Richard Strauss‘ Ballettmusik «Josephslegende» war anfangs des letzten
Jahrhunderts nur unter starken Wehen entstanden. Der Komponist klagte in
einem Brief an den Librettisten Hugo von Hofmannsthal, dass ihm die Musik
zur literarischen Vorlage alles andere als leicht von der Hand gehe. Zu brav
und deshalb zu langweilig erschien ihm die Figur des biblischen Josephs.
Ursprünglich war diese Rolle für den charismatischen Tänzer und Choreografen
Nijinsky gedacht. 1914 ging in Paris die Premiere in üppigstem Ausstattungprunk
über die Bühne, allerdings ohne Nijinsky und ohne grossen Nachhall.
Bombastisch und süss
Ein Werk, an dem allzu viele Köche mitgewirkt hatten, und an dem sich
spätere Choreografen kaum die Finger verbrennen wollten. Bis John Neumeier
1970 sich des pantomimischen Tableaus annahm und es in ein Handlungsballett
umformte. Heinz Spoerli choreografierte und inszenierte die «Josephslegende»
bereits 1992, entschlackte sie dabei grundlegend und konzentrierte sich stärker
auf die psychologischen Momente in der Beziehung zwischen Joseph, Potiphar
und dessen Frau.
In der aktuellen Neueinstudierung stand Christoph König am Dirigentenpult
und präsentierte mit dem Orchester der Oper Zürich auch musikalisch eine
redimensionierte Variante. Trotzdem: Bombastisch und zuweilen zuckersüss
schwappten die Strauss‘schen Klangwellen über den Orchestergraben, - letztlich
ist das wohl eine Geschmackssache.
Pompös und menschlich
Als direkte Verbindung zum Himmel hatte Andreas Reinhardt zentral eine
Treppe in den Raum gesetzt. Auf halber Höhe, auf einer überdimensionalen
Tischplatte, residiert die ägyptische Hofgesellschaft als stumme Statisten.
Wenn die Sklavinnen manierlich in Reih und Glied vorbeitrippeln, bemüht sich
die Adelsgesellschaft nach unten, um das anmutige Treiben in nächster Nähe
zu beaugapfeln.
Vom exotischen Reiz einer fremden, verschwundenen Kultur ist bei Spoerli
ein ironisches Zitat geblieben. Doch ist dem Stück sein pompöser Geist nicht
wirklich auszutreiben. Was an dieser Inszenierung letztlich packt, sind die
Leistungen der Solisten. Allen voran die gross-artige Karine Seneca als Potiphars
Frau. Sie verleiht dem negativen Image der skrupellosen Verführerin menschliche
und damit widersprüchliche und verletzliche Züge. Sie leidet an ihrer Ehe
und an ihrer Leidenschaft zu Joseph bis hin zur Selbstzerstörung.
Leicht und schön
François Petit verkörpert als Joseph im Gegenzug nicht die personifizierte
Unschuld, einen quasi Heiligen, sondern ist den weiblichen Reizen durchaus
zugänglich. Der zentrale Pas de deux, das obsessive Werben der Frau um den
Jüngeren, ist von einer unglaublich dramatischen Intensität und geht über
das rein Tänzerische hinaus in den Bereich der Pantomime.
Zum Auftakt des Abends zeigte das Zürcher Ballett die Neueinstudierung
des vor 19 Jahren von Spoerli choreografierten Werks «Igor» zum Konzert für
Klavier und Bläser von Igor Strawinsky. Die streng durchrhythmisierte Musik
stammt aus der neoklassizistischen Periode des Komponisten und verweist mit
ihrer Struktur auf Bach zurück.
Tänzerisch erweist Spoerli seinerseits einem Grossmeister seine Referenz.
Spielerisch brillant variiert er die neoklassische Formensprache eines George
Balanchines. Bis auf eine Dia-Projektion an der Wand ist die Bühne frei für
ein exzellentes Solistenpaar samt Ensemble. Die Tänzer sinken zu Boden, springen
hoch, verbinden Himmel und Hölle absichtslos. Alles ist Leichtigkeit und
Schönheit.
Weitere Aufführungen: 5., 9., 15. und 16. März, unterschiedlicher Vorstellungsbeginn. Vorverkaufstelefon: 01 268 66 66.
BZ-Kultur, 04. März 2003
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