DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

DIE INTERPRETEN ÜBER DIE OPER
IM MAGAZIN OPERNHAUS ZÜRICH

MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG DES OPERNHAUSES ZÜRICH

TESTO PUBBLICATO CON IL CONSENSO SCRITTO
DELLA DIREZIONE DELLA DRAMATURGIE CHE IL
CURATORE DEL SITO RINGRAZIA DI CUORE.


©OPERNHAUS ZÜRICH


Bereits zum dritten Mal setzt sich Regisseur David Pountney mit dem «Fliegenden Holländer» auseinander. Nach der monumentalen Inszenierung auf der Bregenzer Seebühne (1989) - mit ihren eigenen Gesetzmässigkeiten - geht die Zürcher Neuproduktion von gänzlich anderen Voraussetzungen aus. Es gibt keinen «Pountney-Stil», der lediglich eine Sichtweise auf ein Werk zuliesse. Sich noch einmal mit einer bereits inszenierten Oper zu beschäftigen, hat für ihn den Reiz, dass man in der Zusammenarbeit mit neuen Teams, mit der Verwendung anderer Mittel und mit den Erfahrungen der zurückliegenden Produktionen zu immer neuen Interpretationsergebnissen gelangt. Bei der neuerlichen Auseinandersetzung mit dem «Holländer» kristallisierte sich für David Pountney sehr bald der Begriff «space» als Ausdruck einer Grundidee heraus, mit der der Holländer als einsam suchender Reisender gezeigt werden kann. Dabei greift die deutsche Übersetzung von «space» mit «Weltraum» eher zu kurz, gemeint sind viel mehr «Raum» und «Räumlichkeit» an sich. Gut 170 Jahre, nachdem sich Richard Wagner mit dem Stoff beschäftigte, hat das Reisen für uns jenen Charakter des Besonderen verloren, den es noch zu Wagners Zeiten hatte. Buchstäblich im Fluge wechseln wir Raum und Zeit, ohne kaum je einen Gedanken an Gefahren und Einsamkeit zu verschwenden. Für David Pountney kam es darauf an, ein Äquivalent für das Gefühl des Reisens der Wagner-Zeit zu finden und gleichzeitig deutlich zu machen, wie der Entdeckungstrieb für den neuzeitlichen Menschen zu einem heimatlosen Unterwegs in eine leere Unendlichkeit geworden ist, zur ständigen Suche nach einem utopischen Ort, der ihm Heimat werden kann.
Die Lösung fand Pountney bei einem Besuch des Guggenheim Museums in Bilbao in einer Video-Installation von Jane und Louise Wilson. In
«Star City» zeigen sie Aufnahmen aus einem ehemaligen sowjetischen Raumfahrtzentrum. Ende der 90er Jahre filmten sie ein in Auflösung begriffenes Vorzeige-Objekt der sowjetischen Raumfahrt, wobei man angesichts der verlassenen Trainingseinheiten, der tristen Büros und endlosen Korridore kaum glauben möchte, dass hier die künftigen Himmelsstürmer einer einstigen Weltmacht lebten und arbeiteten. Die verstaubte, bürokratische Welt dieser Raume in all ihrer Trostlosigkeit und Verlassenheit bot den idealen Rahmen, um den Holländer in seiner Einsamkeit zu zeigen, ohne dabei Gefahr zu laufen, sich in einer «Star Trek»-Szenerie zu verlieren. Vor diesem Hintergrund ist es allerdings besonders wichtig, die Sänger in keiner Sekunde zu vernachlässigen und so dem Risiko einer Verselbständigung der Videosequenzen zu entgehen.
Die Unbehaustheit und Heimatlosigkeit des Holländers, seine Entfremdung vom Leben, ist für David Pountney das Stigma des modernen Künstlers überhaupt, von dem dieser durch Liebe und Geliebtsein erlöst zu werden trachtet. In diesem Zusammenhang erinnert der Regisseur daran, wie sehr Richard Wagner mit der Figur des Holländers auch ein Portrait seiner selbst geschaffen hat.
David Pountneys Inszenierung arbeitet mit zwei Holländer-Bildern. Für ihn ist der Holländer keine geisterhafte Erscheinung, kein Phantom. Er ist Bestandteil einer real existierenden Welt, gleichzeitig aber auch Ausdruck der Ideenwelt Sentas. Im Gespräch mit Jane und Louise Wilson kam man sehr schnell überein, für eine Schlüsselstelle der Partitur, das Duett Holländer-Senta im zweiten Akt, kein bereits existierendes Video-Material zu verwenden, sondern die emotionalen Ausdrücke der Sänger zum Bühnenbild zu machen. Mit Hilfe zusätzlicher Nahaufnahmen von Senta und dem Holländer entsteht für die beiden in diesem Moment ein hermetisch abgeschlossener emotionaler Raum, zu dem nur sie Zugang haben und in dem deutlich wird, wie beide, der Holländer und Senta, ihre Hoffnungen und Wünsche auf den anderen projizieren. Wie der moderne Künstler erlebt auch der Holländer die Diskrepanz zwischen seiner inneren Welt und der äusseren Welt und unternimmt den Versuch, diesen Widerspruch aufzulösen: mit Hilfe der Frau, mit Hilfe Sentas.

Für Bühnenbild und Kostüme zeichnet Robert Innes Hopkins verantwortlich. Er erinnert sich noch gut an den Beginn seiner Arbeitskontakte zu David Pountney.
An der Opera North stattete er eine Inszenierung der «Verkauften Braut» aus, die die englische Übersetzung David Pountneys verwendete. Der Regisseur kam, um die Aufführung zu sehen und bat ihn im Anschluss, die Ausstattung einer Kammeroperzu übernehmen. Diese Inszenierung war dann der Auftakt für eine höchst erfreuliche Zusammenarbeit, die nun in Zürich ihre Fortsetzung findet. Im Fall des «Fliegenden Holländers» musste Robert Innes Hopkins von Beginn an die Video-Installation von Jane und Louise Wilson in seine Überlegungen und Entwürfe einbeziehen, da jene die Inszenierung ganz wesentlich prägen würde. Benötigt wurde ein Bühnenbild, das die Projektion des Videos ermöglicht und nicht etwa Gefahr läuft, sich zu einem toten Raum zu entwickeln, in der die Wirkung des Videos verpufft. Dabei hat Robert Innes Hopkins diese Vorgabe nicht als Beschränkung, sondern vielmehr als kreative Herausforderung empfunden. Die Idee für die Geometrie des Bühnenraumes mit seinem freihängenden Metallkarree und den darunterliegenden verschiebbaren Bildwänden war dann gemeinsam mit David Pountney und den Wilson-Schwestern recht schnell gefunden. Nachdem er «Star City» gesehen hatte, war Robert Innes Hopkins klar, in welche Richtung sich die Kostüme für die Inszenierung bewegen würden. Zusätzliche Anregung lieferten ausserdem die Filme des sowjetischen Filmregisseurs Andrej Tarkowski. Die Stoffe und Materialien, die in den Kostümen Verwendung finden, sollen Anklänge liefern an das Textildesign der vormaligen Sowjetunion in den 70er und 80er Jahren und den Geist eines untergegangenen Imperiums transportieren: in Uniformen, Kosmonautenanzügen und Alltagskleidung. Wichtig hierbei war vor allem, dass sich für den Zuschauer nicht der Eindruck aufdrängt, sich in einer «Science fiction»-Version des «Fliegenden Holländers» zu befinden. Unterschwellig htte natürlich auch Wagners Musik, die Robert Innes Hokins während des gesamten Arbeitsprozesses begleitet, Einfluss auf die szenische Lösung, auf die Art, in welchen Dimensionen man die einzelnen Bestandteile des Bühnenbildes geometrisch anordnet, wie und mit welchem Energieaufwand man sie bewegt. Das maritime Element fehlt jedoch nicht gänzlich, zitiert Hopkins in seiner Bühnenkonstruktion doch in abstrakter Form das Bild eines Schiffsrumpfes.

Die Zürcher Produktion vereint einige der wichtigsten Wagner-Interpreten unserer Zeit. Nachdem er mit seinen Mozart- und StraussDirigaten wiederholt für musikalische Sternstunden gesorgt hat, dirigiert Christoph von Dohnanyi nun zum ersten Mal eine Wagner-Oper am Opernhaus Zürich. Im «Fliegenden Holländer» hat er häufig am Pult gestanden unvergesslich sind ihm Aufführungen mit Anja Silja und Thomas Stewart - und freut sich nach einer längeren «Holländer»-Pause auf die erneute Beschäftigung mit der Partitur. Seine erste Begegnung mit der Oper fand etwa 1947 im Münchner Prinzregententheater statt, als er als Bühnendienst bei Hans Knappertsbusch die obligatorische Windmaschine zu bedienen hatte.
«Der fliegende Holländer» kann wohl zurecht als jenes Werk bezeichnet werden, mit dem Wagner erstmals als ein Komponist auftrat, der seinen eigenen Ton, seine eigene Tonsprache gefunden hatte, der sich der Tradition bediente und sie sich doch zugleich schöpferisch anverwandelte. Immer wieder sind in der Partitur Ansätze des späteren Wagner zu erkennen. Die Oper braucht eine eminente Besetzung: ein starker Holländer, eine starke Senta sind der halbe Erfolg!
Die verrschiedenen Umarbeitungen des Werkes können für Christoph von Dohnanyi alle Anspruch auf Authentizität erheben, so dass sich jede Inszenierung für die eine oder andere entscheiden muss. Für seine Einspielung mit den Wiener Philharmonikern hat er seinerzeit die dreiaktige Fassung gewählt. Mit dem Blick auf die Bühne erscheint ihm jedoch die einaktige Fassung mit ihrer atemlos abrollenden durchgehenden Handlung als die dramatisch überzeugendere. Wie für Richard Wagner ist auch für ihn die Ballade der Senta der Kernpunkt des Werkes. Besonders faszinierend empfindet er die starke Charakterisierung der Figuren durch eine Palette unerschöpflicher Klangfarben. Durch die Individualisierung der Instrumente kommt es zu neuartigen, wahrhaft unerhörten Klangmischungen, wobei gerade die Blasinstrumente motivbildend und klanglich im Vordergrund stehen. Besondere Aufmerksamkeit widmet er in seinem Dirigat den Rezitativen, die

mit Spannung und Dramatik aufgeladen und in grössere Bögen eingebunden werden müssen, um sie nicht an das Schema der Nummernoper zu verraten. Vor allem kommt es aber darauf an, die orchestrale Charakterisierung des Meeres, die die gesamte Partitur durchzieht, durch feinste dynamische Abstufungen für den Zuhörer nachvollziehbar zu machen.

Egils Sums ist dem Zürcher Publikum durch seine fulminante Darstellung von Anton Rubinsteins «Dämon» und des Mephistopheles in Berlioz «La Damnation de Faust» in bester Erinnerung. «Holländer»-Erfahrungen konnte der Bariton bereits in zwei sehr gegensätzlichen Inszenierungen in seiner lettischen Heimat Riga und in Saarbrücken sammeln. Der Holländer ist für ihn eine der wenigen Opernrollen, die mit jeder Aufführung eine neue Herausforderung darstellen. Ständig gewinnt man neue Einsichten in den Charakter dieser Figur und entdeckt neue Farben und Varianten auf der eigenen Ausdruckspalette. Letzteres unterstreicht für ihn die Genialität Richard Wagners, in dessen Interpretation man nie einen Endpunkt erreicht. Gemeinsam mit David Pountney arbeitet Egils Silins an einer sehr menschlichen Annäherung an die Figur des Holländers, die mit einer besonderen Wärme im Ausdruck einhergeht. Eine spannende Erfahrung bietet das Arbeiten vor der Kamera, das keine Pause, kein Nachlassen in der Konzentration erlaubt. Fast wie im Filmstudio muss der Sänger hier auch für das Auge der Kamera agieren. Reizvoll ist dabei die Nähe, die zwischen Senta und dem Holländer entsteht und die grösser ist, als man es in vielen «Holländer»-Inszenierungen sehen kann. Auch stimmlich ist in den drei grossen, fokussierten Auftritten des Holländers volle Konzentration gefordert, wobei es besonders auch auf den artikulatorischen Feinschliff ankommt. Der Holländer wird Egils Silins auch weiterhin begleiten: schon im kommenden Jahr singt er ihn am Théätre de la Monnaie in Brüssel und an der Hamburgischen Staatsoper.

Eva Johansson, die in Zürich in der vorigen Saison in der Titelpartie von Richard Strauss' «Elektra» begeisterte, wird sich nun als Senta

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vorstellen, einer Rolle, die sie schon an vielen renommierten Opernhäusern gesungen hat. Unabhängig von den Sichtweisen der Regisseure, mit denen sie zusammengearbeitet hat, ist Senta für sie eine junge, besessene Frau, wie man sie aus den geschlossenen Dorfgemeinschaften im Norden Skandinaviens kennt. Seit der Zusammenarbeit mit Götz Friedrich ander Deutschen Oper Berlin, so Eva iohansson, habe sie keine so interessanten Arbeitsgespräche geführt wie jetzt in Zürich mit David Pountney. «Er geht vom Text aus und erweist sich immer wieder als profunder Kenner der Musik.» Für die Sopranistin ist die Aktivität, mit der Pount ney die Senta schon am Beginn des zweites Aktes zeigt, besonders reizvoll. Senta und der Holländer sind für sie «aus dem gleichen Holz geschnitzt», und diese Seelenverwandtschaft, wird auch von Beginn ihrer Begegnung an spür-
bar. Eine Schlüsselszene für Eva Johansson ist das Duett zwischen Holländer und Senta im zweiten Akt, das man oft als völlig statuarische Angelegenheit sieht, das hier aber mit Spannung aufgeladen wird durch die immer neuen Räume, die durch die Bühnenbewegung für beide Protagonisten entstehen. Obwohl der Holländer und Senta ihre Wünsche zunächst auf den anderen projizieren, sieht Eva Johansson dennoch einen Qualitätssprung in der Beziehung der beiden, als der Holländer zum ersten Mal zu einem jungen Mädchen sagt: «Du aber sollst gerettet sein!». Mit Sentas Selbstaufopferung erfüllt sich für sie der Zweck ihres Daseins. Die Senta mit ihrer «Mischung aus lyrischer Qualität und (full power» ist für Eva Johansson eine der Rollen, in denen sie sich stimmlich besonders wohl fühlt. Von grösster Faszination ist für sie die Präsenz des Meeres in dieser Musik. «Das Meer», so Eva Johansson, «ist auch dann gegenwärtig, wenn man es auf der Bühne nicht sieht.»

Matti Salminen singt einmal mehr den Daland, den er in vielen Inszenierungen rund um den Erdball verkörpert hat. Fürseine Interpretation dieser Rolle hat sich der finnische Bassist auf die Fahnen geschrieben, was Richard Wagner schon 1852 den Daland-Interpreten empfohlen hat, nämlich «die Rolle ja nicht in das eigentlich Komische hinüberzuziehen. Er ist eine derbe Erscheinung des gemeinen Lebens, ein Seefahrer, der um des Gewinnens willen Stürmen und Gefahren trotzt, und bei dem z.B. der gewissermassen so erscheinende Verkauf seiner Tochter an einen reichen Mann durchaus nicht als lasterhaft erscheinen darf: Er denkt und handelt wie Hunderttausende, ohne im mindesten etwas Übles dabei zu vermuten...».

Keinen «sentimentalen Winsler» wollte Wag-

ner für die Rolle des Erik. Bei Rudolf Scha-

sching liegt diese Partie in den besten Händen. Nach dem David in den «Meistersingern» erobert sich Christoph Strehl mit dem Steuermann eine weitere Wagner-Partie. Als Mary ist Irene Friedli zu erleben. Der Chor des Opernhauses Zürich singt in der Einstudierung von Jürg Hämmerli.