Bedrich Smetana
Die verkaufte Braut


QUELLE: http://www.impresario.ch/review/revsmever.htm

Aufführung


20. 9. 2003
(Première)
*
Musikalische Leitung: Peter Schneider
Inszenierung: Matthias Hartmann
Bühnenbild: Voker Hintermeier

Kostüme: Sue Bühler
Lichtgestaltung: Peter Bandel
Chor: Ernst Raffelsberger
*
Marenka: Martina Serafin
Háta: Irène Friedli
Ludmila: Margaret Chalker
Esmeralda: Martina Janková
Jeník: Piotr Beczala / Ludovit Ludha
Kecal: Alfred Muff
Vasek: Andreas Winkler
Krusina: Valeriy Murga
Micha: Guido Götzen
Principál: Volker Vogel
Indián: Horst Lamnek


SYNOPSIS / LIBRETTO

Rezensionen


22. 9. 2003

Oper multimedial

Smetanas «Verkaufte Braut» im Zürcher Opernhaus

Was kann einen Schauspielregisseur dazu verlocken, seinen Einstand auf der Opernbühne mit Bedrich Smetanas «Verkaufter Braut» zu geben? Das populäre Singspiel aus Böhmen ist nicht nur ein Meisterwerk musikalischer Charakterisierung und Milieuschilderung, seine Figuren eignen sich auch für psychologische und soziologische Fallstudien. Der von der Stiefmutter aus Hof und Heimat vertriebene Jeník, sein Halbbruder Vasek, ein stotterndes Muttersöhnchen, die zwei ungleichen Elternpaare, wohlsituiert das eine, verschuldet das andere, der Heiratsvermittler Kecal, der zum Dorf gehört und doch ein Aussenseiter ist, schliesslich Marenka, die von ihrem Geliebten vermeintlich verkaufte Braut, die sich der Fremdbestimmung widersetzt und autonom ihre Ansprüche geltend macht: Sie alle sind Charaktere von ausgeprägter Individualität, Menschen mit einer je eigenen Geschichte, deren Zusammentreffen starke dramatische Energien freisetzt.

Was aber könnte einen Schauspielregisseur davon abhalten, sich gerade an dieser Oper zu versuchen? Da gibt es einerseits die grossen Chorszenen, die besondere Metierkenntnis erfordern. Vor allem aber haftet der «Verkauften Braut» noch immer ein Beigeschmack von schmucker böhmischer Folklore an, obwohl diese längst demontiert ist - in Zürich durch die letzte, von Christine Mielitz erarbeitete Inszenierung - und einer realistischen, gesellschaftskritischen Auffassung des Stückes Platz gemacht hat. (Einer solchen Lesart ist auch die wunderbar poetische Stuttgarter Inszenierung verpflichtet, mit der Andrea Breth kürzlich als Opernregisseurin Aufsehen erregt hat.)

Matthias Hartmann, frisch gekürter künftiger Direktor des Zürcher Schauspielhauses, scheint sein Augenmerk vor allem darauf gerichtet zu haben, bei seinem Operndébut die Klippen zu umgehen. Das Schlüsselwort heisst Brechung. Das Dorf ist ein Spielzeugdorf, von Jeník und Maenka während der Ouverture aufgebaut. Da es die Bühnenfläche zu grossen Teilen besetzt, werden die Darsteller an die Rampe gedrängt. Doch hinter ihnen errichtet der Bühnenbildner Volker Hintermeier weitere Spielebenen. Auf zwei hintereinander liegenden Leinwänden werden die Figuren filmisch gespiegelt und verdoppelt - zum Teil als Reminiszenz an den berühmten Stummfilm von Ophüls -, wobei der Vorgang der Verfilmung mit ins Bild kommt. Einen weiteren, prosaischeren Blickfang bilden die Textprojektionen («Prodaná nevsta» wird diesmal in der Originalsprache gespielt). Aber auch konventionelle Bühnentechnik kommt zum Einsatz, wenn im zweiten Akt ein Platzregen die Biertrinker vor dem «Café Kecal» vertreibt, so dass Maenka und Vasek die Bühne für sich allein haben.

Turbulent bis chaotisch wirkt dieses Spiel auf mehreren Ebenen, dessen Instrumentarium zwar trendig, aber keineswegs neu ist. Doch wenn dann eine Szene quasi in Grossaufnahme, ohne Spiegelung und Brechung gezeigt wird, schlägt die hektische Bewegtheit oft in Statik um. Erst im dritten Akt entsteht eine Balance, weil hier für den Aufzug des Wanderzirkus die Filmebene wirklich sinnvoll eingesetzt und virtuos und witzig bespielt wird, die Hauptfiguren aber parallel dazu immer mehr zu sich selber kommen. Hartmanns Hand lässt sich in dieser Inszenierung nicht leicht erkennen. Dominiert wird das Bühnengeschehen von Hintermeiers bildlichem Konzept, dem Video- und Lichtdesign, den auf die dreissiger Jahre des letzten Jahrhunderts anspielenden Kostümen Su Bühlers. Auch der Chor (Leitung: Ernst Raffelsberger) wird von der Bilderflut überschwemmt: eine wogende, meist im Halbdunkel agierende Masse, die sich allerdings klangvoll Gehör verschafft.

Die Protagonisten aber passen so perfekt in ihre Rollen, dass sich Personenregie zu erübrigen scheint. In Martina Serafins Maenka gehen Resolutheit und Sensibilität eine Verbindung ein, der das leicht herbe Timbre ihres reich facettierten, subtil phrasierenden Soprans ideal entspricht. Piotr Beczalas agiler Tenor, der die Spitzentöne mit üppigem Glanz ausstattet, unterstreicht die unbeirrbare Selbstgewissheit seines Jeník und hebt sich ganz natürlich vom leichteren, lyrischen Organ Andreas Winklers ab, dessen stotternder Vasek nicht lächerlich, sondern liebenswert erscheint. Dass der Heiratsvermittler Kecal zu Alfred Muffs Paraderollen zählt, bestätigt sich in dieser Einstudierung, obwohl der tschechische Text ihn in der gesanglichen Pointierung etwas zu behindern scheint. Auch die Interpretinnen und Interpreten der kleineren Rollen steuern markante Rollenporträts bei: Valeriy Murga als Krusina, Margaret Chalker als Ludmila, Guido Götzen als Micha, Irène Friedli als Háta, Volker Vogel als Zirkusdirektor und Martina Janková als Esmeralda.

Keinen leichten Stand hat der Dirigent, der die Partitur ständig gegen die Dominanz der Bühne verteidigen muss. Peter Schneider behilft sich mit kräftigem Zugriff auf Smetanas elektrisierend vitale Musik und entlockt dem Orchester erdig pastose Farben. Das mit breitem Pinsel gemalte Klangbild verliert dadurch allerdings einiges an Konturschärfe. - Die Meinungen im Publikum schienen schon bei Halbzeit gemacht zu sein und verfestigten sich am Schluss: einhelliger Beifall für das Sängerensemble, kräftige Buhrufe (nebst Applaus) für das Regieteam. Hartmann mag sich damit trösten, dass solches in der Oper kein Ausnahmefall ist. Für sein Wirken am Schauspielhaus dürfte es so wenig ein Präjudiz darstellen wie die Inszenierung selbst.

Marianne Zelger-Vogt

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22. 9. 2003

Viel Ironie - und Folklore en miniature

Matthias Hartmann, künftiger Direktor am Zürcher Schauspielhaus, zeigt im Zürcher Opernhaus Smetanas «Verkaufte Braut»: turbulent, witzig, aber ohne viel Tiefsinn.

Von Susanne Kübler

Welch ein Coup für Alexander Pereira: Nur Tage, nachdem Matthias Hartmann als Nachfolger von Christoph Marthaler gewählt wurde, kann er die erste, schon seit Jahren geplante Opernregie des Bochumer Intendanten präsentieren. Hartmann selber schien dieser Zufall weniger zu behagen; jedenfalls hat er vor der Premiere vom Samstag bei jeder Gelegenheit darum gebeten, diese Aufführung nicht als repräsentativ für seine Arbeit zu verstehen.

Seine etwas kokette Sorge war unnötig, die Inszenierung von Bedich Smetanas «Verkaufter Braut» gehört zum Originelleren, was im Zürcher Opernhaus gezeigt wird. Auch, weil sich Hartmann geschickt aus den Aufführungstraditionen des Werks ausgeklinkt hat: Die heute übliche pessimistische Interpretation pariert er mit Ironie, die früher gängige Folklore gibts bei ihm nur en miniature.

So ist das niedliche böhmische Dorf, das lange Jahre als obligate Kulisse für diese Oper gedient hat, noch ein bisschen niedlicher als einst. Im Puppenhausformat stehen die Häuschen auf der Bühne, die Sängerinnen und Sänger wirken wie Riesen dazwischen. Die winzige Leinwand mit den noch winzigeren Plastikstühlchen davor hat Volker Hintermeier allerdings auch noch im Grossformat auf die Bühne gestellt: Da sitzt dann der Chor auf den Stühlen und schaut einem Stummfilm zu, der live hinter der transparenten Leinwand gefilmt wird.

Kompliziert, raffiniert
Das ist so kompliziert wie raffiniert. Kompliziert, weil das visuelle Chaos auf vier Ebenen - Sänger, Chor, Leinwand und die Schauspieler dahinter - beträchtlich ist (und durch die unablässig quellenden Wolken auf der Leinwand noch unnötig verstärkt wird). Und raffiniert, weil genau dieses Chaos jede Menge Anspielungen und Bezüge ermöglicht, ohne die einzelnen Akteure zu überfordern. Denn mit dem Spiel auf den verschiedenen Ebenen sind auch die Kompetenzen verteilt: Die Sänger sind fürs Singen zuständig und bewegen sich in Su Bühlers dezent braunen Kostümen relativ konventionell; für die Turbulenzen, für prägnante Mimik und den szenischen Witz sorgen Schauspieler - dank der Videoübertragung auch noch in Grossformat.

Bier, Weib und Gesang
Raffiniert ist diese Anlage auch, weil die Geschichte der verkauften Braut gleich zweimal gezeigt werden kann: Vorne geht es um die wahre Liebe zwischen Maenka und Jeník; um den Heiratsvermittler Kecal, der Maenka mit Vaek, dem blöden Sohn eines reichen Gutsbesitzers, verheiraten will; und um Jeník, der sie scheinbar verkauft - bis er sich selbst als (verschollener) Sohn dieses Gutsbesitzers vorstellt und alles Leiden ein Ende hat.

Der Stummfilm erzählt die Geschichte etwas anders. Deftiger, billiger, frei nach dem Motto: Bier, Weib und Gesang. Das Volksfest (bei dem der Chor das Bier in den höchsten Tönen besingt) wird zur wüsten Trinkerei, eine wunderbar kitschige Modeschau parodiert den Traum von der ewigen Liebe, und auch das Paar gehört zur handfesten Sorte. Sie nimmt einen Schluck aus der Flasche, wenn sie sich betrogen meint; er trinkt, weil er sich Vorwürfe anhören muss, und wenn von Liebe die Rede ist, dann rülpsen sie einträchtig. Ob Budweiser etwas bezahlt hat fürs Product Placement, wäre abzuklären.

Der Material- und Ideenaufwand für den ersten Akt ist enorm, die Anforderungen an die Aufnahmekapazität des Publikums ebenfalls. Beides mag dazu geführt haben, dass die Inszenierung in der Folge ruhiger wird. Wenn Kecal und Jeník ihren Vertrag aushandeln, schlurft nur noch ein Kellner mit Bierharassen im Hintergrund herum, im Café gibts ein bisschen Schattentheater. Und wenn Maenka ihre Enttäuschung heraussingt, bleibt nichts mehr ausser der Dörfchenkulisse, die nun fast realistisch im Hintergrund steht. Keine Ironie, keine Verfremdung.

Auch keine Erklärung. Maenka singt und ringt die Hände, wie sie es schon in vielen Aufführungen getan hat. Warum Jeník ihre Verzweiflung nicht versteht, dazu schweigt der Regisseur. Und er lässt auch Vaek allein: Der Dorftrottel, der von allen Seiten mit Schlägen, Spott und falschen Versprechungen geplagt wird, verschwindet zuletzt ganz einfach von der Bühne. Beim Happyend - das bei Hartmann zwar ironisch gebrochen, aber doch mit viel Konfetti auf die Bühne kommt - kann man eine Figur wie ihn nicht mehr gebrauchen.

Der Tiefsinn mag fehlen, bei einem Leichtsinn von dieser Qualität vermisst man ihn nur selten. Denn es gibt unglaublich gute Szenen in dieser «Verkauften Braut»: Der Auftritt der Zirkusleute zum Beispiel, deren Nummern vorne als Tricks gefilmt und zeitgleich auf der Leinwand zu atemberaubender Artistik kombiniert werden. Auch die Personenführung ist so präzis wie musikalisch, etwa wenn die vereinten Eltern Maenka zur Hochzeit mit Vaek überreden wollen; da tritt mit der Stimme auch die jeweilige Figur in den Vordergrund, und die Grobheit des Vaters, der «Wir wollen nur das Beste für dich»-Blick der Mutter werden knapp und klischeefrei dargestellt.

Ende mit Feuerzeug
Für den Zusammenhang zwischen solchen Sketches sorgt vor allem die Musik. Sie lebt - einmal mehr - von einer in jeder Rolle überzeugenden Besetzung. Wenn Andreas Winkler als Vaek an seinen Kleidern herumzerrt, so wirkt das so echt und rührend wie das Stottern seines hellen Tenors. Und Alfred Muff verkörpert den Heiratsvermittler mit jeder Faser als jenen eifernden Schwätzer, der auch musikalisch alles viermal sagt.

Grossartig ist auch das Liebespaar: Martina Serafin ist keine besonders mädchenhafte, aber eine höchst lebendige Maenka; mit schmeichelndem Sopran legt sie Vaek herein, schrill keift sie ihre Enttäuschung heraus - um dann mit voller, starker Stimme die Liebe zu feiern. Nicht weniger vielseitig ist der Tenor Piotr Beczala; locker und lyrisch singt er, als Liebender und als intelligente Spielernatur. Beide kommen mit Leichtigkeit gegen das Orchester der Oper an, das oft ziemlich laut und flächig spielt: Dem deutschen Dirigenten Peter Schneider geht es weniger um Nuancen als um kräftige Farben, zu denen auch ein vibrierend intensiver Opernhauschor Entscheidendes beiträgt.

Einhellig war am Ende der Applaus für die Sängerinnen und Sänger, bei der Regie mischten sich lauter Beifall und laute Buhs. Worauf Matthias Hartmann die Hand der Souffleuse küsste und sein Feuerzeug anzündete. Das verblüffte das Premierenpublikum so sehr, dass es fast augenblicklich verstummte.

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22. 9. 2003

Smetanas «Die verkaufte Braut» im Zürcher Opernhaus

Zirkus rettet Hartmann

von Roger Cahn

Nach dem ersten Akt wurde er ausgebuht, am Schluss stand er als Sieger da. Matthias Hartmann (40), designierter Schauspielhaus-Direktor, inszeniert im Opernhaus Zürich erstmals eine Oper. Premiere war am Samstag.

Smetanas «Die verkaufte Braut» ist ein ausgeklügeltes Spiel um die an einen Stotterer verkaufte, hübsche und selbstbewusste Marenka. Die liebt natürlich einen anderen. Indem der Heiratsvermittler übertölpelt wird, bekommt Marenka doch noch den Mann, den sie liebt.

Der Schauspielregisseur Hartmann scheint der Spieloper nicht so recht zu trauen. Besonders dort, wo Smetanas Musik mit Volkstänzen die Stimmung anheizt, kneift er und führt ein ihm anscheinend vertrauteres Medium auf der Bühne ein: den Film. Das Stück scheint zu zerfallen, Bühne und Zuschauer sind überfordert.

Im zweiten und dritten Akt konzentriert sich die Regie direkter auf das Spiel der Protagonisten. Mit der grandiosen Zirkusszene im dritten Akt rettet Hartmann seine Haut. Da wird deutlich, was er mit seinen Video-Einspielungen meint: die sichtbare Gegenüberstellung von Sein und Schein. Vorne auf der Bühne werden zirzensische Gags gefilmt, hinten beklatschen die Dörfler im Kino die Illusion. Offener Szenenapplaus.

Auch bei der Personenführung - oft das Stiefkind der Oper - spürt man den Theatermann: Die Darsteller überzeugen in ihren Charakterrollen schauspielerisch und stimmlich. Einzig beim Orchester unter Peter Schneider wünschte man sich mehr böhmische Seele und weniger deutsche Gründlichkeit.

Fazit: Trotz des Fehlstarts hat Hartmann am Ende doch noch ehrenhaft einen Podestplatz beim Smetana-Opernrallye geschafft.

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22. 9. 2003

Potenzierter Perspektivenreichtum

Buhrufe bereits nach dem ersten Akt: Da vermissten offenbar ein paar Gemütsselige den knitterfreien Trachten-Look beziehungsweise die farbenprächtige Folklore, die in der Rezeptionsgeschichte dieses Werks so oft mitspielte. Regisseur Matthias Hartmann indes brach solche Konventionen mit trefflicher und vor allem mit liebevoller Ironie: ein Geniestreich.

WERNER PFISTER

Zum Schluss war es (fast) allen klar: Bravorufe hallten durch das Haus, als Matthias Hartmann auf die Bühne kam, orkanartige Applaussalven mehrere Minuten lang. Da ist einem Regisseur, der zum ersten Mal auf der Opernbühne arbeitete, jenes Kunststück gelungen, das man als Quadratur des Zirkels bezeichnen könnte. Denn Hand aufs Herz, eigentlich wissen wir es alle: einfach ein putziges böhmisches Bauerndörfchen auf die Bühne stellen und dieses bevölkern mit Menschen, die sich in ihrer Festtagstracht herausgeputzt haben und nun zum fröhlichen Tanz, zum schaumigen Biertrinken antreten, und das fast einen ganzen Opernabend lang - nein, das geht heute nicht mehr.

Denn diese Naivität des Blicks haben wir verloren oder, besser gesagt: hat uns die Zeitgeschichte ziemlich gründlich ausgetrieben. Umgekehrt, treibt man der «Verkauften Braut» jeglichen Aspekt bäuerlichen Brauchtums aus, um sie beispielsweise auf rein sozialkritische Perspektiven (etwa die Unterdrückung der Frau) zu verkürzen, dann bringt man diese Oper um ihren Charme (und auch ihren sprühenden Witz). So oder so, mit Verlusten scheint man rechnen zu müssen

Filmischer Kontrapunkt
Nicht so bei Matthias Hartmanns Neuinszenierung. Was so genannt bäuerliche Folklore ist, belässt er dem Stück (und der Bühne) weitgehend. Allerdings, ohne das mit knallbuntem Trachten-Look gleichsam ins ewig Sonntägliche herauszuputzen. Nein, diese Bauernwelt ist zwar lustig und derb, aber ziemlich grau oder braun (Kostüme: Su Bühler). Bäuerlicher Alltag eben, und zuweilen hat man das Gefühl, es könnte durchaus heutiger Alltag sein.

Heutig sind auch die filmischen Mittel (Video-Design: Peer Engelbracht, Stephan Komitsch, Rachel Gimber), mit denen das Bühnengeschehen kontrapunktiert wird. Ja, mehr noch: Das Spiel findet nicht nur unter den Sängern auf der grossen Bühne statt, sondern - gewissermassen als Zitat - auch unter Schauspielern auf einer kleineren Bühne erhöht im Hintergrund. Wobei diese Bühne durch eine Leinwand halbtransparent «verschlossen» ist, was schattenrisshafte Durchblicke ermöglicht, und auch im Bühnenvordergrund eine Leinwand herabhängt.

Gebrochene Perspektiven
Mit kleinen Videokameras wird die Hauptszenerie unauffällig auf Details abgetastet, um diese dann grossformatig auf die Leinwand vorne und hinten zu projizieren. Diese filmische Ästhetik (aus der Stummfilmzeit) erinnert an Max Ophüls, der die «Verkaufte Braut» 1932 verfilmt hatte. Alles in allem ergibt das einen mehrfach potenzierten Perspektivenreichtum: in der Wahrnehmung des Klein- und Grossformatigen wie auch des intim Privaten und des öffentlich Gesellschaftlichen. Auch die historische Perspektive wird solcherart immer wieder subtil gebrochen: zum Amüsement des Publikums, das sich, besonders in der Zirkusszene im dritten Akt, köstlich unterhält (und mit spontanem Szenenapplaus reagiert).

Spiellust geweckt
Ebenso viel tragen die Sängerinnen und Sänger zum Vergnügen bei. Das ist zum einen ein rein szenisches Vergnügen: Matthias Hartmann versteht es vorzüglich, seine Sänger von «sängerischem» Gehabe zu befreien und ihre Spiellust heraus zu kitzeln. Am eindrücklichsten vielleicht (weil man es hier nicht unbedingt erwartet) bei Wenzel, dem Dorftrottel, den Andreas Winkler derart intensiv spielt, ja gleichsam als ernsthafte Fallstudie darstellt, dass man unbewusst an einen andern leicht debilen Aussenseiter der Opernliteratur denkt, an Wozzeck nämlich.

Sängerfest
Zum andern ist diese «Verkaufte Braut» ein pures sängerisches, also vokales Vergnügen. Piotr Beczala (Hans) trumpft in bäuerlich salopper, liebenswerter Unbekümmertheit mit einer verschwenderischen Fülle an tenoralem Gold auf; Martina Serafin hat ebenfalls die goldrichtigen, nämlich ausdrucksstark lyrischen, aber auch aufbegehrerisch dramatischen Töne für die Marie. Ein ideales Paar. Als Dritter im Bunde zieht Alfred Muff, Heiratsvermittler Kecal, seine Fäden, intrigant und listig, schwätzerisch und besserwisserisch - und das mit mächtiger, ja zuweilen (augenzwinkernd) protzig dramatischer Stimme.

Gut besetzt
Auch die kleineren Rollen erhalten ihre sehr individuell gestaltete (und gespielte) Physiognomie: Valery Murga und Margaret Chalker als Kruschina und dessen Frau Ludmila, Guido Götzen und Irène Friedli als Micha und dessen Frau Hata, jeder und jede ein Porträt für sich. Und das Personal vom Wanderzirkus, VolkerVogel (Direktor), Martina Jankova (Esmeralda) und Horst Lamnek (Indianer) samt einer Reihe von Schauspielerinnen und Schauspielern ist, wir sagten es bereits, ein Klasse für sich. Übrigens, gesungen wird in der tschechischer Orignalsprache, dazu gibt es deutsche Übertitelung.

Der Dirigent Peter Schneider hält das Orchester der Oper Zürich einigermassen straff am Zügel, duldet keine vorauseilenden Sentimentalitäten, sondern setzt auf ein vergleichsweise elementares Musizieren ohne dralle Edelfolklore: mit stämmigen Bläsern, voll tönenden Geigen und zupackenden Streicherbässen. Kleinere Koordinationsprobleme zwischen Orchester und Bühne werden sich bestimmt noch beheben lassen.

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22. 9. 2003

Grosse Musik mit Bier und Video

Aus der Dorfgeschichte macht das Opernhaus eine grosse Regiekiste. Darin gibt es auch ein Ensemble, das eigentlich ganze Arbeit leistet: lebendige Figuren und musikalisches Glück auf die Bühne zaubert.

Herbert Büttiker

Da gibt es beispielsweise jenes «dolce amoroso» des Duetts, das im Opernhaus wieder zu hören einfach ein musikalischer Glücksfall ist, und wenn es später als Erinnerungsmotiv im Orchester wiederkehrt und nun gefährdetes und schliesslich verlorenes Glück bedeutet, im einfachen musikalischen Sachverhalt grosses Musiktheater entstehen lässt. Im Orchestergraben waltet hier die Behutsamkeit instrumentaler Zartheit (Klarinetten!), über die in dieser Produktion Peter Schneider sorgsam wacht, ein Dirigent, der auch die emotionale Wärme und die Brillanz in der Partitur nicht unterschlägt. Auf der Bühne geben sich Martina Serafin und Piotr Beczala sotto voce und aufblühend der Terzensüsse des Stücks hin, dass man meint, es dürfe nie zu Ende sein: zwei ideale Stimmen voller Timbre und Spannkraft.
Letztere ist nicht nur hier gefragt, wo es sich um das Sphärische der Liebe handelt, sondern vor allem auch im erdnahen Bereich der bäuerlichen Charaktere. In all dem überschäumenden Tenorglanz, mit dem Beczalas Hans in seiner Arie im zweiten Akt auftrumpfen kann, wird eben auch deutlich, dass in der strahlenden Gewissheit, was die Liebe und das Gelingen seines listigen Plans betrifft, auch der Eigensinn eines hemdsärmeligen Querkopfs mitschwingt. Darob wird das Dorfstück ja auch zum Drama mit der grossen Soloszene der Marie, die, in die Pläne ihres Partners eben nicht eingeweiht, Grund zur Verzweiflung hat. Martina Serafins Sopran gibt ihr alle emotionale Fülle vom zurückgenommenen «doloroso» bis zur «grande espressione», die Smetana vorschreibt, ein Höhepunkt des Abends. Packend dann, wie in der anschliessenden Duettszene die kontrastierenden Stimmungen im temperamentvollen Staccato aufeinander prallen und in der Pointiertheit des Zanks auch der Humor spürbar wird, der das Finale schon vorwegnimmt.

Das Wesentliche
Das Besetzungsglück, von dem hier die Rede ist, hat kräftige Seitenarme. Alfred Muff spielt den Kecal in seiner ganzen impertinenten Statur nicht nur mimisch grossartig aus, sondern charakterisiert die stumpfe Trockenheit und miserable Geschäftstüchtigkeit des Heiratsvermittlers allein schon in der rhythmischen Prägnanz und souverän kontrollierten Musikalität. Ein genauer Kontrast zur markigen Parlandokunst verkörpert sein schmächtiger und stotternder Klient Wenzel, den Andreas Winkler mit schlankem Tenor gibt. Was seine Körpersprache betrifft, fragt man sich, ob weniger nicht mehr wäre. Dass die Komödie mit dem feinen Zeichenstift gut bedient ist, zeigen jedenfalls die weiteren Figuren: die Krusinas von Valery Murga und Margret Chalker, die Michas von Guido Götzen und Irène Friedli, aber auch, mit gebührender Exzentrik, die Zirkusleute (Volker Vogel, Martina Jankova und Horst Lemek). Zur Stimmigkeit des Ensembles trägt die differenzierte und unaufdringeliche Kostümierung der Figuren (Su Bühler) das ihre bei, und man meint, damit könnte eigentlich das Wesentliche für eine «Verkaufte Braut» getan sein.
Aber die Inszenierung scheint im Gegenteil dies alles nur vorauszusetzen, um noch ganz andere Wege einzuschlagen. Matthias Hartmann, sein Bühnenbildner Volker Hintermeier, dazu Licht- und Videodesigner und eine ganze Schauspielercrew beschäftigen sich aufwendig damit, das Spiel im Vordergrund kaleidoskopartig zu vervielfältigen. Auf einer erhöhten Bühne weit im Hintergrund sieht man Schauspieler die Szenen in der Manier des Stummfilms nachspielen. Per Videokamera wird diese Kintopversion der «Verkauften Braut» auf ein grosse Leinwand zwischen Vorder- und Hinterbühne projiziert. Noch näher am Bühnenportal kommt eine zweite Projektionswand zum Einsatz, auf der in Grossaufnahme zu sehen ist, was sich in den Chorszenen, die ein undurchdringliches Getümmel sind, dem direkten Blick entzieht.
Das alles ist gewiss technisch raffiniert und ästhetisch apart, aber natürlich lenkt es sehr von der Hauptsache ab. Ein «Sinn» im mulitmedialen Overkill zeigt sich in zweifacher Hinsicht. Die Zirkusszene wird zum vergnüglichen Leinwandspektakel, das die Dorfbewohner verfolgen, wobei das Opernhauspublikum auf der Bühne gleichzeitig sieht, mit welchen harmlosen Kameratricks die Schwertschlucker und Messerwerfer zu ihren mörderischen Kunststücken kommen. Der hübsche Effekt ist freilich nur die Zugabe. Die eigentliche Motivation für den Videoeinsatz offenbart wohl das Finale des ersten Aktes mit Polka und Furiant: die Folklore als Crux neuerer Inszenierungskunst, die sich den böhmischen Sonntag verboten hat.
Die Lobeshymne auf das Bier im zweiten Akt hat schon manchem Regisseur den rettenden Einfall gebracht, bereits den ersten im volkstümlichen Vollrausch enden zu lassen und so das Tanzen im Torkeln aufzuheben. Das ist hier nicht anders, nur dass die Verlegenheit, um die es eigentlich geht, hier durch den ästhetischen Kick der Videoprojektion glatt überspielt wird, so dass selbst das spöttische Revival der Trachtengruppe zum artifiziellen Leinwandflimmern verklärt erscheint. Aber der Betrug an der Sache – diese heisst eben Polka und Furiant – bleibt natürlich und schmerzt.

Viele Möglichkeiten
Die Reklamation im Publikum kam schon am Ende des ersten Aktes und geballter am Ende des Abends. Bis dahin liess sich allerdings auch vieles wieder relativieren. Mit einem veritablen Wolkenbruch nach der Wirtshausszene erhält die Bühne plötzlich atmosphärische Räumlichkeit, in der Soloszene der Marie sogar kosmische; die filmische Aufsplitterung verliert sich für manche Szene, der Chor meldet sich nüchtern und in musikalischer Klangfrische zurück, die grossen Szenen wie das Sextett rücken, sorgfältig herausgearbeitet, unverstellt ins Zentrum, und der filmische Witz der Zirkusszene hat die Lacher auf seiner Seite. Matthias Hartmann, der künftige Schauspielhausdirektor in Zürich, der zum ersten Mal eine Oper inszenierte, das hat der Abend gezeigt, ist ein Mann der grossen Kelle und der vielen Möglichkeiten. Dass nicht er, sondern das Ensemble, das sich in seiner trickreichen Regiekiste behauptet hatte, das dicke und ungeteilte Lob entgegennehmen konnte, war aber nachzuvollziehen.

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22. 9. 2003

Ein Regie-Debüt mit Schwachstellen
Opernhaus Zürich: Premiere von Smetanas «Die verkaufte Braut»

Mit Bedrich Smetanas komischer Oper «Die verkaufte Braut» hat das Zürcher Opernhaus am Samstag seine Saison eröffnet. Alle waren gespannt auf Matthias Hartmann und sein Debüt als Opernregisseur.

Kurz vor der Premiere im Opernhaus wurde bekannt, dass der vierzigjährige Schauspielregisseur Matthias Hartmann als Nachfolger von Christoph Marthaler ab 2005 die Intendanz des Schauspielhauses Zürich übernimmt. Als erfolgreicher Intendant in Bochum konnte er mit interessantem Profil das Theater wieder zu einem Hauptereignis der Stadt machen: in seinem Sprechtheater spielt die Musik eine wichtige Rolle.
Nun hat sich Matthias Hartmann erstmals an eine Opernregie gewagt. Am Samstag hatte seine experimentelle Deutung von Bedrich Smetanas «Die verkaufte Braut» in tschechischer Sprache Premiere.

Bühne auf drei Ebenen
Hartmann liebt Grenzbereiche in der Kunst und sucht dort nach neuen Ausdrucksformen für die Bühne. In Bochum hat er bereits mit einer dritten, der filmischen Ebene auf der Bühne experimentiert, die jetzt auch in Zürich in der «Verkauften Braut» eine zentrale Rolle spielt. Dafür hat Hartmann sein Bochumer Team nach Zürich mitgebracht: das Bühnenbild stammt von Volker Hintermeier und die schlichten ländlichen Kostüme von Su Bühler. Für das Video-Design zeichnen Peer Engelbracht, Stephan Komitsch und Rachel Gimber verantwortlich.
Die Filmsequenzen werden einerseits einem von Max Ophüls 1932 gedrehten Stummfilm über die «Verkaufte Braut» nachempfunden. Nachgestellte Sequenzen daraus werden in dieser Neuinszenierung von Smetanas Meisterwerk im ersten und dritten Akt auf eine grosse, aber transparente Leinwand auf die Bühne projiziert.
Dazu kommt eine zweite, ebenfalls transparente Leinwand im Vordergrund, die live auf der Bühne gefilmte Ausschnitte vergrössert. Und vor und hinter diesen Leinwänden sieht man Schauspieler, den Chor und die Sänger spielen. Man stelle sich diese übereinandergeschichtete, bewegte Bilderflut vor!

Der erste Akt fiel durch
An sich nämlich ist die Bühne schwarz und leer. Das böhmische Dorf, in welchem die Geschichte spielt, wird in der Ouvertüre von den beiden Liebenden, von Marenka und Janík, anhand von Spielzeughäusern auf dem Bühnenboden nach und nach aufgebaut. In diesem Spielzeughäuserdorf bewegen sich die Protagonisten, als müssten sie in einem unaufgeräumten Kinderzimmer umherstolzieren: die Bühne wird im ersten Akt zum Riesenchaos, vor allem, wenn der Chor als biertrinkende Dorfgemeinschaft zwischen den beiden Leinwänden im Dunkeln singt und sauft. Das Publikum war nach dem ersten Akt derart konsterniert, dass es seinem Unmut lauthals Luft machte.
Es sind nicht die Bilder an sich, denn die sind interessant. Es ist einfach viel zu viel. Dazu kommt, dass die «Kinobilder» in ihrem Tempo und ihrer Grösse den Zeitfluss und den Ausdruck der Opernmusik extrem stören und die Sinne verwirren. Es braucht eine enorme Anstrengung, um sich überhaupt noch auf die Musik konzentrieren zu können - Augen zu ist das beste Rezept.

«Gauklerszene» überzeugte
Doch nach dem ersten Akt wird's endlich ruhiger, und die filmische Ebene findet in der «Gauklerszene» im dritten Akt einen genialen Dreh. Die Gaukler werden von zwei Videokameras gleichzeitig gefilmt, die Dorfgemeinschaft sieht sich das Ganze auf der Leinwand im Hintergrund als Kinovorstellung an. Die «faulen Tricks» auf der Bühne sind für das Publikum offensichtlich; erst die live Filmmontage durch die beiden Kameras machen das Kunststück auf der Leinwand zum dramatischen Clou. Eine grandiose Idee!
Natürlich leidet das Musikalische etwas unter dieser transparenten Bilderflut. Peter Schneider dirigiert Smetanas wunderbare reichhaltige Musik recht undifferenziert, dynamisch zu gleichförmig und zu laut. Feinheiten werden wenig beachtet, das Orchester wirkt eher schwer, und die Koordination mit dem Chor wurde im ersten Akt zum Spiessrutenlaufen. Die Protagonisten aber steigerten sich am Premierenabend im zweiten und dritten Akt musikalisch und darstellerisch in echte Glanzleistungen. Dies ist umso bemerkenswerter, als die tschechische Originalsprache eher unsingbar und schwer verständlich ist.

Gute Rollenbesetzung
Die Marenka, die von ihrem Geliebten Janík vermeintlich an den Heiratsvermittler verkauft wurde, hat in Martina Serafin eine eigenwillig charakteristische Sänger-Darstellerin. Sie kommt von der Wiener Operette her und hat mittlerweile in der Oper das jugendlich-dramatische Repertoire erreicht. Serafin zeigt kein naives Dorfmädchen, sondern eine selbstbewusste junge Frau. Ihr dramatischerer Zugriff auf die Partie passt zum Tschechischen, das vom Sprachklang und vom kurzsilbig rhythmisierten Rhythmus her der komischen Geschichte etwas Herbes und Ernstes gibt. In der deutschen Übersetzung ist die «Verkaufte Braut» betont singspielartig, mit gesprochenen Zwischentexten. In der tschechischen Originalversion sind die Rezitative auskomponiert und die Geschichte wirkt echter, weniger komisch.

Duett unterm Regenschirm
Serafin spürt man die Operettendarstellerin an, sie weiss sich zu bewegen. Und sie singt mit erstaunlicher Kraft und echtem Gefühl. Der schönste Moment des Abends ist ihr Duett im zweiten Akt mit dem stotternden Vasek, den ihre Familie aus Geldnot für sie zum Ehemann ausgesucht hat.
Matthias Hartmann lässt es bei dieser Begegnung mit echtem Wasser vom Himmel regnen, und die beiden sitzen unter einem Regenschirm rührend intim beisammen. Marenka will Vasek einschüchtern, erzählt ihm schlimme Sachen über seine Braut und bringt ihn so dazu, auf die Heirat verzichten zu wollen. Andreas Winkler gibt als rührender Vasek ein überzeugendes Rollendebüt, stellt er doch den verklemmten, liebevollen jungen Mann ausgesprochen natürlich dar, ohne je die Komik zu übertreiben. Entsprechend liebevoll geht Marenka mit dem «Dorftrottel» um, das intime Duett wird zum szenischen und musikalischen Highlight des Abends.
Piotr Beczala wird als Janík von Schauspielregisseur Hartmann natürlich und doch sehr charakteristisch geführt. Für einmal legt er seine sonst gerne etwas larmoyant schleifende Stimmführung ab und singt gerade heraus, offen und frei. So wird er zu einem sympathischen und glaubhaft listigen Liebhaber, der mit seiner etwas weicheren Interpretation stimmlich ein interessantes Pendant zu Serafinas Temperament abgibt.
Den geprellten Heiratsvermittler Kecal gibt Alfred Muff, der die tief exponierten Töne wirkungsvoll auskostet und spielerisch so locker wie selten auftritt - Hartmann sei Dank. Dass an der Premiere noch einige sprachliche Hänger passierten, ist verzeihlich. Nicht umsonst wurde beim auch für den Regisseur recht begeisterten Schlussapplaus die Souffleuse Balkis Mele von den Sängern herzlich verdankt. Doch bei allem Sinn für dieses Experiment, das einige spannende Ansätze hat, der erste Akt ist und bleibt unverzeihlich.

Sibylle Ehrismann

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22. 9. 2003

Film versus Bühne, egal - es «putzt sich so schön»

Matthias Hartmann inszeniert erstmals eine Oper - Smetanas «Verkaufte Braut»


ELISABETH FELLER

Welcher Zufall! Matthias Hartmann inszeniert (erstmals) eine Oper und das in einer Phase, in der sich der Noch-Intendant des Schauspielhauses Bochum wie eine Braut umworben sieht - von den Schauspielhäusern in Hamburg und Zürich. Wie bekannt, ist Zürich mit dem Ja-Wort beglückt worden - und das mitten in den Arbeiten zu Smetanas «Die verkaufte Braut». Laune oder Fügung? Egal. Jedenfalls sind nach Bekanntwerden von Hartmanns Entscheid für die Pfauenbühne die Erwartungen an den erfolgsverwöhnten Vierziger um etliche Grade gestiegen. Verständlich, zumal es sich bei der Smetana-Oper nicht gerade um ein selten gespieltes Werk handelt.

Viel will einem dazu nicht mehr einfallen, sässe man lediglich dem Unverfänglichen auf, denn die Textstellen sind über weite Strecken harmlos, bisweilen gar nichtssagend - dies jedoch im Kontext zu einem unwiderstehlich strömenden, böhmischen Moll! Was Wunder, tun sich deswegen an mehreren Stellen dieser Oper Gräben auf zwischen Text und Musik. Dann muss sich der Regisseur entscheiden, ob er die Absicht des Textes unterstreicht oder der Musik den letzten Ton belässt.

Neue Handlung - dank Film
Matthias Hartman will beide nicht vergraulen. Vorerst geht er zum Textlichen auf kritische Distanz, indem er ein Mittel verwendet, das seine zuspitzend-ironisierende Wirkung nie verfehlt: der Film. Hartmann erfindet die Handlung als einen mit Totalen wie Nahaufnahmen spielenden, auf Gaze geworfenen Stummfilm (Max Ophüls grüsst!) gänzlich neu. Wobei nicht Konserven abgespult werden, sondern ein pantomimisch «aufbereitetes» Zweit-Geschehen von Kamermännern auf der Bühne (Volker Hintermeier) gefilmt wird, in «Echtzeit» also.
Dieser Film ist hier ein gleichermassen eigenständig-interpretierendes wie begleitendes Medium, denn natürlich muss die Handlung, wie sie der Opernbesucher kennt, zwingend auch auf der Bühne erfolgen. Kompliziert? Sicher, obschon dieses raffinierte Konstrukt das Publikum zu fesseln versteht; wenngleich oder gerade, da ihm Goethes «Verweile doch, du bist so schön» versagt bleibt. Genau das erweist sich auf die Länge jedoch als Nachteil, denn Hartmanns inszenatorisches Powern steht in deutlichem Kontrast zu Peter Schneiders Dirigat, das - rubatireich und gelegentliche «Wackelkontakte» zwischen (notabene tschechisch singenden, famosen) Solisten, Chor und Orchester als Inspiration des Augenblicks kalkulierend - das Rezept einer niemals karikierenden Musik befolgt. Smetana, der Musiker, ist wichtiger als Karel Sabina, der Librettist.

Versöhnung ist schwer
Bei so viel ungespanntem Ernst hat es Hartmann schwer, die Konvention des «Lustigen» mit der Neuentdeckung des weniger Harmlosen (das Volk ist bei Smetana Instanz und nicht Dekor) zu vereinen. So bleibt es, selbst in der witzigen Eingangsszene, wenn Martina Serafins mit unüblicher Sopranschärfe reagierende Marenka und Piotr Beczalas prachtvollen Melos entfaltender Jenik spielzeughafte Bauernhäuser auf der Bühne verteilen bei jener sinnbetörenden Artigkeit, die flugs Erinnerungen weckt an einen (sinngemäss zitierten) Satz aus Thomas Manns «Buddenbrooks»: «Es putzt sich so schön.»

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22. 9. 2003

Ab und zu des Guten zu viel

Der designierte Schauspielhaus-Direktor Hartmann inszenierte «Die verkaufte Braut» in Zürich

Matthias Hartmann beschert dem Zürcher Opernhaus-Publikum eine opulent angerichtete und stellenweise dreist überzeichnete Inszenierung von Bedrich Smetanas komischer Oper «Die verkaufte Braut».

MARTIN ETTER

Ganz besondere Spannung lag am Premierenabend in der Opernhaus-Luft: Als Regisseur für die Neuinszenierung von Bedrich Smetanas Volksoper «Die verkaufte Braut» war schon vor langer Zeit Matthias Hartmann engagiert worden; derselbe Matthias Hartmann, der vor wenigen Tagen zum Schauspielhaus-Direktor ab 2005 (und damit zum Marthaler-Nachfolger) bestimmt worden war. Es versteht sich von selbst, dass die Erwartungen das Normalmass weit überstiegen, stellte sich doch mit dieser seiner ersten Opernproduktion eine zukünftige Galionsfigur des Zürcher Kulturlebens vor.

Hartmanns Qualitäten
Ohne Zweifel weiss Hartmann virtuos mit dem ihm zur Verfügung gestellten, hochqualifizierten Ensemble umzugehen. Die acht Hauptfiguren erhalten bemerkenswerte Natürlichkeit, Innigkeit und klare Persönlichkeitsstrukturen; sie bewegen sich mit der Naivität und Direktheit von tschechischen Landleuten und strahlen eine emotionale Echtheit aus, die unmittelbar berührt und die die Handlung nachvollziehbar macht. Auch das Bühnenbild von Volker Hintermeier überzeugt: In der Bühnenmitte stellen Marenka und Jenik (Marie und Hans) ein witzig verkleinertes Miniaturdorf auf und das ergibt vor und hinter diesem Dörfchen zwei abgetrennte Spielflächen: die eine, vordere für die Hauptfiguren, die zweite, hintere für die Volksszenen. Wichtige optische Eindrücke hat auch Su Bühler mit ihren originellen Kostümen beigetragen.

Vielfalt der Ablenkungsmanöver
Hartmann belässt es nun aber leider nicht bei dieser konzentrierten, zur Mitte der Werkaussage vordringenden Deutungsanlage. Mit verschiedenen zusätzlichen Ebenen (in Form von Podesten im Bühnenhintergrund und von Leinwänden, auf denen präparierte Video-Filme eingespielt werden), sorgt er für viel zu viel «action» und viel zu viel Ablenkungsmanöver, so dass der überforderte Zuschauer oft nicht weiss, wohin er blicken soll. Dazu kommt, dass Hartmann die Volksszenen - und hier geht er entschieden zu weit - als Bierorgien der Landbevölkerung inszeniert und damit einem ganzen Volk einen in dieser grotesk-brutalen Form nicht akzeptablen Alkoholismus zuschreibt. Dieses ewige Gesaufe, Gerülpse und Getorkel ermüdet sehr und darüber hinaus bildet dieses ordinäre Verhalten der Menschen einen unerträglichen Kontrast zu der noblen Ausstrahlung des zentralen Paars.

Musikalisch auf hohem Niveau
Das wohlvorbereitete Orchester und der einsatzfreudige, von Ernst Raffelsberger instruierte Chor lassen sich vom Gastdirigenten Peter Schneider zu einer bemerkenswert vitalen und differenzierten Interpretation der Smetana-Partitur animieren. Zahlreiche Schauspieler, Tänzer und Statisten steuern bald lustige, bald aufdringlich gesuchte Gags und Mätzchen bei; weniger wäre, wie das Sprichwort richtigerweise anmerkt, oft mehr gewesen.

Brillantes Ensemble
Grossartiges leistet das Liebespaar Marie/Hans: Martina Serafin singt glockenhell, strahlend, intensiv und expressiv und wirkt auch optisch als ideale Marie; Piotr Beczala überzeugt als Typ, als begabter Schauspieler und im Einsatz seines wunderschönen, flexiblen, unforcierten und sinnlichen Tenors. Diesen beiden vorzüglichen Protagonisten steht Alfred Muff als Heiratsvermittler Kecal in keiner Weise nach; auch ihm verdankt man eine Leistung von internationalem Format. Gute Charakterisierungen gelingen den beiden Elternpaaren (Valeriy Murga und Margaret Chalker, Guido Götzen und Irène Friedli) und Andreas Winkler, der den Tollpatsch Vasek allerdings durchaus etwas diskreter nachgestalten könnte. Das Premierenpublikum war nicht mit allem, was Hartmann in seine Inszenierung hineingeheimnisst hatte, völlig einverstanden. Die wenigen Buhrufe wurden dann allerdings von frenetischer Zustimmung klar übertönt.

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22. 9. 2003

Matthias Hartmann inszeniert seine erste Oper:
Smetanas «Die verkaufte Braut» im Zürcher Opernhaus

Zucker in Böhmen: Clever begonnen, dann zerronnen

Aus dem Sommerschlaf erwacht sind die Opernhäuser und bescheren ihrer ausgehungerten, höchstens von einer teuren Festival-Diät ernährten Klientel eine Premiere nach der anderen. Nach Basels «Traviata», Luzerns «Holländer» folgt nun auch Zürich, und zwar mit einer komischen Oper, mit Bedrich Smetanas «Die verkaufte Braut». Eine Premiere in der Premiere stellte die Regie dar. Matthias Hartmann, kürzlich ernannt zum Schauspieldirektor und Marthaler-Nachfolger ab 2005, gab mit Smetanas selten aufgeführtem, aber immer noch blühenden Evergreen sein Debüt als Opernregisseur.

Dass Hartmann vom Sprechtheater kommt, war zu merken. Auf einer leeren Bühne nimmt das Spiel seinen Anfang. Spartanisch, wie wir das vom Schauspiel gewohnt sind, eher jedenfalls als von der immer noch gerne zur Opulenz neigenden Oper. Wie gings weiter? Eine «Verkaufte Braut» ohne tschechische Folklore ist ähnlich schwer vorstellbar wie etwa eine ahispanische «Carmen». Dass aber gerade eine solche letztes Jahr in Zürich gegeben wurde, erhöhte das Interesse an dieser Inszenierung. Nun, das Tschechische hat Hartmann konsequent neu gelesen, aktualisiert oder gebrochen. Das böhmische Dorf wird in Spielzeuggrösse auf die Bühne gestellt, das Lob des Bieres, welches hier explizit gesungen wird, könnte von der Firma «Budweiser» gesponsert worden sein. Da mundet das Gebräu plötzlich nicht mehr so sehr. Die stärkste Ablenkung aber vom Folkloreverdacht gelingt durch den starken Einsatz von Videotechnik.

Schwarzweissbilder wie aus der Stummfilmzeit zeigen uns ein recht unhehres Liebespaar. Jenik - ein saufender Grobian. Marenka - eine keifende Nervensäge. Das Ziel der Handlung, die sozial und hormonell erfolgreiche Zusammenführung dieser beiden Liebenden, wird so mit einer Ebene konfrontiert, die wir Desillusionierten eher als Realität anzuerkennen bereit sind.

Das Spiel von Bühne und Video, von verschiedenen Abstufungen des Realen, führt aber weniger zu einer ernüchterten Sichtweise des Stoffes, sondern generiert interessanterweise gerade eine zauberhafte Stimmung. Dank dem Einsatz eines virtuosen Videoteams erleben wir die Zauberkünste der im dritten Akt auftretenden Artisten als beeindruckende Tricks und nicht als mühsame Zirkusnostalgie.

Die Entfolklorisierung ohne ins Mattgraue zu verfallen scheint mit diesem cleveren ästhetischen Balanceakt gelungen. Mit Kritik am Verkaufen von Frauen, speziell von Bräuten, hält sich Hartmann indes zurück. Zeigte Frank Hilbrich in der Basler «Traviata» doch recht deutlich, dass Liebe käuflich ist, so begnügt sich Hartmann mit Hinweisen auf den kommerziellen Aspekt des Liebens wie des Lebens überhaupt. Hochzeitskleider werden mit Preisschild vorgeführt. Und die Eltern von Marenka kommen eben vom Einkauf zurück, tütenbeladen, da läuft ihnen der Heiratsvermittler Kecal entgegen, im Sichtmäppchen ein tolles Angebot für die unter die Haube zu Bringende. Die Verhandlungen finden des Weiteren, logischerweise, im Café Kecal statt.

Alfred Muff sang und spielte den Kecal solid, halb buffonesk, halb unsympathisch. Sängerische Glanzleistungen erbrachten Martina Serafin und Piotr Beczala in den Hauptrollen. Ein ideales Paar, sich ebenbürtig punkto Spitzenton-Akrobatik, er dazu mit weicher Kraft ausgestattet, sie mit einer beeindruckend grossen Palette vom Dramatischen bis zum Lyrischen.

Andreas Winklers heller, federleichter Tenor war auch durch das Stottern seines Vasek noch vernehmbar. Gesungen wurde auf Tschechisch. Das Orchester unter Peter Schneider lieferte das nötige Quantum Spritzigkeit und Melos, war auch mal übertönend und der gefährlichen Ouvertüre nicht gewachsen.

Die kritisch begonnene, moderne Inszenierung kippte schliesslich, endete in heiterem Bühnenjubel und Konfettiregen, als ob das nicht anders möglich wäre. Ich empfand das als Zugeständnis, als Zurückkrebsen vom einmal Begonnenen. Das war wieder zuckrige, altbackene Opernopulenz. Bunt, aber schade.

Benjamin Herzog

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23. 9. 2003

Dorfkino, tragikomisch

Matthias Hartmann inszeniert Smetanas «Die verkaufte Braut» am Opernhaus Zürich

Der künftige Direktor des Schauspielhauses geht auf Tuchfühlung
mit dem Zürcher (Opern-)Publikum: Matthias Hartmann gibt sein Debüt
als Opernregisseur - und wird begrüsst mit Buhs und Bravos.

VERENA NAEGELE

Das Timing war perfekt. Kurz nach der Ernennung zum Direktor des Schauspielhauses präsentierte sich Matthias Hartmann in Zürich mit der Inszenierung von Smetanas «Verkaufter Braut» erstmals als Opernregisseur. Nach dem ersten Akt ging ein Buhen durch das Publikum, vor der Pause folgte höfliche Zustimmung, danach gab es spontanen Szenenapplaus, schliesslich wurde Hartmann mit Bravos und Buhs eingedeckt - obgleich er als Regisseur kein Provokateur ist. Ein zwiespältiger Abend, der zeigte: Das Ringen um das Schauspielhaus ist lanciert.

Spielzeughaus-Idyll
Die Diskussion um den «Neuen» nach Christoph Marthaler überdeckte, worum es an diesem Abend auch ging: Um die Wiederentdeckung der «Verkauften Braut», die nach Jahrzehnten erstmals wieder in Zürich zu hören war. Als Überraschung erwies sich, dass im Zuge der Originaltreue Smetanas Meisterwerk in tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln gespielt wurde. Die Musik gewann dadurch merklich an Schärfe, Dramatik und Dichte und liess tragische Tiefe durchhören.

Da war nichts mehr zu spüren von einem netten Singspiel um den vertrottelten Wenzel und die mit ihm verkuppelte Marie, angereichert mit Ballett. Die grossen Arien des Jenik und der Marenka etwa zeigen Smetana als Musikdramatiker, der neben dem Melodiereichtum eine raffinierte Harmonik einzusetzen weiss. Dementsprechend waren die Stimmen gewichtig besetzt. Marenka mit Martina Serafin, die auch schon Wagner gesungen hat und ihrer Figur mit kernigem Sopran grosse Kontur verlieh; Jenik mit Piotr Beczala, einem im italienischen Fach erprobten Tenor von stählerner Kraft. Smetanas reichhaltiger Umgang mit der Stimme zeigte sich darüber hinaus im geschwätzigen Parlando, das beim Heiratsvermittler Kecal (glänzend Alfred Muff) zu umwerfender Komik führte.

Den Schritt zur tragikomischen Geschichte machte auch Matthias Hartmann. Bei ihm wird in der Ouvertüre die Landidylle gebannt auf ein paar Spielzeughäuschen. Weiter beengt wird der Raum durch Stuhlreihen und zwei an der Rampe und in der hinteren Gasse aufgehängte transparente Leinwände, auf denen per Livekameras Sequenzen des Geschehens projiziert werden. Diesen «Film» führt sich der Chor, aufgemacht als (allzu) betrunkene Dorfgemeinschaft, als «Publikum» zu Gemüte. Geprägt ist die filmische Ebene von der Ästhetik der Stummfilmzeit, hatte doch Max Ophüls 1932 «Die verkaufte Braut» für dieses Genre entdeckt.

Spektakel mit Musikbeilage
Realität, Fiktion und fiktive Realität verschmelzen bei Hartmann so zu einem Konglomerat von Ebenen und Sequenzen, was zum imaginären Zappen zwingt: Entweder konzentriert sich das Auge auf die Singenden, auf das «Chorpublikum», auf die vordere oder auf die hintere Leinwand. Dass ob so viel optischer Eindrücke die Musik zum Begleitgemüse degradiert wird, ist allerdings ärgerlich. Offensichtlich vertraute der Theatermann Hartmann der Kraft der Musik zu wenig. Zum Glück mündete das Kunterbunt des ersten Aktes in ruhigere Bahnen und konzentrierte sich zeitweise gar ganz auf die Protagonisten.

Herrlich, wie sich der tragikomisch liebenswerte Vasek, von Andreas Winkler mit lyrischem Tenor wunderbar gesungen und gespielt, und die kraftvolle Marenka im Duett unter einem grünen Regenschirm finden, heftig von Nieselregen besprüht. Überhaupt zeichnet Hartmann seine Figuren liebevoll bis ins Detail: Krusina (Valeriy Murga) als Biedermann mit einer resoluten Frau an der Seite (Margaret Chalker), oder den Patriarchen Micha (Guido Götzen), der seinen stotternden Sohn drangsaliert.

So schwierig die Verbindung der verschiedenen Ebenen auch war, so stimmig wurde sie beim Auftritt der Komödianten. Hier gingen Schein und Wirklichkeit verschiedene Wege: Was auf der Leinwand für das Dorfpublikum als virtuose Akrobatik daherkam, war in Wirklichkeit ein einziger, dürftiger Klamauk. Hier zumindest konnte das unter Peter Schneiders Dirigat etwas dick und undifferenziert spielende Orchester auch mit Effekt auftrumpfen.

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22. 9. 2003

Vorgeschmack aufs Schauspielhaus

Buhrufe bereits nach dem ersten Akt: Da vermissten offenbar ein paar Gemütsselige die knitterfrei farbenprächtige Folklore, die in der Rezeptionsgeschichte des Werks stets mitgespielt hat. Regisseur Matthias Hartmann brach solche Konventionen mit trefflicher und vor allem mit liebevoller Ironie: ein Geniestreich.

von Werner Pfister

Zum Schluss war es (fast) allen klar: Bravorufe hallten durch das Haus, orkanartige Applaus-Salven mehrere Minuten lang. Da ist einem Regisseur jenes Kunststück gelungen, das man als Quadratur des Zirkels bezeichnen könnte. Denn eigentlich wissen wir es alle: Einfach ein putziges Bauerndörfchen auf die Bühne stellen und dieses bevölkern mit Menschen, die sich in ihrer Festtagstracht herausgeputzt haben und nun zum fröhlichen Tanz, zum schaumigen Biertrinken antreten - nein, das geht heute nicht mehr.

Denn diese Naivität des Blicks haben wir verloren oder, besser gesagt: hat uns die Zeitgeschichte ziemlich gründlich ausgetrieben. Umgekehrt, treibt man der «Verkauften Braut» jeglichen Aspekt bäuerlichen Brauchtums aus, um sie beispielsweise auf rein sozialkritische Perspektiven (etwa die Unterdrückung der Frau) zu verkürzen, dann nimmt man dieser Oper ihren Charme und Witz. So oder so, mit Verlusten muss man rechnen.

Filmischer Kontrapunkt
Nicht so bei Matthias Hartmanns Neuinszenierung. Was so genannt bäuerliche Folklore ist, belässt er dem Stück weitgehend. Allerdings ohne das mit knallbuntem Trachten-Look herauszuputzen. Nein, die Bauernwelt des künftigen Schauspielhaus-Chefs ist zwar lustig und derb, aber alles in allen ziemlich grau (Kostüme: Su Bühler). Bäuerlicher Alltag eben, und zuweilen hat man das Gefühl, es könnte heutiger Alltag sein. Heutig sind auch die filmischen Mittel (Videodesign: Peer Engelbracht, Stephan Komitsch, Rachel Gimber), mit denen das Bühnengeschehen kontrapunktiert wird.

Mit kleinen Videokameras wird die Szenerie auf Details abgetastet, um diese dann grossformatig auf zwei Leinwände zu projizieren. Wobei hinter der Leinwand fallweise zusätzlich schattenrisshaftes Schauspieler-Theater zu sehen ist als Kontrapunkt zum grossen Bühnengeschehen. Alles in allem ergibt das für die Wahrnehmung des intim Privaten wie des öffentlich Gesellschaftlichen einen mehrfach potenzierten Perspektivenreichtum. Auch die historische Perspektive wird immer wieder subtil gebrochen, Stummfilmzeit contra Video-Moderne: zum Amüsement des Publikums, das sich, besonders in der Zirkus-Szene im dritten Akt, köstlich unterhält (und mit spontanem Szenenapplaus reagiert).

Ebenso viel tragen die Sängerinnen und Sänger zum Vergnügen bei. Hartmann versteht es vorzüglich, sie von «sängerischem» Gehabe zu befreien und ihre Spiellust herauszukitzeln. Am eindrücklichsten vielleicht (weil man es hier nicht unbedingt erwartet) bei Wenzel, dem Dorftrottel, den Andreas Winkler derart intensiv spielt, ja gleichsam als Fallstudie darstellt, dass man unbewusst an einen andern leicht debilen Aussenseiter der Opernliteratur denkt, an «Wozzeck» nämlich.

Keine Edelfolklore
Zum andern ist diese «Verkaufte Braut» ein pures sängerisches, also vokales Vergnügen. Piotr Beczala (Hans) trumpft in bäuerlich salopper, liebenswerter Unbekümmertheit mit einer verschwenderischen Fülle an tenoralem Gold auf; Martina Serafin hat ebenfalls die goldrichtigen, nämlich ausdrucksstark lyrischen, aber auch aufbegehrerisch dramatischen Töne für die Marie. Ein ideales Paar. Als Dritter im Bunde zieht Alfred Muff (Heiratsvermittler Kecal) seine Fäden, intrigant und listig, schwätzerisch und besserwisserisch - und das mit mächtiger, ja zuweilen (augenzwinkernd) protzig dramatischer Stimme.

Auch die kleineren Rollen erhalten ihre sehr individuell gestaltete (und gespielte) Physiognomie: Valery Murga und Margaret Chalker als Kruschina und dessen Frau Ludmila, Guido Götzen und Irène Friedli als Micha und dessen Frau Háta. Und das Personal vom Wanderzirkus, Volker Vogel (Direktor), Martina Janková (Esmeralda) und Horst Lamnek (Indianer) samt einer Reihe von Schauspielerinnen und Schauspielern ist, wir sagten es bereits, ein Klasse für sich.

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22. 9. 2003

Die illustrierte Braut

Der designierte Schauspielintendant als Opernregisseur: Matthias Hartmann inszeniert Smetana in Zürich

Ein böhmischer Sisyphos? Das ist einer, der eine Sackkarre nach der anderen voll Budweiser Bier ins Lokal schleppt - monoton und unaufhörlich. So wird der bestraft, für den das Leben aus nichts anderem besteht als aus den schäbigen drei "S" des Lebens auf dem Lande: Streit, Suff, Sex. Und nicht zu vergessen, um in der Nomenklatur zu bleiben: die Simulation. Denn während unser unbekannter Sisyphos schleppt und schleppt, suchen sich zwei in der Kunst des Täuschens zu übertreffen: der Heiratsvermittler Kecal und sein vermeintliches Opfer Jeník-Hans. Man kann es drehen und wenden, wie man will: In Smetanas Oper "Die verkaufte Braut" geht es auch um Bauernschläue à la Komödienstadl, weshalb alle Interpretationsversuche der vergangenen Jahre, diese Kategorie zu negieren, nur eine Saite in diesem Kosmos zum Schwingen brachten.

Kosmos? Matthias Hartmann begreift die dörfliche Welt in Karel Sabinas Libretto als Mikrokosmos. Alles fängt ganz klein an. Die sich Liebenden Hans und Marie bauen sich ihr eigenes kleines Dorf auf der von Volker Hintermeier arrangierten Bühne, eine Idylle, die spätestens mit dem Auftritt Kecals einen Kratzer bekommt: Der stellt nämlich mitten zwischen die Spielzeughäuser sein hässliches Café. Aus der Traum vom ungestörten Landleben. Auch wenn die Brüche bei Hartmann längst nicht so tief und schmerzhaft wirken wie etwa jüngst in Andrea Breths Stuttgarter "Verkaufte Braut"-Variante.

Dass der Bochumer Schauspielchef und designierte Intendant des Zürcher Schauspielhauses just nahe seiner künftigen Wirkungsstätte, im ebenso renommierten Opernhaus Zürich, als Musiktheaterregisseur gerade mit dieser Oper debütierte - es entbehrt nicht der Pikanterie. Kein Stück, mit dem sich Trends setzen lassen. Dafür eins, das handwerkliche Versiertheit erfordert und jenen "hochmusikalischen Rhythmus", den ein Kritiker Hartmann schon vor elf Jahren attestiert hat. Das ist es auch, was man seinem Opernerstling noch am ehesten vorwerfen kann, so man will: Die Lust am Illustrieren, am Suchen adäquater Bilder zur Musik, durch die konzeptionelles Denken in den Hintergrund gedrängt wird. Die live gedrehten, mitunter auf zwei Leinwänden gezeigten Simultan-Videosequenzen im Stummfilmstil bieten dem Zuschauer opulente Bilder, aber sind sie wirklich mehr als L'art pour l'art? (Ganz abgesehen davon, dass der zweite Akt einen Stilbruch darstellt, weil die Regie hier weitgehend auf Videos verzichtet.) Wenn man indes den brillanten "Tanz der Komödianten" dagegenhält, bei dem auf der Videoleinwand artistische Höchstleistungen suggeriert werden, die auf - wieder live gedrehten - ganz einfachen optischen Täuschungen bestehen, kann man nur applaudieren. Hartmann und seine Videodesigner (Peer Engelbracht, Stephan Komitsch, Rachel Gimber) stellen sich der Herausforderung zum Spiel, die im Sujet und der Musik steckt. Da braucht es nicht immer die sozialkritische Schablone . . . Wobei im Publikum darüber offenbar nahezu paritätisch Uneinigkeit bestand, was die ebenso heftigen Buhs wie Bravos nach der Premiere dokumentierten.

Ein unpolitisches Volksstück
Ungeteilte Zustimmung gab es vor allem für drei. Martina Serafin sang eine Marenka (Marie) der brillantesten Farben - jugendfrisch und ebenso melancholisch-empfindsam in den lyrischen Passagen. Gleiches gilt für Piotr Beczalas Hans, der selbst beim hohen b noch ganz offen und klar klingt. Zwei Sänger, denen die Zukunft gehört. Und Alfred Muffs Kecal ist eine wunderbare Charakterfigur, die auch trotz offensichtlicher Erkältung stimmlich reüssieren kann. Schade bloß, dass Peter Schneider und das Orchester oft zu sehr dem Laissez-faire huldigen. Schon in der Ouvertüre fehlt das letzte Quäntchen Präzision, wirkt der Holzbläsersatz unrein; aber auch im Verlauf des Abends schleichen sich immer wieder (unnötige) Unaufmerksamkeiten ein, die den musikalischen Höhenflug etwas dämpfen. Denn dass Schneider vom Stilistischen her den richtigen Umgangston in diesem Werk anschlägt, macht er vor allem im Lyrischen deutlich. Insofern also Entsprechung zwischen Musik und Szene - und insofern eine Produktion, die dem Volksstückcharakter des Werks auf unpolitischer Ebene gerecht wird. Matthias Hartmanns Opernkarriere: kein Sisyphoswerk. Das lässt sich jedenfalls vermuten.

Alexander Dick

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