"IDOMENEO"
von Wolfgang Amadeus Mozart

 

>Als das englische Verlegerehepaar Vincent und Mary Novello 1829 auf ihrer «Wallfahrt zu Mozart» dessen Witwe Konstanze besuchten, fragten sie diese nach dem Lieblingswerk ihres bereits 1791 verstorbenen Mannes. Neben «Don Giovanni» und «Figaro» nannte sie immer wieder den «Idomeneo», vor allem, weil er ihn «an die glücklichste Zeit seines Lebens erinnerte». In der Tat zeichnet sich diese Oper durch ihre ausserordentliche Schönheit aus, nicht nur im subjektiven Empfinden des Komponisten und seiner Frau ­ welche übrigens nicht weniger gern erzählte, wie er es ganz besonders liebte, wenn sie ihm persönlich Ilias Arie «Se il padre perdei» vorsangS

Über die unbestritten ästhetischen Qualitäten des «Idomeneo» hinaus bildet dieses Werk einen, wenn nicht den Wendepunkt in Mozarts künstlerischem Werdegang und Leben. Vorausgegangen war eine Periode der Schwierigkeiten und Fehlschläge im Leben des nunmehr dem Wunderkindalter entwachsenen jungen Musikers. Erstens hatte Mozart, den es stets danach drängte, Opern (und nicht zuletzt auch deutsche Opern) zu komponieren, seit dem Salzburger «Re pastore» 1775 keinen ernstzunehmenden Auftrag für ein Bühnenwerk mehr bekommen. Zweitens waren verschiedene Versuche, das ihn beengende, frustrierende Dienstverhältnis zum tyrannischen, wenig interessierten Salzburger Fürsterzbischof Colloredo zu lösen, fehlgeschlagen: Unter anderem hatte die lange Reise über Augsburg, München und Mannheim nach Paris (Oktober 1777 bis Januar 1779) ohne nützliche Ergebnisse beruflicher Art und darüber hinaus noch mit dem Tod der Mutter und der unglücklichen Liebe Mozarts zur Sängerin (und späteren Schwägerin) Aloysia Weber geendet.

Und doch war es letztendlich jener Mannheimer Aufenthalt von Oktober 1777 bis März 1778, welchem Mozart schliesslich seinen «Idomeneo» verdankte. Damals noch hatte er die Hochburg der Musik enttäuscht verlassen, ohne die so sehr erhoffte Anstellung durch den kunstliebenden Kurfürsten Karl Theodor. Zu allem Übel war dieser überstürzt nach München gereist, um sein Erbe anzutreten und seine Residenz nach der bayerischen Hauptstadt zu verlegen. Aber «sein» Kurfürst, nun Herzog von Bayern geworden, hatte den talentierten Salzburger Jüngling nicht vergessen: Im Herbst 1780 erreichte Mozart der Auftrag, für das Münchner Hoftheater eine grosse Oper für die Karnevalssaison 1781 zu schreiben ­ eine Ehre, der selbst der Salzburger Erzbischof nicht im Wege zu stehen vermochte.

Das Thema war das Schicksal des Kreterkönigs Idomeneus, wie es im 17. und 18. Jahrhundert von verschiedenen französischen Dichtern und Komponisten aufgrund weniger lateinischer Verse (u.a. bei Vergil) um einige Episoden erweitert und mit neuen Figuren ausgestattet worden war. Der Hofkaplan des Erzbischofs von Salzburg, Giambattista Varesco (ca. 1736-1806) übersetzte und bearbeitete für Mozart die «Tragédie en musique» «Idoménée» von Antoine Danchet (1671-1748).

In München sollte Mozart zahlreiche seiner Mannheimer Freunde wiederfinden, die zu den begabtesten Musikern seiner Zeit gehörten, war doch das Mannheimer Orchester mit der ganzen Theatertruppe ebenfalls nach München übersiedelt. Somit wusste Mozart, dass er beim Schreiben der Musik auf ein hervorragendes Orchester zählen konnte, was sich vor allem in den ausführlichen Bläserpartien ­ u.a. erstmals mit Klarinetten ­ bemerkbar machte. Der Soloflötist war sein guter Freund Wendling, die Ilia dessen Frau Dorothea, die Elettra die Schwägerin Elisabeth Wendling und der erste Idomeneo ein weiterer Freund Mozarts, der berühmte Tenor Anton Raaff.

Da Mozart schon Anfang November 1780 nach München fuhr und der Vater die Vermittlung zwischen ihm und Varesco, welcher sich ebenfalls in Salzburg befand, übernahm, blieb eine relativ ausführliche Korrespondenz zwischen den Mozarts erhalten, welche über den Zeitraum bis zum 18. Januar 1781 ­ Leopold und Nannerl Mozarts Abreise nach München ­ reicht. Diese Briefe erlauben uns heute einen einmaligen Einblick in die Arbeitsweise Wolfgang Amadeus Mozarts, aber auch in den Theateralltag jener Zeit.

Ein Teil der Musik war noch in Salzburg entstanden und musste den Sängern in München präsentiert werden. Den Damen gefielen ihre Arien ausserordentlich, und der anspruchsvolle Komponist seinerseits war im grossen und ganzen zufrieden mit ihnen. Sorgen bereiteten ihm hingegen der zwar immer noch berühmte, sich aber nicht mehr in bester stimmlicher Verfassung befindende Raaf sowie der Interpret des Idamante, der Kastrat Vincenzo Dal Prato. Aufgrund deren vokalen, nicht weniger aber auch deren darstellerischen Unzulänglichkeiten, sah sich Mozart kurzfristig zu verschiedenen Änderungen und Kürzungen in der Konzeption des Werkes sowie bei bereits fertigen Musikstücken veranlasst.

Wenige Tage nach seinem 25. Geburtstag fand die erfolgreiche Première statt. Kurz danach wurde Mozart von seinem tyrannischen Herrn nach Wien berufen, wo er jedoch aufgrund des «Idomeneo»-Erfolgs neue Kontakte knüpfen und schliesslich ­ mittels des legendären Fusstritts ­ die Fesseln seines Dienstverhältnisses lösen konnte. Endlich war er frei ­ und das Leben sah nicht länger trüb aus: Im selben Jahr 1781 fand er in Wien die Familie Weber und seine Zukünftige, Konstanze, wieder, im selben Jahr komponierte er «Die Entführung aus dem Serail», sein erstes deutsches, das erste seiner grossen, unvergänglichen Bühnenwerke, die den Namen Mozart zu einem der bedeutendsten Opernkomponisten der Musikgeschichte machen sollten.