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Smetana: Branibori v Cechach (Die Brandenburger in Böhmen)

Datum:
1866
Libretto:
Karl Sabina nach Kajetan Tyl
Gattung:
historischer Roman; 3 Akte mit mehreren Verwandlungen; grosses Werk!
Ort:
Prag um 1279; behandelt die Wirren um die Besetzung Prags durch die erstarkenden Brandenburger; natürlich hatte und hat dieses Werk gewisse symbolische Bedeutung für die Wiedergeburt gehabt; Anklänge an die Revolution von 1848 sind mehr als naheliegend
Empfehlung:
Für den ersten Einstieg nicht unbedingt erste Wahl, aber für diejenigen, die mit Smetanas Musik vertraut sind, interessant.
Musik:
Schönes Werk in der Art eines historischen Romans mit zahlreichen Chören. Enthält »bereits den ganzen Smetana im Keim« (Honolka). Einzige Oper Smetanas, die Verdi nahesteht (vgl. die grosse Szene des geknechteten Volkes zu Beginn des zweiten Aktes mit Nabucco). Selten zu hören.
Hintergrund:
Selbstverständlich mussten die Habsburger sich in den Brandenburgern wiedererkennen und Smetana fürchete, als die wirklichen Brandenburger in Böhmen einmarschierten, sogar um sein Leben. Der historische Hintergrund: 1278 fiel der mächtige Böhmenkönig Premsyl Otokar II im Kampf mit Rudolf von Habsburg. Seine Frau Kunigunde rief daraufhin den Neffen Otokars, Otto V. von Brandenburg gegen den Sieger zur Hilfe. Otto V kam wirklich mit einer grossen Streitmacht, worauf Rudolf von Habsburg von einem weiteren Vordringen in Böhmen absah. Aber durch die brandenburgischen Kriegsscharen kam Böhmen vom Regen in die Traufe. Die Soldaten benahmen sich wie Sieger im Feindesland, und kerkerten Kunigunde samt ihrem siebenjährigen Sohn in der Burg Bezdez ein. Durch einen Vertrag mit Habsburg wurde Otto V. für 5 Jahre mit einer vormundschaftlichen Regierung in Böhmen betraut. Das Elend des Volkes gipfelte schliesslich in einer grossen Hungersnot.
Details:
Ouvertüre: Die Oper beginnt mit einem sehr kurzen Vorspiel, vielleicht das kürzeste der gesamten Opernliteratur. Ein rufartiges Motiv in Moll aus nur drei Tönen jagt im Prestotempo als crescendo aufsteigend durch vier Tonarten und mündet dann in eine Schlussgruppe, die als Diminuendo wieder absinkt und das Rufmotiv leise verklingen lässt. Kürzer und prägnanter kann der Inhalt einer Oper wohl kaum umrissen werden. Smetana weigerte sich stets Ouvertüren zu schreiben, welche die Handlung vorwegnehmen. Alle instrumentalen Zwischenspiele dieser Oper sind von gleicher Kürze und Prägnanz.

1. Akt:
Besteht aus zwei Bildern. Das erste führt auf das Lnadgut des Prager Bürgermeisters Wofram Olbramovic in der Nähe von Prag. Gleich zu Beginn wird der Hörer Zeuge eines melodiösen und rhytmisch sehr prägnanten aufgeregten Gesprächs zwischen Wolfram und seinen Gästen, wie gegen die Brandenburger vorzugehen ist. Während die Mehrzahl der Gäste für Krieg plädiert, versucht Wolfram einen gemässigten Weg durchzusetzen, bis schliesslich ein aufgeregter junger Bürger Junos erscheint und von Plünderungen in der Stadt berichtet. Nach dem Aufbruch der Krieger gerät Wolframs Tochter Ludise mit dem Prager Bürger Tausendmark in heftigen Streit. Als dieser von ihr einen Korb erhält, schliesst er sich einem Haufen plündernder Brandenburger an, die sich dem Gute nähern.
Das zweite Bild enthält eine der gewaltigsten und originellsten Szenen des Werkes: Wir sehen einen grossen Platz in Prag, auf dem sich das zornige Volk versammelt hat. Aus seiner Mitte wird Jirka, ein flüchtiger Leibeigener, zum Anführer gewählt. Der fetzige Wechselgesang Jirkas mit dem Chor des Volkes gehört sicherlich zu Smetanas besten Eingebungen. Aber es geht noch weiter. Nach dieser Szene lässt Smetana einen wilden, kurzen Furiant als Ballett folgen, der im Mittelteil (Klarinette) bereits an den Komödiantentanz aus der Verkauften Braut erinnert. Die Szene erreicht ihren Höhepunkt mit dem donnernden Chor Uhodila nase hodina. Als Tausendmark mit den gefangenen Mädchen und dem plündernden Söldnerheer eintrifft, versucht Jirka die Mädchen mit Hilfe des Volkes zu befreien. Obramovic verhindert im letzten Moment ein Handgemenge. Tausendmark gelingt es, Wolfram Obramomic davon zu überzeugen, dass Jirka die Entführung angezettelt habe. Olbramovic schenkt dieser Lüge Glauben und lässt Jirka gefangennehmen.
2. Akt:
Dieser Akt besteht aus drei Bildern. Gleich in der erste Szene knüpft an den gewaltigen Eindruck an, den die Szene auf dem Platz im ersten Akt vermittelt hatte. Wird sind in einem Dorfe bei Prag. Die hungergepeinigten Bauern verlassen voller Verzweiflung ihre Güter und begeben sich mit ihrern kärglichen Habseligkeiten in den Wald. In einer grossen Szene beten sie um Wiederkehr von Frieden und Freiheit. An dieser Stelle drängt sich der Vergleich mit Nabucco geradezu auf. In bezwingender Weise hat Smetana hier die Verzweiflung in Töne gefasst. Der Gefangenenchor aus Nabucco zählt zweifellos zu den schönsten Opernchören, die es gibt. Es fällt mir jedoch manchmal schwer, diese schöne Melodie mit der Situation der Verzweiflung und Sehnsucht in Verbindung zu bringen. Smetanas Szene ist zwar nicht so eingängig, aber meiner Ansicht nach wirklichkeitsnaher und eindrucksvoller gestaltet. Doch nun wird es von der Dramatik etwas merkwürdig. Ein Herold von der Prager Stadtwache erscheint und verkündet den Befehl Ottos, dass die vormundschaftliche Regierung in Böhmen zu Ende ist. Smetana lässt auf diese Botschaft einen besonders schönen Chor Slunko, v radosti se zjasni (Sonne, Freud und Glück erhelle dich) folgen. Drei Tage dürfen die Feinde allerdings noch in Böhmen verweilen. Der Hauptmann Warnemann schickt einen Bauer nach Prag, um Olbramovic dazu zu bewegen, ein hohes Lösegled für seine drei Töchter zu zahlen.
Das zweite Bild spielt in einem Gerichtssaal. Jira wird wegen Entführung zum Tode verurteilt und Olbramovic betraut sogar Tausendmark damit, die Befreiung der Töchter zu bewirken. Dieses Bild wirkt nicht so inspiriert wie das vorangegangene.
Umso mehr aber das anschliessende dritte. Dieses Bild enthält im siebten Auftritt viele Anklänge an die Verkaufte Braut. Im Garten eines Bauernhauses warten die drei Mädchen mit wachsender Verzweiflung auf die Nachricht des Vaters. Gleich zu Beginn das Lied Decanas an die Natur O, jak tu krasne prirody jsou zjevy. Dies ist eines der echt smetanaschen Opernlieder zweifellos ein Höhepunkt der Partitur. Sehr originell die flirrenden Akkorde der Hörner. Der anschliessende Wechselgesang der drei Mädchen steht auf gleicher Höhe. Schliesslich erscheint Junos, jener junge Prager Bürger, der im ersten Akt von dem Aufruhr in Prag berichtete. Es stellt sich heraus, dass dieses Ludises Liebster ist. Dieser siebte Auftritt ist die Verkaufte Braut in den Brandenburgern. Das in hohem Tempo gesungene Duett O jak blaha, krasna tato chvile ist direkt mit dem schönen Liebesduett aus dem 1. Akt, 1. Bild aus der Verkauften Braut verwandt (Sextenschleifer!) und genauso interessant. Ludise lässt sich von der Drohung des bewachenden Warnemans, er werde, falls das Lösegeld nicht rechtzeitig eintrifft, alle drei Mädchen in der Fremde verkaufen, nicht beeindrucken. Der Akt schliesst mit dem Quartett Doufam pevne v nasi svobodu (Und ich hoffe, dass Freiheit winkt), das an die Platzszene des zweiten Bildes im ersten Akt erinnert. Als vierter der Gruppe singt Warneman gehässig Doufa pevne ve svou svobodu (Sie hoffen fest, dass Freiheit winkt), wird aber von den drei Frauenstimmen übertönt.
3. Akt:
Statt eines Boten aus Prag trifft jedoch Tausendmark ein und zahlt selbst das Lösegeld für die Mädchen, um mit Ludise unter dem Schutz der Brandenburger Böhmen zu verlassen. Warneman verachtet Tausendmark und weist seinen Vorschlag zurück. Während der Nacht nähert sich das Prager Volk mit Jira, der inzwischen von Junos befreit wurde. Die Menge schafft es, die Mädchen zu befreien und Tausendmark gefangenzunehmen. Wie diese kurze Beschreibung schon andeutet, ist der dritte Akt dramatisch nicht sehr gelungen, was auch der Musik anzumerken ist. Mit Ausnahme des sehr schönen »Nacht«Chores Noc je tak ticha (So still die Nacht ist), den Jira, Junos und dem Volk, gibt es meiner Ansicht nach keine weiteren Höhepunkte.
Wirkung:
Mit dieser seiner ersten Oper gewann Smetana ein Preisausschreiben für die erste nationale Oper. Sie ist gewissermassen sein Iwan Sussanin (Glinka). Nach anfänglich grossem Erfolg, verschwand das Werk bald von der Bühne, wird aber heute hin und wieder aufgeführt. Das Textbuch wurde als dramatisch etwas merkwürdig empfunden. Der Höhepunkt der Handlung ist zum Zeitpunkt der Mitteilung des Herolds erreicht. Das Drama um die Töchter wirkt wie ein merkwürdiges Anhängsel (besonders der dritte Akt). Dennoch ist die Oper musikalisch eher reichhaltiger als Iwan Sussanin. Das mächtige Häuflein um Balakirew war mit Smetanas Erstling jedoch keineswegs einverstanden. Sowohl Smetana als auch Mussorgsky suchten nach einem »wahren Ausdruck« in der Musik. Beide standen der italienischen Oper deshalb kritisch gegenüber. Während Smetana jedoch die Mittel seiner Zeit nutzte, sich heftig dagegen wehrte, eine Musik aus dem Material tschechischer Volkslieder und Tänze zu schaffen, und stattdessen mit modernen »westlichen« Mitteln »im Geiste der tschechischen Musik« Neues schaffen wollte (und nur sehr, sehr selten in seinen Werken echte Volkslieder zitierte), hielt Mussorgsky jegliche Konservatoriumsweisheit für verderblich. So blieb es nicht aus, dass er in einem wahren Pamphlet gegen Smetana zu Felde zog, davon sprach, dass Smetana die »tschechische Musik verhunze« und dass die »Tschechen sich wohl an ihrer Schlagsahne überessen haben«. Das tschechische Wort smetana bedeutet tatsächlich Schlagsahne, im Russischen, auf der zweiten Silbe betont, bedeutet es »saurer Rahm«.


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Heiko Schröder 2003-07-24