe von Radio France. Und natürlich auch wegen günstiger Schallplatten-Verträge (zuerst mit Erato, später mit der Archiv-Produktion). So konnte er nach und nach fast alle seine Lieblingswerke von Lully und Rameau, von Händel und Gluck und Monteverdi aufnehmen. Inzwischen spielen die Musiciens du Louvre von Fall zu Fall auch auf modernen Instrumenten, «alle Musik, die nach Haydn kommt, und ich möchte diesen Anteil noch steigern».
1996 wurden die Louvre-Musiker mit dem Ensemble Instrumental de Gre-noble verschmolzen; sie zogen in die französische Alpenstadt und nennen sich seither «Les Musiciens du Louvre-Grenoble». Etliche Mitglieder kommen übrigens von der Musica Antiqua Köln, wo sie bei Reinhard Goebel «Kraft, Präzision, Angriffigkeit, Reaktionsschnelle und eine grosse technische Kontrolle» lernen konnten – lauter Dinge, die Minkowski selber hoch schätzt. Gerade konnte er auf einer ausgedehnten Europa-Tournee die Qualitäten der Musiciens du Louvre-Grenoble vorführen: bei Händels «Giulio Cesare», der als konzertante Produktion überall bejubelt und für die Compact Disc mitgeschnitten wurde (die Edition soll im kommenden Sommer erscheinen).

Barock und Offenbach
Pikante Pointe: Minkowski hasst Countertenors – zumindest für heroische Rollen. Bei der szenischen «Giulio Cesare»-Produktion im Pariser Palais Garnier sang David Daniels die Titelpartie. Minkowski: «Er machte es exzellent, aber ich finde es dennoch nicht richtig. Das war einst eine Kastratenrolle, und wir wissen nicht genau, wie es getönt hat. Aber ich glaube, dass eine agile Altistin mit einer perfekten Tiefe diesen Stil, diesen Ausdruck natürlicher trifft.» In der jungen Jugoslawin Marijana Mijanovic hat er solch eine Künstlerin gefunden. Auf der «Giulio Cesare»-Tournee sang sie den Titelhelden, eine kleine Sensation. Minkowski nimmt Marijana Mijanovic jetzt nach Zürich für Händels «Il Trionfo del Tempo e del Disinganno» mit – man darf gespannt sein.
Überhaupt hat Minkowski, der meist mit einer ausgewählten Sängerschar (etwa Mireille Delunsch, Natalie Dessay, Yann Beuron, Laurent Naouri, aber auch mit internationalen Stars wie Felicity Lott, Magdalena Kozena, Anne Sofie von Otter) zusammenarbeitet, sehr konkrete Vorstellungen über das Barocksingen. Was er nicht leiden kann, sind «weisse Stimmen», die abstrakt an diese Materie herantreten. Er favorisiert Künstlerinnen und Künstler, die in verschiedenen Stilen bewandert sind. «Alle Barockopern wurden für Sänger geschrieben, die die besten ihrer Zeit waren. Solche singen heute Mozart und meinetwegen Wagner. Warum soll man ihnen die Tür zur Barockoper verschliessen? Ich bin kein Sektierer. Aber ich denke, dass die Barockoper für alle Sänger offen sein sollte, die die Intelligenz und die technischen Fähigkeiten für solch eine Musik besitzen.»
Gleich nach der Zürcher Händel-Produktion zieht Minkowski nach Lausanne, wo er mit seinem bevorzugten Regisseur Laurent Pelly «Les Contes d’Hoffmann» seines Lieblings Jacques Offenbach erarbeitet (Premiere am 21. Februar). Vor allem geht es ihm darum, dass alle vierteiligen Partien vom gleichen Künstler verkörpert werden. Nicht nur die Diener und die Bösewichter also, sondern auch die Frauen, die in Hoffmanns Leben und Lieben so wichtig sind. «Das war zweifellos Offenbachs ursprüngliche Konzeption: ein lyrischer Sopran für alle vier Rollen. Dass man sie auseinander dividiert und auf verschiedene Stimmen verteilt hat, ist eine falsche Entwicklung.» Der Dirigent weiss natürlich, dass er mit solch einer Entscheidung selbst vorzügliche Sängerinnen vor Probleme stellt. Natalie Dessay fällt leider wegen einer Erkrankung der Stimmbänder aus. So wird sich Mireille Delunsch der Feuerprobe unterziehen. Minkowski: «Ich weiss, es ist ein Risiko, aber ich wage es. Es wird sich lohnen!»

Keine Kompromisse
Mit zunehmender Erfahrung und wachsendem Ruhm ist Marc Minkowski selbstbewusster geworden. Etwa bei der Schallplatte. «Ich kann es nicht mehr ertragen, ins Studio zu gehen und drei Stunden damit zu verbringen, fünf Minuten Musik aufzunehmen. Ich muss ein Werk im Ganzen machen, um die Energie, die Theatralik zu finden. Wenn man zum Beispiel nach dem ersten Akt im Laufe des zweiten eine Arie singt, ist das etwas anderes als um zwei Uhr nachmittags. Da ist man gerade vom Tisch aufgestanden, und das rote Licht geht an. Für mich hat das nichts mit der Spannung an einem Abend zu tun. Auch die Sänger lieben das, selbst wenn sie sich sehr konzentrieren müssen.»
Sogar ein Marc Minkowski mit seiner Bilderbuchkarriere musste Rückschläge hinnehmen. Zum Beispiel, dass ihm ein Orchester die Gefolgschaft verweigerte – passiert in Genf mit dem Orchestre de la Suisse Romande bei Offenbachs «Orphée aux Enfers». «Das klappte hinten und vorn nicht, die Musiker liebten das Stück nicht, und sie liebten mich nicht. Kurz darauf machte ich Offenbachs Werk in Lyon. Das war wie Tag und Nacht.» Auch sein einziges festes Bühnenengagement bisher, an der Vlaamse Opera in Antwerpen und Gent, brach er 1999 nach zwei Jahren ab. Zu viele Leute redeten ihm drein. «Prinzipiell wäre ich nicht dagegen, ein grosses Orchester oder ein Theater zu übernehmen. Aber ich möchte dort allein verantwortlich sein, als Künstler wie als Manager. Ich will keine Kompromisse mehr eingehen.»


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