Antonio Salieri:
Axur, re d'Ormus


SOURCE: http://www.impresario.ch/review/revsalaxu.htm

Aufführung


Theater am Stadtgarten, Winterthur
5. 9. 2003
(Première)
*
Musikalische Leitung: Theodor Guschlbauer
Inszenierung: Dieter Kaegi
Bühnenbild / Kostüme: Bruno Schwengl
Lichtgestaltung: Franz Orban
Chor: Jürg Hämmerli
Choreographie: Liz Roche
*
Axur: Franco Vassallo
Atar: Lawrence Brownlee
Arteneo: Günter Groissböck
Altamor: Gabriel Bermúdez
Aspasia: Elizabeth Rae Magnuson
Biscroma / Brighella: Boguslaw Bidzinski
Fiammetta / Smeraldina: Christiane Kohl
Urson / Arlecchino: Martin Zysset

Orchester Musikkollegium Winterthur
Zusatzchor Opernhaus Zürich
Tänzer
Statistenverein am Opernhaus


SYNOPSIS / LIBRETTO

Rezensionen

7. 9. 2003

Mozart-Neider Salieri ist besser als der Film behauptete

von Tobias Gerosa

Der Bösewicht konnte tatsächlich Musik schreiben! Das Opernhaus Zürich eröffnet die Saison mit Antonio Salieris «Axur, Re d'Ormus» im Stadttheater Winterthur. Die musikalisch lohnende Entdeckung gibt sich allerdings reichlich hausbacken.

Dass sein Name heute noch bekannt ist, verdankt der Komponist Antonio Salieri hauptsächlich dem Film «Amadeus». Dort wird er als Todfeind Mozarts sogar für dessen frühen Tod verantwortlich gemacht - was nicht wahrscheinlich ist. Aber sonst? Selbst in Musikerkreisen kennt man seine Werke kaum. Das Opernhaus Zürich setzt dem etwas entgegen. «Axur, Re d'Ormus» mag seinerzeit ein Hit gewesen sein, hier zu Lande stand dieses Werk noch auf keinem Spielplan.

Der Schweizer Regisseur Dieter Kaegi meinte, vor allem die Geschichte deutlich machen zu müssen. Doch das Liebesduett am Anfang täuscht. Denn die Liebe ist nur Vehikel, den Kampf des guten Atar (von Lawrence Brownlee edel gesungen) gegen den ruchlosen Potentaten Axur (Bariton Franco Vassallo als heldischer König) zu zeigen. Die Befreiung der Entführten Aspasia (Elizabeth Rae Magnuson) aus einem der hundert Seraile des Königs geschieht so sprunghaft, dass der Versuch der blossen Nacherzählung scheitern muss. Vor allem, wenn er in einem stimmungslosen Bühnenbild stattfinden soll und durch kuriose Zwischenvorhänge zerstückelt wird.

Dabei wäre die Grundidee, das Geschehen vom antiken Persien ins faschistische Italien zu verlegen, durchaus viel versprechend. Nur müsste man sie auch in eine konsequente Personenführung umsetzen. So gibt die Inszenierung konstant dem alten Vorwurf gegen das Regietheater Recht, einem Stück beliebige Ideen aufzupfropfen.

Sängerisch gibt es kaum etwas auszusetzen. Wenngleich musikalische Wünsche offen bleiben: Das dynamische Spektrum beschränkt sich auf den schmalen Bereich zwischen mezzoforte und forte. Momente der Ruhe fehlen, und das Orchester Musikkollegium Winterthur sowie der Extrachor des Opernhauses musizieren sich eher handfest als subtil durch die fünf Akte. Und dass das Stück weitgehend ohne Rezitative durchkomponiert ist, erweist sich in Theodor Guschelbauers Dirigat auch als Nachteil. Zu wenig flexibel vermag er auf die sich wandelnden Situationen der Handlung einzugehen.

Salieri bleibt weiterhin zu entdecken - in Winterthur bekommt man bloss einen ersten Eindruck davon, dass es sich lohnen dürfte.

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8. 9. 2003

Gleichnis für Herrschaftsstrukturen

Erfolgreiche Salieri-Oper-Premiere in Winterthur

Der Komponist Antonio Salieri war in seiner Zeit beliebt, doch die Geschichte hat die Rivalität zwischen Mozart und ihm mit grausigen Legenden umrankt. Selbst heute, zwanzig Jahre nach Milos Formans «Amadeus»-Film, braucht es noch etwas Mut, eine Salieri-Oper herauszubringen. Das Opernhaus Zürich hat, wie es eine schöne Tradition geworden ist, seine Saison im Theater am Stadtgarten Winterthur eröffnet - mit Salieri: Die Rarität hatte einen Riesenerfolg. «Axur, re d'Ormus» heisst das «dramma tragicomico», Beaumarchais lieferte den Stoff, Lorenzo Da Ponte schrieb das Libretto, 1788 fand die Uraufführung in Wien statt - und nun die Schweizer Erstaufführung. Zu entdecken ist zunächst eine Musik voller Überraschungen, mit teilweise scharfen, fast filmartigen Schnitten und einer für die Zeit fortschrittlichen, meist fast übergangslosen Durchmischung von Rezitativ, Arioso und Arie. Leider finden sich auch einige gar formelhafte Momente. Das Stück hat dramatischen Zug und bietet den vier hauptsächlichen Protagonisten - Axur (König, Bass), Atar (Feldherr, Tenor), Astasia (seine Frau, Sopran) und Biscroma (Eunuch des Serails, Tenor) - dankbare Rollen.

Der Stoff packt und hat Aktualität. Welchen Einfluss auf den Despotismus eines Staatschefs hat die öffentliche Meinung? Wie tugendhaft ist die Bevölkerung? Lächerlich ist das Treiben am Hofe Axurs, tragisch darin die Geschichte des Helden Atar und seiner Frau. Einzig das Ende berührt seltsam, man würde erwarten, dass Atar die Republik ausruft. Doch in den damaligen Herrschaftsstrukturen Wiens war ein solcher Opernschluss unrealisierbar. Dass das Werk nun einen solchen Erfolg hatte, ist nicht nur der adäquaten musikalischen Realisierung durch das Orchester Musikkollegium Winterthur, den Zusatzchor und Jugendchor des Opernhauses (Jürg Hämmerli) unter der Gesamtleitung von Theodor Guschlbauer zu verdanken. Oder der ausgezeichneten Besetzung der Rollen mit Franco Vassallo als überragend bösem Axur, Lawrence Brownee als in jeder Hinsicht überzeugendem Atar, Elizabeth Rae Magnuson als vielfarbiger Aspasia oder Boguslaw Bidinski als herrlich tuntigem, aber auch sehr berührendem Biscroma. Es ist zu einem schönen Teil die im flexibel-einfachen Bühnenbild von Bruno Schwengl gebrachte, stichhaltig das Geschehen vom Orient in eine uns nahe Zeit und Kultur übertragende Inszenierung von Dieter Kaegi, die einen den Stoff so gegenwärtig empfinden lässt. Intelligent sind zahlreiche, gut placierte Anspielungen an die Weltgeschichte der letzten 70 Jahre darin untergebracht. Sie überwuchern das Geschehen nicht, sondern fügen sich organisch ein. Die sichtlich von der Filmsprache Pasolinis inspirierte Inszenierung beklemmt, bewegt und amüsiert gleichzeitig: Kaegi hat Salieris «tragicomico» sehr ernst genommen.

Alfred Zimmerlin

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8. 9. 2003

Salieris Musik in Pasolinis Ambiente

Das Zürcher Opernhaus hat seine Saison am Freitag traditionsgemäss in Winterthur eröffnet, traditionsgemäss mit einer Rarität: Antonio Salieris «Axur, re d’Ormus».

Von Susanne Kübler

Spätestens seit Milos Formans Film «Amadeus», der das Genie Mozart gegen den Handwerker Salieri ausspielte, gilt Salieri als das personifizierte Mittelmass. Gelegenheit zur Rehabilitation hat er kaum, seine Opern, die ihn zum erfolgreichsten Wiener Komponisten seiner Zeit machten, sind vergessen. Und wenn dann das Zürcher Opernhaus im Winterthurer Theater am Stadtgarten als schweizerische Erstaufführung den einstigen Kassenschlager «Axur, re d’Ormus» präsentiert, dann scheinen sich zunächst alle Klischees zu bestätigen. Melodie an Melodie ist die Ouvertüre zusammengeflickt, die Oboe tändelt, das Schlagwerk schlägt. Viele Einfälle, keine Idee.

In der Folge stellt sich allerdings heraus, dass Salieri ein durchaus inspirierter Handwerker war, der viel vom Theater verstand. Zwar sind die Rezitative sehr schematisch begleitet, und das Orchester des Musikkollegiums Winterthur unter Theodor Guschlbauer hält sich streng an die paar vorgegebenen Akkorde. Aber in den Arien und Ensembles ist die Musik eine einfühlsame, oft effektvolle Illustration der Geschichte.

Grosses Glück, grosses Unglück
Beaumarchais lieferte das französische Original zu dieser Geschichte (das Salieri in «Tarare» vertonte), der Mozart-Librettist Lorenzo da Ponte besorgte die italienische Version (die Salieri 1788 in «Axur» noch einmal neu komponierte). Erzählt wird von Atar und Aspasia, einem Paar, das grundglücklich ist, bis der König Axur Aspasia entführt. Das Unglück ist gross, Axurs Diener Biscroma braucht viel Fantasie, um die Liebenden zusammenzubringen, und am Ende kommt der König ihnen doch auf die Schliche. Aber seine Todesdrohungen prallen an dieser Liebe ab; so gibt er sich geschlagen und bringt sich um, das Volk huldigt Atar als neuem Herrscher.

Idyllisch plätschert am Anfang die Musik durch diese Liebe, ihr dramatisches Potenzial zeigt sie erstmals bei der Entführung: Da dringen von aussen Chorrufe in die Musik, die Form zerbröckelt, der Klang gerät in Aufruhr. In solchen Momenten weiss das Orchester die Vorlage zu nützen, und auch die Sängerinnen und Sänger haben dankbare Aufgaben. Allen voran Elizabeth Rae Magnuson, die als Aspasia mit starkem Sopran aufbegehrt und dann wieder im Pianissimo verzweifelt.

Neben ihr stellen sich drei neue Ensemblemitglieder des Opernhauses vor (auch das hat Tradition bei den Winterthurer Saisoneröffnungen): Franco Vassallo gibt den Axur mit schön fiesem, wenn auch nicht besonders raumgreifendem Bassbariton. Auch Lawrence Brownlee ist kein lauter Atar, seinem warmen Tenor nimmt man den liebenden Gatten eher ab als den Feldherrn. Und der 27-jährige Günter Groissböck leiht dem Priester Arteneo einen geradezu väterlich sonoren Bass. Zu erwähnen ist ausserdem der Tenor Boguslaw Bidzinski, der mit sichtlichem Vergnügen einen radikal tuntigen Biscroma spielt und singt.

Überhaupt geht der Schweizer Regisseur Dieter Kaegi diese Oper keineswegs von ihrer märchenhaften Seite an; er interessiert sich eher für die schmutzigen Aspekte der Macht als für die ideale Liebe. Bühnenbild und Kostüme (Bruno Schwengl) orientieren sich an Pasolinis Film «Salò» und platzieren das Geschehen in einer italienischen Villa der 40er-Jahre: üppige Wandgemälde für den Einheitsraum, Augenklappe und wahlweise Pistole oder Peitsche für Axur, lockende Dessous für die Lustknaben und -mädchen. Die Handlungen sind zwar nicht ganz so explizit wie die Kostüme, aber die Gestik ist doch so präzis, die Choreografie von Liz Roche so körperbetont, dass eine stimmige Atmosphäre morbider Dekadenz aufkommt.

Was tun mit der «Bestie»?
Nur zweimal bringt die Oper die Regie in Schwierigkeiten. So will Biscroma Atar laut Libretto als Schwarzen verkleiden, andere Figuren wundern sich über die guten Manieren der «Bestie»: Das wäre heute nicht nur ein Fall fürs Antirassismusgesetz, sondern ist auch ein Regieproblem, zumal sich Lawrence Brownlee auf Grund seiner Hautfarbe höchstens als Weisser verkleiden könnte. Kaegi setzt ihm stattdessen eine Hundemaske auf - was durchaus einleuchtet in diesem Sado-Maso-Umfeld.

Und dann ist da der Schluss, in dem das Volk Atar zu seinem neuen König bestimmt und Kaegi den Jubel nicht allzu plakativ auflodern lassen will. Tatsächlich wirkt dieses Finale seltsam, man möchte nach dieser Geschichte und zumal nach dieser Inszenierung eher das private Glück feiern als einen neuen Machthaber. So bleibt nur die rein musikalische Anerkennung für Salieris wirkungsvolle Chorpartien, die dem Zusatzchor und dem Jugendchor des Opernhauses Zürich klangstarke Auftritte ermöglichen.

Dieses «Axur»-Finale kam übrigens auch im «Amadeus» vor, und der Film-Salieri hatte schon Recht, wenn er sein Verschwinden aus der Musikgeschichte so bitter beklagte. Auch wenn er kein Mozart war, ein guter Theatermusiker war er allemal.

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8. 9. 2003

Gefällig in Winterthur

VON ROGER CAHN


Das Zürcher Opernhaus startete am Freitag in Winterthur in die Saison mit Salieris «Axur, re d'Ormus»: interessante Handlung, schlüssig inszeniert, gefällige Musik, schön gesungen.

Der Film «Amadeus» stellt den Komponisten Antonio Salieri (1750 - 1825) als Gegenspieler von Mozart dar. Salieri hatte zu Lebzeiten sowohl im konservativen Wien als auch im vorrevolutionären Paris Erfolg. Seine Musik folgt treu den herrschenden Konventionen. Keine Ecken, keine Kanten. Geniales sucht man vergeblich.

In «Axur, re d'Ormus» stellt sich Salieri voll in den Dienst der genialen Text-Autoren Beaumarchais (Pariser Urfassung 1787) und Da Ponte (italienische Wiener Version 1788). Brutalität und Willkür des mächtigen Herrschers Axur, der seine Untertanen ihrer Würde beraubt, zugleich in Angst vor der Beliebtheit eines bescheidenen Gegenspielers lebt, ist musikalisch artig beschrieben und koloriert.

Eigenleben entwickelt die Musik höchstens in den Schlussarien, wenn Militär und Volk Axur zur Aufgabe zwingen.

Der Schweizer Regisseur Dieter Kaegi verlagert das Geschehen vom malerischen Orient ins faschistische Italien mit Mord und Totschlag. Das Bühnenbild (Bruno Schwengl) ist eine Villa in Süditalien mit erdrückenden Wandbildern.

Die Personenführung ist präzise, das junge Solisten-Ensemble hervorragend, das Musikalische enttäuschend. Stimmlich überzeugen Boguslaw Bidzinski als Diener und Intrigant Biscroma, die Sopranistin Elizabeth Rae Magnuson als leidende Aspasia, Günter Groissböck mit sonorem Bass als Priester Arteneo.

Fazit: Mozart ist tatsächlich viel besser als Salieri.

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8. 9. 2003

Abgehangene Klischees revidieren

«Axur – re d’Ormus» von Salieri als schweizerische Erstaufführung im Theater Winterthur

In der Larve des «grauen Boten» bestellt im Kino von Milos Forman der königlich-kaiserliche Hofkapellmeister beim todgeweihten Mozart das Requiem. Salierls «Axur - re d'Ormus» in Winterthur taugt zur kleinen Gegenlektion nach dem Kinoschlager «Amadeus».

TORBJÖRN BERGFLÖDT

Antonio Salieri? Die Rezeptionsgeschichte hat ihm übel nachgespielt. Auch im musikologisch aufgeräumtesten Hirn geistert wohl irgendwo noch der intrigante Mordbube gleichen Namens umher, ein Ränke schmiedender Neider und Schleicher. Und, womöglich noch schlimmer: Salieri als Personifizierung des Mittelmasses. Gegen die Instrumentalisierungen durch Puschkin und Shaffer im Theater, Rimski-Korsakow in der Oper sowie - am breitenwirksamsten - Forman im Kino wären die Belege für einen zu Lebzeiten Mozarts erfolgreichen Komponisten zu halten oder eine just fürs ominöse Jahr 1791 nachweisbare kollegiale Verbindung beider Männer.

Reformopernhaft
Wer bei sich gut abgehangene Salieri-Klischees revidieren möchte, kann dies tun in der Beschäftigung mit der Oper «Axur - re d'Ormus», die jetzt eben in Schweizer Erstaufführung als Saisoneröffnungspremiere im Theater Winterthur gezeigt worden ist. Das 1788 in Wien uraufgeführte Werk, Frucht einer zu fast vollständig neuer Musik führender Zweitbeschäftigung Salieris mit «Tarare» auf ein Buch von Beaumarchais, hatte seinerzeit grossen Erfolg und zeugt von einem gewieften Handwerker.

In den orchesterbegleiteten Rezitativen zum Beispiel gibt es unmittelbar sinnfällige Musik. Die Affektsprache des 18. Jahrhunderts erscheint theaterwirksam eingesetzt. Und der von Lorenzo Da Ponte neu librettierte Stoff - der persische Potentat Axur geht seinen schurkischen Verrichtungen nach und wird schliesslich vom tugendhaften Gegenspieler Atar abgelöst - deutet voraus auf die Französische Revolution. Ein reformopernhafter Anspruch wird erfüllt, indem musikalische Schönheiten nicht um ihrer selbst willen zelebriert werden, der Text sinnstiftend bleibt in einer durchkomponierten Grossform. Genial? Das nicht. Aber Mozart braucht man als Vergleich ja auch nicht zu bemühen.

Im faschistischen Itallien
Der Regisseur Dieter Kaegi und sein Ausstatter Bruno Schwengl treten nicht als unterwürfige Bühnenhelfer im Dienste eines Salieri redivivus auf. Der herrschaftliche Schauplatz in einem Persien von damals ist bei ihnen eine Villa im Italien der 1940er Jahre. Das Setting wirkt herein von «Salò», dem letzten Film von Pasolini, wo dieser mit Hilfe des Romanfragments «Die 120 Tage von Sodom» des Marquis de Sade Faschismus, ja absolute Macht, drastisch angeklagt hat. Geschmeidig geraten die Szenenwechsel. Stummfilmartig werfen manchmal die Figuren Schatten an ein gewalthaft aufgeladenes Kulissen-«Gemälde», das sich durch seine Allgegenwart vom Bild zum Sinnbild verdichtet. Pistolenschüsse durchzucken die Bühnenluft. Die Ausstattung verweist auf das faschistische Italien, ohne sich deshalb die Chance zu zeitloserer Bedeutung zu vergeben.

Franco Vassallo in der für Bassbariton geschriebenen Titelrolle vergegenwärtigte an der Premiere einen abstrichlos bösen Herrscher im Chefbanditen-Look und sang mit passend klangmächtiger Stimme. Lawrence Brownlee als Atar liess einen biegsamen Tenor hören. Mit singdarstellerischer Beweglichkeit gab Elizabeth Rae Magnuson Atars Frau Aspasia, die Axur vergeblich als Schmuckstück in seinen neuzeitlich dekadenten Harem eingliedern möchte. In weiteren Rollen agierten überzeugend Boguslaw Bidzinski, Gabriel Bermudez, Günter Groissböck, Christiane Kohl und Martin Zysset. Jürg Hämmerli hat Zusatzchor und Jugendchor des Opernhauses Zürich einstudiert. Der Dirigent Theodor Guschlbauer befeuerte das Orchester Mu'sikkollegium Winterthur zu einem engagierten, kontrastdeutlichen, rhythmisch belebten Spiel. Mitunter leicht verwackelt geriet die koordinatorische Abstimmung zum Gesang auf der Bühne. Zur gesungenen Terzett-Harlekinade - am Ort der grossen Balletteinlage der französischen Fassung - hat Liz Roche eine passende Choreografie im Geist der Commedia dell'arte ersonnen.

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8. 9. 2003

Aus dem Verlies der Operngeschichte

Er kommt nicht nur aus der Versenkung, sondern geradezu aus dem Verlies der Operngeschichte: Antonio Salieri, der Komponist, den das Gerücht zum Mörder gemacht hat. Dass ihm als Musiker alle Ehre gebührt, zeigt nun die Inszenierung seines «Axur» auf der Winterthurer Bühne.

Herbert Büttiker

Wer Salieri sagt, spricht in der Regel von Mozart. Von ihm hier nur so viel. Zur selben Zeit als sich Mozart mit Pierre August Beaumarchais’ Stück «La folle journée ou Le Mariage de Figaro» beschäftigte, genoss Antonio Salieri (1750–1825) in Paris nicht nur den Triumph seiner Oper «Les Danaïdes», sondern machte auch die persönliche Bekanntschaft mit dem skandalumwitterten Bühnenautor. Beaumarchais hatte hochfliegende Pläne einer neuen Musikdramaturgie und fand in Salieri den Partner zu einem Projekt mit dem Titel «Tarare». Der sensationelle Erfolg dieser Oper trug dem Hofkomponisten den Auftrag zu einer Neueinstudierung in Wien ein. An Stelle einer blossen Anpassung an die Übersetzung ins Italienische komponierte Salieri das Werk weit gehend um. Sein Textmitarbeiter war dabei niemand anderer als Lorenzo da Ponte, der im Herbst 1787 gleich mit drei Opern beschäftigt war: für Martín y Soler, für Mozart und für Salieri. «Don Giovanni» kam am 29. Oktober in Prag heraus, «Axur, re d’Ormus» als Festoper in Wien am 8. Januar 1788.

Ins beste Licht gerückt
Mozart und Salieri: Die Beschäftigung mit der wohl berühmtesten Unperson der Musikgeschichte (dazu lädt eine Biografie von Volkmar Braunbehrens ein) lenkt die Aufmerksamkeit auf andere Dinge als Gift und Meuchelmord, und ebenso entschieden lädt nun die Begegnung mit Salieri auf der Winterthurer Bühne dazu ein, das Werk dieses Komponisten in seiner Eigenständigkeit wahrzunehmen – und zu geniessen. Dass es sich nämlich um Musik handelt, die den Figuren berührenden melodischen Ausdruck verleiht, die Handlung in ausdrucksvollem Accompagnato und knappen ariosen Formen flüssig vorantreibt und dramatisch packende Momente gestaltet, ist die erste Feststellung, die zu machen ist.
Das liess die Aufführung immer wieder auch ohrenfällig werden. Dafür sorgte Theodor Guschelbaur, der die musikalische Einstudierung verantwortet - eingeschlossen Arbeit am Notenmaterial und weit gehende Kürzungen - und an der Premiere so viel Umsicht wie Temperament walten liess. Das Orchester des Musikkollegiums griff den Schwung, mit dem er das Werk in Angriff nahm, von Beginn weg impulsfreudig auf und legte dem Ensemble ein sicheres Fundament. Eindrückliche Momente rein orchestraler Musik – beispielsweise die leidenschaftlich aufgewühlte Einleitung der Aspasia-Szene – rückten zudem den starken Anteil des Instrumentalen an der szenischen Wirkung der Oper ins beste Licht.
Nachvollziehbar also der seinerzeitige Erfolg dieses Komponisten und seine Bedeutung als durchaus innovativer Musikdramatiker in der Nachfolge Glucks, begründet auch die Anteilnahme eines heutigen Publikums, wobei es an der Aufführung gelegen haben mag, dass die beiden Schlussakte einen stärkeren Eindruck hinterliessen als die drei ersten. Die Gründe dafür sind wohl vielfältig. Das düstere erste Bild und die bemühte Erotik auf dem Bühnenboden trübten den ersten Blick auf die Oper, auf die Atmosphäre von Idylle und (Liebes-)Idealität und den dramatischen Umschlag, mit dem sich der böse Kontrapunkt einschaltet und damit die Handlung um den Herrscher Axur einsetzt, der vor keiner launenhaften Willkür zurückschreckt und seinem glücklichen und loyalen Untertan Atar die geliebte Frau entreisst – eben weil er loyal, glücklich und geliebt ist.
Die Verlegung der Handlung vom exotischen Ambiente Persiens ins dekadente Milieu des faschistischen Italien zeitigt einiges an spektakulärer Bizarrerie im Outfit (Bühne und Kostüm: Bruno Schwengl), die man aber auch nicht zwingend bewundern muss, und verstellt mit seinen Ansätzen zu zeitgeschichtlichem Realismus das Werk mehr, als dass sie es erhellt. Denn die naive Drastik und manchmal auch Komik, mit der dieser Gewaltherrscher wütet, dann die ebenso extreme Konsequenz, mit der das Opfer die ihm zu Hilfe Eilenden in die Schranken der Untertanentreue zurückweist und die Revolution zu seiner Rettung verhindert – all das gehört in die Sphäre des Märchens beziehungsweise der Parabel. Abgesehen von der Schieflage vieler Details des Librettos, ist der Glaubwürdigkeit nicht gedient, wenn die Hauptfigur zu einem Miniduce wird, der mit der Pistole wild herumschiesst und seinen Untertanen die Penne all'arrabbiata höchst eigenhändig schöpft. Atars unterwürfige Handlungsweise und der Schluss der Oper, die mit dem Selbstmord Axurs, aber auch – passend in die Josephinische Aufklärung – mit einem Sieg des Loyalitätsprinzips endet, werden im Raum dieser Inszenierung (Regie: Dieter Kaegi) geradezu unverständlich.

Rabenschwärze und Blässe
Ein Hinweis auf jene andere Festoper dieser Zeit, Mozarts «La clemenza di Tito» drängt sich hier ja auf. Und con clemenza fahren wir fort. Denn der gegebene Interpretationsrahmen der Inszenierung ist nur das eine, Gesang und Spiel des Ensembles, das sich darin bewegt, das andere, und dieses vermochte die prinzipiellen Vorbehalte durch die weit gehend prägnante musikszenische Darstellung, die hier zu erleben war, durchaus auch zu relativieren. Das galt für den Chor – den einsatzfreudigen Zusatz- und Jugendchor des Opernhaus – wie für die Protagonisten. Franco Vassallo gab dem wütenden Tyrannen vor allem mit griffiger Deklamation Profil, und was an Verhärtung und auch drückender Intonation stören mochte, war leicht ebenfalls auf das Konto der Rabenschwärze des Charakters abzubuchen. Der Tenor Lawrence Brownlee in der Rolle seines Gegenspielers Atar überzeugte mit der Sensibilität seines hellen Tenors am meisten in den lyrischen Momenten des ersten Aktes, aber es wurde auch immer deutlicher, dass er die dynamisch expressiven Möglichkeiten der Partie kaum wahrnehmen konnte und in seiner monotonen Stimmführung aufs Ganze gesehen blass blieb.

Der Sopran im Zentrum
Aber die kulminierende Gesangsszene des Werks gehört ohnehin dem Sopran. Die grosse und musikalisch reich gegliederte Arienszene der Aspasia im vierten Akt war auch der Moment für Elizabeth Rae Magnuson mit Temperament und expansiver Kraft ihre Figur (hier wenigstens auch einmal vom Kostüm unterstützt) berührend ins Zentrum zu rücken. Eindrücklich dann auch die Nähe zum Heroismus der Fidelio-Leonore, wobei die Inszenierung diesen Bezug durch den freien Umgang mit dem Text nicht unproblematisch herausstreicht. Als besonders geglückt in der reinen musikalischen Phrasierung bleibt auch die anschliessende Duettszene mit der ihr treu ergebenen Fiammetta in Erinnerung. Christiane Kohl hatte zuvor schon in der Harlekinszene musikalisch gute Figur gemacht und mit vifem und griffigem Ton das Entscheidende zu diesem Kabinettstück der Partitur beigetragen. Bohuslav Bidzinski und Martin Zysset waren die nicht weniger profilierten Partner in dieser Maskerade. Bidzinski überzeugte darüber hinaus besonders auch in der Rolle als Biscroma, die in ihrer schillernden Anlage wohl interessanteste Figur des Stücks. Wie er sich mit Ironie und figarohafter Wendigkeit in der prekären Zwischenstellung als Vertrauter Axurs und Freund Atars hält und schliesslich den Aufstand anzettelt, lässt an Schillers Marquis Posa denken – «Don Carlos» erlebte seine Uraufführung im «Don-Giovanni»-Jahr und nur Monate vor «Axur». Auch dies ein Hinweis, dass Salieri mit seinem Hauptwerk, wenn nicht auf der Höhe Mozarts, so doch auf der Höhe seiner Zeit war.

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8. 9. 2003

Ein vergessener Opern-Superstar
Saisoneröffnung des Opernhauses Zürich mit Erstaufführung von Salieris Oper «Axur, re d'Ormus» in Winterthur

Das Opernhaus Zürich hat die Saison in Winterthur mit der Erstaufführung eines Werks von Antonio Salieri eröffnet. «Axur, re d'Ormus» erweist sich als musikalisch reizvoll, die Inszenierung von Dieter Kaegi dagegen wirkt etwas aufgesetzt.

Seit das Zürcher Opernhaus nicht mehr von der Stadt, sondern vom Kanton getragen wird, findet die Saisoneröffnung traditionell am Stadttheater Winterthur mit dem dortigen Orchester statt. Mit Salieris «Axur» taten die Verantwortlichen einen guten Griff, erwies sich das Werk Salieris doch als erstaunlich hochstehend.
Salieri, der in den 1780er Jahren sowohl in Paris wie in Wien als bedeutendster Opernkomponist seiner Zeit anerkannt war, schrieb 1787 für Paris die Oper «Tarare», die zum Grosserfolg wurde. Im Jahr darauf sollte das Stück auch in Wien herauskommen, aber eine Übersetzung scheiterte, und so machte sich der Hofdichter Lorenzo da Ponte an einen neuen Text, den Salieri seinerseits praktisch neu komponierte.

Farbige Musik
Die Partitur besticht durch ihren Erfindungsreichtum, vor allem, was die Melodik betrifft. Das ist lebendige, kurzweilige, abwechslungsreiche und manchmal - vor allem in den Accompagnato- Rezitativen - erstaunlich avancierte Musik, die zu den Opern Webers oder Schuberts (der ein Schüler von Salieri war) vorausweist.
Das exotische Sujet von «Axur» findet allerdings keinen Niederschlag in der Musik. Atar, erfolgreicher Feldherr und Volksheld, möchte nichts lieber als sich mit seiner Frau Aspasia auf sein Landgut zurückziehen und sein Liebesglück geniessen. Die Idylle ist dem Herrscher Axur ein Dorn im Auge: Obwohl er Atar sein Leben verdankt, lässt er Aspasia entführen, um sie in seinen Harem zu stecken.
Atar setzt alle Hebel in Bewegung, sie zu finden, wird von Axur getäuscht und hintergangen, aber hat im Eunuchen Biscroma einen Verbündeten in unmittelbarer Umgebung des Königs, der ihm nach vielen Verwicklungen ermöglicht, nicht nur Aspasia zu finden, sondern auch den Tyrannen vom Thron zu stossen und seine Position einzunehmen.

Aufgesetzte Regie
Regisseur Dieter Kaegi wollte seinerseits keine Exotismen aufkommen lassen. Die Uniformen zitieren den Faschismus, aus dem Priester wird ein katholischer Bischof, und der Harem mutiert zu einer Art Bordell der Mussolini-Ära. Sehr neu ist das alles nicht, und somit auch mehr aufgesetzt als provozierend. Dafür bewegen sich die Sänger für Opernverhältnisse natürlich und unschematisch.
Und singen auch noch teils hervorragend: Elizabeth Rae Magnuson als Aspasia brillierte mit ihrem klaren Timbre und anrührenden Piani, der junge Amerikaner Lawrence Brownee bezauberte mit einem zwar nicht grossen, aber ungemein weichen und geschmeidigen Tenor, und Boguslaw Bidzinski zeigte als Biscroma alle Register und Farben seiner vielseitigen Stimme.
Weniger begeisternd sangen die Bässe: Viel Volumen, wenig Konturen, sowohl bei Franco Vassallo in der Titelrolle wie bei Günter Groissböck als Arteneo. Theodor Guschlbauer an der Spitze des Orchesters Musikkollegium Winterthur musizierte frisch und zügig und mit Sinn für die Farben und Effekte dieser Partitur, blieb allerdings etwas starr in den Tempi und in der Dynamik.

Reinmar Wagner

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8. 9. 2003

Gattenliebe im Serail und der König als Faschist

Mit einer Ausgrabung in die neue Saison: Die Zürcher Oper spielt Antonio Salieris "Axur" im Theater am Stadtgarten in Winterthur

Lorenzo Da Ponte - ein Leisetreter? Wien - ein Ort, der aufrührerisches Gedankengut nur hinter vorgehaltener Hand opportun erscheinen ließ? Man könnte darauf kommen, vergleicht man, wie Mozarts berühmter Librettist den "Tollen Tag" des Beaumarchais in der "Hochzeit des Figaro" verharmloste, wie er später Antonio Salieris Pariser "Tarare" des selben Textbuchautors als "Axur, re d'Ormus" in der Hauptstadt der Donaumonarchie zurechtstutzte. Joseph II. hatte den Auftrag zur italienischen Version erteilt - aber eben bitte nicht gar so radikal. Dennoch und der Wahrheit die Ehre: Einiges blieb vom vorrevolutionären Kratzen am Ancien Régime sehr wohl erhalten.

Auch dieser "Axur, König von Hormus" - Uraufführung 1788, nur ein starkes halbes Jahr nach dem französischen Original - schreckt vor herber Kritik an herrscherlichem Machtmissbrauch nicht zurück. Wie denn auch, wenn dieser hemmungslose Potentat seinem besten Krieger und Lebensretter Atar die Frau rauben und in sein Serail verfrachten lässt? Indes, sie widersteht seinem Werben, und die Gatten finden einander in ungewohnter Umgebung wieder. Atar avanciert auf Volkes Drängen zum König, dieweil der fiese Vorgänger sich selbst entleibt. Das Ganze verläuft in diesem Intrigenstadl freilich wesentlich komplizierter, als es sich hier liest, und auch der Klerus verhält sich nicht übertrieben nobel.

Den "Tarare" gab es vor anderthalb Jahrzehnten in Schwetzingen und Karlsruhe. "Axur, re d'Ormus" ist dieser Tage im Theater am Stadtgarten in Winterthur zu begutachten. Schon seit einer Weile pflegt die Zürcher Oper dort ihre Spielzeit zu eröffnen. Wir sehen uns dabei allerdings mitnichten einer persischen Golfszenerie gegenüber. Der königliche Nichtsnutz ist vielmehr ein lupenreiner italienischer Faschist, und Dieter Kaegis Inszenierung ist samt Bruno Schwengls Ausstattung Pasolinis Film "Die 120 Tage von Sodom" nachempfunden. Atar, der eigentlich als stummer Schwarzer in den Harem geschleust wird, trägt hier einen - Hundekopf. Aber gerade das wirkt nicht etwa widerwärtig, sondern fatalerweise eher harmlos, wenn nicht putzig. Der Auftritt unterläuft das angestrebte Klima kaum mehr nur latenter Gewalt, ein Ambiente, in dem die Pistole locker sitzt und ein Menschenleben wenig zählt. Freilich, die Aufführung ist seriös gearbeitet. Sie offenbart in ihrem geheimnisschwangeren Helldunkel durchaus Vorzüge, die gleichwohl auch durch den königlichen Klischeebösewicht mit Augenklappe gemindert werden. Und das Komische am "Dramma tragicomico" hält sich auf der Bühne in Grenzen.

Im Zentrum steht ein Sängertrio von Rang: Um Elizabeth Rae Magnuson, Zürichs kapitale Hausbesetzung für Mozart-nahe Dramatik als Aspasia, gruppieren sich zwei neue Ensemblemitglieder mit größter Zukunftsperspektive - Lawrence Brownlee, ein ganz leichter, feiner lyrischer Tenor als Atar, und Franco Vassallo in der Titelpartie, ein kompakter Bariton viril-italienischen Zuschnitts, der's nur mal mit ein paar Zwischentönen probieren müsste.

Die um fast eine Stunde ausgedünnte Musik wird von Theodor Guschlbauer und dem Orchester Musikkollegium Winterthur vorteilhaft im Fluss gehalten - eine gewinnende Interpretation, die gerade dadurch die Vorzüge Salieri'schen Komponierens nahe bringt. Mit Banalitäten, dass der Gegenspieler Mozarts tatsächlich in keinem Moment an den Beneideten heranreicht, muss man sich dabei nicht aufhalten. Mitunter ist es sogar, als zöge er Nutzen aus dem Umstand, dass ihm nie eine unverwechselbar-tiefsinnige Wendung "à la Mozart" zufällt: indem er seine Arien - oder besser: arienähnlichen Gebilde - bewusst knapp hält, betont kurz angebunden, kaum ausholend.

Etliches business as usual, sicher. Aber: Die Musik geht medias in res, reagiert blitzschnell, ohne (Vorspiel-) Umschweife auf die Emotionen der Gestalten, die dramatische Situation - kaum Rezitative, und wenn, dann Accompagnati, Orchester-begleitete, die im Grunde einem immerwährenden Arioso nahe sind, das auf Gluck'sche Art dem Wort auf der Spur ist. Wenn's nicht gar zu kühn wirkt: Bei Salieri gibt es die Vorform dessen, was später zu Wagners unendlicher Melodie anwächst. Kein geringes Verdienst - oder?

Heinz W. Koch

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9. 9. 2003

Klischees revidiert
Ausgrabung: Oper von Antonio Salieri in Winterthur

Torbjörn Bergflödt

Antonio Salieri? Die Rezeptionsgeschichte hat ihm übel nachgespielt. Auch im musikologisch aufgeräumtesten Hirn geistert wohl irgendwo noch der intrigante Mordbube gleichen Namens umher, ein ränke- schmiedender Neider und Schleicher. Und, womöglich noch schlimmer: Salieri als Personifizierung des Mittelmasses. Gegen die Instrumentalisierungen - am breitenwirksamsten durch Forman mit seinem Kinofilm «Amadeus» - wären die Belege für einen zu Lebzeiten Mozarts erfolgreichen Komponisten zu halten oder eine just fürs ominöse Jahr 1791 nachweisbare kollegiale Verbindung beider Männer.
Wer bei sich gut abgehangene Salieri-Klischees revidieren möchte, kann dies tun in der Beschäftigung mit der Oper «Axur - re d´Ormus», die jetzt eben in Schweizer Erstaufführung als Saisoneröffnungspremiere im Theater Winterthur gezeigt worden ist. Das Stück zeugt von einem gewieften Handwerker. Die Affektsprache des 18. Jahrhunderts erscheint theaterwirksam eingesetzt. Und der Stoff - der persische Potentat Axur geht seinen schurkischen Verrichtungen nach und wird schliesslich vom tugendhaften Gegenspieler Atar abgelöst - deutet voraus auf die Französische Revolution. Genial? Nein. Aber Mozart braucht man als Vergleich ja auch nicht zu bemühen.
Der Regisseur Dieter Kaegi und sein Ausstatter Bruno Schwengl dienen Salieri nicht unterwürfig. Der herrschaftliche Schauplatz in einem Persien von damals ist bei ihnen eine Villa im Italien der 1940er-Jahre. Das Setting wirkt herein von «Salò», Pasolinis letztem Film. Stummfilmartig werfen manchmal die Figuren Schatten an ein gewalthaft aufgeladenes Kulissen-«Gemälde», das sich durch seine Allgegenwart vom Bild zum Sinnbild verdichtet. Franco Vassallo in der Titelrolle vergegenwärtigte an der Premiere einen abstrichlos bösen Herrscher und sang mit passend klangmächtiger tiefer Stimme. Lawrence Brownlee als Atar liess einen biegsamen Tenor hören. Mit singdarstellerischer Beweglichkeit gab Elizabeth Rae Magnuson Atars Frau Aspasia, die Axur vergeblich als Schmuckstück in seinen neuzeitlich dekadenten Harem eingliedern möchte. Den Chor hat Jürg Hämmerli einstudiert. Der Dirigent Theodor Guschlbauer befeuerte das Orchester Musikkollegium Winterthur zu einem engagierten Spiel.

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9. 9. 2003

Salieri-Wiederentdeckung

Einen guten Griff hat das Opernhaus Zürich zur (traditionell am Theater Winterthur stattfindenden) Saisoneröffnung mit der Erstaufführung eines Werkes von Antonio Salieri getan: «Axur, re d’Ormus» erweist sich als musikalisch reizvoll, die Inszenierung von Dieter Kaegi dagegen wirkt etwas aufgesetzt. Die Partitur besticht durch ihren Erfindungsreichtum, besonders, was die Melodik betrifft. Das ist lebendige, kurweilige und manchmal - vor allem in den Accompagnato-Rezitativen - erstaunlich avancierte Musik, die auf die Opern Webers oder Schuberts (der ein Salieri-Schüler war) vorausweist.

Das exotische Sujet von «Axur» findet allerdings keinen Niederschlag in der Musik. Atar, erfolgreicher Feldherr und Volksheld, möchte nichts lieber als sich mit seiner Frau Aspasia auf sein Landgut zurückziehen und sein Liebesglück geniessen. Dem Herrscher Axur ist die Idylle ein Dorn im Auge: Obwohl er Atar sein Leben verdankt, lässt er Aspasia entführen, um sie in seinen Harem zu stecken. Exotismen will Regisseur Dieter Kaegi nicht aufkommen lassen. Die Uniformen zitieren den Faschismus, der Harem mutiert zu einer Art Bordell der Mussolini-Ära. Neu ist das nicht, somit auch mehr aufgesetzt als provozierend.

Dafür bewegen sich die Sänger für Opernverhältnisse natürlich und unschematisch. Elizabeth Rae Magnuson brilliert mit ihrem klaren Timbre, Lawrence Brownee bezaubert mit einem zwar nicht grossen, aber ungemein weichen Tenor. Weniger begeis ternd die Bässe: viel Volumen, wenig Konturen. Das Orchester des Musikkollegiums Winterthur musiziert frisch und zügig.
(sda)

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9. 9. 2003

Exotisch-orientalisches Sujet in etwas aufgesetzter Inszenierung

Das Opernhaus Zürich eröffnete die Saison mit der Schweizer Erstaufführung eines Werks von Antonio Salieri. «Axur, Re d'Ormus» erwies sich als musikalisch reizvoll, die Inszenierung von Dieter Kaegi wirkte mehr aufgesetzt als provozierend.

Von Reinmar Wagner

Den Namen Antonio Salieri kennt fast jeder - der Bösewicht mit der Maske aus dem «Amadeus»-Film, der Mozart umgebracht haben soll. Dass ers nicht getan hat, weiss man eigentlich schon lange, aber wer dieser Salieri ist und was er so komponiert hat, wissen die wenigsten. Das Opernhaus Zürich hat nun für seine Saisoneröffnung, die seit der Kantonalisierung traditionell in Winterthur mit dem dortigen Orchester stattfindet, eine Oper von Salieri produziert.

Salieri, der in den Achtzigerjahren des 18. Jahrhunderts sowohl in Paris wie auch in Wien als bedeutendster Opernkomponist seiner Zeit anerkannt war, schrieb im Jahr 1787 für Paris auf ein Libretto von Beaumarchais die Oper «Tarare». Ein Gross-Erfolg.

Das kam auch Kaiser Franz Josef II zu Ohren, der dieses Stück von seinem Hofkomponisten in der Saison drauf auch für sein Wiener Burgtheater haben wollte. Eine Übersetzung scheiterte, und so machte sich der Hofdichter Lorenzo da Ponte an einen neuen Text, worauf Salieri seinerseits voller Elan und nun aus vollem Herzen im damals in Wien herrschenden italienischen Stil das Werk praktisch neu komponierte.

Lebensretter und Frauenraub
Was allerdings nicht heisst, dass er sich schematisch an die Konventionen gehalten hätte, im Gegenteil. Schon vorher hatte er von Gluck die Lebendigkeit der Mischung von Ensembles, Chören, Rezitativen, Accompagnati und Arien statt dem starren Rezitativ-Arien-Schema der opera seria übernommen, und in «Axur» liess er seinem Erfindungsreichtum vor allem, was die Melodik betrifft, freien Lauf. Das ist lebendige, kurzweilige, abwechslungsreiche und manchmal - vor allem in den Accompagnato-Rezitativen - erstaunlich avancierte Musik, die zu den Opern Schuberts und Webers vorausweist.

Das exotisch-orientalische Sujet von «Axur» findet allerdings keinen Niederschlag in der Musik. Die Handlung der Tragikomödie wird dramaturgisch geschickt vorangetrieben: Atar, erfolgreicher Feldherr und Volksheld, möchte nichts lieber als sich mit seiner Frau Aspasia auf sein Landgut zurückziehen und sein Liebesglück geniessen. Die Idylle und Atars Popularität sind dem Herrscher Axur ein Dorn im Auge: Obwohl er Atar sein Leben verdankt, lässt er Aspasia entführen, um sie in seinen Harem zu stecken.

Atar setzt alle Hebel in Bewegung, sie zu finden, wird von Axur getäuscht und hintergangen, aber hat im Eunuchen Biscroma einen Verbündeten in unmittelbarer Umgebung des Königs, der ihm nach vielen Verwicklungen ermöglicht, nicht nur Aspasia zu finden, sondern auch den Tyrannen vom Thron zu stossen und seine Position einzunehmen.

Wenig begeisternde Bässe
Regisseur Dieter Kaegi wollte für seine Winterthurer Inszenierung seinerseits keine Exotismen aufkommen lassen. Uniformen zitieren den Faschismus, aus dem heidnischen Priester wird ein katholischer Bischof, der Harem zu einer Art Bordell der Mussolini-Ära. Sehr neu ist das alles nicht und somit auch mehr aufgesetzt als provozierend, dafür bewegen sich die Sänger für Opernverhältnisse natürlich und unschematisch.

Vor allem das Liebesduett im Liegen zu Beginn der Oper verlangt einiges an sängerischer Körperbeherrschung, was Elizabeth Rae Magnuson als Aspasia nicht daran hinderte, mit ihrem klaren Timbre und anrührenden Piani zu brillieren. Der junge Lawrence Brownee bezauberte mit einem zwar nicht grossen, aber ungemein weichen und geschmeidigen Tenor, während Boguslaw Bidzinski als Biscroma alle Register und Farben seiner vielseitigen Stimme vorführen konnte.

Weniger begeistert sangen die Bässe: viel Volumen, wenig Konturen, sowohl bei Franco Vassallo in der Titelrolle wie bei Günter Groissböck als Priester Arteneo. Theodor Guschlbauer an der Spitze des Orchesters Musikkollegium Winterthur musizierte frisch und zügig und mit Sinn für die Farben und Effekte dieser Partitur, blieb allerdings etwas starr in den Tempi und in der Dynamik.

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