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Jürgen Flimm
Foto: Martin Vukovits
Wir können auch anders

Ein Gespräch mit dem Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins Jürgen Flimm über die gegenwärtige Finanzmisere in den Theatern und die Möglichkeiten der Besserung

Das Gespräch führten Michael Merschmeier und Franz Wille

Theater Heute Seit 21 Jahren sind Sie jetzt Intendant, haben 15 Jahre erfolgreich das Thalia Theater geleitet, inszenieren an den Opern in Zürich und Wien, demnächst in New York, Mailand und jetzt den «Ring» in Bayreuth. Sie werden ab 2002 Schauspielchef der Salzburger Festspiele. Warum tun Sie es sich an, auch noch Präsident des Deutschen Bühnenvereins sein zu wollen?
Jürgen Flimm Zu wollen! Das ist wieder die typische «Theater heute»-Unverschämtheit.
TH Sie haben sich wählen lassen.
Flimm Ich wollte es auf keinen Fall machen. Ich wurde schon bald nach dem Tod von August Everding gefragt, ob ich mich dafür interessiere. Ich habe das strikt abgelehnt! Es begann dann eine ausführliche Seelenmassage von Seiten der Intendantengruppe, angeführt von Klaus Zehelein, Ulrich Khuon und Jürgen Schitthelm, die mich in regelmäßigen Abständen bekniet haben, es zu machen. Als dann erkennbar wurde, dass ansonsten ein Politiker gewählt würde, fand ich’s auch besser, wenn es jemand aus dem Theater machte. Also habe ich mich zur Verfügung gestellt.
TH Damit sind wir schon mitten in der widersprüchlichen Situation des Deutschen Bühnenvereins: Da sitzen einerseits die Intendanten, andererseits die Rechtsträger, vertreten durch Kommunal- und Kulturpolitiker. Die Rechtsträger müssen sparen, die Intendanten wollen ihre Etats halten. Wie geht das in einem Verein?
Flimm Diese Schwierigkeit des Bühnenvereins entspricht der schwierigen Situation, in dem sich die Theater und die Kultur insgesamt befinden. Es muß eine Brücke gebaut werden zwischen den Produzenten und den Politikern. Es kann nicht das Ziel politischer Phantasie sein, nur den Rotstift zu spitzen, und es kann auch nicht die Erfüllung von Kreativität sein, immer zu schreien: «Es geht nicht mehr! Es geht nicht mehr!» Es muss ein Gespräch stattfinden – auch mit der Verwaltungsebene, was noch schwieriger ist als mit der politischen Ebene. Die Verwaltungsebene in den Kommunen und Ländern erweist sich als beratungsresistent.

Ermüdung beim Bohren meterdicker Bretter

TH Hat da der Bühnenverein bislang – auch intern – versagt? Das Gespräch ist doch seit langem notwendig, und diese Notwendigkeit ist bekannt.
Flimm Der Bühnenverein ist ermüdet beim Versuch, meterdicke Bretter zu durchbohren und durch die ständige Wiederholung der Feststellung, dass strukturelle Veränderungen nur mit den Theatermachern durchzusetzen sind und dass bei uns die besten Berater für diese Veränderungen zu finden sind, nicht bei McKinsey und anderen Firmen. Wir sind außerdem auch viel billiger.
TH Die Hauptprobleme sind doch allen Beteiligten seit langem bekannt. Das schwerwiegendste ist die Einbindung der Theater in die ÖTV-Tarifverträge. Die Tarifsteigerungen werden von den Rechtsträgern der Theater oft nicht mehr ausgeglichen, obwohl diese Rechtsträger in den Tarifverhandlungen selbst diese Erhöhungen mitaushandeln. Da geht eine Schere auf: Die Theater werden immer ärmer – und diese Armut geht zunächst und vor allem auf Kosten der künstlerischen Etats. Was kann man da tun?
Flimm Auf diese Situation weisen wir in der Tat seit langem hin. Ich habe schon meiner ersten Hamburger Senatorin Helga Schuchardt vor 15 Jahren gesagt: «Das ist ein Problem, mit dem sich die Kultusminister-Konferenz befassen müsste.» Wahrscheinlich muß es erstmal richtig krachen, damit die politisch Verantwortlichen begreifen, wie diese Schere zuschneidet. Als erstes müsste man die Theater aus dem Flächentarifvertrag entlassen. Es ist völlig unsinnig, dass der Bundesinnenminister und der ÖTV-Chef irgendwo irgendetwas vereinbaren, das wie ein Tischtuch über alle Institute gelegt wird, obwohl Theater ganz andere Produktionsformen und Rationalisierungsmöglichkeiten haben als ein Finanzamt oder ein Krankenhaus. Man muss Tarifverträge abschließen, die den Betrieben zugeordnet sind. Ansonsten werden etwa die Angestellten der Staatstheater in Hamburg wie Arbeitnehmer zweiter Klasse behandelt, weil der Staat ihnen das Geld, das er gerade mit ausgehandelt hat, nicht mehr gibt. Das ist absurd. Der Automatismus muss außer Kraft gesetzt werden. Ein Intendant, der die Gesamtverantwortung für ein Haus trägt und zu Recht an den Haaren gezogen wird, wenn er seinen Etat nicht einhält, kann in Wahrheit über den größten Teil seines Etats nicht frei entscheiden, nämlich über die Gehälter der nach öffentlichem Tarifrecht Angestellten.
TH Aber kracht es noch immer nicht genug, um diese Erkenntnis zu vermitteln? Es kracht in Berlin und Brandenburg, in Thüringen und in Nordrhein-Westfalen...

Betriebsschließungen sind eine Möglichkeit der Rettungsstrategie

Flimm Es dämmert den Verantwortlichen ja auch langsam, das es so nicht gehen kann. In Hamburg zum Beispiel ist das allen Beteiligten klar. Hinter vorgehaltener Hand stimmt sogar die ÖTV dieser Einsicht zu. Es gibt ein taktisches Problem: Wenn die Theater als Vorreiter aus dem Verbund des Flächentarifvertrags aussteigen, dann könnten andere Eigenbetriebe wie die Krankenhäuser folgen. Das ist ein Problem für die Arbeitgeber- wie die Arbeitnehmer-Seite.
TH Die Grundversorgung mit Krankenhäusern wird sicherlich gewährleistet bleiben, die Grundversorgung mit Theaterkunst ist in einigen Regionen nicht mehr gegeben – nehmen wir mal das Beispiel Frankfurt an der Oder.
Flimm Man fragt sich, warum das Theater in einer so relativ kleinen Stadt nicht mit weniger Geld hätte auskommen können. In einer vergleichbaren Stadt wie Moers gibt es noch ein Theater, aber es kostet weitaus weniger. Warum wurde in Frankfurt an der Oder der Etat nicht so weit heruntergefahren, dass die Stadt sich ihr Theater weiter hätte leisten können?
TH Richtig, warum?
Flimm Weil es zu viele öffentliche Bedienstete gab. Weil man eine Betriebsschließung machen muss, um Kündigungen aussprechen zu können, um es danach eventuell wieder aufzumachen mit weniger Geld.
TH Bei dem hohen Problembewusstsein, das Sie haben und das der eine oder andere Kulturpolitiker inzwischen auch hat, da müsste man doch Konsens erzielen können darüber, dass man das eine oder andere Theater schließt, um es danach wieder aufzumachen und am Leben zu halten.
Flimm Betriebsschließungen sind eine Möglichkeit der Rettungsstrategie. Es gibt, gerade bezogen auf das Land Brandenburg, viele vernünftige Vorschläge, wie man die noch immer vorhandenen Mittel einsetzen und wie man Schwerpunkte setzen könnte. Die werden bislang nur zu wenig beachtet. Vielleicht auch deshalb, weil sie gegen kommunale und regionale kulturpolitische Begehrlichkeiten verstoßen. Manche Kommunen hacken sich lieber ein Bein ab, als ihr Orchester herzugeben.

Repertoire- und Ensembletheater für ein Drittel weniger Geld...

TH Reden wir mal von konkreten Summen. Ihr Thalia Theater ist unter den gegebenen Bedingungen ein ziemlich entschlackter und optimierter Betrieb. Wieviel könnte man an diesem Haus noch einsparen, wenn man nicht an den Flächentarifvertrag gebunden wäre?
Flimm Mit einem Haustarifvertrag, der Möglichkeit, umzustrukturieren und Stellen freizusetzen: bis zu acht Millionen.
TH Von wieviel Subventionen?
Flimm Neunundzwanzig Millionen.
TH Und könnte den Repertoirebetrieb und das Ensemble unangetastet lassen?
Flimm Ja.
TH Was bringen denn die anderen Lösungsversuche, die in den neunziger Jahren aufgetaucht und zum Teil schon wieder gescheitert sind wie in Wuppertal/Gelsenkirchen, unglücklich laufen wie in Altenburg/Gera oder gar nicht erst zustandekommen wie in Weimar/Erfurt? Gibt es da Einspar- oder Optimierungspotential?
Flimm In Wuppertal/Gelsenkirchen hat es schon eine Menge gebracht. Trotzdem wird das Rad dort jetzt wieder zurückgedreht, denn die Wuppertaler wollen ihr Theater wiederhaben, sie wollen die Oper nicht mit Gelsenkirchen teilen. Bei Fusionen spart man Geld, aber man verliert Identität – und die zu stiften ist eine wesentliche Aufgabe von Theater in einer Stadt.
TH Neben den Fusionen gibt es zunehmend die internationalen oder die Festival-Koproduktionen. Ist das ein Ausweg aus der Finanzmisere?
Flimm Die Koproduktionen können nur das Sahnehäubchen auf dem Kaffee sein. Theater muss sich in der Stadt und aus der Stadt entwickeln, es muss eine Identifikation mit dem Ort geben. Außerdem spart man durch Koproduktionen kaum Geld.
TH Hätte der Bühnenverein nicht die Aufgabe, Beratung für die Theater und die Rechtsträger zu leisten? Er kommt einem vor wie das simple Spiegelbild der Problemlage...
Flimm Der Meinung bin ich auch. Wir versuchen, aktiver zu werden, indem wir eine Bühnenvereinsberatungsfirma gründen, die sich in solchen Problemsituationen zur Hilfe anbietet. Das kostet einen Bruchteil dessen, was man auf dem freien Markt für solchen Rat zahlen müsste. Inzwischen ist auch den Kulturpolitikern klar, dass sie sich an uns wenden können. Aber wir müssen auch intern beraten. Was macht man in einer Stadt? Wie sehen betriebswirtschaftliche Strukturen aus? Wie sieht das Vertragsrecht der Zukunft aus?
TH Consulting und Training.
Flimm Genau das muss der Bühnenverein leisten. August Everding hatte den Verein ja längst schon vom ständischen Denken befreit und mit der Berufung des Direktors Rolf Bolwin in Richtung Modernisierung gebracht. Diesen Schritt muss man weitergehen, sonst wird der Verein völlig obsolet, weil er nur noch leere Theater verwaltet.
TH August Everding war ja ein besonders geschickter und wirkungsmächtiger Lobbyist für das Theater, ganz ohne Berührungsangst vor der Politik. Darin sind Sie ihm ähnlich. Sind Sie deshalb der richtige Mann im richtigen Moment auf dem richtigen Sessel?

Ein Kölsch und ein Jour fixe mit dem Bürgermeister

Flimm Danke vielmals, eine entzückende Frage. Ich habe noch nie Berührungsängste gegenüber Politikern gehabt. Schon als ich in Köln Intendant wurde, war mir klar, dass es auch ein kulturpolitischer Job ist. Meine Partner sind nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Politiker. In Köln ging das Gespräch noch einfach bei einem Glas Kölsch nach einer Vorstellung. In Hamburg habe ich dann die Fraktionen der Bürgerschaft und die Senatoren besucht und mich vorgestellt. Außerdem hatte ich Glück mit den Bürgermeistern, mit denen war der Dialog sehr intensiv, mit Henning Voscherau hatte ich zweimal im Jahr einen Jour fixe, bei dem es nur um Theaterprobleme ging.
TH Sie sind jetzt für eine Periode von vier Jahren gewählt. Was haben Sie sich vorgenommen? Und wann sind Sie zufrieden mit Ihrer Präsidentschaft?
Flimm Es reichte mir schon, wenn in der Kulturlandschaft – in der die Theater Vorreiter sind – keine irreparablen Schäden entstehen. Der Jammer bei diesen Debatten ist doch, dass wir seit Jahren nur noch über Geld reden und nicht mehr darüber nachdenken, was wir auf der Bühne erzählen und wie. Und auch nicht mehr nachfragen, wie sich unser Verhältnis zum Publikum gewandelt hat. Da hat der Bühnenverein in den letzten Jahren viel zu wenig
Debatten anzetteln können, weil anderes vordringlich war.
TH Glauben Sie, dass es in den nächsten Jahren ohne Theaterschließungen weitergehen wird?
Flimm Ich hoffe, es geht ohne Schließungen. Aber selbst eine Schließung hieße nicht, dass es deshalb weniger Theater gäbe.
TH Also werden neue gegründet?
Flimm Es werden neue gegründet. Und es wird neue Schwerpunkte geben, neue Kooperationsformen, Umformungen.
TH Ist das deutsche Repertoire- und Ensembletheater in seinen Grundstrukturen dennoch zu erhalten?
Flimm Wenn es gelingt, die Ausgaben, für die wir nichts können, zu reduzieren, dann habe ich gar keine Angst um die Zukunft dieses Systems, das ja immer noch das beste in der Welt ist und um das uns alle anderen beneiden.